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Rache

Beitritt
07.08.2002
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Rache

„Lautlos glitt er schattengleiche über die Häuserdächer. Der Halbmond hielt sein Anlitz hinter dichten, regenschweren Wolken versteckt. Kein Geräusch, kein Blitzen ließ die schlafenden Bewohner des Hauses vom nahenden Unheil ahnen. Geübte Hände hoben langsam und lautlos das Dachfenster an. Darunter erkannten die nachtsehenden Augen das weiße Gesicht von Raphael, dem Verräter, dem Betrüger, dem Opfer. Er lag neben Nadine, einer schönen Blondine, die, eingehüllt in ein seidenes Nachthemd, wohl der Aphrodite an Anmut gleich kam.
Langsam, unendlich langsam glitt der Schatten in das Zimmer der beiden ahnungslos Schlafenden, die Füße auf den Metallpfosten des Bettes. Eine Sekunde später spürte er den noch ruhigen, regelmäßigen Atem des Schlafenden auf seinem Gesicht. Die Gefahr nicht ahnden, träumte er sich durch ferne Länder, Abenteuer bestehend. Doch sein Leben würde nicht viele Möglichkeiten mehr übriglassen, sich als Mann zu bewähren. Der Schatten wusste was er zu tun hatte. Wenige Handgriffe genügten ihm Raphael zu knebeln und an das Bettgestell zu fesseln. Dabei wachte der Mann zwar auf, war aber bereits überwältigt. Schnell griff sich der Schatten das Kissen und stürzte sich auf die noch Schlafende. Sie wehrte sich heftig, stöhnte und wild schlug sie um sich. Doch schnell wurden ihre Bewegungen langsamer, ihre Widerwehr erschlaffte, der Leib entspannte sich und verlor sein Leben. Mit großen Augen hatte Raphael diesen Kampf beobachtet und unfähig einzugreifen, hatte er mit angesehen, wie seine geliebte Frau ermordet wurde. Als der Schatten nun von dem toten Leib Nadiens abließ, packte den Gefesselten die Panik. Er wand sich verzweifelt, stieß leise Schreie in seinen Knebel, als er sah, wie sich der Schatten über ihn beugt um ihm das Kissen aufs Gesicht zu drücken. Zuerst wild, bald aber ohne Kraft wehrte er sich, bis er sein Bewusstsein schwinden spürte. Da hob sich das Kissen und er schaute in das Gesicht seines Peinigers. Er schöpfte Hoffnung, doch dann senkte sich das Kissen erneut auf sein Gesicht. Raphael war geschwächt, aber nicht Hilflos. Der Schatten ließ ihm Freiheit, spielte mit ihm. Der Tot kam langsam zu Raphael, aber entgültig.
Und als der Schatten das Haus durch das Fenster verließ, und es lautlos verschloss, waren die Träume der Beiden unter Kissen erstickt. Ihr Atem lag zwischen Federn und die Körper begannen zu erkalten. Der Schatten aber war schon außer Sicht, weit entfernt, die Tat und Opfer vergessend, wie ein Schaffner vergisst, wessen Karten er kontrolliert hatte, als die Leichen von ihren Kindern entdeckt wurden.“
Rene legte seine Geschichte beiseite. Er hatte sie vor einigen Tagen geschrieben, als Therapie. Rene war Polizist. Ein Polizist wie er im Buch stand: ehrlich, pflichtbewusst, pedantisch. Er hatte aber einen Fehler. Er nahm die Dinge persönlich. Oft, meistens sogar, wurde er dadurch besser in seinem Beruf. Sorgsamer war er, ging den Dingen auf den Grund, oft länger konzentriert als seine Kollegen. Aber er hatte auch seine Probleme damit, einen Täter laufen lassen zu müssen oder es nicht vermocht zu haben, den Verantwortlich gefunden zu haben. Drei Magengeschwüre waren das Ergebnis und nun, vor einer Woche, hatte er eine Therapie beginnen müssen. Sein Arzt und sein Chef hatten darauf bestanden. Als erste Maßnahme seines Therapeuten musste Rene nun Geschichten schreiben. Geschichten über seine Erlebnisse und seine Wünsche, vielmehr über seine Wunschvorstellungen. Rene schrieb nur schlecht, aber jemand schien seine geistigen Ergüsse gelesen zu haben und vielleicht sogar ernst genommen, zu ernst.
Vor Rene lag ein Bericht der Polizei Bonn Mitte. Dort wurde der Tot zweier Menschen beschrieben. Herr Raphael und Nadine Merz. Rene hatte vor einem Jahr gegen sie ermittelt, da er sie für schuldig in einem Fall von Kindsmissbrauch und Mord hielt. Doch die Indizien hatten nicht gereicht, der Fall wurde als ungelöst zu den Akten gelegt und man wendete sich hoffnungsvolleren Fällen zu. Rene hatte es persönlich genommen, wenig geschlafen und zum Schluss hatte er seine Frau verlassen. Eine schwere Zeit war gefolgt und Familie Merz war weiterhin unbelastet auf freiem Fuß. Rene bekam Hassgefühle, spielte mit dem Gedanken Familie Merz eigenhändig auszulöschen. Nicht nur weil das Kind, welches damals vermutlich von Raphael vergewaltigt und zerstückelt auf dem Nordfriedhof liegen gelassen worden war seinem eigenen sehr ähnlich war. Auch war dieser Fall symptomatisch. Die wirklichen Verbrechen konnte Rene nicht aufklären, Raubmörder und Luden, die ihr Probleme mit Blei lösen, schickte er Dutzende hinter Gitter, während die Polizei unfähig war, die Schwachen zu schützen oder wenigstens ihre Mörder zur Rechenschaft zu ziehen.
Rene hatte dem Therapeuten dies alles berichtet und dann gesagt bekommen: „Schreiben Sie das doch mal auf. Was wollen Sie denn mit denen machen?“
Er hatte es aufgeschrieben, mit unbeholfenen Worten, die aber alles sagten und die zeigten, was er tun wollte, wie die Welt richtig laufen sollte. Nun lag also das Manifest und der Tatbestand der richtigen Welt auf seinem Tisch.
Ein Mord war geschehen, ein Doppelmord um genau zu sein. An Raphael und Nadine Merz. Eigentlich sah Rene das aus dem Blickwinkel der ausgleichenden Gerechtigkeit, das Problem an diesem Fall war aber nun, dass er, Rene selbst, diesen Mord beschrieben hatte. Bevor er geschah. Beide Opfer waren in ihrem gemeinsamen Bett mit Kissen erstickt aufgefunden worden. Das Schlafzimmer lag im Dachgeschoss und der Mörder war durch das Mansardenfenster eingestiegen. Erschreckend fand Rene vor allem, dass es wirklich keinen Hinweis auf ein Motiv gab. Die Eltern des ermordeten Kindes waren kurz nach der Greultat nach München gezogen und eine Befragung ergab, dass beide ein Alibi hatten und mit über 50 nicht in das Bild des Fassadenkletterers passten.
Rene war verwirrt.

Er betrat den Tatort mit gemischten Gefühlen. Zum einen war hier Gerechtigkeit geübt worden, vielleicht auf eine unrechtmäßige Art und Weise, doch mit Sicherheit hatten die Opfer den Tot verdient. Zum anderen war hier ein Mord geschehen, den er vielleicht veranlasst, aber mit Sicherheit vorhergesagt hatte. Es war nun keine Stunde her, als er den Bericht auf den Tisch bekommen hatte. Am gestrigen Morgen hatte die beiden Kinder der Merz Familie ihre Eltern erstickt in ihrem Bett gefunden. Keine Minute später stand der Nachbar auf der Matte und alarmierte die Polizei. Der Streifenwagen traf nach 7 Minuten ein und die Beamten sperrten den Tatort für die herbeiströmenden Nachbarn. Eine halbe Stunde später durften dann die Kollegen von der Mordkommission sich alles angucken. Sie verfassten auch den Bericht, den Rene gelesen hatte. Sie hatten ganze Arbeit geleistet und auch den Hinweis auf seine Arbeit im letzten Jahr gefunden. Nur aus diesem Grunde war er hinzugezogen worden. Ob die beiden Opfer Feinde gehabt hätten, wollte die Kollegen wissen. Na ja, sagte Rene, die Eltern des ermordeten Kindes vielleicht. Und mich, der sie gehasst hat, weil sie mein Leben zerstört haben, dachte er bei sich. Dann wurde er nicht mehr gebraucht. Keine Fragen mehr zu beantworten, keinem Fremden zumindest. Sich selbst quälte er wieder: Wie konnte dies geschehen? Es war unmöglich, war für ihn unvorstellbar. Er konnte nicht vorhersagen. Aber vielleicht, so überlegte er, war jemand in seinen Computer eingedrungen und hatte die Geschichte gelesen. Vielleicht, schloss er, hielt es die Person für eine Aufforderung. Er musste es überprüfen, es blieb ihm keine Wahl.
Wieder an seinem Schreibtisch war er aufgebracht. Sein Therapeut. Er würde ihm helfen können. Doch ein Anruf erbrachte nur, dass der Anrufbeantworter keine Antworten auf Lebenskrisen bereithielt. Trotzdem hatte der Anruf, die Tätigkeit des Anrufens, Rene beruhigt. Nicht viel, dennoch genügend, um mit einem neuen Text zu beginnen:
„Die Nacht war regnerisch und kalt. Die Lichter aus dem Hochhaus brachen durch die Dunkelheit wie Blitze durch schwere Regenwolken. Der Schatten stieg aus dem stinkenden, mit feuchter, verbrauchter Luft gefüllten Bus. Während sich die anderen Personen zerstreuten, blieb er stehen und sah sich um. Die Straße war menschenleer, wenige Autos fuhren mit Licht umher und im seichten Wasser auf den Straßen spiegelte sich das gelbliche Licht der Straßenlaternen. Der Schatten kannte sein Ziel, es war Heinrich. Er wohnte in einer schäbigen Wohnung hoch oben in einem dieser anonymen Wohnblöcke. Von dort konnte er alles beobachten, aber er würde sein unausweichliches Schicksal nicht kommen sehen. Der Schatten setzte sich in Bewegung um nach einigen Metern in die Straße einzubiegen, in der sein Opfer wohnte. Keine fünf Minuten später stand er vor einer Glastür, welche die Helligkeit im Vorraum vor der Dunkelheit außen beschützte. Doch der Druck auf ein paar Klingen öffnete ohne ein Wort sprechen zu müssen die Tür. Der Schatten mied den Aufzug und nahm die Treppe. Nach drei Stockwerken war er sich sicher, niemandem mehr begegnen zu müssen und selbst nach den 34 Etagen war er nicht außer Atem. Ein Blick durch die halb geöffnete Tür sagte ihm, dass niemand ihn sehen würde. So schritt er auf den mit billigem Teppich ausgelegten Flur und vor die Tür des Tatortes. Ein Klopfen an der Tür erregte die Aufmerksamkeit des spannenden Heinrichs. Er legte sein Fernrohr beiseite und ging zu Tür. Es würde die alte, hässliche Nachbarin sein, vermutlich um sich wieder etwas zu borgen. Er öffnete die Tür mit einem Ruck und mit einer unfreundlichen Begrüßung auf den Lippen, doch da war nicht die hässliche Nachbarin. Ein Mann in schwarz stand vor ihm und schlug ihm unvermittelt ins Gesicht. Heinrich taumelte in die Wohnung zurück und der Mann trat ein. Er schloss die Tür und hob den Zeigefinger vielsagend an die Lippen. Heinrich hielt sich seinen schmerzende Unterkiefer und wich weiter vor dem Mann zurück, der ihn mit seiner puren Anwesenheit bedrohte. Er sprach nicht, deutete auf die Balkontür. Heinrich trat an die Stelle, die ihm geheißen und öffnete die Tür. Er sperrt mich hier draußen ein, damit er die Wohnung nach Geld durchsuchen kann, dachte Heinrich. Er irrte sich. Denn als er am Geländer stand, machte der Schatten einen letzten Schritt auf ihn zu, ging leicht in die Knie, packte seine Hose fest und warf ihn mit ungeahnter Leichtigkeit in die Tiefe.
Als er die Wohnung verließ, legte er noch einen Zettel auf den Teppich. Ich kann nicht mehr, ich habe nur den Tot verdient. Mehr stand dort nicht zu lesen. Daneben lag der Kuli, mit dem der Text geschrieben war. Dann rannte der Schatten wieder über die Treppe bis in den Keller. Durch die Tiefgaragenauffahrt gelangte er ins Freie ohne gesehen worden zu sein. Sein Auftrag war erledigt, sein Gewissen rein.“
Rene speicherte den Text und schloss das Programm. Heinrich war ein toter Mann. Entweder das, oder Rene hatte mit dieser Sache überhaupt nichts zu tun. Es beunruhigte Rene, denn es bestand die Möglichkeit, dass er wieder einen Mord veranlasst hatte. Auf der anderen Seite schwebte nun ein Mann in Gefahr, der diese und sogar den Tod verdient hatte.
Es war ein Fall gewesen, bei dem Rene nicht direkt beteiligt gewesen war. Ein Freundin seiner Tochter war von ihrem Vater im Blutrausch erstochen worden. Dabei hatte Heinrich bei der Bluttat zugeschaut, die er vielleicht verhindern können.
Heinrich hatte alles von seiner Balkontür aus gesehen, auch als die Tochter zur Tür schlich um zu fliehen, während der Vater die Mutter im Nebenraum blutig zerstückelte. Da hatte Heinrich zum Telefon gegriffen und den Mann angerufen, um ihn darauf aufmerksam zu machen. Wirklich war es ihm gelungen. Der Mörder hatte aufgeschaut, war ins Wohnzimmer gegangen um nach dem Telefon zu sehen und hatte sofort seine Tochter bemerkt. Sie stand gerade an der Wohnungstür. Es war ihr Ende. Auf Heinrich war die Polizei gestoßen, als sie die Anrufe der letzten Stunden zurück verfolgten, um vielleicht Hinweise auf das Motiv zu bekommen. Heinrich war der Letzte gewesen, doch sagte er aus, dass, als niemand abnahm, er aufgegeben hätte und Fernsehen geschaut habe. Später sagte der Vater, wieder bei Vernunft, aus, dass nur das Telefon ihn dazu gebracht habe, ins Wohnzimmer zu gehen.
Damals war Rene davon überzeugt gewesen, dass der Vater zwar bestraft gehörte, aber Heinrich selbst der schlimmere Verbrecher sei. Doch es konnte ihm nichts nachgewiesen werden. Er war flüchtig mit dem Vater befreundet gewesen, hatte ihn manchmal in der Kneipe getroffen. Ein Anruf zu dieser Zeit war zwar verdächtig, aber kein ausreichender Beweis für die Mithilfe zum Mord. Es wurde nicht einmal ein Verfahren eingeleitet. Heinrich blieb ein freier, unbelasteter Mann, während eine Familie ausgelöscht war.
Mit diesen Gedanken belastet legte sich Rene ins Bett. Er schlief unruhig und als er am nächsten Morgen erwachte, fühlte er sich wie gerädert. Im Büro ging er, gegen seine Gewohnheit die Berichter der Nachtschicht durch. Kein Mord, ein Selbstmord einer Frau, nichts was auf Heinrich hindeutete. Rene atmete durch und entspannte sich. Erst jetzt bemerkte er die Akte auf seinem Tisch. Es war ein Selbstmord. Heinrich Kunz schien vom Balkon im 35 Stock gesprungen zu sein. Die Luft blieb Rene kurz weg. Das konnte doch nicht sein. Er sollte jetzt auch die Ermittlungen führen. Kurz nur, denn es war ja ein Selbstmord wie es eindeutig sei. Aber so etwas war immer auch ein Fall für die Mordkommission.

Am Abend dieses Tages war er sich sicher, dass er verantwortlich war für diesen Mord. Sein Bericht aber sagte aus, dass Heinrich sich aus dem Gefühl der Einsamkeit und Verzweifelung aus dem Fenster gestürzt hat. Der Fall war offiziell abgeschlossen. Für Rene aber begann wieder eine Nacht der Zweifel und der Grübelei. Mitten in der Nacht, nach 4 Stunden wachliegen entschloss sich Rene zur nächsten Geschichte. Ein Mord kam nicht mehr in Frage, doch ein Überfall würde ihm die Möglichkeit geben, den Mörder zu fassen. Er würde den Zeitpunkt, den Ort und die Umgebung kennen, alle Trümpfe wären in seiner Hand. So schrieb er eine Geschichte, die Abends spät, wenn Rene nach seinem Dienst zu Hause sein würde, vor seinem Haus spielte. Eine Geschichte in der Renes Hausmeister nach gemachter Arbeit an der Bushaltestelle, von der er jeden Abend seinen Heimweg antrat, vom Schattenmann überfallen und um seine Brieftasche erleichtert wurde.
Doch diese Geschichte beruhigte Rene nicht. Es stimmte etwas nicht. Eigentlich stimmte sogar ziemlich viel nicht. Der Hausmeister war ein unbescholtener Mann, es war kein Mord, Menschen schauten zu, Rene sah die Chance den Mann festzunehmen. All das sprach dafür, dass der Mann nicht auftauchen würde. Trotzdem setzte sich Rene am Abend an sein Fenster und beobachtete die Bushaltestelle. Er kam sich lächerlich vor. Wie kam er darauf das seine Geschichten einen Mörder zu einem Raubüberfall motivieren könnten. Dann kam der Hausmeister. Er stellte sich wie jeden Abend an die Bushaltestelle und wartete auf seinen Bus. Er stand da und schaute in die Gegend. Rene hatte das Licht in seiner Wohnung gelöscht, so das der Mann ihn nicht sehen konnte. Eine zweite und eine dritte Person kamen hinzu, ein junges Pärchen, das sich an der Haltestelle noch etwas befummelte, bevor es sich für diesen Abend verabschieden musste. Der Hausmeister schien sie geflissentlich zu ignorieren, denn er beobachtete verschiedenen andere Dinge. Eine Katze, ein paar Fahrräder, die an einer Hecke lehnten und die Autos. Dann kam der Bus und das Mädchen und der Hausmeister stiegen ein. Zurück blieb ein junger Mann, der sich den Heimweg machte. Rene bleib sitzen. Er hatte die Hoffnung, dass vielleicht der Schattenmann doch noch kommen würde. Vielleicht um jemand anderen, als den Hausmeister von Rene, zu überfallen. So saß der Polizist da bis zum letzten Bus. Und als der abgefahren war, wurde ihm klar: Der Schattenmann würde in dieser Nacht nicht mehr kommen. Eine andere Geschichte musste her. Dieser Mann musste gefasst werden, es blieb Rene keine andere Möglichkeit.

Rene setzte sich wieder an seinen Computer. Er überlegte lange, was er nun schreiben könne. Er dachte an einen Mord in aller Öffentlichkeit, doch musste er fürchten, dass der Schattenmann trotz allem entkam und vielleicht sogar noch mehr Menschen auf seiner Flucht in Gefahr brachte. Er überlegte vielleicht wieder einen Mord zu schreiben, der den zuvorigen möglichst glich. Einen Mord im Dunkeln, an einer Person die möglichst Schuldig ist, ein Kampf, bei dem der Angreifer im Vorteil ist. Doch Rene wollte kein Leben mehr riskieren. Also entschloss er sich zu einem Mord an sich selbst.

„Der Sternenhimmel glich einem Samttuch voller Diamanten. Die Luft war eisig und schnitt ins Gesicht. Nur wenige Menschen waren unterwegs und die, die man sah, hatten ihre Mütze tief ins Gesicht gezogen. Der Schattenmann stieg aus seinem Auto. Er hatte nicht lange nach einem Parkplatz suchen müssen, denn in dieser Straße war immer ein Parkplatz frei. Er klappte den Mantelkragen nach oben, um die Kälte nicht spüren zu müssen, dann trat er vor einen Altbau. Mit Rosen über dem Türsturz verziert glich es einem Herrenhaus aus den Anfängen des gerade beendeten 20ten Jahrhunderts. Die Tür aber war neu und schon schäbig. In Bonns Altstadt wurde schon lange nicht mehr investiert. Vielleicht später, wenn der Abschaum hier nicht mehr wohnte und Menschen mit Geld in die frisch renovierten Wohnungen einzogen. So war es immer. Der Schatten klingelte an der obersten Wohnung. Eine krächzende Stimme fragte, wer denn da vor der Tür stände. Er antwortete, dass er sich ausgesperrt hätte, und sofort hörte er wie der Türöffner betätigt wurde. Als er dann im Flur stand, rief er ins Treppenhaus ein Danke und wandte sich sofort dem Hinterhof zu. Er war verwildert und dunkel. Der Schatten sprang schnell über die Mauer zum nächsten Haus. Hier hatte man alle Sträucher und Bäume abgeholzt und den Garten umgepflügt. Er wäre bis zu den Knöcheln eingesunken, doch war der Boden gefroren und steinhart. Er würde nicht einmal Spuren hinterlassen. Mit wenigen Schritten durchschritt er den Garten und gelangte an eine zusammen gestürzte Mauer und überstieg sie. Der Garten dahinter glich dem ersten, doch hier brannte in der Halbpatere Licht. Das Opfer, Rene, war also zuhause“, Rene zögerte. Er war sich nicht sicher. Wie könnte man ihn, einen Polizisten, wohl am besten ermorden. Vielleicht ein Schuss durchs Küchenfenster? Er schaute sich um. Den Kopf schüttelnd war er sich sicher: Auf der Toilette würde ihm bestimmt ein guter Mord einfallen.
„Der Schatten wartete, bis er sich sicher war, dass Rene sich nicht in der Küche befand. Vor dem Haus war eine Bushaltestelle und man hörte, leise nur, wie ein Bus ankam und Menschen ausspuckte und aufsog. Der Mann prüfte die Gartentür. Sie war offen, konnte gar nicht verschlossen werden. Er hatte es gewusst. Die Toilette für Renes Wohnung lag auf dem Flur. Direkt neben der Tür, die in den Keller führte. Der Schatten verschwand im Kellerabgang und hielt die Tür einen Spaltbreit offen. Er wartete nicht lange, dann öffnete sich die Tür von Renes Wohnung und das Opfer betrat den Tatort. Es öffnete die Toilettentür, da sprang der Schatten schon aus seinem Versteck und warf sich mit Gewalt gegen das Holz. Er hörte wie es auf etwas traf und splitterte. Der Körper des Opfers taumelte gegen die Wand hinter ihm. Der Schatten setzte nach, noch einmal traf die Türkante den Kopf, dunkles Blut troff aus den Wunden, Rene war schon nicht mehr bei Bewusstsein. Viel Zeit blieb dem Rächer nicht. Mit wenigen Schritten gelangte er in die Wohnung, und fand auch sofort den surrenden Computer. Der Bildschirm quoll über vor Buchstaben, die Wörter formten, die Sätze bildeten, die Absätze waren, die zu einer Geschichte gehörten, welche Realität wurde. Der Schatten setzte sich, zog schnell die Handschuhe aus und begann zu schreiben. Wie er hinter die Kellertür wartend seinem Opfer auflauerte, es erkannte und verletzte. Wie er die Geschichte zuende schrieb, die auch sein Ende sein würde. Und dann wie er sein Opfer wohl ermorden würde und dann das Haus verließ, die Leiche von Heinrichs, Raphaels und Nadiens Mörder auf dem Fußboden liegen lassend. Er schloss die Datei und wartete einen Moment. Er spürte die Realität, wusste was nun geschehen würde. Hinter sich zog er die Wohnungstür zu und trat zum bewusstlos auf dem kalten Steinboden liegenden.
Er schlug den Kopf ein einziges Mal hart auf den Steinboden, dann war er sich sicher, sein Werk getan zu haben. Lautlos verließ er das Haus, die Stadt, das Land, die Realität. Bis er wieder gerufen werden würde um die Schuldigen zu strafen.“

 

He,

vielleicht sieht man an der sinnlosen diskussion über die zuordnung am besten die qualität der geschichte...

no comment

sno

 

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