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Quamda
Quamda sitzt zumeist alleine zu Hause. Die Welt dort draußen geht sie nichts an. Von der möchte Quamda einfach nichts mehr wissen. Hat sie ihr doch so wehgetan diese Welt. Deshalb sperrt sich Quamda ein, in ihrem kleinen Reich, träumt vor sich hin den ganzen Tag.
Fettig hängt ihr Haar herab. Alt und abgetragen ist ihre Kleidung, verbeulte Blusen und Hosen. Mehr braucht Quamda nicht. Ein dicke Weste aus Wolle für den Winter. Quamda kann nicht viel heizen. Ein Bad nimmt sie nur, wenn sie den eigenen Mief nicht mehr aushält. Sie verquamdet in ihrem kleinen Reich mit Hunderten Büchern auf Latein.
Studiert hat sie die Römer und ihre Sprache, auf der Universität vor vielen, vielen Jahren. Doch gearbeitet hat sie in verschiedenen Agenturen, als Abtipperin, als Ausrechnerin, als Bearbeiterin. Eine Qual ist es für Quamda gewesen, rausgeekelt hat man sie stets. Man mag so jemanden wie Quamda nicht. Dabei ist Quamda gutherzig, hat aber Scheu vor Menschen. Still ist sie halt, das schätzt man nicht.
Geliebt hat Quamda auch einmal. Doch er hat sie verlassen. Zu wenig Spaß habe er mit ihr gehabt. Immer fremder ist ihr die Welt geworden. Schließlich hat sie ihrem Dasein ein Ende setzen wollen. Ihre Mutter hat sie gefunden, in die Anstalt gebracht. Lebensuntüchtig sei sie, verwöhnt und zu nichts zu gebrauchen. Was sie bloß falsch bei ihr gemacht habe.
Vor sich hingequamdet ist sie in der Anstalt. Mit Mindestpension entlassen worden. Es habe keinen Sinn, hat der Amtsarzt gemeint. Die Krankengeschichte ist in den Akten einzusehen. Ausgefragt hat man sie, nach der Kindheit, was sie empfunden hat. Erzählen wollte Quamda nichts. Tabletten hat sie schlucken müssen, bunte, kleine Pillen. Müde ist sie davon geworden, großen Durst hat sie bekommen. Man verstünde sie ohnehin nicht, hat Quamda gedacht und geschwiegen. Ein Wesen, das nie jemand gewollt hat, so hat Quamda sich selbst benannt.
Immerhin die Mindestpension und eine kleine Einzimmerwohnung. Ein Wandtuch hat sie gestickt, schön umrandet mit bunten Mustern. Mit einem Spruch in der Mitte „homo homini lupus". Quamda mag keine Menschen mehr sehen. Es hat ihr auch niemand etwas gutes getan. Weshalb sollte Quamda also Menschen mögen.
Sie quamdet herum in der kleinen Wohnung, liest ihre Bücher und träumt von antikem Leben. Dunkel ist es in der Wohnung. Quamda hat stets die Vorhänge zugezogen. Draußen gebe es nichts sehenswertes, meint sie.
Einmal in der Woche muss Quamda einkaufen. Knapp vor dem Zusperren, damit sie niemanden vom Haus trifft. Eine Stange Zigaretten besorgt sie sich zusätzlich zu den Lebensmitteln. Es stört sie, dass man sie in der Trafik bereits kennt. Ansonsten geht Quamda nie außer Haus.
Ein Bad nimmt sie, es muss sein. Sie quamdelt schon wieder zu sehr. Tannenduftschaumbad. Preisgünstig im Doppelpack erstanden. Lange bleibt sie nicht im duftenden Nass. Nach einer viertel Stunde bereits steigt Quamda aus der Wanne. Sie rutscht auf den Fliesen aus. Quamda fällt hin, auf den Hinterkopf. Sie bleibt liegen, ächzt und stöhnt, sodass man es auf dem Gang hören kann. Am nächsten Morgen ruft jemand die Polizei. Quamdas Tür wird aufgebrochen. Rettung und Notarzt kommen. Quamda muss untersucht werden. Im Spital prüft man ihre Krankengeschichte. Eine leichte Gehirnerschütterung habe sie davongetragen. Sie müsse besser aufpassen. Am besten wäre es, teilt ihr der Arzt mit, sie ginge in ein Heim. Die Menschen im Spital machen ihr Angst. Quamda will nicht mit all den anderen im Zimmer liegen. Angesprochen hat man sie, doch Quamda antwortet nicht mehr, spricht nur ein paar Worte mit dem Arzt, den sie stetig bittet, sie nach Hause zu schicken.
Sie solle sich das mit dem Heim überlegen. Der Arzt redet auf Quamda ein. Sie schüttelt den Kopf. Man entlässt sie aus dem Krankenhaus. In ihrem kleinen Reich beschließt Quamda, sich aufzulösen. Ganz dünn wird sie, zart und leicht. Alles dreht sich um sie herum. Wind wirbelt durch ihr kleines Reich. Still wird es dann, ganz still. Quamda wird immer dünner, durchsichtig, bis nur mehr ein Hauch von ihr übrig ist. Die Welt wird sie nicht vermissen, war Quamda ihr doch nur eine unbrauchbare Last. „Homo homini lupus", flüstert Quamda und entschwebt dorthin, wo sie immer schon hin wollte.