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Rückwärtserzählter Kurzkrimi
V
»Lana, was soll der Quatsch?!«
»Die Handschellen können wir von mir aus auch weglassen. Aber jetzt komm endlich mit!« Die letzten Worte fauche ich. Versuche hart zu klingen. Kalt. Doch innerlich zerreißt es mich fast. Warum muss es mir dieser elendige Dreckskerl so schwer machen? Warum lässt er die Maske nicht endlich fallen?
Kleine Grübchen zeigen sich in seinem spitzbübischen Lächeln:
»Du weißt, dass ich keine Probleme damit habe, wenn du mir Handschellen anlegst.«
»Die Sprüche kannst du dir ab jetzt sparen. Abmarsch! Oder müssen wir wirklich Gewalt anwenden?«
Etwas bricht in seinem Blick. Endlich scheint er zu verstehen.
»Ich verstehe gar nichts mehr.«
Oder das. Ich schiebe ihn zur Tür, wo die Kollegen bereitstehen.
»Lana, was soll das? Du kennst mich doch?«, flüstert er. »Du weißt, dass ich zu sowas nie fähig wäre. Das weißt du doch, oder?«
»Ich weiß gar nichts mehr.«
»Spinnst du jetzt total, oder was?!«, schreit er mich plötzlich an. Stößt mich weg. Ich knalle rückwärts gegen die Wand des Hausflurs.
Bilder fluten meinen Kopf: Das erste Mal. Ich knalle mit dem Rücken gegen die Wand. Er drückt mich fest dagegen, sein Schritt drängt gegen mich. Ich spüre seine Erektion durch die Jeans. Es ist keine zwei Sekunden her, dass Marc die Wohnungstür hinter uns geschlossen hat.
Seine großen Hände umfassen zärtlich meine Wangen, dann gleitet seine Rechte nach unten, streicht über meine Brust, meine Taille, meinen Hintern. Dann packt er mich, hebt mich gegen die Wand, küsst mich hinter dem Ohr. Meine Hand greift in seinen herrlichen blonden Haarschopf. Ein leises lustvolles Stöhnen entweicht meinen geöffneten Lippen.
Er stöhnt ebenfalls auf. Die beiden Streifenpolizisten haben ihn niedergerungen und seinen Arm verdreht. Er wehrt sich nicht.
»Darf ich mir wenigsten noch Schuhe anziehen?«
IV
»Frank, was soll der Quatsch!?«
Ich stehe mit dem Handy am Ohr im Raucherbereich vor dem Revier. Es ist ein grauer, windiger Tag. Der erste, der nach Herbst riecht.
Das Erste, worum mich Dr. Frank Wetzel – unser Rechtsmediziner gebeten hat – war, einen Ort aufzusuchen, an dem niemand unser Telefonat mithören konnte.
Das war ziemlich irritierend. Der Grund seines Anrufs legitimierte diese Vorsichtsmaßnahme zwar, sorgte bei mir aber für nur noch mehr Verwirrung.
»Das ist kein Quatsch. Ich meine es ernst.«
»Du willst mir erzählen, Marc … Marc ist doch kein Vergewaltiger.«
»Ich kenne ihn nicht so gut wie du, aber …«
»Wir sind seit zwei Jahren Partner. Wir haben gemeinsam den Vergewaltiger von Maike Cosic gefasst. Ihn hat das damals genauso angewidert wie mich.«
»Ja, grundsätzlich sehe ich das genauso wie du. Aber wann kennt man einen Menschen denn wirklich? Kennt man auch die Seiten, die jemand nicht zeigen möchte?«
Ich schweige und bereue mit dem Rauchen aufgehört zu haben. Nervös fahre ich mit den Fingern über meine Lippen.
»Hör zu, Lana. Es geht hier nicht um meine Meinung oder Einschätzung. Ich überbringe nur wissenschaftliche Fakten. Und es ist nun mal eindeutig sein Sperma.«
»Hundert Prozent sicher? Bei DNA-Tests kann es doch auch mal Verunreinigungen geben in selten Fällen. Oder vielleicht jemand mit ähnlicher DNA oder so.«.
»Theoretisch käme höchstens ein Verwandter ersten Grades in Frage. Sein Vater oder ein Bruder.«
»Marc hat nur eine Schwester. Sein Vater ist im Pflegeheim, aber der ist bestimmt schon über achtzig.«
»Dann ist es ganz eindeutig. Verunreinigungen kannst du vergessen. Wir haben ja die Spermien untersucht. Theoretisch, und das ist wirklich extrem selten, kann mal Speichel oder ein Haar von jemand im Labor in die Probe kommen und dann hat man plötzlich dessen DNA-Spur in die Kartei mitaufgenommen. Aber hier haben wir Spermien untersucht. Die kommen nicht einfach so aus Versehen in die Probe – und sie sind definitiv von Marc. So ungern ich das sage.«
Ich will gerade klein beigeben, da keimt ein letztes Fünkchen Hoffnung in mir auf.
»Aber hast du nicht gesagt, die Spermien wären alle tot gewesen? Marc hat eine Tochter – Emily. Das ist doch ein Widerspruch.«
»Nicht wirklich. Wir haben in der Vagina des Opfers außerdem Benzalkoniumchlorid entdeckt. Das ist ein Spermizid – also ein Verhütungsmittel, das Spermien abtötet. Wird meist in Kombination mit einem Diaphragma oder ähnlichem verwendet.«
»Du meinst, sie hat verhütet und ein Diaphragma eingeführt, bevor sie vergewaltigt wurde?«
»Nein. Also … da war keines. Ich hatte so einen Fall auch noch nie. Deswegen hatte ich ja erst vermutet, der Täter wäre zeugungsunfähig. Da lag ich wohl falsch.«
»Okay. Ich weiß, dass Marc das Opfer kannte. Aber nur flüchtig hatte er gesagt.«
»Natürlich sagt er das. Vielleicht hatten sie eine Affäre. Oder einfach ein Date. Es lief nicht so gut. Sie wollte nicht mehr. Er schon. Sie wehrt sich. Dann nimmt er sich einfach was er will. Sowas haben wir doch immer wieder.«
»Schon. Aber Marc?«
Noch eine Affäre? Auf einmal überkommt mich Eifersucht. Meine ohnehin schon angespannte Magengegend schmerzt förmlich.
Am Anfang hatte ich die Initiative übernehmen müssen. Ich hatte ihm eigentlich klare Signale gesendet, aber er hatte sich trotzdem nie getraut, den nächsten Schritt zu tun. Obwohl klar war, dass ich ihm gefiel. Da war diese elektrisierende Spannung zwischen uns gewesen – diese Spannung, die ich so liebte.
Ich war mir damals sicher gewesen, dass er genauso fühlt. Aber hatte ich dabei nicht einfach nur meine Gedanken auf ihn projiziert?
Ging er vielleicht einfach nicht darauf ein, weil es ihn langweilte, wenn ich es so offensichtlich auch wollte? Fehlte ihm dann der Nervenkitzel? Der Triumph? Die Gewalt?
Stopp!
Langsam schien ich durchzudrehen. Was tat ich da? Das waren doch nicht wirklich meine Gedanken über Marc, meinen Marc.
Klar war er manchmal wild, bestimmend … vielleicht auch mal etwas unbeherrscht. Aber nie rücksichtslos. Er hätte doch nie…
»Lana, bist du noch dran?»
»Ja, Frank. Ich muss jetzt wieder rein.«
»Alles klar. Ich schicke dir den Bericht an deine Dienstmail. Das Original holst du lieber hier bei mir ab. Bevor Marc ihn auf den Schreibtisch bekommt.«
»Ja. Klar. Danke. Ciao.«
Ich betrete wieder das Revier. Ich friere. Kaum bin ich durch die Tür des K1:
»Hey, Lana. Die KT hat gerade ihren Bericht rübergeschickt. Sie haben ein nicht zum Opfer gehörendes Haar im Bett gefunden. Es ist dunkelblond.«
III
»Die Kehlkopffraktur seht ihr ja selbst. Erdrosselt mit dem Seil, das am Tatort gefunden wurde.« Dr. Wetzel verdeckt die Leiche wieder unter einem Tuch. Es hat dasselbe Grün wie das seines OP-Kittels. Als würde er die arme Frau jetzt in seine Zunft aufnehmen. In die Gemeinschaft dieser kalten, sterilen, grell beleuchteten Räume.
»Ich habe gehört, du kanntest die Tote?«
»Nur flüchtig. Wir waren beide im selben Tennisverein. Da sitzt man manchmal danach noch zusammen im Clubheim«, antwortet Marc. »Sie war immer gut gelaunt und voller Energie. Ein Sonnenschein.«
Hatte ihm am Schluss die Stimme versagt? Oder war einfach alles gesagt? Ich bin mir nicht sicher. Es schien ihn härter getroffen zu haben, als ich erwartet hatte. Dabei hatten sie sich ja kaum gekannt.
Andererseits kann ich ihn verstehen. Es war etwas ganz anderes, von so einem Verbrechen zu hören oder die Leiche dann wirklich zu sehen. Eben noch eine junge Frau. Voller Leben …
Sicher war die Obduktion notwendig. Für unsere Arbeit ein riesen Gewinn. Aber ich fand es trotzdem entwürdigend. So nackt aufgebahrt vor Fremden. Im schonungslosen Licht der LED-Scheinwerfer. Den Mageninhalt entleert. Organe entnommen. Alle Körperöffnungen penibel untersucht. Aufgeschlitzt und zugenäht.
»Na immerhin kommst du als Täter nicht in Betracht«, versuchte Dr. Wetzel zu scherzen.
»Wie meinst du das?« Marcs verhärteter Kiefer zeigte, dass ihm nicht nach dummen Witzen war.
»Die Tote hatte ziemlich unmittelbar vor ihrem Tod Sex.«
»Sie war nackt an ihr Bett gefesselt. Sag uns was Neues.«
»Will ich ja gerade. Ihr Vergewaltiger – ich glaube, davon kann man hier ausgehen – war wohl nicht in der Lage Kinder zu zeugen. Wir haben das Sperma untersucht. Alle Spermien waren absolut unbrauchbar. Väter scheiden also aus.«
»Wie schön,« erwidert Marc sarkastisch. »Sonst noch was?«
»Sie wurde betäubt. Mit Glück hat sie das Ganze nicht oder kaum mitbekommen. Im Blut und Magen haben wir Spuren von Midazolam gefunden. Ein Klassiker in der Anästhesie. In sehr kleinen Dosen angstlindernd, beruhigend und schlaffördernd. Wird meist vor OPs verabreicht, um die Patienten zu beruhigen. Bei kleineren Eingriffen, zum Beispiel beim Zahnarzt genügen größere Dosen auch aus, um den Patienten eine Zeit lang ganz zu sedieren. Aber nichts für dreistündige OPs.«
»Wer hat Zugang zu sowas?«
»Ärzte, Zahnärzte, Apotheker, generell Angestellte im Medizinischen Bereich.«
»Warum wurde sie dann ans Bett gefesselt?«
»Falls sie doch wieder zu sich kommt? Allerdings halte ich das für eher unwahrscheinlich. Bei der Konzentration, die wir im Blut gefunden haben, sollte sie zumindest ordentlich benebelt gewesen sein.«
»Vielleicht turnen ihn gefesselte Frauen an?«, mutmaßt Marc.
»Der Täter wollte die absolute Kontrolle über sie. Willenlos sediert und gefesselt«, überlege ich laut. »Aber trotzdem ein untypischer Täter. Vor allem die angstlösende Wirkung. Die meisten geilt die Angst ihrer Opfer erst auf. Das ist, wonach es sie am meisten verlangt.«
»Nicht alle«, murmelt Marc wie zu sich selbst.
II
Es klingelt.
Larissa öffnet die Tür.
»Hallo.« Ihre Intonation ist freundlich, aber fragend. Vor ihr steht ein lächelndes, aber sichtbar nervöses Gesicht.
»Guten Abend. Tut mir leid, dass ich Sie störe. Wir kennen uns vom Tennis. Nicht sonderlich gut, zugeben.«
»Ja klar,« sagt Larissa. Aber ihre Stirn liegt immer noch in Falten. Die Stille, höchstens zwei Sekunden, in denen sie der unerwartete Besuch anstarrt ist ihr unangenehm. Sie schlingt ihr Strickjäckchen samt den darin enthaltenen Armen fest um sich. »Was ist los?«
»Bitte entschuldige, aber ich habe das hier heute auf dem Tennisplatz gefunden.«
Ein Geldbeutel wird aus einem Rucksack geholt.
»Oh,« Larissa schaut erstaunt hinein. »Das ist ja meiner.« Sie hatte ihn noch gar nicht vermisst.
Es ist alles da.
»Deine Adresse stand auf dem Ausweis und da dachte ich …«
»Vielen Dank, das ist ja super nett. Ich weiß gar nicht …« Larissa kramt einen Zehner hervor, findet das etwas mickrig, aber den Fünfziger will sie nicht gern hergeben. Es sind die einzigen beiden Scheine im Portemonnaie.
»Nein, bitte lass das.«
»Aber ich muss mich doch irgendwie erkenntlich zeigen für deine Mühen und Ehrlichkeit. Vielleicht Wein? Ich habe eine gute Flasche Dornfelder da, den hol ich dir.«
»Danke, aber Rotwein ist so gar nicht mein Fall. Wenn du ne' Tasse Kaffee für mich hättest, wäre mir das ehrlich gesagt lieber … Es gibt da noch etwas, worüber ich unbedingt mit dir reden muss. Wir kennen uns ja nicht so gut. Aber … es ist wichtig für mich.«
»Na klar ... Komm doch rein.« Um das Zögern zwischen den beiden Sätzen zu überspielen, redet Larissa schnell weiter. »Das Treppenhaus ist eh furchtbar hellhörig und meine wunderfitzige Nachbarin hängt vermutlich schon wieder am Spion.«
»Du kannst die Schuhe anlassen.«
»Nein, kein Problem.«
Larissa ist die Situation etwas unangenehm. Sie hat keine Ahnung, worüber die Frau mit ihr reden will. Wie hieß sie noch gleich?
»Sandra – richtig?«
»Ja, genau. Sandra.«
Scharfes Schweigen steht wie eine dritte Person im Raum zischen Ihnen.
»Ich mach dann mal Kaffee.«
Larissa ist dankbar für den Krach, den ihr geliebter Kaffeevollautomat in den kommenden Minuten von sich gibt.
Zwei dampfende Tassen wandern auf den Küchentisch. Sandra hat in der Zeit zwei kleine Fotos aus ihrer eigenen Geldbörse gekramt.
»Das ist meine kleine Tochter. Emily. Und das ist mein Mann – Marc. Sie kennen ihn?« Bei den letzten Worten rutschen ihr die Fotos aus den zitternden Fingern ihrer rechten Hand. Die linke steckt in der Tasche ihrer Lederjacke.
Larissa bückt sich schnell, hebt die Bilder auf.
»Ja klar kenne ich Marc. Er ist ja gefühlt jede freie Minute auf dem Platz. Wir haben ein paar Mal ein Mixed zusammengespielt.«
»So. Ja, er ist wohl wirklich jede freie Minute auf dem Platz. Aber ich liebe ihn trotzdem. In letzter Zeit ist es nicht einfach – wirklich nicht. Aber naja… bis das der Tod uns scheidet und so. Du weißt ja.« Dabei wandert ihr Blick über Larissas Hände.
»Oh tut mir leid. Du weißt vielleicht auch nicht? Na ja, du bist nicht verheiratet. Hast du einen Freund?«
»Nein. Was wollen Sie eigentlich von mir?«
»Waren wir nicht schon beim Du?«
Doch aber das fühlt sich immer unpassender an. Larissa ist zunehmend genervt.
»Schön. Was willst du?«
Sandra lässt sich Zeit mir ihrer Antwort. Nippt erst mal genüsslich am Kaffee.
Larissa beschließt die komische Frau rauszuschmeißen, wenn sie jetzt nicht endlich einen verdammt guten Grund für ihr seltsames Verhalten liefert. Zurückgegebener Geldbeutel hin oder her.
Larissa nimmt ebenfalls einen Schluck aus der Tasse.
Irgendwie schmeckt der Kaffee bitterer als sonst. Sie hat sich erst vor kurzem abgewöhnt Zucker hineinzutun. Der Figur wegen. Man wird ja auch nicht jünger und von allein wird ihr Körper nicht in diesem für viele Frauen beneidenswerten Zustand bleiben. Da muss man schon was tun. Doch plötzlich scheint sie eben dieser Körper im Stich zu lassen – sie bekommt so weiche Knie.
»Was wollen Sie jetzt eigentlich von mir?«, fragt sie forsch, ihre plötzliche Unsicherheit überspielend.
Doch ihr Gegenüber lächelt nur.
Aber irgendetwas gefällt ihr an diesem Lächeln nicht. So triumphierend, irgendwie … diabolisch. Sie ist sich da aber auch nicht sicher. Es fällt ihr gerade schwer sich genau auf etwas zu fokussieren. Ist ja auch egal. Eine weiche Welle durchspült sie, lässt alles schwer werden. Die Arme, die Beine, die Augenlider.
»Was passssiieert mitmi...?« Ihre Zunge ist auf einmal schwer wie Blei. So wie alles.
Larissa merkt kaum, wie sie in sich zusammensackt, als wären ihre Knochen zu einer zähflüssigen Masse geschmolzen. Den Aufschlag auf dem Boden spürt sie nicht mehr.
I
Das weißkalte Licht ihres Spiegelschranks zeigt gnadenlos jedes Fältchen in ihrem Gesicht. Auch ihre Brüste waren definitiv mal schöner gewesen. Vor Emily. Auf einmal findet sie sich selbst abstoßend. Ähnlich abstoßend wie das, was sie soeben mit ihm getan hatte.
Sie fragt sich, ob er es wohl bemerkt hat?
Sie selbst glaubt, es ihm angesehen zu haben. Er war nicht mehr so zärtlich. Spulte nur noch mechanisch ein Erregungsprogramm ab. Wie hatte die schönste Nebensache der Welt, wie es immer hieß, zu dem gerade eben durchlebten verkommen können? Betrog er sie, weil er sie einfach nicht mehr attraktiv fand?
Allein der Gedanke an seinen Verrat lässt sie ihre Lippen und Fäuste zusammenpressen. Es war nicht allein, dass er Sex mit einer anderen Frau hatte. Das wäre natürlich schon schlimm genug. Aber sie hatte die Nachrichten gelesen, die er ihr schrieb.
Ihr war schon länger aufgefallen, dass er öfter aufs Handy schaute – viel öfter. Also hatte sie sich den Entsperrcode seines Displays gemerkt, als er neben ihr auf der Couch saß. Sie war sich nicht ganz sicher, aber der zweite Versuch hatte Erfolg.
In der kommenden Nacht hatte sie sich aus dem Bett geschlichen und Nachrichten durchstöbert. Sie hatte ohnehin nicht schlafen können und musste sich zwingen, bis 1 Uhr zu warten, damit er auch sicher schlief. Marc hatte sie unter "Lala" eingespeichert – wie bescheuert und kindisch war das denn bitte? Wollte er ein Teletubby vögeln?
Der Schweinkram, den sie sich vereinzelt geschrieben hatten, war schwer zu ertragen. Sie erkannte ihren Mann kaum wieder. Aber das war bei weitem nicht der schlimmste Vertrauensbruch gewesen.
Er hatte über sie geschrieben. Und wie! Über ihre Macken, ihre Gereiztheit, ihre Termine beim Psychologen. Damit sie sich zum Bumsen treffen konnten, wenn sie weg war!
Der Arsch. Wollte er deswegen, dass sie ihn Therapie ging? War das der Grund?
Sie glaubte zu wissen, dass das so nicht stimmte. Aber sie war so unendlich wütend. Sie wusste nicht mehr, mit wem sie da verheiratet war.
Dass es teils kaum noch mit ihr auszuhalten sei. So was schrieb er über sie! Von wegen in guten wie in schlechten Tagen. Er schrieb, dass Emily der einzige Grund sei, weswegen er nach der Arbeit noch nach Hause kam. Und dass er das nicht mehr länger wollte. Das er mittlerweile dazu tendierte, klaren Tisch zu machen. Dass er ausziehen wollte. Mit Emily!
Wie konnte er ihr das nur antun? Hatte er vergessen, was sie alles für ihn geopfert hatte? Sie hatte ihre Heimat für ihn verlassen. Familie. Freunde.
Sie hatte ihren Körper durch diese schwierige Schwangerschaft malträtiert. Ihren Job zugunsten ihrer Familie zurückgeschraubt, während er weiterarbeitete.
Und wie dankte er ihr das?
Am liebsten hätte sie ihn sofort zur Rede gestellt. Nein, das stimmte nicht. Am liebsten hätte sie ihn direkt im Schlaf erstickt oder besser noch mit einem langen Küchenmesser auf ihn eingestochen. Aber was wäre dann aus Emily geworden, wenn sie im Gefängnis säße? Daran musste sie immer wieder denken. Nur das hielt sie davon ab.
Wieso sollte auch sie weggesperrt werden? Er war doch der Schuldige!
Diese Gedanken wirbelten immer wieder durch ihren Kopf, während sie den Rest der Nacht steif wie ein Brett neben diesem Scheusal lag, den sie mal irrwitzigerweise geliebt hatte. Schon in diesen schlaflosen, von Hass und Dunkelheit durchtränken Stunden war ihr Plan im Wesentlichen entstanden. Sie musste nur noch herausfinden, wer "Lala" war.
Allzu schwer, war das nicht gewesen. Allein der Gedanke, wie dieses Miststück ihn immer angeschaut hatte und das sogar in ihrer Gegenwart, brachte Sandra zur Weißglut. Vielleicht hatte sie auch gar nicht gewusst, dass sie Marcs Frau war. Seit Emily war sie nur noch sehr selten mit Marc auf dem Tennisplatz. Einer musste ja auf ihre Tochter aufpassen. Doch zu den wichtigsten Heimspielen war sie gekommen und hatte zugeschaut, solange Emily nicht zu arg quengelte.
Langsam kehren Sandras Gedanken wieder zurück ins Hier und Jetzt. Sie merkt, dass sie mittlerweile kaum noch Blut in ihren geballten Fäusten hatte und ihre Knöchel weiß hervortreten. Sie zieht sich ihr Schlafshirt über.
Danach entfernt sie vorsichtig die Portiokappe, mit der sie seit Emilys Geburt verhüteten. Als sie die Pille einmal abgesetzt hatte, wollte sie sie nicht mehr nehmen. Wobei Verhütung seit Emilys Geburt eigentlich keine große Rolle mehr spielen musste, wenn man ehrlich war.
Sie huschte zum Kühlschrank, öffnet die unterste Schublade des Tiefkühlfachs und kramt unter einer Packung Erbsen ein Filmdöschen hervor. Langsam lässt sie Marcs Sperma aus der Portiokappe dort hineinlaufen, verschließt es fest und versteckt es wieder in der hintersten Ecke des Fachs. Als ob Marc je etwas anderes als eine Pizza aus dem Tiefkühler holen würde.
Zweimal musste reichen. Sie würde kein weiteres Mal mit ihm schlafen. Das Midazolam und die Spritze, mit der sie der Schlampe sein Sperma einführen würde, hatte sie schon besorgt. Ein Seil würde sie morgen kaufen, um Sie zu fesseln, damit auch jeder verstand, dass der Mörder ein widerlicher Triebtäter war.
Zuerst hatte Sie seine Diensthandschellen verwenden wollen, um den Verdacht auf ihn zu lenken, aber das war fast schon zu eindeutig. So doof wäre ja kein Polizist. Außerdem würde er deren Fehlen vermutlich ziemlich schnell bemerken. Und es gab nicht viele, die dafür in Frage kämen, sie entwendet zu haben. Vermutlich würde er sie dann früher oder später verdächtigen.
Sie stellte sich sein ungläubiges Gesicht vor, wenn ihm langsam dämmerte, wer ihn da reingeritten hatte. Wenn er verstand, wozu Sie in der Lage war und wie chancenlos er ihr ausgeliefert war. Oh wie sehr wünschte sie sich, dass er wusste, dass sie ihm das angetan hatte.
Sie könnte ja auch das Seil bei Amazon bestellen - natürlich über sein Konto. Ein Beweis mehr. Und er würde begreifen. Nicht so bald, dazu war er zu gutgläubig, aber irgendwann würde er begreifen, was passiert war. Die Frage war nur, wer würde ihm glauben?
Eine diebische Freude überkam sie bei dieser Vorstellung, aber sie riss sich wieder zusammen. Sie musste auf Nummer sicher gehen. Es ging schließlich um Emily.
Keiner durfte ihr auf die Schliche kommen. Am besten nicht mal Marc.
Sie würde das dumme Seil irgendwo weit weg in einem anonymen Baumarkt kaufen, bar. Und sie würde es bald tun. Am besten gleich morgen, nachdem sie Emily im Kindergarten abgeliefert hatte.
Sie spürt, dass sie zügig handeln muss. Sie darf nicht länger warten, bis sie irgendwann irgendwelche Zweifel zurückhalten.
Wie hätte sie auch ahnen können, dass »Lala« nur ein Tippfehler war, wie Marc so viele machte, wenn er mit seinen zu großen Händen auf diesem zu kleinen Display herumwischen musste. Das "l" lag direkt schräg oberhalb des "n". Er hatte es irgendwann festgestellt und Lana gezeigt. Sie fand es witzig, wie sie so viele seiner kleinen Macken amüsant fand, über die Sandra sich nur aufregte. Also hatte er es so gelassen. Niemand wusste, dass er dadurch das Leben seiner Geliebten gerettet und zugleich das von Larissa beendet hatte. Dem attraktiven Wirbelwind vom Tennisplatz. Die ihn stets so angelächelt hatte. Hätte es etwas geändert, hätte Sandra gewusst, dass Larissa alle gut aussehenden Männer, und manchmal auch die weniger gutaussehenden, anlächelte? Weil sie es liebte zu spielen, mit ihren Möglichkeiten und den Männern. Weil sie es liebte, sich begehrt zu fühlen. Und noch mehr liebte sie es zu flirten. Auch wenn das meist zu gar nichts führen sollte.
Außer in diesem Fall. Zu ihrem Tod.