Puppenspieler - ein Versuch
Puppenspieler
Stich um Stich hub er das Grab aus. Begleitet vom Ächzen und Stöhnen toter Bäume, prasselte staubiges Erdreich auf zertretenen Boden. Ich trat einige Schritte zur Seite, um dem Jungen bei seinem Vorhaben nicht im Wege zu stehen. Er hielt kurz inne, wischte sich mit dem Handrücken die Schweißperlen von der Stirn. Sein blondes Haar glänzte feucht im Mondschein und ließ die Anstrengung erahnen, die es für einen sechzehnjährigen bedeuten musste, ein solch tiefes Loch auszuheben und dies innerhalb weniger Minuten. Die Zeit, die ihm blieb, wurde knapp.
"Beeil dich!", hielt ich ihn an, maß mit geduldigem Blick nach. "Einen Meter tief, einsachtzig lang, sechzig breit", so die Bedingung. "Es fehlen fünf Zentimeter in der Tiefe und du hast nur noch zehn Minuten. So passend du mir auch erscheinst, erfüllst du die Anforderungen nicht, wird man Mahila gewöhnlich bestatten."
Sapyro nickte, fuhr eifrig fort, das Loch zu vertiefen, während der Sand der Zeit Körnchen für Körnchen die goldene Kugel verließ und zu meinen Füßen ein Häufchen Vergangenheit bildete. Ich sah auf, und ließ den Jungen die Schaufel vor mir auf den Boden legen. Als er sich zitternd vor mir verbeugte, zog ich ein silbernes Amulett aus der Tasche meines Mantels und legte es ihm in die mit Schwielen bedeckten Hände.
"Lege diese Kette Mahila um das rechte Handgelenk, wenn du sie zu Grabe trägst. Bedenke, dass es die elfte Stunde sei nach ihrem Tode, zu der du sie mit Erde bedeckst. Und noch etwas -" Sapyro hielt den Blick gesenkt, hörte jedoch zu und hielt sich an alles, was ich ihm bisher aufgetragen hatte – "Geh sicher, dass sie auch tot ist, bevor du ihr die Kette umlegst. Kinder des Lichts können nur aus dem Tode heraus geboren werden."
"Was ist mit der Liebe?" Sapyro sah mich beinahe an, besann sich jedoch im letzten Augenblick eines Besseren.
"Was soll damit sein?", erwiderte ich spöttisch.
"Ich frage mich, ob sie hell ist und leuchtend, wie in den Geschichten, die mir Großmutter erzählte, bevor sie... Es ist so dunkel hier."
"Du meinst die Sonne, Sapyro, und diese gibt es schon sehr lange nicht mehr."
"Verzeih mir,", er lehnte sich erschöpft an die neben dem Grabe stehende Eiche, "aber ich meine nicht die Sonne."
"Ich weiß nichts von der Liebe. Die Auswahl derjenigen, die Bündnisse eingehen werden, um ihre Linie fortzuführen, begründet sich auf deren Zugehörigkeit zu einer der drei Dynastien der Zeitenwende. Zusammen mit den von mir erschaffenen Kindern des Lichtes werden sie älter als die siebzehn üblichen Zyklen und besitzen zudem wieder die Fähigkeit, sich fortzupflanzen."
"Warum gibst du sie uns nicht zurück, das könntest du doch?"
Einen Augenblick sann ich nach über die Frevelei, der Sapyros Frage gleichkam und entschied, dass es Dummheit war, nicht böser Wille, die ihn dazu bewogen hatte, diese zu stellen. Er war ein guter Mensch, seiner Existenz würdig und in der Lage, taugliche Nachkommen zu schaffen, davon war ich überzeugt.
Dieses Mal würde das Experiment erfolgreich verlaufen. Ohne die Verwirrung eines Gefühls, das zu nichts höherem nütze gewesen war seit Anbeginn der Zeit, als Unruhe und Verwirrung zu stiften.
"Nein." Ich drehte mich um und überließ ihn dem ihm zugedachten Schicksal.
Zwölf Zeiteinheiten später versicherte mir ein Leuchten des achthundertsechsundvierzigsten Gegenstücks der Plakettenordnung, dass er Mahila erfolgreich beerdigt hatte. Erleichtert atmete ich auf. Nur noch wenige Zyklen und der normale Mensch würde ausgestorben sein. Ich hoffte, dass ich bis dahin genügend Kombinationen fand, die zur Gründung einer neuen Rasse notwendig waren.
Ich spielte sogar mit dem Gedanken, das Licht zurückkehren zu lassen, wenn alles nach Plan verlief – und das musste es, denn nichts erschien mir trostloser, als mir einmal mehr ein Spiel ausdenken zu müssen, im Zuge dessen ich der Erde würdige Bewohner verschaffen wollte.
© Antibus (2006)