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Quadragesima
Zenturio Lucius Aquilla ließ sich die Stiefel binden.
„Na, Nubier, heute wirst du erleben, wie der römische Adler Wasser lässt“, grinste er und stieß den dunkelhäutigen Sklaven mit einer genagelten Sohle zur Seite. Beschwingt stand er auf und pfiff nach seinem Schreiber. Aus einem Meer von Bauplänen tauchte ein zarter Grieche auf.
„Les er mir die Nachrichten vor“, befahl er und kontrollierte den korrekten Sitz seines Waffengurtes.
„Herr, zuerst bittet Architekt Ventulus Murus um eine kurze Unterredung. Weiters kamen in der Nacht zwei Boten. Der eine direkt von der Staustufe aus den Bergen und verkündete, dass die Leute schwere Probleme haben das Wasser zu halten. Der andere berichtete, dass Präfekt Titus Lazius rechtzeitig eintreffen wird“, fistelte der Jüngling.
„Sehr gut, dann läuft ja alles nach Plan. Ich wünsche, dass zum Empfang des Präfekten alles vorbereitet ist. Mein Posten als Legat wartet!“, sagte der Zenturio und trat aus seinem Zelt.
„Murus, was gibt es?“
Mit scharfem Blick musterte er den dicklichen Architekten, der vor ihm stand und optisch mit dem gewaltigen Aquädukt in der Ferne zu verwachsen schien.
„Herr, die Maschine macht es nicht mehr lange.“ Aquilla zog seine Mundwinkel nach unten.
„Zur achten Stunde kommt der Präfekt. Ich will dieses Aquädukt in vollem Lichterglanz und einsatzbereit stehen sehen. Koste es, was es wolle“, sagte der Zenturio scharf.
„Ja, aber die Maschine läuft nun seit einer Woche auf höchster Leistung. Wir mussten sogar Sklaven aus den Küchen holen, um die Arbeit in Gang zu halten“, flüsterte Ventulus Murus und wischte sich den Schweiß von der Glatze.
„Werde ich mich persönlich darum kümmern müssen?“
„Herr, wenn es nicht zuviel Mühe macht, würde ich Euch die Lage gerne vor Ort erklären.“
Auf einen Wink dampfte ein vierrädriges Vehikel heran, das dem trojanischen Pferd alle Ehre gemacht hätte.
„Aufsitzen, Murus, es gibt kein Problem, dass das Imperium nicht lösen kann“, sagte Aquilla und kletterte an einer Leiter auf den Rücken des hölzernen Dampfwagens. Ächzend holperte das Gefährt aus dem Lager auf die Baustelle zu.
„Hört er das?“, fragte Aquilla im Gegenwind. Murus nickte.
„Das, mein Freund, ist die Kraft der neuen Zeit!“
Mit einem lauten Jauchzen schlug er seine Beine in die Flanken des hölzernen Dampfrosses, das aus dem kleinen Schornstein im After schwarze Wolken ausstieß.
Im Inneren ächzten und stöhnten die Heizer.
„Verstopfungen wie ein iberischer Ackergaul“, hustete Aquilla, dem ein Windstoß die Abgase ins Gesicht blies. Das Ungetüm pflügte sich den Weg durch den Schlamm der Baustelle und ratterte auf dem Aquädukt der Baumaschine zu.
Mit einem beherzten Sprung stieg er vor dem Monstrum von seinem Ross ab.
„Wie geht es der fetten Spinne?“, fragte er den zuständigen Ingenieur, der russverschmiert ein Ventil schloss.
„Sie ist tot, Zenturio“, antwortet er, bevor zwanzig gigantische, hölzerne Arme gleichzeitig den Dienst versagten. Ein leichter Luftzug blies unter Aquillas Waffenrock.
Die Baumaschine hockte wie eine schwarze Witwe am Ende des Brückenkopfes und ließ die Arbeitshebel hängen.
„Murus!“
„Herr?“
„Warum versagt dieses Ding dem Imperium die Arbeitskraft?“
„Herr, sie ist eine Woche ohne Pause gelaufen.“
„Na dann werden wir ihr wieder Beine machen“, brüllte der Zenturio und trat beherzt gegen den Dampfkessel.
„Wie weit noch?“
„40 Meter, Herr.“
„Müssen wohl auf Altbewährtes zurückgreifen, wie? Her mit den Sklaven“, sagte Aquilla, ohne den Steinhaufen vor der Maschine aus den Augen zu lassen. In langen Reihen wurden Arbeiter an ihm vorbei zum letzten Bauabschnitt getrieben.
„Herr, das Konstrukt ist noch sehr instabil. Wir werden viele Sklaven verlieren“, sagte Murus und linste verkniffen gegen die Sonne in das Gesicht des Zenturios.
„In wenigen Stunden kommt der Präfekt und die Laternen sind noch nicht bemalt“, kam es unmissverständlich zurück.
Scharen von Sklaven griffen Steine, platzierten sie, fügten sie mit Beton zusammen, stürzten ab und wurden durch weitere Scharen von Sklaven ersetzt. Meter um Meter, Leib um Leib schloss sich die offene Wunde des Aquäduktes im Stundentakt.
„Herr?“
„Ja!“
„Hier sind die Vorschläge für die Bemalung der Laternen“, murmelte Murus und hielt dem Zenturio ein paar Beispiele unter die Nase. Aquilla zeigte auf zwei nette Exemplare in rot und blau.
„Wo ist der Adler?“, fauchte er den Architekten an.
„Herr, der wird ganz zum Schluss aufgemalt, damit er stark und kräftig wirkt.“
Aquilla nickte zufrieden und sah weiter dem Sterben zu. Die Sonne hatte ihren Zenit überschritten und warf im Sinken ihre blutroten Strahlen auf die Baustelle.
„Herr, wir werden es nicht schaffen“, sagte der Ingenieur.
„Wo ist das Problem?“
„Die Maschine steht im Weg.“
Mit einem kurzen Zucken seiner Augenbraue signalisierte er seinen Legionären das Problem zu lösen. Eine halbe Stunde später krachte der Corpus des überforderten Gerätes hunderte Meter tief in ein ausgetrocknetes Bachbett.
Während die Sonne langsam hinter dem letzten Berggipfel verschwand, dachte Zenturio Aquilla das erste Mal daran, dass er bald selbst Steine schleppen würde.
„Herr, wir haben keine Sklaven mehr, aber wir sind fast fertig“, sagte Murus bitter. Aquilla streckte sein Kinn durch.
"Die Legionäre?"
"Wurden von Euch zum Einzug des Präfekten abkommandiert."
Ein Bote kam keuchend neben ihm zu liegen und stammelte: „Herr, der Präfekt ist da. Er verlangt nach euch und fragt, wo seine Laternen sind.“
Die Lippen des Zenturios wurden zu einem schmalen roten Schnitt in seinem Gesicht und er marschierte auf die letzten Steine zu.
„Murus, mitkommen!“, raunte er. Mit einer Kelle patzte er den Mörtel für die Spur des Wassers zurecht, während Murus ihm einen Quader nach dem anderen reichte. Sie schwitzten und keuchten in den zerrinnenden Minuten.
„Herr, was soll ich dem Präfekten sagen?“, fragte der wartende Bote unsicher.
„Gib er ihm zu essen und zu trinken. Ich komme gleich“, rief Aquilla und griff bis zu den Ellbogen in den Bottich mit nassem Beton.
Kurz bevor die letzten Sonnenstrahlen verschwanden setzte er den Schlussstein. Mit einem sanften Lächeln zwinkerte er Murus im Schein der frisch entzundenen Laternen zu. Dabei bemerkte er kaum, dass er bis zum Schaft seiner Stiefel in klarem Wasser stand, dass rasant stieg. Er blickte zum Brückenkopf neben dem Lager und auf die heranrasende Wasserwand, die sich ihnen donnernd aus den Bergen näherte, dass das Aquädukt bebte.
„So oder so werden die Schulkinder unsere Namen in der Schule lernen“, schloss er sein Leben, während der Präfekt bei gefüllten Haselmäusen und kandierten Schafsaugen die Macht des römischen Imperiums über die Naturgewalten beklatschte.