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Quietscheentchen, du und ich
Wirst du wohl, nimm deinen Schnabel da weg. Lass mein Auge in Ruhe, du pickst es noch kaputt. Du ruinierst meine schöne, weiche Gummihaut, du struppiges Vogelvieh. Wenn du so weitermachst, hält man mich für ein Stück Müll und wirft mich in die Tonne, obwohl ich für die Badewanne gemacht wurde. Ach ja, jetzt in einer Wanne voller warmen Wasser schwimmen, zusammen mit fluffigem Schaum und mindestens einem Menschen, der mich drückt und durch die Gegend wirft. Das wäre himmlisch. Stattdessen sitze ich in diesem stinkenden Nest fest. Nichts für ungut, aber deine Mutter hat einen selten schlechten Geschmack, was die Auswahl der Bauteile angeht. Der Dreck sieht aus als hätte Fischer Willy seine zerrissenen Netze durchgekaut und auf die Klippe gespuckt.
Das soll gar kein Nest sein? Na, jetzt wundert’s mich überhaupt nicht mehr, wieso ich neben dir gelandet bin. Nicht dass ich fliegen könnte, meine Spezialität ist eher das Schwimmen und Schwabbeln. Dorthin, wohin der Wind mich treibt. Wie du dir vielleicht denken kannst, nein, kannst du nicht, aber egal. Immerhin bist du endlich zur Vernunft gekommen und prökelst keine Stückchen mehr aus meinem Auge. Du verhältst dich beinahe zivil. Bis auf die Tatsache, dass du die Felswand anstarrst, als wäre die das achte Weltwunder und nicht mehr mich. Wo wir gerade bei guten Manieren sind, wir haben uns noch gar nicht gegenseitig vorgestellt. Ich bin Ente und wie darf ich dich nennen? Fiep, piep, kräh, interessant. Eine verständliche Antwort ist wohl zu viel verlangt. Ab jetzt heißt du Kassandra. Ja, ich bin ganz deiner Meinung, Kassandra ist ein hübscher Name. Viel besser als Tweety oder Bibo. Wie auch immer, darauf wollte ich gar nicht hinaus. Jetzt habe ich die schöne Überleitung vermasselt. Schwimmen, Schwabbeln, vom Wind getrieben. Ahnst du, worauf es hinausläuft? Kurz gesagt, auf meine Weltreise.
Ja, ich bin echt weit rumgekommen. Gegen das, was ich erlebte, sind Odysseus Abenteuer ein Fliegenschiss, oder eine Portion Schafsködel. Ich will nicht zu dick auftragen. Eigentlich sollten ich und so ungefähr 29.000 Kumpels von mir von Hong Kong nach Tacoma verschifft werden. Wir, gelbe Enten, teilten uns drei Container mit grünen Fröschen, blauen Schildkröten und roten Bibern. Ja, wir waren schon ein wilder Haufen, aber so richtig wild wurde es erst als das Frachtschiff, die süße Ever Laurel, in einen Sturm geriet und die Container über Bord gingen. Gründlicher wurde wohl noch nie ein Haufen Gummitiere ins kalte Wasser geschmissen.
Alles drehte sich um mich, oder ich drehte mich um alles. Im Nachhinein ist es wirklich schwer zu sagen, wer oder was sich drehte. Sicher ist, dass die Karussellfahrt endete, als mein Container ins Meer klatschte und die Türen aufplatzten. Da fing der Teil an, in dem ich und meine Weggefährten von den Wellen hin und her geworfen wurden. Ich wurde unter Wasser gedrückt, sprang durch eine Wolke sprudelnder Luftblasen zurück an die Oberfläche, flog im nächsten Augenblick durch einen Wellenkamm und bekam wieder einen Schwall Meerwasser auf‘s Haupt. Als ob die blöde See nicht verstehen wollte, dass ich, egal was kommen möge, wieder auftauchen werde. Und was meinst du, wie oft ich mit einem Kollegen zusammenstieß? Sehr, sehr oft. So viele Seitenhiebe hatte ich mein Lebtag nicht verteilt.
Nachdem das Unwetter sich verzogen hatte, hatten sich unsere Reihen deutlich gelichtet. Ungefähr die Hälfte vom Entenwurf fehlte, so grob geschätzt. Ein Teil dümpelte auf der Strömung Richtung Indonesien und ein anderer bog nach Australien und Chile ab. Das warme Klima ist so gar nicht mein Ding, deshalb schloss ich mich denjenigen an, die in Alaska landen würden. Einige hatten das Glück und wurden dort angespült. Ich natürlich nicht, wieso sollte ich auch einmal Glück haben? Nein, ich trieb ein gutes Stück ins Beringmeer ab und wurde durch die Beringstraße ins Nordpolarmeer gespült. Zwar wünschte ich mir, eine kältere Region zu erreichen, aber das war definitv zu kalt.
Ich verwandelte mich wortwörtlich in einen Eisblock. Kannst du dir das vorstellen? Gefangen im Eis, wie eine trottelige Zeichentrickfigur. Fünf Jahre verbrachten ich und ein guter Schwung Leidensgenossen tiefgefroren im Packeis, wir umrundeten Grönland und wurden dann in den Atlantik geschwemmt. In den wärmeren Gefilden taute das Eis nach und nach ab und ich hatte endlich wieder freie Sicht. Mann, was war das für eine Überraschung, als ich feststellte, dass wir es bis zur Küste Neuenglands geschafft hatten.
Ein Teil der Clique wollte unbedingt nach Maine und Massachusetts, Bäume angucken. So zur Abwechslung. Frag mich nicht, ob sie wirklich angekommen sind. Ich und der Rest vom Schützenfest schlugen nämlich einen Haken und steuerten Europa an. Den Frosch, unter uns Enten, zog es zu den Hebriden und die letzte Ente verließ mich, um Devon zu besichtigen.
Ich meine, Devon. Ernsthaft? Die Grafschaft liegt in England, ich bitte dich. Die trinken da Sahne mit Tee. Wenn ich an der Stelle meiner Begleiterin gewesen wäre, dann hätte ich niemals meine Gesellschaft mit einem Strand in Devon getauscht. Was soll’s, es kann ja nicht jeder so einen guten Geschmack wie ich besitzen. Mir macht das gar nichts aus. Ich setzte meinen Weg fort, ohne einmal zurückzublicken. Kein einziges Mal. Ganz cool schwabbelte ich an England vobei, durch den Ärmelkanal, auf die Nordsee und dann, na, wohin dann? Natürlich zu dir, nach Helgoland. Weißt du nicht mehr, wie ich von einer Welle zu dir hinauf geworfen wurde?
Apropos Wissen, was machst du da für einen Quatsch? Soll das rythmische Sportgymnastik sein, Breakdance, oder Ausdruckstanz? Möchtest du deinen Namen buchstabieren? Ah, ich verstehe. Du unternimmst deinen ersten Flugversuch. Und hopp. Flieg, Kassandra, flieg! Ja, wo ist sie denn? Sie müsste längst unten angekommen sein. Mit den kleinen Stummelflügeln kann sie doch niemals fliegen, höchstens gleiten. Ich guck mal über den Klippenrand, vielleicht ist sie nahe der Felswand gelandet. Uh, nein. Sie hängt am Müllband ab. Das sieht echt nicht gesund aus, komm lieber wieder hoch. Na, was ist denn? Sitzt du auf deinen Ohren? Äh, Kassandra? Toll, großartig, das dumme Federvieh hat sich erhängt. Wer soll mich denn jetzt in die Zivilisation zurückbringen? So ein Trottel, diese Lumme.
…Ab jetzt heißt du Kassandra. Ja, ich bin ganz deiner Meinung, Kassandra ist ein hübscher Name. Moment, sagte ich das nicht bereits? Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, ich erlebe gerade ein Déjà-vu. Ich weiß ganz genau, ich gab meinen Reisebericht zum besten und dann, dann passierte etwas Schreckliches. Oder bilde ich mir das ein? Hey, wo watschelst du hin? Der Netzhaufen ist doch so gemütlich, komm wieder zurück. Gut dann eben nicht, hau ab und langweile dich zu Tode. Diese Jugend, keine Manieren mehr.