Rache an einem alten Freund (2. Version)
Tengo miedo del encuentrocon el pasado que vuelvea enfrentarse con mi vida...", tönt es aus einem der Cafes. Ich überlege woher ich dieses Lied kenne. Wer hat es geschrieben? Es will mir einfach nicht einfallen, ist aber auch egal. Viel wichtiger ist, dass ich ihn endlich gefunden habe. Nach so langer Zeit.
Schließlich habe ich vierzig Jahre auf diesen Moment gewartet. Jeden Tag, jede Nacht. Wie oft habe ich mir ausgemalt wie es sein wird, endlich Genugtuung zu erhalten? Zu oft jedenfalls um es noch zählen zu können. Eines war mir dabei immer klar gewesen: Ich würde diesen Augenblick auskosten - lange.
Das Licht spiegelt sich in meinen dunklen Brillengläsern. Ich kann es deutlich sehen in einem der Schaufenster, die es hier so reichlich gibt im Künstlerviertel San Telmo. Genauso wie Antiquitätenläden und Musiklokale. Eigentlich ein malerischer Ort. Ein Platz zu schön zum sterben.
Die Sonne steht im Zenit und der Sand glüht. Mir ist heiß und das nicht nur von der Sonne. Es war immer alles so klar gewesen, all die Jahre hindurch. Ich würde ihn finden wenn ich wieder rauskomme und dann würde ich ihn zur Strecke bringen. Es sollte eine richtige Hinrichtung werden. Er würde mir gegenüberstehen und das letzte, was dieses Schwein sehen sollte wären die Augen eines "alten Freundes", die den Hass von 40 Jahren in sich tragen.
Ein alter Mann bin ich nun, mein Haar ist mittlerweile licht und mein Körper zeigt mir deutlich, dass ich nicht mehr lange zu leben habe. Zu sehr wurde er geschunden in den letzten Jahren. Mein Geist ist müde, müde von über 30 Jahren Gefängnis und der anschließenden Hetzjagd auf diesen Verräter. Hätte er sich doch nur gestellt und den Mord zugegeben, dann hätte ich nicht mal ein Jahr bekommen und das wahrscheinlich noch zur Bewährung. Aber nein, er floh. Nach Südamerika, wie sich später herausstellte. Mit all der Beute. Dabei waren wir die besten Freunde bis zu jenem verdammten Tag ...
Ich muss mich zusammenzureißen, für Sentimentalitäten ist jetzt kein Platz. Nur circa fünfzig Meter noch und ich kann vollenden, was ich mir selbst als Aufgabe gestellt habe. Fünfzig Meter, die mir so unwirklich vorkommen, endloser als vierzig Jahre.
Wird er mich überhaupt erkennen? Schließlich sind wir beide viel älter geworden ...und weiser?
Noch einmal geht mir durch den Kopf, was damals geschehen ist. Wie ein Film vor meinem geistigen Auge sehe ich uns als junge, unerfahrene Männer. Ein Streich sollte es werden, damals, als wir bei dem alten Müller eingebrochen sind. Nicht mehr, nur ein dummer Streich. Warum musste er auch zuhause sein? Warum? Es ging damals alles so verdammt schnell. Viel zu schnell um klar zu denken. Vielleicht hätte ich meinen Freund einfach verraten sollen und mich damit selber entlasten? Nein, daran habe ich nicht eine Sekunde gedacht. Er würde sich schon stellen mein Freund, früher oder später. Und auch das Geld, dass wir gefunden hatten würde er dann mitbringen. Ganz bestimmt würde er das! Schließlich hatte er den alten Mann auf dem Gewissen. Er hatte den Kerzenständer genommen und ...
Nur fand man seine Fingerabdrücke später nirgends. Handschuhe hatte er getragen. Schlau war er gewesen. Sehr schlau wie sich erweisen sollte. Geplant hatte er es und zwar genau so wie es gelaufen war. Hereingelegt hatte er mich - seinen angeblich besten Freund!
Ich spüre, wie meine Beine sich in Bewegung setzen, einer inneren Stimme folgend. Die Situation ist günstig. Niemand in der Nähe. Ich hab an alles gedacht. Nicht registrierte Handfeuerwaffe, Schalldämpfer, falscher Bart, sogar die spärlichen Haare habe ich mir dunkel gefärbt. Und doch: Er wird mich erkennen, ganz sicher! Meine Hände sind schweißnass, ich zittere am ganzen Körper. Gut, dass ich ihn noch gefunden habe, wo mir doch nicht mehr viel Zeit bleibt. Wenige Monate, vielleicht nur noch Wochen hat mir der Arzt gegeben. Ich hatte die Hoffnung schon aufgegeben. Bis der von mir engagierte Detektiv schließlich doch die rettende Spur hatte: Buenos Aires! Im Ayacucho Palace Hotel wurde er gesehen, beim Mittagessen. Danach ist alles ganz einfach gewesen. Schon drei Tage später hab ich ihn gefunden. Gekostet hat es mich fast all mein Geld. Viel hab ich eh nicht gehabt.
Aber jetzt wird er bezahlen. Bezahlen für all das, was er mir angetan hat. Bezahlen für dreißig Jahre Gefängnis, die ihm gegolten haben. Bezahlen für ein Leben, dass er mir gestohlen hat und das ich niemals mehr zurückbekomme.
Die Situation ist günstig. Es ist um diese Zeit nicht viel los hier. Es ist einfach zu heiß. Der Sonnen schirm unter dem er sitzt wird mich wunderbar verbergen. Die vielen Gassen machen es mir leicht zu verschwinden. Langsam öffne ich den Mantel. Ein letzter Blick. Niemand da. Ich entsichere die Pistole und stehe nun fast direkt hinter ihm. Ich nehme die Sonnebrille ab. Vor mir steht der Mann, der mir vier Dekaden meines Lebens genommen hat. Den Blick genau in die andere Richtung. Nur eine Umdrehung entfernt von seinem letzten Atemzug.
Antippen oder ansprechen? In den Kopf oder ins Herz? Noch was sagen vorher? Alles wird so unklar. Mein Herz rast. Diese verdammte Musik! Diese elende Hitze! Ich kann mein Herz pochen hören, sogar lauter als es damals gepocht hat. Die Zeit scheint nun still zu stehen. Dieses Gefühl kenne ich bislang nur aus den endlos-einsamen Nächten im Knast. Wo aus Minuten Jahre werden können. Wo man trotz zusammengepfercht sein auf engstem Raum das Gefühl von unendlicher Einsamkeit verspürt. Wo man alles geben würde für einen langweiligen Sonntagmorgen am Frühstückstisch mit Frau und Kindern. Oder einem Tag in Buenos Aires...
Direkt ins Herz werde ich ihm schießen, nachdem ich seinen Namen gesagt und er sich umgedreht hat. Ich hole tief Luft und ... "Opa", ruft eine Kinderstimme, "Opa nun komm schon. Du wolltest doch noch mit mir spielen." Er hat Familie. Darüber habe ich nie nachgedacht. Enkel, Kinder, Frau ... Warum ist mir das nie in den Sinn gekommen? Merkwürdig und grotesk, dass ich mir darüber niemals Gedanken gemacht habe. Vielleicht, weil ich niemals ein Leben hatte? Vielleicht, weil ich gedanklich immer nur auf den Menschen von damals fixiert war? Ich weiß es nicht. Ich stecke die Waffe weg. Jetzt hat sich alles geändert. Darf ich mein Leben mit dem Leben vieler bezahlen? Etwas zerstören, dass ich nie hatte - eine Familie? Nein ich werde weder ihr noch mein Leben wegwerfen. Ich werde die restliche Zeit die mir bleibt genießen so gut es geht.
Ich drehe mich um und gehe. Und jetzt fällt es mir plötzlich wieder ein. Carlos Gardels! Das ist der Autor des Liedes. Ich erinnere mich auch wieder an die Bedeutung des Textes:
"Ich hab' Angst vor dem Gestern das heute wieder den Weg mir verstellt. Und nachts im Alptraum bebe ich noch vor Erinnerung. Doch der Wanderer auf der Flucht eines Tages hält er ein. Ist auch im Vergessen das alles gleichmacht mein altes Feuer längst schon gelöscht, bleibt mir versteckt tief im Herzen noch eine klare Hoffnung und die ist mein ganzer Stolz."