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Rache - eine lovecraftsche Imitation
Mein Name ist Harold Cooper, und ich muß die Geschehnisse dieser Nacht niederschreiben, um herauszufinden, ob das, was passiert ist, in Wirklichkeit geschehen ist oder nur in meinen krankhaften Träumen stattgefunden hat. Ich hoffte, es wäre so. Doch hören Sie sich meine Geschichte an:
Er hätte es nicht tun dürfen, er hätte nicht vom Leichenschauhaus zu mir in mein Haus am Ende der Carroll Street, links bei der Kreuzung zur Baker Street, kommen dürfen. Er hätte nicht das bronzene Schloß im Mondschein aufbrechen dürfen, welches die groß mit gotischen Schnitzereien verzierte, hölzerne Halbflügeltür vor abscheulichem Gesindel, wie ihm sichern sollte. Und auf keinen Fall hätte er durch das Vorzimmer, über mein in im altenglischen Stil eingerichtetes Wohnzimmer in meine Küche schleichen dürfen, im Schutze des schwachen Mondscheins. Er hätte nicht alle Kästen und Laden öffnen dürfen, bis er das große Messer, daß ich damals gekauft hatte, um an Festtagen den gebratenen Truthahn zu zerlegen, und die Portionen an die plappernde Gesellschaft, die an meinem Tisch zu sitzen pflegte, aufzuteilen, fand. Er hätte nicht über die Treppe hinauf zu meinem Schlafgemach schleichen, und den Türknauf drehen dürfen, ohne daß meine sonst so feinfühligen Ohren ein noch so geringes Quietschen oder Knarren zu vernehmen mochten.
Er hätte sich nicht über mich beugen dürfen, bis mir der feuchte, schleimige Geruch seines Atems langsam und stechend in meine Nase kroch, sodaß ich, angewidert von der Abnormalität des Gerochenen, meine Augen aufriß und erstarrte, als ich die Gestalt erblickte, die über ich gebeugt war, und mit meinem Messer zum tödlichen Stoß ausholte. In gedankenloser Leere rollte ich mich weg von der Gestalt, aus meinem Bett, und das Messer stach in die Stelle, an der ich vor einem Augenblick noch wie gelähmt gelegen war. Die plötzliche Bewegung rüttelte mich ein wenig aus meiner Schlaftrunkenheit, doch dies führte zu einer Welle von Panik, die sich in meinem Gehirn ausbreitete, als ich realisierte, daß ich wach war und nicht träumte.
Er hätte sich nicht auf mich stürzen dürfen, mit diesem unbeschreiblichen Schrei, dessen Länge und Tonlage noch nie zuvor von einem menschlichen Ohr vernommen worden waren. Ich wehrte mich verzweifelt gegen seine Messerhiebe, die mit schier unglaublicher Kraft gegen mich gestoßen wurden, und mich an den Armen und Händen schwer verletzten. Blut floß aus offenen Wunden, und durchnäßte meinen Schlafanzug. Durch einen glücklichen Zufall schaffte ich es, ihn trotz meiner Benommenheit mit meinem Fuß wegzutreten. Er stürzte zu Boden und verlor das Messer aus seiner Hand. Ich streckte mich nach meinem Nachtkasten und riß die Lade heraus, deren Inhalt sich über den hölzernen Fußboden verstreute. Für mich war nur mein Revolver, bei dem ich immer peinlich genau darauf achtete, daß er zu jeder Zeit geladen und gesichert war, und der genau vor meiner Hand lag, von Bedeutung. Ich nahm ihn mit meiner blutüberströmten Rechten an mich und entsicherte ihn zitternd. Ich richtete den Revolver gegen die Gestalt, die sich röchelnd bemühte, wieder auf die Beine zu kommen, kniff die Augen wegen dem bevorstehenden Knall zusammen, und drückte ab. Aufgrund meiner schweren Verletzungen und nicht zu vergessen meiner Angst, verfehlte ich seine Brust und die Kugel verirrte sich durch seine Stirn in die Wand, wo sie mit Gehirnmasse und Knochensplittern steckenblieb. Die Gestalt taumelte. Was folgte, hat sich für mein Leben lang in mein Gedächtnis eingebrannt und wird mich noch lange in meinen Alpträumen heimsuchen. Er sprach, und das hätte er unter keinen noch so blasphemischen Umstand befähigt sein zu tun dürfen, während bereits sein Blut von der Tapete rann: „Rache für meinen Tod, Cooper!“ Dann sackte der Körper zusammen und rührte sich nicht mehr.
Diese Worte.
Rache
für
meinen
Tod!
nahmen mir den letzten Rest meiner Selbstbeherrschung. Ich ließ den Revolver fallen und fing an hysterisch und nicht im Besitz meiner selbst, zu lachen und starrte den toten, erschlafften Körper an, während ich selbst neben ihm auf den Boden sank.
Ich habe mich wieder beruhigt, das glaube ich wenigstens, wenn man unter den gegebenen Umständen überhaupt gelassen sein kann. Ich bin fast eine Stunde hier gesessen und habe den Toten angesehen und gebetet, daß er sich nicht wieder bewegt.
Ich habe gerade meine Wunden verbunden, ich denke ich bin nicht allzu schwer verletzt. Wenn auch der Schock noch seine Wirkung tut und ich keine Schmerzen verspüre, habe ich doch viel Blut verloren, da der Boden um mich herum voll von getrocknetem Blut ist. Doch jetzt, wo ich wieder einigermaßen gefasst und bei Verstand bin, werde ich den Leichnam in einen festen Sack schaffen und noch vor dem Morgengrauen mit meinem Wagen zum Elron See fahren, um diesen verdammten Körper an der tiefsten Stelle des Sees zu versenken. Denn, den Mann, den ich heute erschossen habe, hatte ich bereits letzte Nacht getötet.
[ 17.04.2002, 19:40: Beitrag editiert von: Peter Koller ]