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Purpur

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10.10.2006
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Purpur

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
Hetzpamphlet; einem gekreuzigten Sklaven auf Malta abgenommen

Cassius Cornelius Malticus raffte die Toga und stieg über einen Hundehaufen. „Ich hätte dafür stimmen sollen“, murmelte er.
„Prätor?“, fragte Servius.
„Vor ein paar Jahren hat irgendjemand ein Gesetz eingebracht, Hunde aus der Stadt zu verbannen.“
„Mit einer Ägypterin verheiratet, nehme ich an.“
Cassius verzog das Gesicht. „Man kann über Katzen sagen, was man will, wenigstens machen sie nicht so riesige Haufen. Beim Jupiter, das ganze Viertel widert mich an. Es ist einfach unrömisch.“
Die Suburba war so gesetzlos, dass Jugendbanden wagten, imperiale Glühbirnen aus den Straßenlampen zu schrauben, so dass Servius mit einer Stabtaschenlampe den Weg leuchten musste. Unrömisch bis in den letzten Ziegelstein. Nicht einmal ehrbare Straßenhändler hielten es hier aus, dabei hätte Cassius nun einiges für dalmatische Feigen gegeben oder für eine Handvoll dieser Barbecue-Chips, die ihm so schmeckten.
Und dass Cassius nun aufgrund einer Tradition, die seit Jahrhunderten überholt war, als Amtsträger in Toga und Sandalen über das Pflaster schreiten musste, war schlicht ein Skandal. Zumindest regnete es nicht, die verdammte Toga saugte sich dann voll und wog so viel wie ein samnitischer Gladiator in voller Rüstung.
Außerdem war der Fußweg lang wie ein Marathon, die Blauen hatten verloren und bis zur nächsten Mahlzeit waren es noch gut neun Stunden! Das alles nur, weil irgendein Emporkömmling nicht einmal den Anstand aufgebracht hatte, wie ein aufrechter Römer zu sterben!

Keuchend wuchtete sich Cassius durch die Gassen.
Servius erlaubte sich ein ums andere Mal einen spöttischen Blick auf seinen früheren Herren.
„Das ist der Dank“, sagte Cassius, als er an einer Straßenecke nach Luft schnappte und sich schwor, in einer nicht allzu weit entfernten Zukunft, das Lauftraining wieder aufzunehmen. „Da besorgt man dir eine wunderschöne Frau, weit über deinem Stand! Und dafür wird man dann ausgelacht.“
„Verzeiht Prätor, es ist nur: Ihr seht aus wie eine Schildkröte, die auf den Rücken gefallen ist.“ Servius geriet über die eigene Bemerkung so in Wallung, dass er anfing, zu glucksen und zu schnauben, bis er schließlich kicherte wie eine Hyäne im Theater.
„Dignitas!“, deklamierte Cassius. „Ein Bürger lacht nicht wie ein dummer Sklavenjunge!“
Servius schaute betreten aufs Pflaster.
„Pluto blickt mit Argwohn auf jene, die das Volk und den Senat verspotten und schickt nächtens seine Häscher, sie zu verfolgen und seinem dunklen Reich einzuverleiben!“
Sein ehemaliger Sklave gab keinen Laut mehr vor sich.
Cassius raffte die Toga und stolzierte am bleichen Servius vorbei. Freigewordene, dachte er. Abergläubisch bis in die letzte Faser. Man musste sie einfach gern haben.

Die Straßen waren leergefegt, kein Bürger kam ihnen entgegen. Alexandria war die Stadt, die niemals schlief. In Rom war nach Mitternacht keiner wach. Insula reihte sich an Insula in diesem Viertel; und wo auf dem Palatin keine Villa der anderen glich, sah hier jede Behausung elend wie die andere aus. Cassius hätte nicht zu sagen vermocht, in welcher Straße er war, auch wenn sein Leben davon abhinge.
Als sie um eine Ecke bogen, stand dort eine Parade zitternder Gestalten auf der Straße, ein Dutzend oder mehr, den Rücken an die Mauer der Insula gepresst. Einige hatten Fackeln in den Händen, deren Schein von den Halsbändern matt reflektiert wurde.
„Sklaven? In der Suburba?“, fragte Servius
„Riecht nach Ärger“, sagte Cassius. Es würde sich ja wohl kaum ein Bürger freiwillig ein Sklavenhalsband umlegen. Dekadenz hin oder her. Viele der armen Bürger unterschieden sich nur durch einen blanken Hals von den Sklaven.
Servius hetzte an ihm vorbei, blieb vor der Haustür stehen und schrie: „Der Prätor urbanus. Cassius Cornelius Malticus.“
Beim Ehrennamen „Malticus“ ging ein Raunen und Greinen durch die Menge als hätten sich die Pforten zur Unterwelt aufgetan und der Totenchor beklage sein Schicksal.
Ein Sklavenmädchen, kaum älter als sieben oder acht, presste sich an den Rocksaum seiner Nachbarin und weinte, dass es die Stille der Nacht zerriss. Servius ließ die Heraldpose fallen, beugte sich zu dem Mädchen hinunter und strich ihm über den Kopf. Es schniefte, schnäuzte und schluchzte und war nicht zu beruhigen. Das Bild hatte Cassius früher schon gesehen. Die kleine Sirene Cassia, die weinte, weil sie sich den Zeh gestoßen hatte oder von einer Blindschleiche erschreckt worden war; die weinte, weil der Bruder sie an den Haaren gezogen hatte oder weil auf ganz Malta kein Mandelkonfekt aufzutreiben war.
Und immer war Servius zu ihr gegangen, hatte ihr über den Kopf gestreichelt und mit ihr geredet, während Cassius danebenstand und zu ergründen versuchte, wie sich ein römischer Vater in solchen Situationen zu verhalten hatte. Dignitas, Dignitas, die verdammte Dignitas, und was hatte es ihm eingebracht?
Jetzt brach ein anderes kleines Mädchen in Tränen aus, wenn sie nur seinen Namen hörte. Malticus.
Cassius sah nach oben, als ob droben die Lemure seines Vaters schwebte, groß und weise und schon lange tot. Ave Vater. Das haben sie aus deinem Sohn gemacht. Ein Schreckgespenst des Imperiums. Einen schwarzen Mann.

Die Insula war mit Teppichen ausgelegt, Cassius ertappte sich dabei, wie er die Zehen in den weichen Stoff tauchte. Ein Duftspender im Wohnzimmer zischte Fichtenduft. An der Wand hing ein elektronischer Rahmen, der wechselnd pornographische Bilder zeigte: das mythologische Zeug. In einem Moment drängte ein Stier noch in Europa, dann machte sich ein Schwan über den Schoß der armen Leda her. Eine Schlange fuhr in Persephone, ein Adler hackte auf Asteria. Offenbar glaubten die Griechen, ein Mann sei nur dann ein Mann, wenn er eine Urahnin vorweisen konnte, die einmal von Zeus in Tiergestalt richtig durchgezogen worden war. Als der goldene Regen über Danäe herniederging, hatte Cassius genug gesehen.
„Das ist unrömisch“, sagte er und deutete mit senatorischer Geste auf das Bilderspiel. „Mach das weg.“ Wie jeder anständige Römer hatte Cassius keine Ahnung davon, wie sich solche Gerätschaften bedienen ließen. Wozu gab es schließlich Sklaven?
Servius, der eben noch mit offenem Mund dagestanden war, machte sich an dem Gerät zu schaffen. Suchte verzweifelt nach Knöpfen oder einer Fernbedienung, ging dazu über, sich vor dem Monitor aufzubauen und mit fester Stimme „Aus! Abschalten! Aufhören!“ zu brüllen, um dann schließlich einen Teppich über den Schirm zu werfen.
„Du musst endlich anfangen, wie ein Bürger zu denken und zu handeln“, sagte Cassius. „Ein Censor könnte uns beide aus der Stadt jagen, wenn er uns bei so etwas erwischt.“
„Dein Onkel?“, fragte Servius.
Cassius winkte ab. „Es wäre deine Pflicht gewesen, als Diener des Volks und des Senats sofort, als du gesehen hast, dass ich mir das ansehe, einzuschreiten und das moralisch verwerfliche Gerät auszuschalten.“
„Ja, Herr“, sagte Servius.
„Man streichelt auch keine Sklavenmädchen. So was tut man nicht in Rom.“ Lustlos sah sich Cassius im Wohnzimmer um, der Fichtenduft war so falsch wie das Lächeln einer Sklavin auf Bräutigamschau.
„Prätor?“, fragte Servius. „Darf ich offen sprechen?“
Cassius nickte.
„Als wir auf Malta waren, hast du dir viel schlimmere Dinge angesehen.“ Leiser fügte er hinzu: „Und ganz andere Sachen gestreichelt.“
„Das ist richtig“, sagte Cassius. „Als Bürger musst du verstehen, dass es auf der Welt nur zwei Orte gibt: Einmal die Stadt und dann den ganzen Rest. Außerhalb der Stadtmauern neigen wir dazu, uns wie die Herren der Welt aufzuführen.“ Dramatische Pause. „Weil wir das sind. Aber in Rom gelten andere Gesetze, junger Bürger.“ Cassius lächelte matt. In gewisser Weise war Servius tatsächlich noch unverschämt jung, obwohl sie im selben Alter waren. Es gefiel Cassius ihm die Welt zu erklären. Eine erklärbare Welt, fand Cassius, war eine ungemein beruhigende Illusion.
„Und nun suchen wir diesen dekadenten, griechischen Eques. Schau dich mal weiter hier um, ich seh mir das Bad an und danach die Sklavenquartiere. Vielleicht kriegen wir noch ein paar Stunden Schlaf.“

Das Bad war schlicht. Weiß verputzt, eine Dusche, ein Spiegel, ein Pinkel- und ein Brechbecken. Keine Leichen.
Cassius betrachtete sich im Spiegel und versuchte, möglichst furchteinflößend zu wirken. So sahen ihn die Menschen? Malticus und schon kamen die Tränen. Rom, das alte Rom, das böse Rom. Mit Feuer und Stahl herrschte es über den Globus. Auch Sklaven brauchten wohl eine erklärbare Welt.
So schlecht sah er doch gar nicht aus. Vielleicht hatte er in letzter Zeit ein wenig zugenommen, gut, so jung wie sein Sohn hatte er ohnehin nie ausgesehen. Der ernährte sich ja auch nur von Puls und Hammelfleisch. Und die feinen Züge Cassias, seiner Tochter, gingen ihm ebenfalls ab, ein Kunststück, wenn man nie in die Sonne ging und sich um nichts grämen musste als um Lotionen, Mandelkonfekt, Wahrsager und Kulte.
„Prätor!“, schrie Servius.
Cassius folgte dem Schrei und fand Servius schließlich über einen Mann gebeugt, der bäuchlings in einem üppigen Schlafzimmer lag. Der Mann war fett wie eine Mastsau und trug eine Toga aus feinstem Stoff, der Faltenwurf war selbst an diesem krommyonischem Eber noch filigran. Eine Toga aus Seide! Was sich diese dekadenten Barbaren nur erlaubten?
„Dann wäre das wohl geklärt. Ruf jemanden an, dass sie ihn abholen.“
Doch Servius hörte nicht auf ihn, sondern drehte mit einem Ruck und ohne jede Spur von Aberglauben den Leichnam um. Vielleicht war bei dem Jungen doch noch nicht alles verloren.
„Jupiter steh uns bei“, keuchte Servius. „Purpur.“
Auch Cassius sah nun den purpurnen Streifen an der Toga des Mannes, der ihn als Angehörigen einer Schar von Wenigen auswies. Einer Elite, die über Wohl und Wehe der bekannten Welt zu entscheiden hatte. Der Tote war ein Senator.
Mit dem Schlaf würde es nichts mehr werden.

„Das hat uns grade noch gefehlt“, sagte Cassius und zog die Toga über Nase und Mund. Er verscheuchte Servius, ging um das Bett herum und stupste die Leiche mit dem Knie einige Male an.
„Kennst du ihn?“ Servius mit seiner Sklavenstimme. Als ob jeder Senator jeden anderen kennen müsste, nur weil man drei Stunden am Tag aufeinander hockte. Cassius hatte den Mann noch nie gesehen, Hängebacken, ein Kinn wie aus Haferschleim geformt, gezupfte Augenbrauen. Er sah mehr wie ein Eunuch aus als irgendetwas Römisches. Die Popularen mochten solche Geschöpfe zwar in ihren Reihen dulden, aber auch sie versteckten Ungetüme wie dieses in den hintersten Winkeln der Kurie.
„Natürlich kenne ich ihn!“, sagte Cassius und macht einige zerfahrene Gesten über dem Leichnam.
„War der Mann krank?“, fragte Servius.
Woher, bei Plutos brennendem Speichel, sollte er das nun wieder wissen? Cassius schaute auf und sah Servius, der eine Spritze in der Hand hielt.
„Beim Jupiter!“, schrie Cassius. „Lass das Ding fallen!“
Servius ließ die Spritze fallen wie eine Giftschlange.
„Der Mann war nicht krank, er war verflucht. Der Fluch Cäsars!“ Vor dem Namen „Cäsar“ spie Cassius aus.
„Cleopatra?“, fragte Servius mit großen Augen.
„Opium! Heroin! Du Schwachkopf! Verschwinde hier! Du darfst das unmöglich sehen!“
„Herr?“
„Raus! Renn um dein Leben! Die knüpfen dich auf!“
Cassius fuhr sich über die Augen, blickte hilfesuchend an die Decke – Zeus mal wieder, wie er zur Abwechslung in Menschengestalt irgendeine griechische Schlampe beschlief – und schaute sich im Raum um. Einige Minuten überlegte er gleichsam fieberhaft und ergebnislos, was zu tun sei, doch als er endlich eine diffuse Vorstellung davon entwickelt hatte, wie er sich verhalten wollte - sofort verschwinden, seinen Onkel anrufen, Yoko besuchen und unterwegs vielleicht einen Happen essen - klopfte es bereits am Türrahmen.
Ein kleiner Mann lehnte dort, ganz in Schwarz gekleidet, ein Schwert an der Hüfte. Er kratzte sich über das markige Kinn. „Prätor“, sagte eine heisere Fistelstimme, „es ist mir eine Ehre, dir endlich einmal von Angesicht zu Angesicht gegenüberzustehen. Dein Onkel spricht nur in höchsten Tönen von dir. Ich bin ein großer Bewunderer deiner Arbeit auf Malta. Eine Inspiration, sage ich immer. Eine Inspiration für die ganze herrliche Republik.“ Es klang, als quieke eine Ratte, die man in die Cloaka Maxima spült.
„Es ist mir eine Ehre, wenn mein bescheidener Beitrag zur Republik auf solch kundigen Beifall stößt“, sagte Cassius und betrachtete den Mann weiter. Einer der wenigen Römer, die nur einen Namen trugen. Der Mann hieß Pluto, wie jeder Vorgänger in diesem Amte, seit mehr als sechshundert Jahren. Der höchste und einzige Priester des Gottes in ganz Rom, Anführer der schwarzen Häscher, Sonderbeauftragter des Magistrates, rechter Arm der Censoren. Das war der Mann, vor dem sich kleine Sklavenmädchen erschrecken sollten. Das war ein Schreckgespenst der Republik.
Wenn auch nur die Hälfte von dem stimmte, was man sich über ihn erzählte, hatte er mehr Menschen umgebracht als die verdammten cisgallischen Pocken.

Ohrenbetäubend zündete sich Pluto eine Zigarette an und blies Rauch gegen das obszöne Deckengemälde. „Ein scheußliches Haus“, sagte er mit einem Grinsen. „Unseren hohen Herren so zu zeigen. Unter so einem Dach“, er verdrehte den Kopf weiter, „kann unmöglich römische Saat gedeihen. Es ist wie ein Krebsgeschwür, das sich in den Köpfen seiner Bewohner einnistet. Wächst und wuchert. Und was macht man mit Krebs?“
„Man kuriert ihn.“
„Ganz recht“, sagte Pluto. „Man schneidet ihn raus.“
Cassius ging, wie beiläufig, um das Bett herum, auf die andere Seite des Toten, dort wo die Spritze lag.
„Dieses Ungetüm“, Pluto zeigte auf den fetten Leichnam, „kaum fähig sich aus seinem Bett zu erheben. Und so jemand wird mit wichtigen Aufgaben betraut und gute römische Bürger schlafen Nacht um Nacht in der Vorstellung ein, sie seien sicher. Aber wer kann sicher sein, frage ich, wenn dies einer der Pfeiler unserer Republik ist? Und was macht man mit maroden Pfeilern?“
„Man repariert sie“, sagte Cassius und versuchte, die Spritze unter das Bett zu treten, was in Sandalen schwierig war, ohne sich zu stechen.
„Ganz recht“, sagte Pluto. „Man reißt sie ein.“
Pluto ging nun um das Bett herum und betrachtete den unförmigen Leichnam mit einem solch umfassenden Abscheu, dass es dem großen Andronicus alle Ehre gemacht hätte. Dann bückte er sich gedankenschnell und griff unters Bett.
Während er sprach, hielt er sich die Spritze vor das Gesicht, drehte und wendete sie und ließ den Blick nicht von ihr ab: „Wenn ein Bienenschwarm von einer kranken Königin regiert wird und der Honig des Stocks grün wird und die Geister eines jeden Mannes vergiftet, der von ihm kostet. Was tut man dann mit diesem Schwarm, frage ich?“
Cassius schwieg.
„Ganz recht“, sagte Pluto und schlug mit zwei Fingern gegen das Glas der Spritze. „Man räuchert ihn aus.“

Wortlos ging Cassius aus dem Haus, sein Vater hatte ihm einmal erklärt, was man bei Kreuzigungen, Theaterabenden und Senatssitzungen zu tun hatte. „Du musst zwar da sein“, hatte er gesagt, „aber dein Geist ist doch frei. Stell dir einfach vor, du bist woanders. Schau ernst und konzentriert und denke dich an den herrlichsten Ort, den du dir nur ausmalen kannst.“
Doch so sehr sich Cassius in Yokos Arme dachte, so sehr stand er auf einer Straße, der ein Gemetzel dräute. Dreißig, vierzig der Männer in Schwarz standen Spalier. Jeder mit einem Schwert bewaffnet und mit einer Pistole. Schwerter für Römer, Kugeln für Sklaven. Jedem das Seine. Es war unrömisch einen Sklaven abzustechen. So wie es unrömisch war, einen Römer zu erschießen. Andersrum hingegen …
Sie nahmen jedem Mann und jeder Frau und jedem Kind das Halsband ab. Unter den Sklaven war ein Heulen und Zähneklappern. Es entbehrte nicht einer gewissen Ironie. Jeder Sklave träumte davon, dass elektronische Halsband irgendwann los zu sein. Sie erzählten einander von fernen Orten, von Lisboa, von Arkadien, von Orten, an denen niemand ein Halsband trug, weil es dort Sklaven gab, ehemalige Sklaven, die in Erfahrung gebracht hatten, wie man die Halsbänder schadlos abnehmen konnte. Cassius wusste es besser. Man nahm einem Sklaven das Halsband nur in zwei Fällen ab. Und die Sklaven des toten, opiumsüchtigen Senators wollte man ganz sicher nicht frei lassen.
Einer der Älteren, ein hochgeschossener Spanier, schlug um sich, als sie ihm das Halsband nehmen wollten, einer der Häscher donnerte ihm den Pistolenknauf gegen die Stirn. Der Mann brach zusammen wie ein Ochse bei der Opferung, als hätte ihm der Priester einen Hammer gegen den Schädel gedroschen.
Pluto hatte sich neben Cassius gestellt, sagte nichts, rauchte nur. Seine Anwesenheit allein sperrte Cassius von jedem Ort aus, an den er sich hätte flüchten können.
Ins Jammern der Sklaven schrie eine Frau: „Könnt ihr nicht endlich ruhig sein! Manche versuchen hier zu schlafen.“
Cassius schaute sich um: In einer Insula hinter ihm war im zweiten Stock ein Fenster aufgegangen und ein Frauenzimmer mit Medusenhaar beugte sich über die Fensterbank und schrie aus Leibeskräften: „Ich ruf sonst die Prätur an, ihr verdammten Barbaren!“
„Bedauerlich“, sagte Pluto und auf einen Wink von ihm lösten sich zwei Gestalten aus der schwarzen Schlange, sprinteten in olympischem Tempo in die Insula und trugen die geifernde Xanthippe und einen grauen Mann auf die Straße hinaus.
„Was hast du uns nur eingebrockt, bei allen Göttern!“, fiepste der Mann, bevor ihm sein Träger die Hand auf den Mund presste.
„Ist das wirklich nötig?“, fragte Cassius. „Es sind Bürger.“
„Natürlich, Prätor. Du hast Recht. Sie haben etwas Besseres verdient als wie Sklaven zu sterben.“ Pluto machte einen Wink und die beiden Männer in Schwarz setzten das ungleiche Paar ab.
Die Frau saß auf der Straße und starrte mit handtellergroßen Augen in die Gegend. Mochte zu Morpheus beten, er möge es nur einen Albtraum sein lassen.
Auf ein weiteres Zeichen Plutos traten die beiden Männer hinter sie und ihren Mann, umfassten Kinn und die linke Seite des Schädels und brachen ihnen das Genick.
„Es ist nicht ganz wie in Malta, nehme ich an“, sagte Pluto. „Aber wir alle dienen dem Senat und dem Volk aus Kräften.“

Einer nach dem anderen wurden die Sklaven in das Haus geführt, Frauen wie Männer, auch das kleine Mädchen, auf das Servius vor Minuten nur, vor einer kleinen Ewigkeit, noch eingeredet hatte, war nun an der Reihe. Fast zärtlich schubste einer der Männer es durch die Pforte des Hauses.
„Das Mädchen“, sagte Cassius.
„Ja?“, fragte Pluto und schaute ihn von unten an, er ging Cassius nur bis zu den Schultern.
„Nichts“, sagte Cassius.
„Gut.“ Pluto verschränkte die Arme vor der Brust.
Plötzlich ein Schatten. Einer der schwarzen Männer fiel wie vom Jupiter getroffen in sich zusammen, ein anderer erstarrte in der Bewegung, nahm die Hände langsam von der Hüfte nach oben, bis über die Kopf. An seinem Hals blitzte Stahl auf, der Stahl eines Kurzschwertes an der Kehle.
Hinter ihm stand Servius, dieser Schwachkopf, der längst zu Hause hätte sein sollen, der längst an Cassias Bett hätte sitzen müssen, um ihr über der Kopf zu streicheln, wenn sie schlecht träumte. Dort stand Servius nun, drückte das Schwert gegen den Hals des schwarzen Mannes, um eine Überzahl anderer in Schach zu halten; und er schritt stolz mit seiner Geisel wie ein dummer, dummer Held auf das Mädchen zu.
Die Männer in Schwarz zuckten, jeder Muskel war unter ihren Anzügen zu erkennen, wie Rennpferde im Stadion, die nur auf das Startsignal warteten. Pluto schüttelte den Kopf.
„Das Mädchen!“, schrie Servius. „Lasst das Mädchen gehen und es wird euch nichts geschehen!“.
„Seht, seht! Herakles selbst ist aus dem Olymp herabgestiegen!“ Pluto löste sich von seinem Platz und zog das Schwert aus der Scheide. „Wohlan. Stell dich zum Zweikampf, großer Krieger. Wenn du überlebst, so darfst du mit deiner kleinen Freundin gern von dannen ziehen, und kein Haar soll euch gekrümmt werden.“
Servius zögerte und musterte das Männchen in Schwarz, das auf ihn zuging.
Cassius stand unbewegt, aber schrie im Geiste: Nein, nein, du Idiot. Lauf einfach weg! Bitte, lauf einfach weg!
Servius nahm das Schwert vom Hals des Mannes und stieß ihn weg. Er stellte sich in Kampfposition, das rechte Bein nach vorne, das Schwert zum Stoß erhoben. Er musterte seinen Gegner, rief sich Finten und Stöße ins Gedächtnis, als sei er auf einem Übungsplatz.
Pluto zog mit einer fließenden Bewegung eine Pistole aus dem Schulterhalfter, ein Schuss zerschnitt die Stille der Nacht, Servius sank auf die Knie, das Mädchen weinte. Für einen Moment sah Cassius dem toten Servius in die brechenden Augen, dann fiel er nach vorne über.
Pluto zündete sich eine weitere Zigarette an und nahm den Platz neben Cassius ein.
„Du hättest ihm das Schwert gewähren sollen“, sagte Cassius. „Er war ein Bürger.“
„Aber nein, Prätor. Er kann kein Bürger gewesen sein, ein Bürger würde doch nie seine Hand gegen die Republik erheben, nicht wahr?“
Pluto lächelte, während auch das Mädchen ins Haus geschafft wurde, dann die Leiche der neugierigen Frau und die ihres armen Tropfs von einem Ehemann. Zuletzt wurde auch Servius hineingetragen.
Die Männer in Schwarz verriegelten die Tür von außen und spritzten vom Haus weg. Das Geschrei der Sklaven war noch immer zu hören.
„Möchtest du mir die Ehre erweisen, das Zeichen zu geben?“, fragte Pluto.
Cassius hob die Hand, die Männer in Schwarz duckten sich. Cassius ließ die Hand fallen und die Männer warfen Granaten auf das Haus. Phosphor. Binnen eines Herzschlags fing es Feuer, die Flammen schlugen hoch in den Himmel. Es brannte lichterloh. Cassius wünschte sich weg, weit weg, und blieb doch dort. Endlich verstummten die Schreie. Die Straße blieb tot zurück, kein Gesicht zeigte sich am Fenster.
„Wenn du mich fragst“, sagte Pluto und zog an der Zigarette, dass die Glut kirschrot aufflammte, „ein viel zu edles Opferfeuer für so einen stinkenden Satan.“

Cassius atmete tief ein, Ruß stieg in seine Nase. Einst war er im Theater gewesen, zusammen mit seinem Vater, und sie hatten ein Stück gesehen, Cassius wusste nicht mehr welches, aber keins von denen, bei denen man sich wünschte, man wäre woanders. Eine Stadt hatte gebrannt. Massilia war’s. Der irre Statthalter hatte mit dem Feuer gespielt und die Stadt angezündet. Cassius hatte seinen Vater gefragt, warum er das tue. Was für ein Mensch so etwas nur mache.
Sein Vater hatte ihn lange angesehen, während auf der Bühne die Kulissen in Flammen aufgegangen waren, und gesagt: „Frag nicht nach einem Grund. Die Welt ist nicht zu erklären. Manche Männer wollen sie einfach nur brennen sehen.“

Cassius wandte sich zum Gehen, Pluto hielt ihn an der nackten Schulter fest.
„Ach, Prätor, noch eins.“
Cassius schaute zu dem Mann hinunter: „Priester?“, fragte er kühl.
„Das Haus der edlen Witwe Pompeia.“
„Was ist damit?“
„Nun, es ist vielleicht zu dieser Zeit nicht der rechte Platz und Ort für -“
„Schweigt“, fuhr Cassius ihn an. „So weit kommt es noch, dass man einem der höchsten Diener des Volkes und des Senats sagt, wohin er zu gehen und wovon er zu lassen habe!“
Pluto zuckte mit den Schultern, die Flammen loderten hinter seinem Rücken neu auf.
„Es war ein gut gemeinter Rat unter Kollegen. Ihr tätet gut daran, ihn zu beherzigen.“
Cassius ging davon, zu dem einzigen Ort, an dem er jetzt sein wollte. Auch wenn er sich ausgerechnet im Hause Pompeias befinden musste.

Die Witwe Pompeia war, je nachdem, ob man einen Popularen oder einen Optimaten fragte, entweder die weiseste, schönste und edelste Frau der ganzen Welt oder eine intrigante, bigotte, mannstolle Giftmischerin. Als Optimat tendierte Cassius zur Giftmischerin, aber auch mit der Helena von Troja-Ausgabe hätte er in dieser Nacht nichts zu tun haben wollen.
Ihre Villa hoch oben auf dem Palatin, nicht weit von seinem eigenen, bescheidenerem Heim entfernt, bot auch in dieser Nacht, so dunkel sie auch sein mochte, einen prächtigen Anblick.
Cassius weckte den Janitor mit einem Fußtritt. Der Mann war einer der schönsten von ganz Rom. Stahlblaue Augen, eine Haut aus Bronze und die Haare wie die Korona der Sonne. Nur Pompeia brachte es fertig, jemanden wie ihn mit einem Kettchen ans Tor zu fesseln. Der Janitor rieb sich den Schlaf aus den Augen, erkannte Cassius und sagte: „Oh, du bist es.“ Er öffnete die Hand.
„Servius, gib dem Mann“, setzte Cassius an, bis er bemerkte, dass er allein war. „Du kennst meinen Namen, oder?“, fragte er.
„Nein, nein“, sagte der Mann. „Du weißt doch, keine Namen“, er schaute zu Boden.
„Ich frage anders, du kennst die vormals wunderschöne Insel Malta, oder?“
Der Mann öffnete das Tor.
„Ist sie noch wach?“, fragte Cassius.
Der Mann nickte.

Cassius hätte den Weg zu ihrem Schlafgemach gefunden, wenn man ihn blind wie Teiresias an der Südspitze Siziliens ausgesetzt hätte, doch in der heutigen Nacht schien ihm die Villa wie verändert, keine Sklaven huschten umher, um in den Kammern zu verschwinden, kein Gekicher drang aus den Räumen und als er endlich vor ihrer Tür stand und die Hand auf die Klinke legte, nagte Zweifel an ihm, ob es nicht besser sei, nach Hause zu gehen, oder etwas anderes zu unternehmen, etwas vollständig anderes, Totenwache zu halten, nach Apulien zu reisen und der Frau eines Freundes eine schöne Geschichte zu erzählen, doch da wurde die Tür aufgezogen und Yoko, in einem dieser lächerlichen östlichen Kostüme, die sie einen Kimono nannte, nickte ihm zu, streichelte über seine nackte Schulter und bugsierte ihn hinein. Das weiße Sofa sah einladend aus wie immer, das Fenster gewährte einen Blick auf die schlafende Stadt – wie immer – und Yoko flüsterte: „Du trinkst deinen Wein pur, in einer so dunklen Nacht, nicht wahr?“
Cassius streifte die Toga ab und legte sich bäuchlings auf das Sofa. „Mach mir einen Triumvir, mir ist nicht nach Wein.“
„Bitte?“, fragte sie mit einem Augenaufschlag. „Ich hab einen wunderbaren Falerner da, aus ihren eigenen Beständen. Und du möchtest was?“
„Einen Triumvir“, sagte Cassius. „Scotch, Bourbon, Whiskey. Zu gleichen Teilen.“
„Keinen Falerner aus ihren Beständen? Aus dem besten Weinkeller Roms?“
„Keinen Falerner.“
Yoko tippelte zu der Bar und mischte einen Drink. Der weiche Stoff des Sofas war warm und mild.
Yoko plapperte: „Triumvir, ihr habt so lustige Wörter für alles. Was ist das? Eine Frau mit drei Männern gleichzeitig?“
Cassius ließ den Kopf in das Polster des Sofas fallen. „Nein, nein, nichts dergleichen. Vor langer Zeit haben drei Idioten beschlossen, die Welt unter sich aufzuteilen. Und ihnen zu Ehren trinken wir das Zeug jetzt, wenn die Nacht sehr dunkel ist.“
„Welche Männer waren das?“, fragte Yoko, stellte sich vor ihn und ließ den Kimono zu Boden gleiten. Ihre Haut war wie aus Karamell. Zu Anfang, als Cassius sie das erste Mal gesehen hatte, nahm er an, sie sei ein Mischling, der Vater schwarz, die Mutter aus einer jener obskuren östlichen Provinzen, deren Einwohner Augen wie Mandeln hatten. Ein Mischling, wie jede Nacht einer irgendwo in den lichtlosen Sklavenunterkünften Roms gezeugt wurde. Doch Yoko behauptete, sie stamme aus einem fernen Land, und sei reinen Blutes.
„Drei sehr dumme Männer, die alle lange tot sind“, sagte Cassius. „Mehr musst du darüber nicht wissen.“
Yoko nippte an dem Gemisch, um zu zeigen, dass es nicht vergiftet war. Als sie von dem scharfen Gebräu kostete, verzog sich ihr Gesicht etwas und mit einem Seufzer gab sie ihm zu verstehen, dass er ein Idiot sein musste, wenn er das wirklich dem Falerner vorzog.
Sie hatte feste Brüste und langes, langes Haar, der Reif um ihren Hals war aus Mahagoni und fühlte sich erfrischend und kühl an, wie Cassius wusste. „Sag es mir“, verlangte Yoko. „Ich hab es gern, wenn wir reden.“
Sie gab ihm das Glas in die Hand und setzte sich auf seinen nackten Rücken, er spürte ihren Schoß. Sie drückte ihn auf seinen Hintern.
„Der eine war Crassus, der reichste Mann der Welt. Aber ein Dummkopf. Er starb in einer Schlacht, die er gewinnen wollte, indem er so lange Soldaten in den Tod schickte, bis dem Gegner die Pfeile ausgingen.“
Yoko kicherte und rieb mit ihrem seidenen Haar über seine Schulter.
„Der zweite war Pompeius, der größte General der Welt.“
„War er –“
„Ja, er war ihr Vorfahre. Angeblich. Gnaeus Pompeius Maximus. Der Retter der Republik.“ Yoko versenkte ihre Nase in seinen Nacken. „Du bist total verspannt, was haben sie dir wieder angetan? Erzähl weiter.“
„Und der dritte war Cäsar“, sagte Cassius und spuckte aus.
Yoko schlug ihm leicht auf den Hinterkopf. „Warum macht ihr das nur immer?“
„Rituelle Anordnung.“
„Weiter.“
„ Die beiden letzten waren kurz davor, die Republik zu vernichten, vor langer, langer Zeit. Jeder wollte sie retten, natürlich, einer vor dem anderen. Beide starben weit weg von Rom, in Nordafrika. Am schönsten Tag in der Geschichte der Menschheit.“
Yoko drückte seinen Kopf sanft in Richtung des Fensters, zeichnete mit ihrer Zunge Kreise auf seine Schultern und blies dann kühl darüber hinweg.
„Und obwohl beide im Leben so gleich waren wie Dezembertage, nach ihrem Tod sind sie verschieden wie Juni und Januar. Von dem einen darf man nur in höchsten Tönen reden und über den anderen hat man besser zu schweigen.“
„Es ist schön, wenn du so mit mir sprichst“, sagte sie.
Die Stadt lag ruhig und schlief den Schlaf der Ahnungslosen. Nicht mehr lange. Das erloschene Feuer würde bald das Forum erreichen. Es war nicht mehr aufzuhalten. Es waren Bürger gestorben, die hatten Freunde, es war ein Feuer gelegt worden, ein Feuer in Rom von einem Beamten des Volkes und des Senates. Undenkbar! Unrömisch! Ein Skandal.
Cassius spürte einen Luftzug im Nacken, Yoko rutschte unruhig auf ihm hin und her, doch Cassius war zu müde, sich umzudrehen, und Yoko hatte sich schon bald wieder beruhigt, wie das Meer nach einem Sturm.
„Erzähl mir von der Freiheit“, sagte Yoko. „Erzähl mir von Arkadien. Erzähl mir von Malta.“

„Arkadien ist ein Traum, den Sklaven träumen. Hinter Spanien liegt ein Ozean, so groß, dass du es dir nicht vorstellen kannst, und dahinter eine Welt, die zu erobern sich nicht lohnt. Nackte Wilde, die mit Menschenköpfen spielen. Nackte Wilde, die auf Pferden reiten, Schlangen fressen und Bären anbeten. Noch mehr nackte Wilde. Sie fressen die Herzen ihrer Feinde, damit deren Kraft auf sie übergeht.“
„Aber man sagt doch-“
„Ja, ich weiß, was man sagt. Geh nach Lisboa, sagt man, geh nach Lisboa, dort setzen sie dich über nach Arkadien, in das Land, in dem keiner ein Sklave sein muss.“ Cassius hatte die Stimme bei dem letzten Satz verstellt und sich dafür einen weiteren Schlag gegen den Kopf eingehandelt. „In das Land der Freiheit“, sagte Cassius und drehte sich, unter Yokos Beschwerden, auf den Rücken. Yoko rutschte nach vorne, so dass sie auf seinem Bauch sitzen konnte, und er tastete nach ihren Brüsten wie nach den Äpfeln der Hesperiden.
„Weißt du, was in Lisboa auf dich wartet?“
„Wie ich dich kenne, etwas ganz Schlimmes.“
„Der größte Sklavenmarkt der bekannten Welt wartet auf dich in Lisboa. Wenn du frei sein willst, heirate wen mit einem blanken Hals. Irgendwen und du bist so frei, wie du nur sein kannst. Und was hat man von der Freiheit? Nichts hat man davon. Ich könnte jetzt aufstehen und nach Ostia gehen und morgen wäre ich in Carthago Nova oder in Epirus oder Londinium. Warum tu ich es nicht?“
Yoko tastete mit zarten Fingern nach dem Mahagoniband um ihren Hals. „Stimmt es, dass es explodiert?“
„Komm“, sagte Cassius und hielt sie an den Hüften.
Sie schüttelte den Kopf und sah von ihm weg.
„Hab ich dir nicht von Arkadien erzählt, wie du es wolltest? Und von der Freiheit?“
„Und Malta?“
Cassius nahm die Hände von ihren Hüften und starrte sie schweigend an.
„Ich hab es im Fernsehen gesehen, bei der Herrin. Stimmt es, dass sie Holz nach Malta schaffen mussten, weil es auf der Insel nicht genug Bäume gab, um alle Sklaven an ein Kreuz zu schlagen?“
Cassius schwieg.
„Möchtest du nicht doch etwas Wein?“, fragte sie schließlich.
„Heute Nacht nicht“, sagte Cassius, „die Sonne wird bald aufgehen.“
„Erzähl mir von Cleopatra.“
„Geh runter von mir. Die Nacht ist vorbei.“
„Aber“, sagte sie und drückte ihr Haar auf sein Gesicht, das nach Jasmin roch und nicht nach Ruß und ihr Schoß spielte mit ihm. Als er den Kopf zur Seite brachte, ging die Tür auf und ein breitschultriger Sklave starrte ihn unverwandt an.
„Was erlaubst du dir?“, stammelte Cassius.
„Sie möchte dich sprechen, Prätor“, sagte der Sklave.
Cassius warf das Whiskey-Glas nach ihm, doch der Sklave duckte sich rasch und das Glas zerschellte an der Wand.
„Unverzüglich“, sagte der Sklave und blieb im Türrahmen stehen.

„Leb wohl“, hatte Yoko noch gesagt, als er – das war absolut unrömisch – fast aus ihrem Schlafgemach gezerrt worden war. Sie hatte sich schon wieder angezogen und ein Glas Falerner eingeschenkt, ein Glas nur für sich, aus ihren höchst eigenen Beständen. Zum Abschied hatte ihm Yoko noch einen Blick zugeworfen, der ihn wärmen würde.
Nun stapfte Cassius unter wüsten Verwünschungen diesem Lakaien nach, ging durch Räume, die er nie hatte sehen wollen, und traf sie endlich in einem Saal von titanischen Ausmaßen.
An jeder Wand des Saals hingen Waffen. Römische Schwerter, Piken, Hellebarden, Bögen und Armbrüste, Arkebusen und Blasrohre, Lanzen, Pistolen und Gewehre. Und inmitten des sonst nackten Saals saß sie dort fett wie eine Qualle auf ihrem Diwan. Die Tentakel in Dinge gesteckt, die sie nicht das Mindeste angingen. Fulvia Pompeia Maxima. Purpur! Das Flittchen trug ein Kleid aus reinstem Purpur!
„Was willst du, Weib?“, fragte Cassius. „Und gehst du immer so mit deinen Gästen um?“
„Du bist nicht mein Gast“, sagte sie mit Kasernenhofstimme. Wütend, als sei er der Erste, der es je gewagt hatte, so mit ihr zu reden. „Hab ich das Salz mit dir geteilt? Hab ich das Brot mit dir gebrochen, Malticus?“ Den Namen sprach sie mit einem Abscheu aus, wie ihn nur eine Popularin zu Stande brachte. „Oder hast du mir das Bett gewärmt und die Erfahrung war so unspektakulär, dass sie mir entglitten ist?“
„Ich bin hier nicht das erste Mal“, sagte Cassius. „Aber so wie du dich verhältst, könnte es das letzte Mal sein. Ist es, weil ich dein Schätzchen am Tor nicht bezahlt habe? Es sei dir versichert, ich werde die Summe im Laufe des Tages begleichen. Du hast mein Wort. Sind wir fertig?“
Pompeia erhob sich von ihrem Diwan. So fett, wie er gedacht hatte, war sie gar nicht, das pompöse Kleid hatte ein Volumen angedeutet, das sich nun, als das Kleid zu Boden sackte,
als trügerisch herausstellte. „Wir müssen keine Feinde sein“, flötete sie. „Ich weiß, du bist ein besonnener und gemäßigter Mann.“
Cassius lachte. „Und Malta war die Tat eines besonnen Mannes. Was willst du von mir, Weib? Mein Freund bist du nicht. Eine kleine Erpressung, ist es das?“
„Du musst deine Maske hier nicht tragen. Ruf die Bluthunde zurück, du kannst es. Mäßigung, wir brauchen Mäßigung in Rom! Die Stadt wird brennen, wenn ihr nichts dagegen unternehmt.“
„Was weißt du schon, Weib? Rom ist gesund und stark. Nichts wird passieren.“
„Rom ist der Satan.“
„Was, bei Minerva, ist ein Satan?“, fragte Cassius.
„Beruhig dich doch, ich sehe, es war unklug, dich aus dem Bett deiner kleinen Freundin zu zerren. Möchtest du sie? Ich überlasse sie dir gern.“ Mit wiegendem Schritt kam Pompeia auf ihn zu. „Bitte, trag es mir nicht nach. Ich dachte, wir könnten reden, wie zwei Bürger, denen das Wohl der Republik ehrlich am Herzen liegt.“
„Du bist kein Bürger“, sagte Cassius. „Du bist eine Frau. Und jetzt entschuldige mich bitte, ich habe dem Volk und dem Senat zu dienen!“
Auf halbem Weg nach draußen, Cassius atmete schwer und sein Kopf brummte, fuhr er noch einmal herum und schrie: „Mit ein bisschen Anstand wärst du eine Vestalin geworden, als sich dein Mann, wahrscheinlich aus Scham, das Leben nahm! Keine Puffmutter!“

Im heiligen Zorn des Gerechten stapfte Cassius die Straßen bis zu seiner Villa entlang. Beim Janitor blieb er stehen und beobachtete den schlafenden Greis. Eine Fliege tanzte um seinen zersausten Bart; Cassius lehnte sich gegen eine der Säulen am Eingang. Die Sonne ging auf. Was für eine verfluchte Nacht. Er hatte Servius verloren und auch das Mädchen. Die Sonne scherte es nicht, sie schien auf eine schlafende Stadt, der Triumvir brannte noch in seinem Magen. „Wach auf“, flüsterte er, beugte sich zu dem Alten hinunter und rüttelte an seiner Schulter.
Der Greis schlug die Augen auf und sagte: „Herr, verzeiht. Ich hab euch gar nicht kommen hören“, dann machte er sich am Schloss zu schaffen. „Wo ist Servius? Ich kann mich gar nicht erinnern, ihn hineingelassen zu haben.“
Cassius schwieg und ging ins Haus.
Ein riesiger Nubier machte im Atrium einige Übungen, die an einen Diskuswerfer erinnerten.
„Beim Jupiter, wer bist du denn?“, fragte Cassius.
Der Nubier setzte zu sprechen an.
Cassius winkte ab, fragte: „Meine Frau? Ach, ich will es gar nicht wissen.“
Der Nubier, eine pechschwarze Unverschämtheit sondergleichen, zeigte ein makelloses Lächeln.
„Geh nach draußen und lös den Janitor ab“, herrschte Cassius ihn an. „Deine Verrenkungen kannst du auch dort machen.“
Cassius ging in sein Schlafgemach und legte sich ins Bett. Babset hatte sich halb aufgerichtet und schaute ihn wütend an. Fast war Cassius dankbar, dass seine Frau seit sechzehn Jahren nicht mehr mit ihm sprach.


Irgendwann versuchte jemand ihn zu wecken. Erzählte vom Fluss und einem Schiff und Kameraden und einem Versprechen, bevor er den Anstand aufbrachte zu verschwinden.
Dann Cassia. Gnadenlos wie ihre Mutter. Zerrte ihm die Decke weg wie einem alten Säufer. Blieb neben dem Bett stehen und tippelte überlaut mit hohen Schuhen gegen das Parkett.
„Mutter sagt: Wenn du nicht sofort aufstehst, dann – Juno steh dir bei – stehst du nie wieder auf.“
„Es ist unrömisch“, nuschelte Cassius, „einem Diener des Volks und des Senats zu drohen.“
„Mutter sagt: Es sind schon bessere Männer von ihren Frauen umgebracht worden. Sehr viel bessere und schlankere.“
Cassius öffnete die Augen.
„Komm, Papa“, sagte sie. „Es gibt Strauß mit Spargel. Und heute Abend gehen wir alle ins Theater. Cäsar und Cleopatra! Die ganze Stadt wird da sein!“
Eine frische Toga hing über einem Stuhl, Cassius wuchtete sich aus dem Bett, zog sich die Toga über, blinzelte, als er durchs Atrium lief, und ließ sich schließlich, nach einem gewaltsamen Fußmarsch von einigen Metern, in sein Sofa fallen, wo er – wie seit sechzehn Jahren – nur die Füße seiner Frau neben seinem Kopf hatte. Die rochen nach Minze. Fußcreme.
Cassia lag ihm gegenüber, und Marcus, sein einziger Sohn, saß aufrecht auf einem weiteren Sofa. Das von Servius blieb leer.
Während Cassia und Babset den noch dampfenden Spargel zerpickten, löffelte Marcus Puls, einen widerlichen Essigschleim.
Babset flüsterte etwas, Cassia sagte: „Mama sagt, wenn du das Theater heute Abend sausen lässt, lässt sie etwas auf dich sausen.“
Marcus sah von seinem Puls auf und lächelte. Auch Cassia schien überaus amüsiert. Das leere Sofa von Servius schwieg.
„Lach nicht so, Marcus. Du musst auch mit hin.“
„Ich möchte Cato genannt werden!“, sagte sein Sohn, der natürlich eine Toga trug. Zum Essen. Im Haus. Ohne Amt. Ein Neo-Catoist. Im eigenen Haus. Was hatte er den Göttern nur getan? Reaktionäres, spartanisches Retro-Pack. Politagitateure, die sich nach einer Vergangenheit sehnten, die es, soweit Cassius wusste, nie gegeben hatte.
„Wir möchte alle irgendwas. Ich wäre gern Ringrichter bei den Meisterschaften auf Lesbos“, murmelte Cassius, während er nach etwas Strauß griff.
„Dort lassen sie nur Eunuchen zu“, sagte Marcus.
Flüstern. „Mama sagt, das ist kein Problem.“
Babset hackte eine Spargelspitze mit dem Messer ab.
Flüstern. „Mama fragt, ob ihre Gebete endlich erhöht wurden und du zur Besinnung gekommen bist, den Sklaven nicht mehr am Tisch zu dulden.“
Oh Jupiter. Das sagte ausgerechnet sie. Sie hatte wohl vergessen, dass sie vierzehn Jahre lang mit einem schönen Reif um ihren Hals herumgelaufen war! Wenn er sich nicht in sie verguckt hätte, würde sie heute noch in einem Hinterzimmer über einer Schüssel Mehl hängen und sich mit den anderen Sklavenweibern beklagen, keinen Römer abbekommen zu haben und die Vomitorien ausleeren. Das würde sie. Verdammte Kotzeimer würde sie ausleeren, ohne ihn.
„Servius ist für ein paar Tage runter nach Apulien. Zu seiner Frau.“
Babset schnaubte verächtlich. Flüstern. „Mama sagt –“
„Ich weiß!“, brüllte Cassius und warf ein Stück Strauß auf die Tafel. „Du!“, sagte er und zeigte auf Marcus. „Zieh dich an, wir gehen aufs Forum.“
„Ich bin angezogen!“, erwiderte Marcus.
„Das kommt noch, dass die Leute sich fragen, wer von uns beiden der Prätor ist.“
Flüstern. „Mama sagt: Das kommt gar nicht in Frage. Die Abschlussprüfung ist erst in sechs Monaten.“
„Der Retter der Republik war in seinem Alter schon Feldherr in Spanien.“
„Dann darf ich also endlich zur Armee?“, fragte Marcus.
„Nein!“, schrie Babset mit voller, wohlklingender Stimme. Cassius sah wehmütig auf ihre Füße. Sie waren immer noch wunderschön.

Auf dem Weg zum Forum stellte Cassius fest, dass er und sein Sohn sich nichts zu sagen hatten. Marcus schmollte wohl, so ließ sich diffus vernehmen, dass Cassius im Morgengrauen nicht zum Fluss gegangen war, um eine Horde Rekruten zu verabschieden. Wie er angeblich versprochen hatte.
Unterwegs ließ sich Cassius von einem Barbier rasieren und kaufte einige dalmatische Datteln, von denen er auf dem Weg naschte.
Das Forum war seltsam ruhig, zur Mittagszeit standen hier sonst Scharen von Bürgern, sprachen, fast brüllten sie, über die Götter und die Stadt und redeten auf jeden Mann mit nur einem Flecken Purpur auf der Toga ein, er möge für dieses oder jenes seine Stimme erheben. Die Steuern in Sizilien seien viel zu hoch. Es gäbe einen Potentaten in Ligurien, von dem große Gefahr ausginge. Man solle doch endlich mit den Modernisierungen in der Agrarwirtschaft aufhören, die Sklaven würden sonst fett und faul und verlören stark an Wiederverkaufswert. Und natürlich an einem anderen Tage auch: Gerüchte und Omen. Ein dreiköpfiges Kalb in Capua. Zwei Adler seien durch den Jupitertempel geflogen. Verkehrt herum. Auf Zypern habe die Diana-Statue schwarzes Blut geweint.
Doch heute war nichts zu vernehmen, zwar standen die Bürger dort, aber sie tuschelten, und sobald sich Cassius, wie zufällig, mit Datteln in der Hand einer Traube näherte, verstummten die Bürger und nur eine Mauer aus Rücken bot sich ihm dar.
Cassius ging in die Kurie, noch leer zu dieser Stunde, nur einige Staatssklaven verrichteten geschäftig Dienste, verteilten Formulare und stellten Namensschilder auf. Marcus sah ehrfürchtig in die Kuppel, die über dem Senat schwebte.
„Der alte Cato hätte einen Herzinfarkt bekommen, wenn er das gesehen hätte“, sagte Cassius und lächelte.
Marcus schaute wie ertappt hoch und fragte: „Kommt Onkel Cato heute auch?“
„Das will ich ihm geraten haben, er ist Censor“, sagte Cassius und lächelte mild. „Wenn du willst, stell ich ihn dir gerne vor. Es ist wirklich an der Zeit, dass du am öffentlichen Leben teilnimmst. In drei Jahren kannst du schon kandidieren.“
Marcus musterte ihn misstrauisch.
„Es tut mir leid, dass ich mein Versprechen heute Morgen nicht einhalten konnte, du kennst noch nicht die Mühsal, die das Amt mit sich bringt. Wenn es nach mir ginge“, Cassius fasste sich an die Brust, „dann hättest du heute mit deinen tapferen Kameraden in dem Boot gesessen und wärst aufgebrochen zu deinem Legionsdienste, aber deine Mutter“, stieß er aus und untermalte es mit einer weitfassenden Geste.
Marcus strahlte übers Gesicht wie ein Welpe.
„Kannst du nach draußen auf das Forum gehen und rausfinden, was man sich so erzählt, über einen Vorfall in der Suburba oder was im Hause der Witwe Pompeia so vorgefallen sein … bitte?“
„Du willst, dass ich schnüffle?“, fragte Marcus. „Wie ein Hund?“
Cassius machte einige fahrige Gesten.
„Servius ist nicht nach Apulien zu seiner Frau, oder?“
„Nein, ist er nicht“, sagte Cassius.
„Ich sehe, was ich raus finden kann“, sagte Marcus und ging.
Cassius sah nach oben auf die Glaskuppel und dankte stumm den Göttern. Der Junge war doch von ihm.

Nur langsam füllte sich die Kurie und Cassius erinnerte sich, was Pluto gestern Nacht gesagt hatte. Auf diese Pfeiler war das römische Reich gebaut? Sogar die jungen Senatoren zitterten heute und wirkten bleich, die Wangen eingefallen, die Bewegungen fahrig. Im Gegensatz dazu sein Onkel. Schon lange kahl steuerte er mit raumgreifenden Schritten und flatternder Toga auf Cassius zu. Die Haut so bronzen wie eh und je.
„Censor“, sagte Cassius.
„Ah, Malticus!“, rief der Censor und setzte sich zu ihm.
„Gestern Nacht-“
„Ein bedauerlicher, kleiner Zwischenfall“, sagte er. „Ich habe heute Morgen davon erfahren.“
„Ein Zwischenfall? Er hat einen Brand gelegt, mitten in Rom!“
„Nicht so laut.“
„Bürger sind gestorben.“
Der Censor winkte ab.
„Du musst deinem Hund die Leine anlegen.“
„Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, diese Worte aus deinem Mund zu hören, Malticus“, flüsterte der Censor. „Mein treuer Untergebener schlägt vielleicht manchmal etwas über die Stränge, aber er hat dich mit Respekt behandelt, oder etwa nicht?“
„Die Bürger werden unruhig, wenn solche Dinge in Rom geschehen.“
„Den Bürgern geht es gut, sie essen und trinken und huren wie eh und je.“
„Pompeia sagt-“
Der Censor hob die Brauen. „Eine Frau. Noch dazu eine, die bis mittags schläft. Was schert es uns, was sie zu sagen hat? Es ist wichtig, dass wir ein Exempel statuieren in solchen Fällen. Sieh dir die Männer an“, der Censor schaute verächtlich in die Reihen des Senats, „der Wein und die Hurerei setzen ihnen schon genug zu. Was meinst du, was der Fluch“, der Censor spuckte aus, „Cäsars hier anrichten könnte. Nein, nein. Er hat richtig gehandelt. Es muss im Keim erstickt werden, sollen die Griechen, Ägypter und Perser darunter leiden. In Rom ist kein Platz dafür.“ Nach dieser gewaltigen Rede entfernte sich der Censor und gab den Blick auf Marcus frei, der von diesem Auftritt so bewegt war, als habe er Zeus persönlich in prächtiger Stiergestalt gesehen.

„Heuschrecken in Ägypten!“, sagte der Junge. „Die ganze Ernte ist in Gefahr, sagt man. Die Kornkammer des Reiches.“
Cassius winkte ab. „Weiter.“ Was scherten ihn Ägypter?
„Irgendein Eques ist seit Tagen verschwunden, ein Gaius Fabricius irgendwas.“
Drei Tage alter Klatsch, da waren sie zusammengestanden, all die Optimaten und hatten über das Schicksal eines zu Geld gekommenen Ölbauern diskutiert. Vor drei Tagen - und so etwas schleppte sein Sohn an. Das kam davon, wenn man einen Jungen losschickte, die Arbeit eines Sklaven zu verrichten.
„Das ist nicht irgendein Eques, das ist der reichste Mann Roms.“
„Seine Sklaven sollen nur ein leeres Bett vorgefunden haben.“
„Wahrscheinlich hat ihn beim Herumhuren der Schlag getroffen. Was hast du über die Suburba gehört?“
Marcus zuckte mit den Schultern. „Nicht viel. Ein Brand. Manche sagen, Vulcan habe auf seinen Amboss geschlagen, um das Viertel ein für allemal vom Erdboden zu tilgen.“
Cassius lehnte sich zurück. Konnte er die Lage so falsch eingeschätzt haben? Nur ein Sturm im Wasserglas? Hatte er sich verrückt machen lassen von Servius, einem Sklavenmädchen, ein wenig Feuer und Pompeia? Scherte es Rom so wenig?
„Danke“, sagte er. „Setz dich da drüben hin, und wenn dir langweilig wird, stell dir einfach vor, du bist woanders. Das kann dir keiner nehmen.“
Marcus schaute ihn wie einen Fremden an. „Dies hier ist Herz und Kopf des römischen Reiches. Die größten Männer unserer Zeit sind hier versammelt? Warum sollte irgendjemand bei klarem Verstand woanders sein wollen?“
„Wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen“, sagte Cassius ernst.

Ein Optimat redete, seit Stunden schien es, salbungsvoll über einen großen Vorfahren und warum genau er so groß gewesen sei, dass man ihm, seinem bescheidenen Nachkommen, nun nach all den zahllosen Jahrhunderten, in denen das Reich ja so viele hervorragende Männer hervorgebracht hatte, nun doch noch gestatten sollte, ihm zu Ehren eine Munera –
Und so weiter. Cassius war fast eingedöst. War dort oben an der Kuppel nicht ein kleiner Riss?
Die Popularen waren heute auch seltsam ruhig, normalerweise schrien sie bei solch einer Gelegenheit nach jedem zweiten Satz empört auf. Schrien etwas wie: „Na, hat deine Familie in den letzten 400 Jahren keinen Besseren hervorgebracht?“ oder „Oh ja! Ich habe gehört, er soll die Bruttier unterjocht haben! Alle beide!“, aber davon war heute nichts zu merken. Selbst sie musste er in den Schlaf geschwallt haben.
Nur Marcus saß in der ersten Reihe, streng wie eine Fichte, und lauschte mit durchgedrücktem Rückgrat jedem Wort des Redners, der dort unter der Kuppel stand, die ihm keinen rechten Glanz verleihen wollte.
Dann stießen zwei Hände in die Höhe, aus dem riesigen Meer der Popularen.
„Hört, hört!“, skandierten sie, obwohl noch keiner etwas gesagt hatte, und ein unverschämt gutaussehender Senator stolzierte unter die Kuppel.
„Freunde, Römer, Mitbürger!“, deklamierte der blutjunge Mann, er konnte kaum älter als Marcus sein, aber wie, beim Jupiter, war er dann Senator? Es spielte keine Rolle, er drängte den grauen Optimaten vom Platz und setzte an: „Dunkle Wolken ziehen dräuend über dem goldenen Reiche auf!“ Wie ein Priester hob er seine Arme zum Himmel.
„In Ägypten verdunkelt ein Schwarm von Heuschrecken die Sonne und frisst die vollen Teller leer!“
Cassius dachte angestrengt über einen unflätigen Zwischenruf nach, aber es fiel ihm nichts ein.
„Vater Tiber hat sich erhoben und ein Schiff mit Roms tapfersten und edelsten Kindern – Unseren Söhnen! - zu sich in die Tiefen gerissen.“
Ein Raunen ging durch den Senat. Das war neu. Einige der Senatoren mochten tatsächlich Söhne auf diesem Schiff gehabt haben. Beim Jupiter. Das war das Schiff, zu dem ihm Marcus schleppen wollte.
„Und in der Nacht gehen schwarze Männer durch die dunkle Stadt und zerren friedliebende Bürger aus ihrem Bett! Erschlagen sie an Ort und Stelle! Verbrennen alles, was ihnen im Leben lieb und wichtig war, und lassen nichts zurück außer Asche und Ruß!“
Ha! Fast hätte Cassius laut aufgelacht!
„Oh Jupiter!“, schrie der Redner und schaute theatralisch wie der große Andronicus nach oben. „Oh Jupiter! Warum hast du uns verlassen?“
Dann ein Klirren und Reißen. Der Redner wie erstarrt. Glassplitter hagelten nach unten. Ein schweres Etwas donnerte nach. Senatoren schrien auf. Cassius hatte den Mund geöffnet. Die Luft schmeckte nach Staub.
Übermannsbreit klaffte eine Lücke in der Kuppel. Als Cassius den Blick endlich von ihr lösen konnte, sah er, dass ein Mann auf den goldenen Redner gefallen war und ihn zerschmettert hatte.
Der Senat, die edelste Körperschaft auf Jupiters weiter Erde, flatterte wie eine Schar fetter Gänse mit den Flügeln. Einige flüchteten zum Ausgang, andere zerrauften sich das Haar und einer schrie: „Fabricius! Jupiter steh uns bei! Es ist Fabricius!“
Fabricius? Der reichste Mann der Welt? Was, bei Neptuns blankem Hinterteil, ging hier vor sich?
Cassius spürte eine Hand auf seiner nackten Schulter. Als er sich umdrehte, sah er in das Gesicht seines Onkels. Es war bleich.

„Nein, Onkel! Nein!“ Sein Schreien hallte von den dunklen Wänden des Hinterzimmers wider.
„Du wirst tun, was man dir sagt!“
„Ich hab einmal getan, was du mir gesagt hast, und das ganze Reich hasst mich dafür!“
„Papperlapapp!“
„Verlang das nicht von mir, meinem Vater zuliebe!“
„Verlangen? Ich? Ich hab noch gar nichts von dir verlangt, der Senat und das Volk verlangen es von dir!“
„Ich werde das nicht tun. Such dir jemand anderen, deinen Bluthund, nimm den!“
„Du bist der Prätor, du wirst für Recht und Ordnung auf Roms Straßen sorgen. Wir mobilisieren zwei Legionen, sie sind in vierundzwanzig Stunden hier. Wenn morgen um die Zeit da draußen irgendjemand, gleich wer, am Senat oder dem Volk von Rom zweifelt,-“
Cassius schüttelte den Kopf. „Ich hab damit nichts zu tun, beim Jupiter! Ich werde nicht sinnlos Männer und Frauen niedermetzeln, nur weil du ein Exempel statuieren willst!“
„Dignitas!“, schrie der Censor mit hochrotem Kopf.
„Ich mache es nicht!“
„Du wirst die Legionen befehligen, Prätor.“
Cassius schwieg.
„Vierundzwanzig Stunden. Erhol dich doch bis dahin“, sagte der Censor. „Geh doch mal ins Theater, verheirate deine Tochter, lass deine Toga waschen, in vierundzwanzig Stunden wirst du dir deinen Namen verdienen, Malticus.“

Als er das Zimmer verließ, war die Kurie fast leer. Nur Marcus, der tapfere Marcus, saß wie angewurzelt auf seinem Sitz, die beiden Leichen lagen noch dort, umschlungen wie ein Liebespaar, und eine Schar von Staatssklaven irrte eilfertig umher wie Hühner, denen man den Kopf abgeschlagen hatte.
Mit einem Wink orderte Cassius sie herbei. Zeigte auf einen nach dem anderen und gab Anweisungen. Als er fertig war und die Sklaven wie eine Taubenschar ausgeflogen waren, erhob sich sein Sohn und ging auf ihn zu.
„Ich bin stolz auf dich, Prätor“, sagte er knapp. „Wie du im Angesicht des Chaos-“
Cassius schaute ihn mit leerem Blick an.
„Was soll ich tun?“
„Wir gehen nach Hause, verheiraten deine Schwester, gehen ins Theater und lassen unsere Togen waschen.“

Rom brannte, als sie nach Hause gingen. Kein Feuer loderte, aber die Gemüter der Männer auf den Straßen waren entflammt. Eine Hungersnot in Ägypten – unangenehm, aber ein Problem, um das sich andere scheren konnten, zu einer anderen Zeit. Ein Feuer in der Suburba, Gerüchte von ein paar toten Sklaven – schon spannender. Ein Schiff mit römischen Jungen aus der Oberschicht, die künftigen Offiziere der Legion allesamt tot – Staatstrauer, zwei Tage lang, ganz und gar ein schlechtes Omen. Aber der reichste Mann der Welt stürzt durch die heilige Kuppel mitten in eine Senats-Sitzung und das alles innerhalb von einem Tag – die Götter hatten gesprochen, Rom war dem Untergang geweiht.
An jeder Ecke schrien Männer, stiegen auf Podeste und brüllten falschen Zorn über echtes Unrecht in die Welt hinaus. Auf jedem Bildschirm, der zu sehen war, in Auslagen von Geschäften, flimmerte Malta. Die gekreuzigten Sklaven zu Tausenden. Bei jeder Staatskrise konnte man die Bilder sehen. Kreuz an Kreuz. Der Untergang Maltas.
Und Cassius fragte sich, den ganzen langen Weg über nur eins: Cui bono? Wem nutzte es, wenn Rom brannte? Kein Popular wäre so dumm, mit solch einem Feuer zu spielen. Sie hatten ihre Villen, ihre Huren, ihre Ländereien, stellten einen Konsul und einen Censor. Und kein ausländischer Statthalter war mächtig, klug oder stark genug für so ein Cäsarenstück. Wem, beim Hades, nutzte es, wenn Rom brannte?

Am Tor wartete der Greis auf ihn mit mildem Lächeln.
„Herr“, sagte er.
Irgendetwas stimmte nicht, dachte Cassius. Er hatte doch den Nubier - war es jetzt schon so weit, dass man im eigenen Haus nicht mehr auf ihn hörte!
„Du wartest im Atrium, die ganzen Sklaven werden nach und nach hier eintrudeln, sie sollen warten. Gib ihnen was zu essen und zu trinken, ich werde ihre Berichte dann gesammelt entgegennehmen“, sagte Cassius hastig.
Er raffte die Toga, stolperte durchs eigene Haus an Sklaven und Wandbehängen vorbei, stürzte in Cassias Zimmer und tatsächlich! Dort lag seine Tochter. Und der Nubier auf ihr!

„Du!“, schrie er. „Du kannst dir schon mal überlegen, ob du ein Fichten- oder Kiefernkreuz willst!“
Der Nubier fiel fast von Cassia herunter, was durchaus etwas Komisches hatte. „Und du! Du kannst schon mal singen üben. Du wirst Vestalin!“
Der Nubier raffte seine Sachen zusammen – die Hosen hatte er ohnehin noch anbehalten – und flüchtete aus dem Zimmer.
Seine Tochter starrte ihn vom Sofa aus an, marmorne Brüste, bei der dreimal verfluchten Venus!
Cassius riss den Kopf zur Seite. „Zieh dir was an! Schnell!“
„Ich hasse dich.“
„Glückwunsch. Du gehörst der überwältigenden Mehrheit an“, murmelte Cassius und starrte auf ein Bücherregal. Frauen lasen die ganze Zeit, furchtbar, aber was sollten sie sonst auch groß tun?
„Du willst ihn doch nicht wirklich-“
„Unsinn. Ich verkauf ihn. Man kann ihm ja kaum einen Vorwurf machen, jeder Sklave will eine Römerin heiraten. Und jede Sklavin einen Römer, frag mal deine Mutter.“
„Ich liebe ihn.“
Cassius lachte auf.
„Kein Wunder, dass Mutter dich so hasst. Was du ihnen auf Malta angetan hast.“
„Ich?“, Cassius wandte sich um, sie hatte die Decke nach oben gezogen. „Weißt du, warum deine Mutter mich hasst? Deinetwegen.“
Cassia schluckte.
„Als du zur Welt gekommen bist, gab es Komplikationen bei der Geburt. Deine Mutter, die liebreizende Euphemie, hat verlangt, dass ich dem griechischen Sklaven, der dich zur Welt gebracht hat, bei lebendigem Leib das Herz rausreiße, weil er sie so entstellt hat.“
„Du lügst doch!“
„Wir können ja mal deinen kleinen Bruder fragen? Oder deine kleine Schwester? Hallo? Hallo?“ Cassius vergrub den Kopf in seiner Hand, die Stirn war heiß. „Sie ist unfruchtbar seit damals.”
„Du bist ein Satan.“
Cassius hob eine Hand und ließ sie sinken. „Natürlich, deine Mutter ist die Gute. Verschweigen wir es noch mal sechzehn Jahre. Komm, geh zu ihr, und sag ihr, dass du einen Sklaven heiraten möchtest. Da ist die Tür.“
Cassius atmete schwer. Er ging einen Schritt auf das Bett seiner Tochter zu, hob die Hand, wie um ihr über den Kopf zu streicheln, doch sie schreckte zurück.
„Wein nicht“, sagte er. „Mach dich schön fürs Theater. Da sind bestimmt viele nette, junge Bürger da. Irgendeiner wird dir bestimmt gefallen.“
Sie schwieg. Cassius ging.

Im Atrium ließ sich Cassius auf ein Sofa fallen, lehnte den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
Schon sah er sich durch Roms Straßen marschieren. Und hinter ihm, im Gleichschritt, das Trampeln tausender und abertausender Legionäre. Prächtig anzusehen, im Felde ohne Feind. Sie rammten das Schwert in römische Leiber, schlugen Kinder mit der flachen Hand tot und donnerten Roms Strafgericht in die Welt hinaus. Knöchelhoch stand das Blut purpurn in den Gassen. Und er ging den Legionen voran. Er war der Erste, der eine Tür eintrat, seine Hand ins Haar eines Knaben drückte und das Schwert tief ins Fleisch Roms -
Als Cassius die Augen wieder öffnete, stand Babset vor ihm und warf ihm mit Kopfschütteln einen Brief auf die Brust.

Cassius las das Schreiben, las es noch einmal, las es ein drittes Mal.
Ein Sekretär von Pompeia hatte es verfasst: Höchst ungewöhnliches Anliegen. Bitten um Kenntnisnahme. Sklavin unserer guten Herrin. Mischling unbekannter Abkunft. Verstorben. Teilen das aus der Güte unseres Herzens mit. Verschwiegenheit.
Cassius fragte sich, wie viele dieser Briefe heute in Rom unterwegs waren. Stumm hoffte er, das möge der einzige sein.
Dann dachte er andere Sachen, die ihm noch weniger gefielen: Wegen Arkadien. Sie hatte von Freiheit gesprochen und er hatte ihr von Lisboa erzählt und von Malta geschwiegen. Sie musste ihn gehasst haben wegen Malta, wie konnte man ihn nicht hassen?
Malta und der griechische Arzt. Die zwei schlimmsten Dinge im Leben, die er nie getan hatte, und sie raubten ihm die zwei Frauen, die er geliebt hatte. Und morgen? An morgen war nicht zu denken. Morgen um diese Zeit hatte er zwei Legionen hinter sich und ganz Rom läge auf dem Richtblock. Morgen um diese Zeit würde er der Mann sein, für den ihn jetzt schon alle hielten. Morgen wäre er ein schwarzer Mann. Ein verdammtes Schreckgespenst der Republik. Vielleicht würden sie ihn Romulus nennen. Oder Massenmörder.
„Marcus“, schrie er. „Bring Wein.“

Die Sklaven trudelten ein, Cassius trank.
Sie berichteten, die Identität des toten, goldenen Senators sei noch ungeklärt. Niemand habe ihn gekannt. Cassius trank.
Sie berichteten, im Hause des reichen Gaius Fabricius seien keine Ungereimtheiten festgestellt worden, allerdings sei ein Lagerhaus desselben in Flammen aufgegangen, kurz nach den Geschehnissen im Senat. Sie berichteten, Einwohner sprächen vom Fluche Cäsars. Fabricius habe halb Rom beliefert. Sie spuckten aus. Cassius trank.
Sie berichteten, der kürzlich verstorbene Senator Quintus Maius, der Eber, habe neben der Insula in der Suburba ein großes Anwesen auf dem Esquilin besessen, dort seien, in seinem Arbeitszimmer, wirre Aufzeichnungen gefunden worden, die von Sklavenhalsbändern handelten. Eine flüchtige Inaugenscheinnahme von Experten habe den ersten Eindruck bestätigt: Es sei wirrer Unsinn.
Cassius verscheuchte die Sklaven und starrte in den Himmel. Seine Amphora war leer.
„Marcus, mehr Wein!“, schrie Cassius.
Marcus kam zu ihm und sagte: „Die Frau sagt: Vergiss es. “

In der Sänfte herrschte Schweigen. Babset trug ein flammendrotes Abendkleid, Cassia ein himmelblaues.
„Ist es nicht fantastisch?“, sagte Marcus. „Rom. Keine Industrie hier, keine Kraftfahrzeuge. Es ist ein Traum von einer Stadt. Über dieselben Straßen haben sich unsere edlen Vorväter tragen lassen.“
Die Sklaven trugen die Sänfte mit gleichmäßigem Schritt, Cassius vergrub seine Hände im Stoff, der fast überall zu sein schien.
Die Straßen waren beängstigend ruhig. Rom setzte zu einem gewaltigen Schrei an. Und er wäre es, morgen schon, der ihr das Maul stopfen würde. Aus den Insulae reckten sie ihm die Köpfe entgegen. Fast meinte Cassius, er könne hinter die dünnen Wände sehen, wie dort Schwerter poliert würden, und alte Waffen, und wie die Frauen die Messer wetzten, und die Männer Chemikalien anrührten.
„Was wird gegeben?“, fragte Cassius.
„Cäsar und Cleopatra“, sagte Cassia kühl und spuckte draußen auf die Straße.
„Na, klasse. Propaganda“, sagte Cassius. Babset trat ihm gegen die Wade.
„Andronicus spielt“, sagte Cassia.
„Wen? Die Cleopatra?“
„Den Cäsar“, sagte sie und spuckte auf die Straßen der herrlichsten Stadt auf Jupiters weiter Erde.
Cassius versank in dumpfes Grübeln. Wenn er ganz still war, konnte er schon die Legionen einmarschieren hören. Beim Jupiter, er musste die Frauen heute noch aus der Stadt schaffen. Schlimm genug, dass Cassia wirklich an Malta glaubte. Sie musste nicht in der ersten Reihe sitzen, wenn ihr Vater-

Cassius grübelte noch, während sie die Plätze einnahmen. Ganz Rom sollte kommen, hatte es geheißen. Die Ränge waren fast leer. Bis in die erste Reihe schleppte Babset ihn, dass man den Schweiß der Schauspieler noch riechen musste.
Marcus saß links, Cassia rechts von ihm, und jedes Mal, wenn Cassius sich tiefer in seinen Sitz fallen oder gar die Augen schließen wollte, drückte ihm Cassia, auf Geheiß ihrer Megäre von einer Mutter vermutlich, den Ellbogen tief in die Rippen.
Cassius hatte das Stück schon oft gesehen. Andronicus gab den Cäsar als lüsternen Stelzbock, der über seine Toga stolperte und jedes Mal versuchte, Cleopatra an die Wäsche zu gehen, wenn sie sich ihm auf Armlänge nährte. Der Mann, der Cleopatra spielte, hatte wenigstens seine Beine rasiert, und tat nicht viel mehr, als großspurig daherzureden: „Durch dich werde ich die Welt regieren und unsere Nachkommenschaft wird herrschen über ein Land vom Nil bis zur Themse!“ Die Opiumsucht blendeten sie aus, allein dank ihrer Reize war es Cleopatra gelungen, sich einen triebgesteuerten Feldherren untertan zu machen. Cäsar trug, um seine Verderbtheit darzustellen, das ganze Stück über eine Toga aus reinstem Purpur. Und an einer Stelle hüllte sich sogar Cleopatra in ein purpurnes Gewand. Sogar die verdammte Schlange war purpur.
Um sich abzulenken, versuchte Cassius zu erkennen, ob einige der Nebendarsteller auf Malta dabei gewesen waren. Nach dem Theater würde er trinken. In der Sänfte schon. Niemand konnte es ihm verbieten. Er würde Dignitas bewahren. Die verdammte Dignitas, aber niemand konnte einem vorschreiben, dabei nüchtern zu sein.
Bei der finalen Bettszene, Andronicus fasste dem anderen Mann ans Knie, flüsterte Cassia in vertraulichem Ton zu ihrer Mutter: „Es wär doch viel aufregender, wenn sie Frauen mitspielen ließen.“ Durch Cassius jagte der Blitzschlag Jupiters.

Er fasste grob nach dem Handgelenk seiner Tochter, die starrte ihn aus Rehaugen an: „Wie hast du mich vorhin genannt? Was war das für ein Wort?“
„Was denn?“
„Ich dachte erst, du meinst Satyr, aber es war etwas anderes. Was war das?“
„Satan“, flüsterte sie ängstlich.
„Was ist das? Ist das ein Kult?“
Cassia schluckte schwer. Cassius drückte ihr einen Kuss auf die Wange und stand, während sich Cleopatra die gewaltige, zischende, purpurne Schlange an die Brust hielt, auf. Cassius rief mit fester Stimme, Babset versank aus Scham in ihrem Sessel.


Cassius riss das Tor zu ihrem Saal weit auf, dort saß Pompeia, die Beine über Kreuz geschlagen, auf ihrem Diwan und lächelte ihn an. Eine Amphora und zwei Weinbecher standen auf einem Tisch vor ihr und ein sanfter Rauchschleier verfing sich in den gewaltigen Hallen ihres Salons.
„Ich wusste, du kommst zu Vernunft“, sagte sie. „Komm doch näher.“
„Was hast du nur getan? Bist du von Sinnen, Weib?“
„Aber bitte“, sie winkte ab. „Deine Wut über den Tod der schönen Dame ist mir wohlbekannt. Auch ich trauerte lang um meinen so früh verstorbenen Gemahl. Aber von Sinnen war ich doch nie.“
„Der Falerner war vergiftet. Ich sollte eine weitere Säule deiner kleiner Aktion sein, nicht wahr? Der grausamste Senator der Republik bringt sich zusammen mit einer Hure, einer Sklavenhure, um.“
„Du redest wirr“, sagte Pompeia. „Ich schwache Frau? Was habe ich mit den Angelegenheiten draußen in der Welt zu schaffen?“
„Deshalb warst du noch wach, und deshalb warst du so außer Fassung. Du hast versucht zu improvisieren.“
„Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich denke, es ist an der Zeit, dass du uns wieder verlässt.“
„Fabricius war ein Meisterstück. Der halbe Senat hängt an seiner Spritze und ohne das Opium sind sie kaum in der Lage, sich die Sandalen zu schnüren, geschweige denn ein Reich zu führen. An wen werden sich die Bürger wenden, wenn die Republik zusammenbricht? Wenn Jupiter selbst die heilige Kuppel durchbricht?“
„Von wem sprichst du denn da?“
„Aber was war mit dem fetten Senator in der Suburba? Warum gerade er?“ Cassius erhob die Stimme und schrie: „Pluto. Willst du es uns vielleicht sagen?“
Der kleine Mann in Schwarz kam, Applaus spendend wie im Theater, hinter einem Vorhang zum Vorschein. Pompeia stürzte einen Becher Wein die Kehle hinunter.
„Er war ein Lügner“, sagte er.
Pompeia ergänzte fahrig: „Er hat versprochen, eine Apparatur zu bauen, mit der er Sklavenhalsbänder abschalten kann. Im ganzen Reich.“
„Und als das nicht klappte, habt ihr ihn benutzt, um etwas Staatsautorität zur Schau zu stellen.“
„Ich hab dir doch gesagt, er ist ein Römer der alten Schule“, sagte Pluto. „Sie wollte mir einreden, du seiest so ein verweichlichtes, dekadentes Söhnchen. Ich habe ihr gesagt: Jemand, der die ganze Bevölkerung von Malta ans Kreuz schlagen lässt, ist aus einem anderen Holz geschnitzt! Sie hat gesagt, sie hätte gehört, ganz Malta wäre ein Schwindel gewesen! Humbug, eine Illusion, Augenwischerei! Das wären Schauspieler gewesen auf Malta!“
Pompeia strich sich fahrig über das Haar und leckte ihre fleischigen Lippen.
„Er versteht nicht einmal das ganze Ausmaß. Die Plagen. Er versteht es nicht mal. Die Erstgeborenen, die Heuschrecken in Ägypten, das Meer wird sich rot färben! Die Tochter Gottes, des Gottes von Abraham! Die Plagen! Er sieht es nicht. Er ist zufällig hier! Der Wille meines Vaters und er ist zufällig hier!“
„Weiberkram“, sagte Cassius und winkte ab. „Satan, was soll das überhaupt sein? Das ist doch unrömisch, sogar für eine Frau. Du solltest dich schämen.“ Er musterte Pluto. „Bringen wir es zu Ende?“
„Ja, natürlich“, sagte Pluto. „Ein Zweikampf. Römer gegen Römer. Schwert gegen Schwert.“
„Unsinn!“, schrie Pompeia schrill. „Wachen! Wachen!“
Das Haus schwieg. Schließlich zeigten sich einige Männer gesetzten Alters im Torbogen, die Schwerter gezogen und von Blut beschmiert.
„Wer? Wer ist das?“, stammelte Pompeia. „Die Legionen sind Tagesmärsche entfernt.“
Die Männer kamen zur Tür herein.
„Ich will dir sagen, wer das ist: Das sind die Väter der Söhne, die heute morgen in ein Boot gestiegen sind.“
Pompeia stürzte den zweiten Becher Wein hinab.
Pluto ging mit wehender schwarzer Kutte an eine Wand des Saals, löste zwei Schwerter aus den Halterungen und warf eins Cassius zu, der fing das Schwert am Knauf.
Pluto lockerte die Schultern und tänzelte lässig.
Cassius lächelte.
Pluto starrte ihn an, die Farbe wich ihm aus dem Gesicht. „Oh Nein. Ich bin Bürger!“
Cassius ließ das Schwert fallen, griff unter seine Toga, verhedderte sich im Stoff, schaffte es aber, die schwere Pistole zu ziehen.
Pluto rannte auf ihn zu, das Schwert zum Stoß erhoben, Cassius kniff ein Auge zu und feuerte. Einmal. Zweimal. Dreimal.
Putz bröckelte von der Wand hinter ihm, Pluto fiel.
Pompeia wuchtete sich aus ihrem Diwan hoch und stürzte auf den toten Pluto zu, auch Cassius rannte nach vorne. Pompeia griff nach dem Schwert, schrie: „Oh Vater! Nimm deine Tochter und lass sie auferstehen wie-“
Da trat ihr Cassius das Schwert aus der Hand. „Du stirbst wie eine Frau“, sagte er. „Marcus! Bring die verdammte Schlange!“

Als alles vorbei war und jedes Feuer verraucht, fand Marcus ihn in Yokos Zimmer sitzend. Er hielt einen Becher mit Wein in der Hand und schaute aus dem Fenster auf die schlafende Stadt.
Marcus warf sich in Pose und sprach fester Stimme: „Du bist ein Held, Vater. Ich bin stolz, deinen Namen zu tragen. Marcus Cornelius Malticus. Mögen die Götter mir beistehen, dass ich, gleich dir, die Feinde des Senats und des Volkes mit Feuer und Stahl richte.“
Cassius schwieg und schwenkte das Glas mit dem purpurnen Falerner.

 
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Hallo,

Nun dachte ich, ich muss mir mal diesen Purpur anschauen, den hast du ja ein paar Mal erwähnt. Und man muss sagen, es ist wirklich ein geiler Text.
Freut mich natürlich, das ist für mich ein wichtiger Text damals gewesen, ich hab da viel raus gezogen, ich hab ihn jetzt noch 2,3 mal gelesen, nach deinem Kommentar, und mir sind jetzt wieder ein paar Sachen klar geworden, weshalb er damals wohl nicht so ankam.
Ich mag den auch sehr gern.

Das ist ja fast ein neues Genre, das du hier erschaffen hast. Rompunk könnte man es nennen. Oder gibt es so was schon?
Das ist Alternative-Historie, da gibt es einiges in der Richtung, meistens sowas wie „Was wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten“ oder „Was wenn die Südstaaten den Krieg gewonnen hätten“. Das ist ein sehr interessantes, unheimlich weites Feld natürlich. Ich weiß nicht, ob es das mit Rom schon gab, ich kenne nichts dergleichen.
Die Idee hier ist: Was wenn Cäsar zusammen mit Pompeius gestorben und wenn die römische Republik nie untergegangen wäre. Das ist schon ein inspirierendes Feld. Diese alternative Historien-Sachen sind unheimlich ergiebig. Ich nehme an, das wird auch früher oder später ein großer Trend werden. Es ist ja heute oft schon ein Bestandteil, diese „What if“-Szenarien.

dieses Gespräch über das mythische Arkadien, das hab ich dann gegoogelt, Arkadien an sich schon ein tolles Wort.
Ja, es ist bei den Namen natürlich auch viel Freiheit. Arkadien gegoogelt … Kaledonien hätte man auch nehmen können. Hier Arkadien. Cassius ist eigentlich auch kein Vorname, sondern ein Nachname, also da kann man sich schon Freiheiten nehmen, wer weiß schon, wie sich das in 600 Jahren entwickeln würde, von Cäsars Tod bis zu der Zeit, in der die Geschichte spielt. Auch das mit „Pluto“ ist eine sehr gewagte Idee.

und wie du sie beschreibst, auch der schöne Janitor (!) vor dem Puff
Während das hier, soweit ich weiß, komplett historisch ist. Sollte man gar nicht meinen, aber ja.

Cassius ist eine ganz tolle Figur, da hat er keinen Plan, wie er mit der Tochter umgehen soll, das kann der Sklave besser ... richtig zerrissen ist er, der leidet unter seiner Stellung und hat keinen Draht zu der Familie, ist aber stets bemüht, auch mit dem Sohn ... Cassius ist sympathisch, den verfolgt man gerne, das ist gut.
Das war mir wichtig, auch dass man merkt, dass es schon eine andere Figur ist, die zerrissen ist in diesem Wunsch, seine Pflicht zu erfüllen und Dignitas zu zeigen (also Haltung, Würde) und gleichzeitig aber auch moralisch zu sein. Und dann ist halt dieser Kompromiss, den sein Vater ihm einpflanzt: Mach doch gute Mine. Wenn du jemanden umbringen musst, ist das okay, solange es dir nicht gefällt.

. Auf jeden Fall eine ganz tolle Story, du weißt ja, dass Bozo mir gefallen hat, dieser Text erinnert daran, die Intrigen, auch Yoko und die Frau mit den roten Haaren, dieses Gespräch, das die Liebhaber führen, da gibts Ähnlichkeiten ... aber es ist halt viel umfassender und größer und tiefgreifender als Bozo. Besser könnte man auch sagen.
Bozo ist viel disziplinierter und klarer, überschaubarer als das hier. Ich mag das hier auch lieber. Das ist halt … in Bozo hat die Frau 3 Sätze oder so. Da ist es nicht schwer, dass da jeder sitzt und eine bestimmte Note hat. Hier hat Yoko 30, 40 Sätze. Und es gibt einen fast skurril überladenen Plot da … also ich hab das noch mal gelesen, musste dringend alles ein bisschen entzerrt werden.

Ich frag mich jetzt, warum da manche nicht reingekommen sind.;
Ich hab mich das auch gefragt, ich war damals auch relativ enttäuscht, weil ich dachte: Wow, das ist es jetzt. Quantensprung. Und die allgemeine Reaktion war ja so ein: Hmmm.
Das hat mich schon beschäftigt, das ist ein Text, bei dem ich auch die Reaktion nie so verstanden habe, bis jetzt. Ich glaube dem Text fehlt es einfach an Redundanz und an Plateaus, auf denen der Leser mal kurz durchschnaufen kann.
Es gibt ja auf der Seite oft mal Experimente über ein paar Seiten, die Leute dann begeistern, obwohl die formal anstrengend sind, und der Text war das wohl inhaltlich.
Das ist auch weil die Szenen so kurz sind, wechseln die Emotionen dann schnell, bestimmte Informationen kommen überhaupt nur einmal, es ist ein Detail-Wust auch, also ich versteh mittlerweile ganz gut, warum der Text nicht ankam. Der müsste auf jeden Fall gestreckt werden, der ist in der Form zu konzentriert. Da hast du ja in einer Szene einen Mord und 2 Zeilen später sitzt er schon gut gelaunt am Frühstückstisch, das wären in einem Roman immer Seiten dazwischen. Und es ist halt wirklich viel drin. Und super-schön stilistisch ist es auch nicht immer.
Also ich hab’s gestern nacht noch mal gelesen und fand’s auch wieder saugeil, aber da ist mir zum ersten Mal richtig klar geworden, was für Probleme der Text hat, ich hab noch bisschen was dran gemacht, bisschen Redundanz eingebaut, paar Plateaus, aber das Ding ist halt viel üppiger als Bozo oder so. Ich hab mal was geschrieben, da hat Andrea dazu gesagt ,es wirke wie ein aufgedonnertes Disney-Märchen, so ein überladenes, deftiges Ding, und die Geschichte ist ja noch viel fetter.

aber natürlich auch weil er ein Senator ist, der um ein Image bemüht ist. Aber natürlich leidet er, als der Sklave umgebracht wird, und auch bei Yoko.
Ich hab versucht das zu verstärken noch mal. Das ist tatsächlich diese „Dignitas“, das hat man auch in östlichen Kulturen, dass man im öffentlichen Raum unbedingt das Gesicht wahrt. Hab ich heute erst über Russland gehört. Über Japan weiß man das ja auch. Und das ist etwas sehr Römisches. Haltung, Würde, Stolz. Das ist keine Option, da eine Szene zu machen, aber es nagt ja an ihm.
Man sieht das, glaub ich auch, dass der Cassius anders ist, je nachdem mit wem er spricht, wer in seiner Nähe ist. Das ist schon was, das mir immer wichtig ist, dass Menschen sich in verschiedenen Rollen anders verhalten.

Und am Ende nimmt er sich das Leben sogar. Sein Sohn wird das überhaupt nicht checken – er denkt er ist jetzt ein Held
Ich weiß nicht, ob er sich wirklich umbringt. Es ist eine Möglichkeit, er spielt sicher auch mit dem Gedanken, aber ich glaube, er ist nicht der Typ dafür. Er schwenkt das Glas nur, er trinkt es nicht.
Ich denke der Sohn ist schwierig, es ist ein sehr schwieriges Verhältnis, das sie da haben könnten. Ich mein, der ist da in dem Zimmer, in dem er Yoko immer gebürstet hat. Und zu einem Gutteil gibt er sich natürlich die Schuld an ihrem Tod. Und da kommt sein Sohn und erklärt ihm, was für eine Stütze der Republik er schon wieder ist. Und er kann natürlich auch gar nicht mit ihm reden. Ist ja die Szene, wenn er ihm diesen weisen Rat seines Vaters gibt. Und der Sohn guckt ihn als, als hätte er sie nicht mehr alle. Die haben einen komplett verschiedenen Blick auf die Welt.
Du sagst ja, ob man da nicht mehr zu schreiben könnte, ich hab auch mit dem Gedanken gespielt, und es ist dann immer diese Dynamik hier. Ich glaub beiden geht es darum, das Richtige zu tun. Nur geht es Cassius vielleicht um das persönliche Richtige und Marcus um ein öffentliches Richtige. Und nur weil in dem Fall beides ident ist (nämlich die Verschwörung zu zerschlagen), muss das nicht zwangsläufig in anderen Fällen auch so sein.

dann geht er natürlich zu Yoko, die ihn für einen Massenmörder hält, aber halt auch eine Sklavin ist; dort kann er sich auch entspannen und ein bisschen reden, da geht's auch gar nicht so sehr um Sex, oder jedenfalls nicht ganz, habe ich das Gefühl
Ganz bestimmt. Das ist eher so eine Mätressen-Dynamik, die er da hat, so eine Nebenfrau, keine Prostituierte. Es geht sicher auch um Sex, aber auch darum, dass ihm da wer zuhört, glaub ich. Das sind ja auch so Spiegel-Situationen. In dem Zimmer geht es nur um ihn und sie. Da ist sonst nichts. Und seine Frau spricht nicht mal mit ihm, die guckt ihn nicht an, da kriegt er null Zuwendung. Von niemandem in diesem Haus. Die innigste Beziehung, die er da zu wem hat, ist zu dem alten Janitor.

Da mit den Halsbändern, diese Attrappe, die gebaut wurde. War das wirklich nur irgendeine unsinnige Idee, oder überlese ich da was? Wie passt das in Pompeias Plänen?
Der dicke Senator hat behauptet, er könne in der ganzen Republik die Sklavenhalsbänder ausschalten, und Pompeia hat dann mit einem Sklavenaufstand geliebäugelt, es stellte sich aber schnell raus, dass der Senator das nicht konnte und dann wurde er beseitigt.
Das sind halt so Plotpunkte, da hab ich mich auch gefragt, eigentlich braucht das mehr Szenen, also das sind die Sachen, die hier im Botenbericht kommen, normal müsste man mal zeigen, wie ein Sklave versucht, sich das Band abzureißen und da müsste man mal genauer darauf eingehen, aber das ist halt auch so manchmal, dass die Gedanken, die ich mir zu der Geschichte gemacht habe, zu viel sind für den Text. Also das ist ja schon sehr ekkletistisch alles. Halsbänder, die explodieren, wenn man versucht sie abzunehmen. Das ist so ein typischer B-Movie-SF-Kram.

Das verstehe ich so, dass er unbedingt Cassia retten wollte und der Arzt deswegen – auf Kosten der Mutter – eingegriffen hat. Und der Mutter wäre es lieber gewesen, das Kind wäre einfach gestorben.
Ja, das kannst du so verstehen. Ich hab’s so gedacht, dass bei der Geburt der Tochter etwas schief geht und die Mutter danach nicht mehr gebären kann und darüber gerät sie so in Rage, dass sie den Kopf des Arztes fordert, und weil sich Cassius weigert, entsteht daraus der Streit. Deine Idee wäre besser, muss ich neidlos anerkennen.

Da steckt überall so ein Geschlechterkampf drin, verkuppelt mit dem Christentum irgendwie. Und dann Satan. Hier sind doch die Frauen die Sataniker eigentlich, sie kommen mit dem Apfel daher und betreiben Puffs und lesen Bücher und wollen Rom umstürzen. Satan bringt ja auch Aufklärung und Licht, er rebelliert.
Auf jeden Fall. Das war mir eins der Themen, dass die natürlich ganz andere Werte haben. Also Emanzipation – das ist ewig weit weg noch. Die Frauen finden außerhalb ihrer Häuser überhaupt nicht statt. Deshalb sind die Damen so begeistert vom Theater, da dürfen die mal raus. Und es ist natürlich auch so, was machen die Frauen denn, ja Okkultes, Fiktion, und das Christentum ist in dieser Realtiät etwas Obskures. Das hat mir Spaß gemacht, wir denken ja oft, dass unsere Zeit und unsere Werte so etwas Unumstößliches sind. Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – das sind nicht die Werte der Antike, das sind nicht die Werte des römischen Reichs. Und wenn man mal schaut, wie das so gelaufen ist, Untergang des römischen Reichs, finsteres Mittelalter, Niedergang Byzanz, Aufflackern der Renaissance – das sind so Zufälle dabei, woraus die Geschichte dann so wurde, wie sie heute ist, da ist die Idee schon sehr reizvoll, sich zu fragen, wie es denn so wäre, wenn wir eine Welt hätten ohne Pest, ohne Kreuzzüge, ohne Weltkriege, ohne die Monarchie und das Feudalsystem, aber auch ohne die Aufklärung, ohne die Renaissance.
Hier in der Geschichte – wer sollte da den Status Quo anzweifeln außer Frauen oder Außenstehende?

Echt schön, dass du das Ding noch mal ausgegraben hast, das beraubt mich so ein bisschen meines Lebensziel, aber dann muss man sich halt ein Neues suchen. Schön, vielen Dank!
Quinn

Hallo Novak,

weil du mal geschrieben hattest, man könne nicht aus der Perspektive einer anderen geschichtlichen Situation schreiben. Zumindest müsse man davor einen gediegenen Respekt haben.
Ich find das auch so gelogen immer … „so war es im antiken Rom vor 2000 Jahren!“ So haben die Leute gedacht. Genau so war es. Psychologisches Profil von Crassus, was hätte er im Rorschach-Test gesehen? Also … und dann kommt einer und sagt: Hier die Blauen gab’s gar nicht, die wurden ja erst 43 n. Chr von Hommunculus dem Älteren gegründet! Also nein. Das gibt’s auch so oft, da kann ich ja nur Dinge nachplappern, die ich woanders gelesen habe. Das ist doch dann nur so Fan-Fiction. Wie stellt sich der Autor das antike Rom vor? Ja, so wie er es bei John Maddox Roberts gelesen hat. Das kann’s ja nicht sein. :)

Sehr trickreich, denn damit sind natürlich alle modernen (oder auch gar nicht so modernen) Konflikte wie Gatte-Gattin, Vater-Kinder wieder möglich und man kann mit diesen altertümlichen Requisiten spielen.
Ja, natürlich, ich hab gar nicht darüber nachgedacht, aber klar. Der Konflikt, den Cassius mit seiner Tochter und dem Sklaven hat, den wird man außerhalb so eines Szenarios kaum finden. Also es ist schon sowas natürlich, dass die Tochter da unter Stand heiratet, aber es kriegt durch das Szenario natürlich alles einen anderen Kick. Ich fand’s z.B. schon cool, sich zu überlegen, wie da Blasphemie wäre oder Pornographie und dass da einer dann als Gipfel der Dekadenz hat, wie Zeus als Stier eine Frau besteigt. Es gibt da auch keine Unterhaltungs-Elektronik, die Leute gehen tatsächlich ins Theater oder gucken so Informationsfilme. Da ist natürlich kein Platz für so Zeug in der Geschichte.

Bei den Blauen beispielweise dachte ich, haha, meine Güte, jetzt bringt er sogar Fußball mit rein (von den Azzurri bis zum antiken Schalke wär ja alles möglich gewesen).
Ich glaub die hießen damals wirklich einfach nur Die blauen oder die Roten und fertig. Das war dann der „Stall“. Da ging es um Pferde-Rennen bzw. um Wagen-Rennen.

Im Charakter des Prätors gab es gleich zu Anfang diese modernen Züge im humorvollen Sinn (s.o.) und gleichzeitig das Spiel mit und die Distanz zu Denkgewohnheiten wie dem Aberglauben, die aus eher anachronistischen Gesellschaften stammen, also im ernsthafteren Sinne, wieder eine modernere Charakterisierung.
So eine Figur ist auch immer ein Kompromiss, man muss dem Leser was zum identifizieren geben. Also er ist natürlich für die Rolle, die er spielt, schon aufgeklärt und liberal. Man könnte die Geschichte nicht aus der Sicht des Censors erzählen. Aber Cassius ist auch keine Figur, die unsere Werte hat. Wenn er da mit Pompeia spricht … das ist natürlich misogyn und boshaft. Und auch, dass da 20 Leute sterben, findet er nicht gut, aber er wird deshalb nicht zum Stress-Bewältigungs-Therapeuten gehen.
Das mit dem Kompromiss fällt mir bei jedem Krimi auf. Meistens sind Kommissare ja eher konservative Law&Order-Menschen … also man sollte doch meinen, dass der Beruf des Polizisten eher solche Leute anzieht. Die meisten literarischen Kommissare sind aber ganz und gar nicht so, sondern sehr humanistisch und liberal und sind Buchhändler und psychologisch geschult und wählen mit Sicherheit links … das ist auch eine Art von Kompromiss. Dass man immer die „andere“ Art von Kommisar hat, die man immer als „ganz anders als erwartet“ und „besonders“ verkauft, und es ist fast immer die selbe Richtung nur in anderer Ausprägung.

Eine Sache, die ich irgendwie klasse fand, betrifft den Namen: Cassius denkt von sich selbst immer nur als Cassius. Alle anderen Personen außer seinem Onkel sprechen ihn gar nicht an oder nennen ihn Prätor oder Herr. Wenn er von sich als Malticus spricht und denkt, dann ist es immer seine dunkle Seite. Sein Onkel spricht ihn „Malticus“ an. Schon ist klar, dass damit eine furchtbare, blutige Aufgabe auf ihn wartet. Hast du das extra gemacht?
Klar hab ich das extra gemacht. Das andere Ding ist dieses „Volk und Senat“, da sind auch paar Spielereien mit gemacht, weil das so eine Formel damals war. Und die wird dann auch ironisiert, genau wie „unrömisch“ und „Dignitas“. Wenn er da sagt: Es ist unrömisch einem Diener des Volkes und des Senats zu drohen, das ist immer ne Stelle, bei der ich schmunzeln muss.

Was zu meckern hab ich aber auch:
Jau, ich hab auch schon Zeug gefunden .Es ist so uneinheitlich, man könnte noch mehr raus schreiben, ich geh da noch mal richtig drüber. Das sind 70.000 Zeichen fast, das ist schon was anderes, die zu polieren, als die üblichen 15.000. Ich bin heut schon mal drüber und hab mehr Fehler eingebaut, als dass ich was glätten konnte. Ich geh’s die Tage noch mal an und arbeite auch deine Liste mit rein.

Und – was ist dann mit Pluto? Wenn einer echt schwarz ist, dann doch wohl der. Nachvollziehbare Motive alles klar, auch vorstellbar, aber tintenschwarz.
Ich denke er hat schon Motive, so zu handeln. Ob das aus einem Kasten-System entspringt, dass er als Priester nie Zugang zu eigenständiger Macht haben kann, oder dass ihm Pompeia etwas versprochen hat. Es ist in der Geschichte da wenig Platz für eine zweite Dimension. Das mit Pompeia und ihrem Jesus-Komplex, ist ja schon arg gequetscht.
Also für Cassius ist das klar: Der ist Cäsar, der Arsch, und die verrückte ist Kleopatra.
Also Casssius ist auch keiner, der nach Motiven da fragt.
Ich will mich da gar nicht rausreden, es ist auf jeden Fall ein berechtiger Einwand, ich hab direkt nach dem ersten Auftritt von Pluto, weil sich das vielleicht auch Cassius fragt, diesen Nero-Einspieler, den Berg auch richtig als „The Dark Knight“-Referenz erkannt hat, wobei ich glaube, dass der Joker dann tatsächlich wieder auf Nero zurückgeht.
Es ist auch kein Zufall, dass Pluto da Parallelen zu einem Gestapo-Mann hat. Aber wie gesagt der hat 2 Szenen, genau wie Pompeia und wie fast jede andere Figur außer Cassius. Es ist wirklich schwer, da im Text viel Tiefe noch zu verankern. Man kann sie andeuten, aber hier bei dem war kein Platz. Bigotter machtgeiler Sadist mit Minderwertigkeitskomplex, weil er so klein ist? Gibt es Menschen, die einen Kick draus kriegen, über Leben und Tod zu entscheiden?

Ja, ich habe deine Geschichte sehr, sehr genossen, vielen Dank für ein römisch-modernes Lesevergnügen
Freut mich sehr, dass die Geschichte noch mal gelesen wird. Ich hab mich bemüht damals da mit zwei Händen Zeug reinzuschaufeln und dass da was ist, was zum Erleben und zum Nachdenken ist. Wenn das gern gelesen wird, ist das toll .Vielen Dank für den Kommentar, ich setz mich noch mal die Tage ran, die Detailarbeit war also auf keinen Fall umsonst.

Gruß
Quinn

 

Hey,

ich dachte wirklich, ich hätte die Geschichte schon kommentiert, fühlte sich jedenfalls so an.

Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.
Hetzpamphlet; einem gekreuzigten Sklaven auf Malta abgenommen

Das ist toll.

Die Geschichte liest sich beim zweiten Mal viel bessr, weil man logischerweise viel mehr Details entdecken kann, Querverbindungen anstellen kann und die Zusammenhänge begreift. Es ist nicht so, dass die Geschichte zusammenhanglos wäre, ganz im Gegenteil, aber in jeder Szene muss man schon den roten Faden suchen. Das ist anstrengend, aber ich fand das spannend, nebenbei bekommt man noch so Details mitgeliefert, die authentisch wirken, sowas wie Dignitas, oder dass sie ihn immer mit Prätor ansprechen, die Namen der Personen,a ber auch der Orte, und überhaupt die ganzen Ortsnamen. Es wird damit eine unheimlich dichte Atmosphäre geschaffen, fand ich.
Ich hatte nie das Gefühl, dass hier irgendwas künstlich wirkte. Das ist verdammt gut gemacht. Auch bei dem Comedy-Zeug, das hier jemand kritisiert hat – ich hätte es wirklich nervig und anstrengend gefunden, wenn alles so ernst geschrieben wäre. Dass die Frau nicht mit ihm redet und die Tochter dazu missbraucht – das ist überhaupt keine Comedy, es ist zwar lustig geschrieben, aber es hat immer noch einen ernsthaften Hintergrund, btw. das kommt auch tatsächlich vor. Dass es dann eben 16 Jahre sind – ja, hallo? Der Typ ist vielleicht nie da, hat ne Zweitfrau, er geht ja auch nie auf sie zu. Er spricht ja auch nicht mit ihr.

Die Affäre der Tochter fand ich saulustig, aber auch traurig. Der verliert den Überblick, über seine Familie und dann die Stadt. Er merkt, dass sich langsam was ändert, aber er weiß nicht, was es ist. Dann gehört die Tochter einer obskuren, okkulten Bewegung an. Es ist schon fast dieses moderne Rebellieren gegen das Elternhaus. Und wenn die Tochter älter wird, würde sie sich so einer Pompeia anschließen und ihr Handlanger werden, aber die hat der Vater jetzt beseitigt. Und der Sohn interessiert sich für das Militär, ist schon fast wie ein kleiner Junge, der Krieg spielen will. Aber was sollte ihn sonst interessieren. Also, wenn man bedenkt, dass Jungs erst nach den Zwei Weltkriegen keinen Bock mehr auf das Militär hatten, dann gibt das einem schon zu Denken. Ich dachte erst, da hast du es dir bisschen einfach gemacht, dass der Sohn sich für das Militär interessiert und auch Soldat werden möchte. Aber nein, was ist denn die Alternative? Studium? Ausbildung? Nee. Der wird so wie sein Vater und bewundert ihn, auch wenn er sein Versprechen nicht einhält. Und natürlich ist der Vater nicht so kaltherzig und tut da in dem Moment seiner Frau den Gefallen und lässt den Sohn nicht zum Militär.
Die Frau ist ja auch super gezeichnet. Also, sie war selbst Sklavin und rümpft jetzt das Näschen, wenn der Sklave des Vaters mit am Tisch sitzt. Das ist wieder wirklich gut gemacht.

Ich fand den Anfang schwer, da mutest du dem Leser verdammt viele Informationen zu, also erstmal muss man sich orientieren, dann die Namen, dann kommt man langsam rein und enkt, okay, altes Rom und dann Barbecue-Chips. Alter!
Aber okay, weiter. Die laufen da durch ein verwahrlostes Viertel und Cassius nörgelt, alles sei unrömisch und man nimmt ihn gar nicht ernst. Ich hab mir so eine fette, kahle Tucke mit Toga vorstellt, wie die so mit den Fingerspitzen die Toga trägt, um über die Hundehaufen zu laufen. Es ist wirklich alles lustig, bis der ehemalige Sklave dann den Helden spielt und das kleine Sklavenmädchen retten möchte. Und hier zeigt sich dann wieder der ambivalente Charakter von Cassius, er könnte ihn schon retten, aber er ist zu feige. Er kennt da seine Grenze, er weiß, dass man kein Sklavenmädchen retten darf, auch wenn er es gerne würde, herzlos ist er auch nicht, aber er hat eben auch Angst und irgendwo muss er ja seinem Image gerecht werden und das wäre gegen seine römische Würde, wenn er sich die Finger schmutzig macht. Der einzige wirklich gutherzige Mensch hier, wird direkt am Anfang hinterlistig umgebracht. Meine Professorin hat erzählt, dass es gar nicht so unüblich war, dass die Herren im Alter die Sklaven freigelassen haben, dass die Sklaven trotzdem bei ihnen geblieben sind, weil sie gute Freunde waren. So als prominentes Beispiel hat sie Cicero genannt, der seinen Sklaven wirklich schätzte, weil dieser wohl sehr intelligent war. Und hier schätzt Cassius den Gutmenschen in seinem Sklaven, lässt ihn frei und er bleibt trotzdem bei ihm, ist wie ein Vater für die Tochter, rettet das Sklavenmädchen und als er zu einem Duell (Mann gegen Mann) antreten soll, ist er naiv (eigentlich gutgläubig) genug zu glauben, der andere wäre fair oder gerecht, hätte jedenfalls die gleichen Werte. Und Cassius ist intelligent genug, um zu wissen, dass er sich nicht einmischen oder irgendwen verteidigen kann außer sich natürlich.

*„Du musst zwar da sein“, hatte er gesagt, „aber dein Geist ist doch frei. Stell dir einfach vor, du bist woanders. Schau ernst und konzentriert und denke dich an den herrlichsten Ort, den du dir nur ausmalen kannst.“

Das fand ich auch sehr cool. Also, er ist ja genauso unfrei wie die Frauen, er kann sich in einem bestimmten Rahmen bewegen, er kann koksen, Nutten haben, haufenweise Sklaven schlachten als wären es Tiere, aber kann weder was gegen die Regeln sagen noch was dagegen tun.
Deswegen soll er sich gedanklich fortwünschen. Auch als er mit Yoko über die Freiheit spricht, man merkt, dass er nicht viel davon hält, er könnte überall sein, tut er nicht, weil er gewisse Pflichten hat. Das ist ja auch ein super langweiliges Leben, was die da haben irgendwie. Es ist klar, dass die untergehen werden, die halten sich ja nur noch mit dem Schwert oben. Ein kleiner Sklavenaufstand und schon hat Cassius Schiss, dass Rom untergeht. Das scheint so eine Urangst bei ihm zu sein, wenn was brennt, dann geht alles unter, weil die sich auf so wackeligen Füßen halten. Die Senatoren sind fett und verkorkst, es gibt niemanden der Ambitionen hat, es gibt auch keinen Grund ambitioniert zu sein. Jedenfalls für die, die auch das Recht haben, was zu erreichen. Das einzige, was man in dieser Welt erreichen kann, ist Macht. Und die kann man nur mit Gewalt erreichen. Der Antrieb der Frauen ist die fehlende Freiheit, aber auch die haben dann andere Probleme, die eine ist eine Sklavennutte, die andere verliebt sich in den Sklaven und die andere hat Komplexe weil sie unfruchtbar ist. Und die mächtigste von ihnen, die fette Qualle verbündet sich mit diesem blutrünstigen Hund Pluto, der sie bestimmt abschlachten würde, wenn er genug Macht hat. Die nutzten sich auch nur aus. Aber ihr Aufstand wird im Keim erstickt, als Cassius diese fast göttliche Eingebung im Theater hat. Mit Satan und so. Das war so voll der CIS New York Moment. :P Oder Columbo oder sonst eine Krimiserie. Oder auch Filme. Wenn die Protagonisten so in die Leere starren und alles plötzlich einen Sinn macht und man als Leser/Zuschauer denkt, oh, jetzt hat er das letzte Puzzlestückchen entdeckt und jetzt folgt die Auflösung. Und das passiert ja auch hier.
Wäre die Geschichte kürzer, ich hätte das kritisiert. Ich denke, für eine Kurzgeschichte ist das schon okay, bisschen Popcorn, aber okay.

„Danke“, sagte er. „Setz dich da drüben hin, und wenn dir langweilig wird, stell dir einfach vor, du bist woanders. Das kann dir keiner nehmen.“
Marcus schaute ihn wie einen Fremden an. „Dies hier ist Herz und Kopf des römischen Reiches. Die größten Männer unserer Zeit sind hier versammelt? Warum sollte irgendjemand bei klarem Verstand woanders sein wollen?“
„Wir sollten mehr Zeit miteinander verbringen“, sagte Cassius ernst.

Das ist tragisch.

Hat mir gut gefallen und definitiv empfehlenswert. Ich werde die Geschichte auf jeden Fall noch ausdrucken, die muss man öfters lesen als zwei oder drei Mal, die Figur Cassius ist großartig.

JoBlack

 

Hallo Jo,

ich dachte wirklich, ich hätte die Geschichte schon kommentiert, fühlte sich jedenfalls so an.
Ich glaub du hast damals gesagt, es sei nicht schlecht, aber du kämst dir unheimlich nerdig vor, das zu lesen, und dass wir nie wieder darüber reden? ;)

Ich hatte nie das Gefühl, dass hier irgendwas künstlich wirkte. Das ist verdammt gut gemacht.
Vielen Dank.

Dass es dann eben 16 Jahre sind – ja, hallo? Der Typ ist vielleicht nie da, hat ne Zweitfrau, er geht ja auch nie auf sie zu. Er spricht ja auch nicht mit ihr.
Also klar – das ist ja auch so eine Spielart, die ich drin haben wollte. Das sind keine Liebesheiraten, entweder die Leute heiraten aus politischen Gründen (so wie es im alten Rom tatsächlich war), oder – wie hier in dem Fall – die Sklavin angelt sich halt einen Bürger. Und wenn die erstmal verheiratet ist, dann gibt’s auch keinen besonderen Grund, nett zu dem zu sein. Scheidung gab’s auch nicht.

Es ist schon fast dieses moderne Rebellieren gegen das Elternhaus.
Ja, ich glaub das ist auch etwas sehr Typisches. Dass Kinder dann mit so einem Wohlstand aufwachsen und ihn nicht für so erstrebenswert halten wie Kinder aus ärmlicheren Verhältnissen. Das ist glaub ich einfach eine menschliche Wahrheit, dass man das nicht so hoch schätzt, was man als gegeben annimmt.

Und der Sohn interessiert sich für das Militär, ist schon fast wie ein kleiner Junge, der Krieg spielen will. Aber was sollte ihn sonst interessieren. Also, wenn man bedenkt, dass Jungs erst nach den Zwei Weltkriegen keinen Bock mehr auf das Militär hatten, dann gibt das einem schon zu Denken.
Das Militär wird auch in dieser Version von Rom eine ganz andere Bedeutung haben als für uns. Also das wird die Grundvoraussetzung für eine politische Laufbahn sein.
Es ist ja heute noch so in Großbritannien, dass die Königssöhne unbedingt dienen müssen, und in den USA ist es auch sehr wichtig, dass der Präsident militärische Erfahrung hat, also das war zumindest noch die letzten Male sehr wichtig, vielleicht schwächt sich das jetzt auch langsam ab.
Es ist nicht dasselbe, wenn Marcus hier „zum Militär will“, als wenn das bei uns einer machen möchte .Für ihn wäre das der Schritt in die Unabhängigkeit, ins „öffentliche Leben“, der gar nicht anders möglich ist. Die Römer waren solange Kinder, bis ihr Vater starb z.B.
Deshalb trifft dieses Schiff den Senat so hart, weil dort wirklich die nächste Führungselite stirbt – das ist in unserer Zeit natürlich nicht mehr so, da ist die Führungselite nicht beim Militär, sondern in den Universitäten, beim Jurastudium oder Wirtschaftsstudium.

Die Frau ist ja auch super gezeichnet. Also, sie war selbst Sklavin und rümpft jetzt das Näschen, wenn der Sklave des Vaters mit am Tisch sitzt. Das ist wieder wirklich gut gemacht.
Ja, ich denke das ist schon etwas, das man auch beobachten kann. Dass sich soziale Aufsteiger sehr ihres Standes bewusst sind. Und wie gesagt … diese Frauen haben auch echt wenig zu tun.

hier zeigt sich dann wieder der ambivalente Charakter von Cassius, er könnte ihn schon retten, aber er ist zu feige. Er kennt da seine Grenze, er weiß, dass man kein Sklavenmädchen retten darf, auch wenn er es gerne würde, herzlos ist er auch nicht, aber er hat eben auch Angst und irgendwo muss er ja seinem Image gerecht werden und das wäre gegen seine römische Würde, wenn er sich die Finger schmutzig macht.
Hab ich wenig hinzuzufügen. Es gibt da Haufen Parallelen. Es ist ein Staatsdiener, er ist obrigkeitstreu. Und er weiß sehr gut, was geht und was nicht geht.

Meine Professorin hat erzählt, dass es gar nicht so unüblich war, dass die Herren im Alter die Sklaven freigelassen haben, dass die Sklaven trotzdem bei ihnen geblieben sind, weil sie gute Freunde waren. So als prominentes Beispiel hat sie Cicero genannt, der seinen Sklaven wirklich schätzte, weil dieser wohl sehr intelligent war.
Ja, „Freunde“ ist vielleicht ein bisschen naiv. Die wurden dann zu ihrer Klientel, das war auch ein bestimmtes Verhältnis, in denen Leute genau festgeschriebene Rechte und Pflichten zueinander hatten. Also „Freundschaft“, du nennst den Sklaven Ciceros, Tiro, der so eine Art Steno erfunden hat damals, das ist schon sehr untypisch, denke ich. So hoch ausgebildete „Leib“-Sklaven waren auch Statussymbole. Die überwältigende Zahl von Sklaven waren Feldarbeiter oder Minenarbeiter, diese Ressourcen-Berufe; das wäre der Konflikt den die Schwarzen in den USA auch haben zwischen „Hausneger“ und „Feldneger“.
Aber es war etwas, den Leuten halt eine Möhre vor die Nase zu halten: Wenn du deine Arbeit immer gut machst, dann lass ich dich frei – und deine Söhne werden dann schon in Freiheit geboren. Man hat den Sklaven schon Perspektiven geboten, also blöd waren die Römer nicht.
Ich denke, Cassius sieht in diesem Sklaven schon eine Art Sohn auch. Dem er was beibringen kann, der auf ihn hört, der zu ihm aufsieht.

Und Cassius ist intelligent genug, um zu wissen, dass er sich nicht einmischen oder irgendwen verteidigen kann außer sich natürlich.
Es ist auch eine spezielle Situation. Diese Figur da, Pluto, das ist so eine Art Sittenwächter, ein Inquisitor, das ist außerhalb einer normalen Hierachie.

Das ist ja auch ein super langweiliges Leben, was die da haben irgendwie.
Findest du? Also die Frauen bestimmt, aber die Männer nicht …

Es ist klar, dass die untergehen werden, die halten sich ja nur noch mit dem Schwert oben.
Also … ich wär mir da nicht so sicher. Die Sowjetunion oder die DDR haben sich auch mit dem Schwert oben gehalten und sie sind daran gescheitert, dass es Alternativen zu ihrem System gab und globale Ökonomie und so. Wir würden das aus unserer Sicht gern so sehen, dass solche unfreien Systeme zum Untergang verdammt sind, aber das ist eine sehr moderne Sicht.
Also der Text ist auch ein bisschen provokant, denke ich. Wenn man sich damit beschäftigt, kommt man auch an Punkte, über die man normal nicht nachdenkt, was für eine Werte eine Gesellschaft hat usw. Aber ich hab mir da auch so viel Gedanken zu gemacht, dass es in keinem Verhältnis mehr zur Geschichte selbst steht.
Ich merk das auch beim Kommentieren, das sind Dinge, die in der Geschichte ja mal in einem Nebensatz kommen. Dass der Sohn zum Militär will oder dass die Frau selbst mal Sklavin war. Oder hier das Werte-System, das hat in der Geschichte nur indirekt Platz.

Das scheint so eine Urangst bei ihm zu sein, wenn was brennt, dann geht alles unter, weil die sich auf so wackeligen Füßen halten.
Ich denke das haben aber viele. Die Römer hatten wohl richtig Schiss davor, dass die Sklaven rebellieren, weil es mehr waren und auch an „sensiblen“ Positionen. Wenn du in der Sauna bist und liegst da nackt auf dem Bauch und ein 120 Kilo Mann knetet dir den Rücken durch, da kannst du dich nur drauf verlassen, dass der dir nicht das Genick bricht (das ist dasselbe wie in Fight Club, wir leeren euren Müll aus, wir würzen eure Speisen, wir bewachen euren Schlaf).
Aber das stimmt, die Römer hatten richtig Schiss vor einem Sklavenaufstand. Deshalb haben sie die immer völlig maßlos niedergeschlagen. Der Spartakusaufstand usw.

Das einzige, was man in dieser Welt erreichen kann, ist Macht. Und die kann man nur mit Gewalt erreichen.
Mmmh … also für den Rahmen der Geschichte, okay. Es ist zumindest klar, dass die persönliche Freiheit, irgendwie das Recht auf Selbstverwirklichung und so, in der Gesellschaft keine Rolle spielen. Und dass ein Großteil der herrschenden Klasse dekadent ist. Aber … so sehr unterscheidet sich das von unserer Gesellschaft auch nicht.


Der Antrieb der Frauen ist die fehlende Freiheit, aber auch die haben dann andere Probleme, die eine ist eine Sklavennutte, die andere verliebt sich in den Sklaven und die andere hat Komplexe weil sie unfruchtbar ist. Und die mächtigste von ihnen, die fette Qualle verbündet sich mit diesem blutrünstigen Hund Pluto, der sie bestimmt abschlachten würde, wenn er genug Macht hat. Die nutzten sich auch nur aus.
Ich weiß nicht, ob Pompeia jetzt unter der Fuchtel von dem Priester steht. Ich glaub, die würde den auch mit einiger Freude abschlachten, wenn sie ihn nicht mehr braucht.
Aber ja klar, also Frauen haben in so einem Szenario eine ganz andere Rolle. Die sind vom öffentlichen Leben fast völlig ausgeschlossen. Und der einzige Weg da irgendwie sozial aufzusteigen ist die Heirat.

Das war so voll der CIS New York Moment.
Das ist halt auch das Genre, also nach Dürrenmatt dürfte man ja keine Krimis mehr schreiben, weil das eine Illusion auch ist, dass alles so aufgeht. Und man den Finger nur auf genau den einen Knoten legen muss und dann ziehen und alles fällt so ineinander. Das ist halt das Genre auch und die Kürze.
Hat aber Spaß gemacht, sowas mal zu konstruieren.

Hat mir gut gefallen und definitiv empfehlenswert. Ich werde die Geschichte auf jeden Fall noch ausdrucken, die muss man öfters lesen als zwei oder drei Mal, die Figur Cassius ist großartig.
Das freut mich!

Vielen Dank für den Kommentar
Quinn

 

Alexandria war die Stadt, die niemals schlief. In Rom war nach Mitternacht keiner wach.

Purpur,

lieber Quinn,

bringt uns in der Auffassung, was eine Kurzgeschichte sei, näher, als mancher glauben mag, und veranlasst mich eine Art Versöhnung zu wagen, bevor die Verstimmung nach der Schlacht von Azincourt – in gut-deutscher Lautmalerei Deine Aschenkur, anno 1415, zu dessen / deren Zeit wohl an Purpur gearbeitet wurde – länger als der Hundertjährige Krieg dauere. Oder in Deinen Worten:

„Wir müssen keine Feinde sein“, flötete sie. „Ich weiß, du bist ein besonnener und gemäßigter Mann.“

Nun hab ich mir also die Zeit genommen, 21 Seiten Manuskript, einzeilig und engbeschrieben unter Time New Roman 12 pt. – ich nenn’s mal dem Thema angepasst Cicero - (was übern Daumen gepeilt zwischen 35 und 40 „normierten“ Manuskriptseiten à 60 Anschlägen je Zeile und 30 Zeilen je Seite unter Courier 12 ergäbe) incl. der Beiträge zu lesen – alles mit großem Vergnügen, wenn auch keines Hauchs von Begeisterung, geschweige denn Entgeisterung.

Die Lektüre erinnerte mich zunächst im Abstand von nahezu einem Vierteljahrhundert an Christoph Ransmayr, der die Frage bei allen wüsten und verrotteten weltlicher Zustände nach der Zukunft stellt und in die reale Welt imaginierte Elemente einfließen lässt, ähnlich wie Du auch, indem Du Realien (beginnend mit dem Zitieren der Bill of Rights von Virginia (1776) oder, wahrscheinlicher noch, mit der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 bis hinab zum real existierenden Hundehaufen) mit Phantastereien und Anachronismen (Censor, Prätor) verquickst (Rom & imperiale Folgen und seine Nachfolger etwa in der unscheinbaren Glühlampe, ist ihr Erfinder doch Amerikaner und die USA das neue Imperium und “I’m The Greatest“ hieß vor der Konvertierung Cassius C., Willi II. Bush[ranger], Imperator von denkwürdig eigenen Gnaden, wähnte sich nicht nur als der Weltbeherrscher, sondern war praktizierender Alki).

Schon der Titel hat es in sich und zeigt’s an: die zwischen Rot und (Rot-)Violett liegenden Farbtöne kommen im Farbspektrum gar nicht vor, bezeichnen sowohl den hochroten Farbstoff als auch das prächtige Gewand des Kaisers, der Könige und Kardinäle.
Im Deutschen klingt es wie die Verdoppelung des Adjektivs pur (i. S. von rein und lauter, was hier gar nicht erst vorkommt), aber auch als Adverb (i. S. von nur, bloß, was eine gewisse Bescheidenheit ausdrücken würde).

Die besondere Ironie besteht aber m. E. in der Nennung des unscheinbaren Maltas, das mit nahezu 1300 Einwohnern je qkm und einer Stadtbevölkerung von über 90 % als urbaner als die Ewige Stadt und erst recht die Provinz Rom als auch des ganzen restlichen Italien erscheinen lässt. Überhaupt gilt Malta als eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde.

Der Protagonist heißt Cassius Cornelius Malticus, seines Zeichens Prätor. Der Witz liegt nun darin, dass „der Vorangehende“ (so die Übersetzung des Prätors, dazu bedarf es keiner Lateinkenntnisse) bis ins vierte Jh. v. Chr. der Feldherr war, der 367 zum höchsten Stadtbeamten nach dem Konsul aufstieg und vornehmlich richterliche Aufgaben übernahm. Mit Sulla – und erst recht mit Cäsar – begann aber die Inflation der Titelträger und damit Abwertung ihres Status’. Die besondere Ironie liegt nun darin, dass der Prätor-Feldherr nach siegreichen Schlachten auch mit dem Ehrentitel Imperator geschmückt wurde, der nachmalig mit dem Prinzipat des Ziehsohnes des Cäsar neben dem Titel Augustus der kaiserliche Ehrentitel wurde und dann mit dem Kaiser-Titel identifiziert wurde.

Anzunehmen ist, dass dies der Stand der Dinge in der Geschichte ist: ein wertloser Titel für Cassius aus dem ruhmreichen Geschlecht der Cornelier.
Eigentlich aber wird mir zu häufig der Name Cassius genannt, als gäbe es nicht genügend Platzhalter an seiner Statt, um etwas Abwechslung hineinzubringen – nicht nur durch Pronomen, sondern auch als der „Cornelier“, Cornelius, Malticus oder der Malteser(schlächter).

Aber leider reicht hier ein langjähriges Lektorat so recht nicht aus (die Kleinkrämerseele mag’s freuen, mich nun mal nicht, denn was soll die zunehmende grammatische Schwäche der Neueinsteiger bekrittelt werden, wenn die Empfehlungen nicht einmal davon befreit sind):

Zeichensetzung:

Es gefiel CassiusKOMMA ihm die Welt zu erklären.

Es klangKOMMA als quieke eine Ratte, die …

… kaum fähigKOMMA sich aus seinem Bett zu erheben.

… und sagte: „Oh, du bist es“. Er …
Punkt verrutscht?!

Schon lange kahlKOMMA steuerte er mit raumgreifenden Schritten und flatternder Toga auf Cassius zu.

„Du willst ihn doch nicht wirklich-“
Jeder hat so seine Macken, verstehstu? Wirklich- Schaffen wir mehr Freiräume!, was aber auch F. sein könnte.

Flüchtigkeit:

„Kennst du ihn?“ Servius mit seiner Sklavenstimme.
Da fehlt was …

Andersrum hin gegen …
könnte hingegen auch wiedervereinigt werden …

Es entbehrte nicht ein gewissen Ironie.
Sollte ich schweige …

…, die von Sklavenhalsbänder handelten.
[…]bänder + n

„Durch dich werde ich die Welt regiere und unsere Nachkommenschaft wird herrschen über ein Land vom Nil bis zur Themse!“
Ähnlich wie zuvor bei verschütt' gegangenem n.
Wäre der Satz, sofern als korrekt qualifiziert & gewollt, nicht diskriminierend? Die ägyptische Königin spräche Pidgin …

„Ich wusste, du kommst zu Besinnung“, …
Zu Besinnung kommen?

Die Tochter Gottes, des Gottes von Abrahams!
No command zum Trödler Abraham.

„Oh Nein. Ich bin Bürger!“
Hätte auch unter Zeichensetzung auftauchen können „Oh, ja!“

Sachliche Fehler:

…, ein Schwert um die Hüfte geschnallt.
Gummi oder Plastik?, in jedem Fall sehr und somit wahrscheinlich zu flexibel …

…, um alle Sklaven an ein Kreuz zu schlagen?
Würde wohl ziemlich eng werden. Aber: Das Ans-Kreuz-Nageln war eine besondere Form der Strafe. I. d. R. wurden die Straftäter ans Kreuz gebunden und starben Glied für Glied qualvoll und oft tagelang ab.
Wir kennen einen Hauch davon in eingeschlafenen Füßen. So mag die Strafe beginnen nach dem „henken“.
Das Beispiel des Nazareners – wahrscheinlich um 34 unserer Zeitrechnung - zeigt die Verkürzung des Todeskampfes bei der Kreuzigung per Nagel: nach nur (wie würden sagen: immerhin) sechs Stunden war alles vorbei.

Der Nubier, eine pechschwarze Unverschämtheit…
Es gibt gar keine schwarze Hautfarbe, folglich auch keinen pechschwarzen Nubier. Es sind alles nur unterschiedliche Brauntöne.
Aber nachts sind bekanntlich alle Katzen schwarz.

Und dann glaubte ich zu träumen: die Ursache unserer Verstimmung aus dem Herbst 2009 schien mir zunächst bewältigt zu sein, aber es ist bei Dir wie ein innerer Kampf widerstreitender grammatischer Geschlechter:

Ein Sklavenmädchen, kaum älter als sieben oder acht, presste sich an den Rocksaum ihrer Nachbarin und weinte, dass es die Stille der Nacht zerriss. Servius ließ die Heraldpose fallen, beugte sich zu dem Mädchen hinunter und strich ihm über den Kopf.
Ihre [des Sklavenmädchens] Nachbarin vs. er strich ihm [dem Sklavenmädchen] über den Kopf. Wat nu?, fragt sich der Rheinländer und antwortet: Schizoid!
Und kurz darauf eine Fortsetzung, nun aber schon ein-eindeutig:
Jetzt brach ein anderes kleines Mädchen in Tränen aus, wenn sie nur seinen Namen hörte,
dass der Rheinländer denken muss, das sei tüpisch „unrömisch“.
Einer nach dem anderen wurden die Sklaven in das Haus geführt, Frauen wie Männer, auch das kleine Mädchen, auf das Servius vor Minuten nur, vor einer kleinen Ewigkeit, noch eingeredet hatte, war nun an der Reihe. Fast zärtlich schubste einer der Männer es durch die Pforte des Hauses.
Jeht doch, juter Jott, wenigstens manchma'!

So viel oder wenig für heute!

Friedel

 

Hallo,

alles mit großem Vergnügen, wenn auch keines Hauchs von Begeisterung, geschweige denn Entgeisterung.
Wenn ich was finde, das ich mit großem Vergnügen lesen kann, bin ich fast begeistert. Offenbar geht es dir auch so.

Die Lektüre erinnerte mich zunächst im Abstand von nahezu einem Vierteljahrhundert an Christoph Ransmayr, der die Frage bei allen wüsten und verrotteten weltlicher Zustände nach der Zukunft stellt
Ja, ich hab den gelesen, die letzte Welt von Ransmayr. Das ist aber schon was anderes, denke ich, bei ihm ist es ja eine literarische Welt, eine symbolische Welt, hier in der Geschichte ist es eher eine alternative Realität, das ist eine Science-Fiction-Spielart eigentlich: Was wäre, wenn … dieses oder jenes historische Ereignis anders gelaufen wäre, was wenn eine Münzwurf-Entscheidung anders gelaufen wäre.
In der Geschichte hier ist das: Cäsar und Pompeius töten sich in Nordafrika gegenseitig, bei der Schlacht von Zama, müsste das sei. Das ist historisch durchaus plausibel, dass ein Feldherr in einer Schlacht mal draufgeht. Und dann eben weitergesponnen: Kein Cäsar, kein Bürgerkrieg, keine Kaiser, kein geteiltes Reich, keine Invasion durch Barbarenstämme, keine Zersplitterung, keine christliche Kirche, kein Mittelalter usw., so dass wir uns in der Geschichte in einer ganz anderen Welt befinden.

und seine Nachfolger etwa in der unscheinbaren Glühlampe, ist ihr Erfinder doch Amerikaner
Ja, das ist dann eben so. Also man hätte die Glühbirne wohl erfunden, auch wenn es kein Amerika gegeben hätte. Hier in der Welt hat die dann halt ein Ägypter erfunden oder ein Grieche. Und die Bill of Rights – das ist ganz richtig – ist hier kein Staatsdokument, sondern das ist Propaganda. Das ist ja schon die Volte im Eingangszitat.

Die besondere Ironie besteht aber m. E. in der Nennung des unscheinbaren Maltas, das mit nahezu 1300 Einwohnern je qkm und einer Stadtbevölkerung von über 90 % als urbaner als die Ewige Stadt und erst recht die Provinz Rom als auch des ganzen restlichen Italien erscheinen lässt. Überhaupt gilt Malta als eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Erde.
Ja, in der Realität ist das vielleicht ganz anders. Malta ist in unserer Welt ja wichtig geworden durch die exponierte Lage für die Kreuzzüge oder als Außenposten für Kolonialmächte. Deshalb sind in unserer Welt diese isolierten Insel immer spannend (Zypern genau so, oder die Falklands). Wer weiß wie es in der Welt von Purpur war. Ich hab Malta genommen als Idee für eine isolierte, abgelegene Region, so ein Platz, an dem Legenden passieren können. Ich hätte auch Zypern oder Korsika nehmen können. Malta klingt einfach richtig gut, find ich. Also da war kein großer Denkprozeß in der Auswahl der Insel dahinter, ich hatte mal ne Bekannte, die Halb-Malteserin war, vielleicht deshalb.

Die besondere Ironie liegt nun darin, dass der Prätor-Feldherr nach siegreichen Schlachten auch mit dem Ehrentitel Imperator geschmückt wurde, der nachmalig mit dem Prinzipat des Ziehsohnes des Cäsar neben dem Titel Augustus der kaiserliche Ehrentitel wurde und dann mit dem Kaiser-Titel identifiziert wurde.
Na ja … also so schräg hab ich nicht gedacht. Es war einfach die Frage, in welcher Position die Figur sein müsste, um in dieses ganze Schlamassel reingezogen zu werden. Und diese Position in der Exekutive, die zwar äußerlich viel Macht hat, aber in der Praxis nur ein Spielball von höheren Interessen ist, der der Familie, der des großen Ganzen. Das fand ich sehr spannend.
Also Malticus ist so 2 Stufen unter der höchsten Macht überhaupt in der Dimension der Geschichte, hat aber kaum Einfluss auf sein Schicksal. Das fand ich als Konzeption für die Figur aufregend. Und der Praetor Urbanus war eben diese Position, oder ein Äquivalent dazu. Mit der Geschichte des Prätorentitels hatte die Entscheidung nichts zu tun.

Zu der Stilkritik: Bei erweiterten Infinitvsätzen (und bei Partizipialkonstruktionen) muss kein Komma stehen ,und bei „das Mädchen“ und „sie“ – das winkt, wie so vieles, auch der Duden mittlerweile durch. Das sind Sachen, die im Entscheidungsbereich des Schreibers liegen, genau wie die Verwendung des Konjunktivs.
Auch der Einsatz dieses Satzend-Bindestriches als Zeichen dafür, dass ein Satz abrupt endet, ist schon eine gestalterische Möglichkeit, die durchaus praktiziert und auch akzeptiert wird, das ist keine persönliche Marotte.
Im Vergleich:
„Beantwortest du mir jetzt noch meine Frage oder …“
„Beantwortest du mir jetzt noch meine Frage oder-„
Da deutet die erste Variante auf eine bedeutungsschwere, gewollte Pause hin ,eine dramatische Pause.
Und die zweite auf eine nicht selbstgewählte, selbstbestimmte Pause.
Wenn sich zwei Leute gegenseitig beim Reden unterbrechen und einander ins Wort fallen, wären z.B. die drei „…“ auch nicht sehr angebracht. Da bietet und der „-„ tatsächlich eine praktikable Lösung.

Ansonsten wenn ein Punkt fehlt und ein „n“ und so, das hab ich alles korrigiert, auch das Mädchen hab ich, um des lieben Friedens willen total zum sächlichen Objekt gemacht.

Ansonsten: Schwarz sagt man halt, ob das nun korrekt so dunkles Braun ist, dass es schwarz wirkt, oder einfach schwarz … na ja, und das mit den Kreuzigungen – so hat man den Spartacus-Aufstand niedergeschlagen (Crassus war das), als Warnung für alle Aufständischen, deshalb kam mir das passend vor. Crassus soll 6000 Sklaven von Capua bis nach Rom an der Via Appia entlang gekreuzigt haben, als deutlicher Hinweis: „Tut das nie wieder.“ Hier in der Geschichte braucht man einen ähnlichen Effekt, will aber gar nicht erst warten, bis jemand rebelliert, also faket man auf Malta die Massenkreuzigung und hat dann „Bilder“, die man in so einem Fall immer wieder ausstrahlen kann. Das war die Idee hinter „Malta“. Wie ich finde, eine riesen Idee, die ich in acht verschiedenen Versionen der Geschichte aber nie an den Leser bekommen habe.
Man hätte jetzt zynisch sagen können: Warum kreuzigen die denn nicht wirklich Sklaven, aber dann wäre Malticus keine so starke Figur, mit diesem „gefaketen“ Massenmord im Rücken.

Gruß
Quinn

P.S. Ich hab auch das Ebenholz von Yoko in Karamell geändert!

 

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