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QR - Schnelle Antwort
Die interstellare Raumsonde Voyager 1 hätte ein Zufall sein können. Die ihr nachfolgende Voyager 2 war dann die sichere Bestimmung. Wie sie davon Kenntnis nahmen, daß ein zweites, künstlich erschaffenes Objekt im Spätsommer des Jahres 2015 das Sonnensystem verließ und lautlos in den interstellaren Weltraum eintrat, werden wir wohl erst in fernen Dekaden erlernen. Fest steht nur, daß der Eintritt eines planmäßig erbauten Flugkörpers in die Heliopause jenes Signal für die Lichtjahre entfernten und doch so viel höher entwickelten Zivilisationen in den unermesslichen Weiten des Weltalls auslöste, dass eine logisch denkende Lebensform in der Galaxie Milchstraße auf einem kleinen Planeten in der Umlaufbahn eines Sterns, den diese möglicher-
weise vernunftbegabte Spezies „Sonne“ nannte, vielleicht die nächste Evolutionsstufe erklommen hatte.
Distanzen im Weltall sind riesig. Die Abstände zwischen den Sternsystemen sind gigantisch, viel zu groß, als daß massereiche Raumschiffe sie innerhalb der kurzen Lebensspanne eines höher entwickelten Organismus durchqueren könnten. Das liegt daran, dass normale Materie sich immer mit Geschwindigkeiten unterhalb der des Lichts fortbewegen muss. Doch schon Anfang 2017 beobachtete SOHO, ein drei-Achs-stabilisierter, modular aufgebauter Forschungssatellit, der permanent auf die Sonne ausgerichtet ist, außergewöhnliche Aktivitäten auf der Oberfläche unseres Zentralgestirns. Über seine High-Gain-Antenne sendete die Beobachtungssonde scheinbar irreguläre Daten und Bilder hinab zur Erde, wo sie von den Parabolantennen des Deep Space Networks empfangen wurden. Grundsätzlich scheint das Universum ja nach dem Prinzip von Yin und Yang geordnet: Hell und dunkel, kalt und heiss, Plus und Minus, Materie und Antimaterie.
Tachyonen sind superluminare Teilchen, die sich stets schneller als Licht bewegen müssen. Nichts und niemand kann sie unter die Lichtgeschwindigkeit abbremsen, weshalb Tachyonen bislang für uns Menschen auch nur in mathematisch physikalischen Theoremen existent sind. Und doch sollten sie der Schlüssel sein, ein vollkommen unsichtbarer Schlüssel, ein Schlüssel ohne jegliche Masse, genauso wie die Ursache für Sonnenflecken bis dato Magnetfelder waren, die in der Nähe von solaren Eruptionen auftraten.
Jene Sonnenflecken aber, die man auf den Aufnahmen von SOHO erkennen konnte, waren zahlreich, wenngleich ihre hohe Anzahl durch ihre sehr geringe Größe nicht wirklich beunruhigend für die Astronomen waren. Was aber jeden, wirklich jeden Wissenschaftler, der diese zunächst geheimgehaltenen Bilder von der Oberfläche unseres Heimatsterns zu sehen bekam, absolut fassungslos machte, waren ihr regelmäßiges Auftreten und ihre klar definierten, geometrischen Formen. Kennen Sie QR-Codes? Die sind heutzutage der digitale Fingerabdruck auf jeder Eintrittskarte, jedem Flugticket. Man kann sie sogar aufs Smartphone laden und braucht dann keinen Ausdruck auf Papier mehr. Die Buchstaben QR stehen dabei für Quick Response. Wenn man in diesem Zusammenhang in interstellaren Dimensionen denkt, sind anderthalb irdische Jahre wirklich eine sehr, sehr schnelle Antwort.
Zufall oder Bestimmung? Die Einschulung ihrer Tochter war am Vormittag gewesen. Deshalb hatte die Solarphysikerin Barbara Boyle ihre Tagschicht mit einem männlichen Kollegen getauscht. Nun saß sie kurz vor Mitternacht alleine im Halbdunkel des Kontrollzentrums vor den Bildschirmen des Deep Space Networks, während ihre Mutter auf die schlafende Enkelin aufpasste. Warum es ausgerechnet die Augen einer alleinerziehenden Mutter waren, die jene Bilder zum ersten Mal sahen, welche ohne Zweifel bestätigen sollten, dass wir nicht alleine im Universum sind? Zufall oder Bestimmung? Zunächst hielt sie die fast rechtwinklig aufgetretenen, sehr kleinen Sonnenflecke für eine fehlerhafte Verschiebung von Bildpixeln. Sowas kam häufiger vor. Seltsam war nur, dass alle Flecken symmetrische Ecken aufwiesen. Konnte das sein? Ein solcher Zufall war eigentlich höchst unwahrscheinlich. Barbara Boyle ließ die Bilder automatisch durch ein Analyse-Programm laufen. Nach ein paar Sekunden kam die beunruhigende Diagnose: Es lagen keinerlei wie auch immer gearteten Bildfehler vor! Was da auf dem Monitor vor ihre Augen flimmerte, konnte eigentlich in dieser Form nicht existieren. Unscharf betrachtet sahen diese Sonnenflecken fast wie regelmäßige Muster aus. Was passierte da auf der Oberfläche unseres Zentralsterns? Barbara Boyle überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Jedes Bild, das SOHO hinab zur Erde sandte, wurde automatisch gespeichert. Sollten sich diese seltsamen Sonnenflecken im nächsten Moment also wieder in Luft auflösen, was im Vakuum des Weltraums wohl eher unwahrscheinlich war, gäbe es zumindest auf mehreren Festplatten digitale Beweise für deren kurzzeitige Existenz. Doch die seltsamen Muster von kleinen Sonnenflecken verschwanden nicht.
Ganz im Gegenteil, sie schienen sich sogar sekündlich minimal zu verändern. Verunsichert machte Barbara Boyle eine Ausschnittsvergrößerung. War sie einfach nur fasziniert oder erschrak sie? Was da vor ihren Augen flimmerte, war einfach unfassbar. Konnte dieses Phänomen auf der Oberfläche unserer Sonne wirklich einen natürlichen Ursprung haben? Psychologen beschäftigen sich schon seit Langem mit der Frage, welche Reaktionen Menschen zeigen würden, wenn sie das erste Mal Kontakt zu Ausserirdischen bekämen.
Die Menschheit war sich zunehmend darüber im Klaren, dass es in den unermesslichen Weiten unserer Galaxis eine sehr große Anzahl potentiell habitabler Planeten gab. Fast täglich wurden neue entdeckt und wenn dies schon für unsere Milchstrasse galt, wie sah es dann erst mit den 100 bis 200 Milliarden Galaxien in den unermesslichen Weiten des Kosmos aus? Barbara Boyles Puls war deutlich erhöht. Eine Vielzahl von Gedanken schossen ihr gleichzeitig durch den Kopf: Welche Ursachen konnte dieses Phänomen haben?
War es nicht doch nur ein simpler Fehler in der Übertragungskette? Zunächst markierte sie den Zeitpunkt auf der Zeitachse, an dem sie die ungewöhnlichen Sonnenflecken das erste Mal bemerkt hatte. Vielleicht war ja schon vorher irgendetwas Außergewöhnliches passiert, das ihr entgangen war. Allem Anschein nach zeigten die kleinen Sonnenflecken regelmäßige Strukturen: Hell - dunkel, Plus - Minus, Nullen und Einsen…, war das etwa ein digitales Signal? „Mein Gott…!“, hallte es in Barbara Boyle´s Kopf: „Ist das etwa eine Botschaft?“
Zugegeben, von außen betrachtet, ist das menschliche Gehirn nicht besonders spektakulär. Geformt wie eine aufgeblasene, knapp drei Pfund schwere Walnuss, ist es in seiner Konsistenz einem weich gekochten Frühstücksei nicht unähnlich. In ihm verbirgt sich jedoch ohne Zweifel der erstaunlichste Mechanismus,
den das gesamte, uns bekannte Universum bislang hervorgebracht hat. Einhundert Milliarden verschalteter Nervenzellen funken darin mit bis zu einer halben Trillion neuronaler Verbindungen. Diese ungeheure Anzahl in einem einzigen, menschlichen Gehirn, entspricht der vergleichbaren Menge aller Pflanzenblätter im Dschungel des Amazonas oder aller Sterne in unserer Galaxie. Leider hat die Evolution das menschliche Gehirn nicht zum Begreifen des Universums konstruiert. Ursprünglich sollten es nur unsere Chancen für ein Überleben auf diesem Planeten erhöhen, weshalb wir die Welt auch nicht »objektiv« erleben, sondern nur »subjektiv« ein Bild von ihr in unsere Köpfe projizieren. Der Bildausschnitt dieses Kopfkinos ist winzig, nur auf unsere primären, biologischen Bedürfnisse ausgelegt. Alle unsere Informationen sind äußerst lückenhaft, stets grob vereinfacht. Die Realität bleibt stets eine Theorie in mathematischen Symbolen, die anhand von wissenschaftlichen Daten ständig neu interpretiert werden muss und durch die evolutionär beschränkten Sinne des Menschen nur äußerst begrenzt wahrgenommen werden kann. Barbara Boyle ging es in diesem Fall nicht anders. Mit zunehmender Fassungslosigkeit betrachtete sie die regelmäßig wabernden Flecken auf der Sonnenoberfläche mit den nahezu linearen Strukturen und je länger dieses Schauspiel auf ihre Netzhaut einwirkte, umso klarer wurde ihr die Tragweite dieser signalähnlichen Anomalien. Gleichzeitig erfasste sie ein beinah wärmendes Gefühl: Wir sind nicht allein.
Wir waren nie allein. Nach ein paar Sekunden, in denen Barbara Boyle sehr intensiv an ihre sechsjährige Tochter denken musste, die in ihren Träumen gerade die aufregenden Erlebnisse ihres ersten Schultags verarbeitete, drückte sie auf den Kommunikationsbutton. Umgehend wurde eine Verbindung zur Leitzentrale aufgebaut.
„Ja bitte…“, meldete sich Chief Commander Harris.
Barbara Boyle atmete noch einmal tief durch. Dennoch klang ihre Stimme irgendwie rau und belegt.
„Barbara Boyle hier… von der SOHO Supervision.
Ich glaube, wir haben da was auf dem Schirm.
Das sollten sie sich umgehend mal selbst ansehen!“
Die Welt ist nur eine Projektion in unserem Kopf. Bei der Geburt wird der Projektor eingeschaltet.
Prall gefüllt beginnt sich die abrollende Spule der Zukunft langsam zu drehen und schnell rotierend nimmt die Spule der Vergangenheit die ersten Windungen unseres Lebensfilms auf. Zu Beginn der Vorstellung ist die Projektion noch unscharf und recht flüchtig. Mit den Jahren lernen wir aber recht schnell, die Sinneseindrücke besser zu fokussieren. Eigentlich gibt es während der gesamten Vorführung unseres Lebensfilms immer nur das flüchtige Bild der Gegenwart im Bildfenster unseres Kopfprojektors. Doch statt die Wahrnehmung unserer Sinne auf den gegenwärtigen Augenblick zu fokussieren, kreisen unsere Gedanken beständig um die Spulen der Zukunft und der Vergangenheit: Wie mag unsere Geschichte wohl weiter gehen? Was haben wir nicht schon alles verpasst? Kriegen wir noch eine zweite Chance? Leben ist das, was den meisten Menschen passiert, während sie eifrig damit beschäftigt sind, über Vergangenes nachzugrübeln und Pläne für die Zukunft zu machen. Chief Commander Harris stürmte heran. Sofort befand sich Barbara Boyle in der Rolle der Untergebenen. Haben sie dieses gemacht? Haben sie jenes kontrolliert? Gehetzt kamen die Fragen des Vorgesetzten. Doch schon nach wenigen Minuten war es aber mehr als offensichtlich, dass auch ihr Vorgesetzter von dem, was er da auf den SOHO Kontrollmonitoren sehen konnte, vollkommen überfordert war. Seine Pupillen weiteten sich, sein Atem ging stoßweise und auf seinen irisch hellen Wangen zeigten sich rötliche Hautirritationen. Barbara Boyle hatte keine Fehler gemacht. Daran konnte auch Chief Kommander Harris schon bald keinen Zweifel mehr haben. Fast unmerklich huschte ein Lächeln über Barbara Boyles Gesicht. Was hatte man sich nicht alles ausgedacht. Riesige Raumschiffe hatten in Katastrophenfilmen die Sonne verfinstert, hatten dunkle Schatten über die Metropolen rund um den Globus geworfen, um diese danach gnadenlos in Schutt und Asche zu legen. Schon immer hatte Barbara Boyle solche Science Fiktion Szenarien belächelt, war schon früh zu der Überzeugung gelangt, dass wenn Ausserirdische das Wissen und die technischen Voraussetzungen entwickelt hatten, um die ungeheuren Distanzen im Universum zu überwinden, sie es definitiv nicht mehr nötig hätten, andere Planeten zu unterjochen. Das waren alles nur menschliche Urängste, inspiriert durch die eigene, humane Fehlerhaftigkeit. Und was war passiert?
ET hatte wohl angefangen, zur Erde zu telefonieren. Wie er das tat, würde die Menschheit wohl erst in ferner Zukunft erfahren, allein, da war das untrügliche Gefühl, dass dieses Phänomen auf der Oberfläche unseres Zentralgestirns einen irgendwie gearteten, nicht natürlichen Ursprung haben mußte. Seit mehr als vier Milliarden Jahre war unsere Sonne den Gesetzen der Physik unterworfen. Das hatte sich nun offenbar geändert.
„All das…“, stieß Commander Harris hervor, „unterliegt ab jetzt der höchsten Geheimhaltungsstufe!“
Barbara Boyle überlegte. Warum sollte dem so sein? Was gab es jetzt noch zu verheimlichen?
Die junge Mutter ließ sich jedoch nichts anmerken, nickte nur dienstbeflissen und unterdrückte das spontane Verlangen, gleichgültig mit den Schultern zu zucken. Sollte ihr Vorgesetzter doch über alles Weitere entscheiden. Das war ab jetzt alles sowieso nur noch Politik und die hatte bislang noch nie wirklich Großes bewirkt, denn in der Geschichte der Menschheit war der bestimmende Faktor für das Erklimmen höherer, kultureller Stufen stets die zur Verfügung stehende Energie. Erst durch die Erfindung der Dampfmaschine schnellte z.B. die Mobilität einer einzelnen Person auf ein Vielfaches in die Höhe. Heute halten wir es für selbstverständlich, daß unserer Automobile von Motoren mit mehr als 200 PS angetrieben werden, genau wie der betagte, fast drei Tonnen schwere Chevrolet Tahoe, mit dem Barbara Boyle von der Nachtschicht im Deep Space Networkauf der Interstate 40 zurück nach Barstow fuhr. Die Sonne war noch nicht über dem Horizont, aber der Himmel über der Mojave-Wüste war bereits ein spektakuläres Farbenspiel aus feuerroten Schleierwolken über der Bergkette bis hin zur tiefblauen Unendlichkeit des Nachthimmels in Richtung Pazifik.Die Solarastronomin konnte es immer noch nicht fassen. Hatte sich die Welt in den letzten Stunden tatsächlich grundlegend geändert? Sie hielt das Lenkrad mit beiden Händen, atmete erneut tief durch und dachte nach. Noch war die Luft außerhalb des klimatisierten Fahrzeugs am Fuße des Calico Gebirgskamms empfindlich kühl. Doch im Laufe des Tages würden die Temperaturen schnell ins Extreme steigen. Die globale Erderwärmung zeigte auch hier ihre dramatischen Folgen. Über 7 Milliarden Menschen waren einfach zu viel für diesen Planeten. Der Sieg der Menschheit war so total, dass er nun drohte, alle humanoiden Lebewesen auf der Erde unweigerlich auszulöschen. Bedauerlicherweise gab es für globale Sünden keine Beichte. Die Evolution gewährt keine Absolution und nach drei "Ave Maria" wächst leider nicht der komplett abgeholzte Amazonas-Dschungel nach. Wie alle Menschen trug auch Barbara Boyle die Gene ihrer Vorfahren in sich.
Nur als aggressive Verteidiger ihrer Äcker und Herden bei gleichzeitig hoher Vermehrungsrate hatten unsere Vorfahren eine gute Überlebenschance. Diese über Jahrtausende entwickelte, clevere Strategie verkehrte sich nun ins tödliche Gegenteil. Seit mehr als drei Jahrzehnten zwang die schier übermächtige Anzahl von Menschen auf Erden nicht mehr wie alle Generationen zuvor von den regenerativen Zinsen der Biosphäre zu leben. Annähernd 8 Milliarden Exemplare der Gattung Homo sapiens waren nun gezwungen, das Kapital selbst anzugreifen. Dabei rottete sie aber nicht nur Millionen anderer Tier- und Pflanzenarten, sondern in letzter Konsequenz auch sich selber aus. Der schwere SUV rollte die Auffahrt zum Reihenhaus hinauf und Barbara Boyle beschlich ein seltsames Gefühl: Hatte nun ein neues Zeitalter begonnen? Eine Geheimhaltung, wie sie Chief Commander Harris vorschwebte, würde nicht lange vorhalten, dazu war die Sonne ein viel zu interessantes und gut überwachtes Objekt. Selbst Hobbyastronomen mit entsprechender Ausrüstung würden über kurz oder lang die Anomalie auf der Oberfläche unserer Sonne entdecken. Die Welt, in der ihre Tochter aufwuchs, würde schon bald mit der Erkenntnis leben müssen, dass es da draussen im Weltall Lebewesen gab, die uns technisch etliche Jahrhunderte voraus waren. Wenn diese überlegene Intelligenz uns etwas mitzuteilen hatte, was konnte das sein? In welcher Sprache würden sie mit uns kommunizieren?
Barbara Boyle stieg aus dem Wagen, nahm einen tiefen Atemzug. Noch war die Morgenluft kühl und klar.
In diesem Moment begriff sie, dass die Erde unser perfektes Raumschiff ist. Noch für sehr lange Zeit würde es das Einzige bleiben, dass der Menschheit im unendlich scheinenden Kosmos zur Verfügung stand. Hoffentlich war es noch nicht zu spät. Vielleicht konnten die Menschen unter der Anleitung durch diese Zeichen auf der Sonne den endgültigen Kollaps noch verhindern, statt eine unrealistische Evakuierung zu anderen viel zu weit entfernten Planeten in Erwägung zu ziehen. Das Universum würde es nicht zulassen, dass die Menschheit wie Camper nach dem Urlaub den zugewiesenen Lagerplatz total verwüstet und lebensfeindlich kontaminiert zurücklassen. Barbara Boyle ging auf die Haustür zu. Leise Hoffnung keimte in ihr auf. Kamen die regelmäßigen Signalstrukturen auf der Sonne gerade noch rechtzeitig? Hatten die Absender dieser Nachricht vielleicht Erfahrung damit, dass Zivilisationen an diesem Punkt ihrer Entwicklung davon bedroht waren, sich selbst auszulöschen? Letztendlich waren sich nicht nur Barbara Boyle, Chief Commander Harris und alle anderen vernunftbegabten Lebewesen auf der Erde darüber im Klaren, dass alle Fehler, alles Negative auf den übertriebenen Egoismus des Individuums zurückzuführen ist. Doch wenn die Evolution uns Menschen als Egoisten erschaffen hat, war der Mensch dann überhaupt zu einer solidarischen Umprogrammierung in seinem Gehirn fähig? Barbara Boyle kramte nach ihrem Hausschlüssel in der Handtasche. Noch besaß sie so ein Relikt aus vergangenen Tagen, obwohl sämtliche Nachbarn die Funktionen ihrer Häuser bereits ausschließlich per Smartphone-App steuerten, welche ihnen die Haustüre öffnete, die Einkäufe für den Kühlschrank überwachte und ihre Fenster verdunkelte. Versonnen ließ Barbara Boyle den abgewetzten Ring mit den verkratzten Schlüsseln um ihren Zeigefinger kreisen. Gab es vielleicht für alles einen Schlüssel? Schließlich steckte sie den unregelmäßig eingekerbten Stift ins Schloss und schob leise den Riegel beiseite. Ob ihre Tochter das klimpernde Geräusch gehört oder bereits im Flur auf sie gewartet hatte, bleibt unerheblich. Mit verschlafenen Kinderaugen blinzelte das kleine Mädchen der Mutter im Halbdunkel des Flurs entgegen. Augenblicklich ließ Barbara Boyle die Handtasche fallen, machte ein paar schnelle Schritte auf ihrer Tochter zu und hob das zierliche Mädchen an ihre Brust. Gleichzeitig schlang das Kind seine Arme um den Hals seiner Mutter. Beide verströmten in diesem einzigartigen Moment die wunderbare Aura bedingungsloser Liebe. Die Haustür stand noch halb offen. Ein goldener Strahl der Morgensonne fiel jetzt in den Flur. Das Mädchen blinzelte, hob dann langsam den rechten Arm.
„Schau mal.“
Barbara Boyle folgte der Blickrichtung ihrer Tochter. Licht wird erst sichtbar, wenn es auf Materie trifft. Staubpartikel in der Luft, der Boden des Flurs reflektierten den Lichtstrahl. Doch da war noch etwas anderes. Im Lichtstrahl der Morgensonne schien etwas verborgen, irgendetwas Magisches, fast so wie eine quadratische, teilweise helle, teilweise aber auch ein wenig dunklere Struktur. Leise flüsterte das Mädchen:
„Wird jetzt alles gut, Mama?"