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R.I.P. Homo Nanoroboticus!
„Im Alter sterben die Träume zuerst.“
„Wie bitte?“ Kritisch beäugte ich ihn. Ein Fremder, der mich ohne Grund auf dem Gehsteig anspricht. Doch er sackte nur noch vor mir zusammen. Blut tropfte aus seinem Hinterkopf und langsam wich das Lebendige dem Starren. Schockiert sah ich zu, während mein zusätzlich implantierter Gehirnunterstützungschip automatisch die Rettung informierte. Ob mit seinen körperinternen Nanorobotern noch alles in Ordnung war?
„Michael, aufwachen! Du hast eine neue wichtige Nachricht.“ Ich hasse meinen Chip.
„Was?“, noch bestand die Aussicht, wieder einzuschlafen. Ich liebe es, zu pennen.
„Christian Heiss, dein alter Schulkollege ist vor einer Stunde gestorben, durch ein kollektives Versagen seiner Nanoroboter.“
Nun war ich hellwach. Nicht wegen Christian, der alte Sack hatte mir damals meine erste Freundin ausgespannt. Es hatte also etwas mit den Nanorobotern zu tun. Sondersendungen wird es heute massenhaft geben.
„Herr K, konzentrieren Sie sich bitte voll auf unser Meeting. Ich sehe, dass Sie nebenbei die Nachrichten verfolgen, aber dafür haben Sie nun keine Zeit.“ Mein Vorgesetzter, Arbeitstier, ich kann ihn nicht leiden.
„Haben Sie eigentlich schon gehört, dass es wieder Tote durch die Nanoroboter gab? Gleich spricht der Regierungssprecher und ich denke, es betrifft uns alle.“ Wäre mir meine Kollegin nicht beigesprungen, dann hätte ich mir wohl eine Abmahnung eingefangen, aber so durfte ich weiterschauen.
Ich war nun nicht mehr der einzige, jeder schaute zu und jeder sah, wie der Regierungssprecher vor laufender Kamera verstarb. Faselte noch etwas von „alle Vögel sind frei“.
* * *
Es ist ruhig. Dreiviertel der Menschen sind im vergangenen Jahr verstorben. Androiden und Roboter kompensieren unsere Lücke. Und ich lebe noch. Ein perfekter Tag, um bei Fred wieder mal vorbeizuschauen, meinen Pseudodrogendealer.
„Hey Fred! Wie geht’s dir heute? Lebst noch?“
Schäbig gekleidet stand Fred in einer Seitengasse.
„Na du, haste wieder Lust auf ein paar Stunden Frieden?“, fragte er mich.
„Du etwa nicht? Was gibt’s den Spezielles heute?“
„Was ganz Tolles. Hab ich selbst gemixt, ganz frisch von gestern. Willste probieren? Übrigens, hast sicher wieder vergessen, deinen Gehirnchip zu deaktivieren, da drüben warten schon die Bullen auf uns. Halt einfach die Klappe und überlass mir das Reden.“
Androidenpolizisten, sie sind schneller, stärker, und haben uns schon längst identifiziert. Keine Chance abzuhauen.
„Michael K, Frederico M., Besitz und Verkauf dieser Ware verstößt gegen das Betäubungsgesetz.“
„Alter!“, rief Fred dazwischen. „Woher willste das wissen? Ist meine Eigenkreation! Kennt niemand, außer mir! Nur weil du mich schon mal verhaftet hast, bin ich kein schlechter Mensch. Ich mach auch gute Sachen.“
„Frederico M, händigen sie uns Ihre… „
„… weißte was? Ich verrecke hier. Du hast keine Scheißnanorobots in dir. Ich kann hier jeden Moment zusammenklappen. Kannst du mir helfen? Nein, also lass mir meine Zeit. Du bist hier der Täter. Du stiehlst mir meine Zeit! Hey Kollege, verhaften sie ihren Kollegen. Zeit ist wertvoll für uns Menschen!“
„Händigen sie uns ihre Drogen aus und behalten sie ihre Eigenkreation. Michael K, melden sie sich morgen beim Entzugsprogramm. Die Aufforderung haben wir ihnen schon zugeschickt.“
Je weniger Menschen es gab, umso mehr konnten wir uns erlauben. Eine künstliche Intelligenz ersetzte die Weltregierung und legte ein gewaltiges Forschungsprojekt zur Zeugung von nicht infizierten Embryos auf, um das Überleben der Menschheit zu sichern. Wir aber werden in einem Jahr alle tot sein. Was kümmert es daher die Androiden.
„Lass uns abhauen. Hier nimm mal.“, und ich inhalierte die Eigenkreation direkt vor den Polizisten. Grölend liefen wir ein paar Seitengassen weiter, bis Fred eine Kellertür öffnete.
„Michael, ich hab was Richtiges für dich. Kein Schnickschnack hier, nur elementar.“
Dumpf dröhnt es aus dem Halbdunkeln, monotoner Bass, vibrierende Wände. Ich rieche Schweiß und wir tauchen in die Menge ein. Benommen taumle ich zwischen den Tanzenden, füge mich unfreiwillig ihren Bewegungen. Schlechte Eigenkreation, wirkt nicht mal richtig. Jeder stößt hier jeden. Ich stoße zurück. Stolpere …
„Hey Fred, was suchst du hier unten? Lebst du noch?“
* * *
Müde liege ich im Bett. Ich bin sauber. Fred starb vor drei Monaten. Warum lebe ich noch? Mich interessiert es nicht, aber die Androiden umso mehr. Heute steht wieder mal eine Untersuchung an.
„Hi, ich bin Anna.“
Hübsch war sie. Keine Verbindung zu ihrem Gehirnchip. Sie gehörte wohl zur Minderheit der Blocker. Anna war Anna.
„Hi, Michael.“
Stumm setzte ich mich neben sie und wartete.
„Und wie lebt es sich als Blocker?“ Was Gescheiteres viel mir nicht ein. Sicher die häufigste Frage ihres Lebens.
„Äh, ich meine …“
„Schon okay. Ich war nicht immer eine Blockerin. Man redet mehr und hinterfragt sich öfters. Irgendwann erkennt man die eigene Unvollkommenheit und lernt sie zu genießen.
„Verdiente Standardantwort zu einer Standardfrage.“ Und wir grinsten beide.
„Wir sind beide hier. Es hat wohl keinen großen Unterschied gemacht.“ Ich nickte zustimmend. Hab ich schon erwähnt, dass sie hübsch war? Androiden verstehen dies nicht, oder wollen es nicht. Sie trennten uns.
Fünf Stunden später stehe ich wieder draußen. Verwaist liegt die Straße vor mir, eingeklemmt zwischen verlassenen Wolkenkratzern. Kein Sonnenstrahl durchdringt sie und in der Nacht, versperren sie uns die Sicht auf die Sterne.
„Hey, hat ganz schön lange bei dir gedauert. Bist wohl was Spezielles!“
„Und wo warst du? Ich dachte, du wärst die Krankenschwester!“
Still ergriff ich ihre Hand.
***
Ich bin der Letzte. Nicht der letzte Mensch. Ich bin der letzte Homo nanoroboticus. Lang lebe Homo sapiens! Nach vielen Fehlschlägen züchteten uns die Androiden nach. Ja sie züchteten! Drei süße aber namenslose Babys krabbeln herum, Tausende warten nun darauf. Oder sollten wir sie Homo androidus nennen? Geplant, geformt, gesteuert und kontrolliert von Androiden. Werden sie jemals die Vergangenheit erfahren? Nie wieder Ärger mit Mensch! Was kümmert es mich eigentlich. Ich stehe hier vor meinem Grab, es ist schlicht.
Anna war schon tot, als ich zu ihr schaute. „Ich liebe dich!“, rief sie mir zu. Zufall, geplant oder Selbstmord? Konnten Blocker ihren letzten Satz vielleicht frei wählen? Ich werde es nie erfahren, wie so vieles anderes, und dies ist gut.
R.I.P Homo nanoroboticus!