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Puppe

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02.11.2001
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Puppe

Ich krieche zurück auf allen Vieren, war immer schon das Tier dem ich jetzt ähnle, krieche weg vom Licht und hin zu einer Dunkelheit, die mich ahnen lässt, dass noch nicht alles vorbei ist. Die Hölle wartet. Auch die werde ich genießen, jetzt, wo ich weiß, was Genuss bedeuten kann. Ich lasse den ganzen Dreck zurück, den ich ihnen angetan habe und ein Gebirge aus Ungläubigkeit, einen Tränensee, in dem ich sie schwimmen ließ, in dem sie das Ufer nicht mehr fanden. Ich sehe sie, wie sie in ihrer Ohnmacht graben, ich sehe, dass sie nichts entgegenzusetzen haben. Es nie hatten, weil sie nicht wussten, was vorging. Weil keiner von ihnen von meinen Spielen wusste. Weil alle zu beschäftigt waren mit sich selbst und mir unendlichen Raum ließen für das, das neben allem anderen abging. Für das ich und Puppe gestorben sind, weil wir uns vertrauten und es das wert war.
Ich lachte allen ins Gesicht in dem Moment, als sie mich schnappten. Jetzt erst, rief ich ihnen entgegen. Jetzt erst habt ihr mich erkannt? Wenn Papa nicht gleich angerufen hätte? Was dann? Was dann, bitteschön?
Ich hätte schlauer sein können. Ich hätte es noch eine ganze Zeit verlängern können. Doch das Piepsen ihrer kleinen Schreie änderte sich, so wie ich die Spiele änderte, neue ausprobierte, dazuerfand. Irgendwann wurde der Keller zu eng für meine Träume. Ihre, unsere Schreie schwappten als Sturmflut gegen die mürben Deiche der Gesellschaft, die draußen ihren Rasen mähte, sich die Fingernägel anstrich, ihre Autos wusch.

Wir hatten eine fünfjährige Tochter. Puppe. Ich sagte Puppe zu ihr. Sie hatte die Beweglichkeit, die Reinheit und die Stille einer Puppe. Sie hatte das weiche Haar meiner Frau. Auch die schimmernde fast weiße Haut hatte sie von ihr. Meine Frau gierte nach Macht, Ansehen, nach dem schnellen Geld. Anwältin. Sportwagen. Sie hatte Liebhaber, die sie alle paar Wochen wechselte. Ihre Karriere ging steil nach oben. Ich hatte nichts mitgebracht, durfte sie trotzdem heiraten, zog in ihr Haus, wurde ihr Gärtner, Diener, Liebhaber. Dann kam Puppe zur Welt. Es war ein Kampf gewesen. Mein Kampf gegen die von meiner Frau vorgeschlagene Abtreibung. Mein Kampf um das Vertrauen und die Liebe meiner Tochter. Wir waren viel alleine. Ein großes Haus. Viel Zeit an den Nachmittagen und Abenden, wenn das Kindermädchen verschwunden war. Während meine Frau mit ihren Geschäftspartnern in den Society- Lokalen der Stadt zu Abend aß, in fremden Betten an ihrem Aufstieg bastelte, kamen wir uns näher. Puppe und ich.
Wie gesagt.
Puppe vertraute mir.
Es begann für mich die Zeit der Entdeckungen. Puppe war das Erste in meinem Leben, das auch von mir kam, das auch mir gehörte. Nicht das Haus, nicht der Sportwagen meiner Frau gehörten mir. Puppe war es. Sie hatte meine Augen und wenn ich vor ihr kniete, hat sich mein Gesicht in ihren Augen gespiegelt, die auch die meinen waren. Meine Zähne, meine Zunge, meine Schreie. Ich sagte ihr, dass ihre Schmerzen mein Glück wären, machte anfangs behutsam an ihr rum, bat sie zu piepsen dabei. Sie machte mit, mit zusammengepressten Lippen und mit der Angst, ihrem Vater sein Glück zu rauben, wenn sie es nicht täte. Danach bekam sie alles von mir. Schokolade mit Nüssen darin, einen Plüschhasen, Gewand für ihre Lieblingspuppe Elvira. Sie war meine Puppe und ich erfüllte ihr danach jeden Wunsch. Sag nichts zu Mama. Es sind unsere Spiele, Puppe. Unsere Geheimnisse. Sie hielt dicht.

Es wurde mir zuwenig.
Ich schlief schlecht, hatte große Ideen in meinen Träumen. Irgendwann nahm ich das Messer mit in den Keller. Puppe machte große Augen. Schrei ein bisschen für mich, sagte ich zu ihr. Morgen hören wir auf zu spielen. Lass uns heute schauen, wer das Spiel gewinnt. Puppe oder Papa. Dann ließ ich das Messer über ihren Körper tanzen und ließ damit alle meine Träume raus. Ich hatte so viele Träume aufgehoben. Nur für diesen Nachmittag. Puppe schrie wie ein Tier und ich spürte in ihren Schreien die Liebe, die sie für mich empfand. Ich ließ nichts aus. Nur an ihren Augen machte ich nichts. Sie waren der Spiegel, in dem ich mich wiederfand.

Als es vorbei war, rief Papa an und erzählte der Polizei von seinen Träumen.
Sie schlugen mich zusammen und sperrten mich weg zu Tieren wie ich eines war. Zu Tieren, die ähnliche Träume hatten. Sie sprachen mir die Zurechnungsfähigkeit nicht ab. Sie glaubten mir meine Träume nicht. Als ich erfuhr, wie es weitergehen würde, blieb ich ruhig. Ich nahm ja Puppe mit auf den Weg, der vor mir lag. Sie machten es schnell und es war tatsächlich in keiner Weise mit Schmerzen verbunden. Das Gift hatten sie exakt dosiert. Es tat seine Arbeit und meine Flügel wuchsen. Dann war auch das vorbei.
Jetzt krieche ich auf allen Vieren und lache, wenn ich auf den Dreck zurückblicke, der auch ohne mich der gleiche bleiben wird, weil es zu viele meiner Art dort unten gibt.
Aber Puppe ist mit mir und wir werden uns die Hölle schönspielen.
Puppe vertraut mir.

 

Boaaaah Aq, bald werden sich die Staatsanwälte bei dir melden, Mann!
Da hast aber wieder was rausgehauen.
Der Teufel, der dieses Kind so lieben lässt, der steckt immer noch in ihm, obwohl er jetzt völlig zugedröhnt in einer Klinik sitzt.
Also hier ist auch wieder das Wortgewlaltige, das mir bei anderen Story begegnet und bei Eichendorff begegnete. Das mag ich sehr.

Wart ab, Aqua, ob sie jetzt wieder kommen, dich anklagen.

Der Pranger, er wartet, dort auf dem Marktplatz. Wir warten schon!

Super gemacht, Aqua!

liebe grüsse stefan

 

Liebe, Eifersucht und Mord - der Stoff, aus dem gute Literatur ist. Und das alles sprachlich glänzend verpackt. Hut ab!

Allerdings gefällt mir die Umsetzung bei "Pfeift die Hunde zurück" noch etwas besser - mehr Farbe drin.

@ Arche
Klinik - wieso? Es klingt doch mehr nach Todesstrafe.

 

tja, aqua, hat da luckyblue recht?

Ich hab es so verstanden, dass er in einer Klinik landet, dort vor sich hin vegitiert, unter Medikamenten steht.

Aber lukcyblue scheint recht zu haben?? Hmm??

 

Hallo Aqualung,

für den Schlüsselsatz Deiner Geschichte halte ich „... hat sich mein Gesicht in ihren Augen gespiegelt ... ... meine Schreie ...“, ich denke, der Protagonist identifiziert sich mit seiner Tochter, tut ihr stellvertretend das an, was er auch sich zufügen würde, aus Haß auf sein durch die Gesellschaft erfahrenes Leid. (Die Gesellschaft wird durch seine Frau und ihr Verhalten charakterisiert). Er sucht die Schuld außerhalb von sich , da sie ihm „unendlichen Raum ließen“. Warum tun sie das ? Weil sie „an ihrem Aufstieg“ basteln müssen. Doch der Protagonist weiß von seiner Schuld, er zählt sich „zu (den anderen) Tieren, wie ich eines war. So habe ich zumindest den Text verstanden.
Ich bin mir nicht sicher, in welchem Maße Du die Gesellschaft, oder seinen psychischen Zustand (seinen „Traum“) für seine Tat verantwortlich hälst.
Der Anfangs- und der Schlußabsatz mit der Hölle umrahmen das höllische Szenario, welches sich im Mittelteil abspielt, stilistisch sehr gelungen!
(Ebenso "Puppe" = Spielzeug, eigentlich zum lieben, "Gebirge aus Ungläubigkeit" und die Andeutung der Gifspritze).

Alles Gute,

tschüß... Woltochinon

 

war immer schon das Tier dem ich jetzt ähnle

hinter "tier" ein komma (ich traue mich kaum, dich darauf aufmerksamzumachen.)

hi aqua,

also gleich vorweg, die geschichte ist gelungen!
ich mag sie trotzdem nicht. das liegt aber am inhalt - er ist schockierend :cool:.
mir gefiel die anfangsidee - eine karrierefrau, bei der der mann nichts zu melden hat, der sich dann auf ihre gemeinsame tochter konzentriert. natürlich meine ich damit nicht das psychopathische konzentrieren!!!
ich hatte dann nämlich gehofft, dass dann das problem behandelt wird, das die tochter droht, so zu werden, wie ihre mutter, und dass nur der ehemann sie vielleicht davor bewahren kann. klar - das ist natürlich eine ganz andere geschichte.
nun - ich werde wohl nie ein fan deiner geschichten der schwarzen seele werden!
achso - noch etwas - ich habe nicht alles verstanden. der einleiteabsatz ist ziemlich schwierig (für einen einfachen barden).

lieblingsstelle:

Ich hatte nichts mitgebracht, durfte sie trotzdem heiraten,

sorry aqua

bye
barde

 

Moin Aqualung. Sehr schön!! Ein Autor muss sich auch etwas trauen dürfen. Ich hätte mir diese Geschichte etwas länger und noch intensiever gewünscht, aber so ist sie schon sehr gut.
Ich glaube auch an die Theorie der Todesstrafe, da sie ihm seine Zurechnungsfähigkeit nicht abgesprochen haben.
Heißes Thema, gut in Scene gesetzt, was soll ich noch sagen?

 

Hallo Aqua!

Todesstrafe, schon im ersten Absatz. Verdammt schweres Thema hast Du angepackt, vielfältige Aspekte mit einfließen lassen.

Ein absolut harter, komplexer Text, Aqua, gewaltig und kompromisslos gut.

...was soll ich denn da jetzt noch schreiben...

Grüße, Aqua, Anne

@Barde, den Inhalt mag ich auch nicht besonders, aber ... ich glaube, das tut keiner von uns.

 

Danke an euch alle für eure postings.
Den Inhalt wollen wir alle nicht, hat Maus gesagt.
Sie hat verdammt recht. Aber hinter unseren wunderbaren Fassaden, für deren Gestaltung Architekten Architektenpreise hamstern, lauert genau das. Nicht immer. Das gebe ich zu. Aber immer öfter.
Wenigstens wir sprechen darüber, wollen das nicht.

Und schon ist wieder was Gutes passiert.

Umarmung - Aq (Arche kürzt mich bereits so ab. Irgendwann bleibt nichts mehr)

 

Wickelt einen ein, und dann, wenn die Schnur schon eng ist, ziehst du noch ein bißchen fester, Aqua.
Spare mir die Superlative jetzt einfach.
Gib mir mehr,
Alex.

 

Hi Aq (hat sich ja jetzt etabliert, oder),

tja, was soll ich sagen... als das, was ich schon des öfteren gesagt habe.
Wunderbar, gekonnt geschrieben, wie so oft. Aber es gibt Dinge über die will ich nix lesen. Und dazu gehören Geschichten über Kindesmisshandlung auf jeden Fall. Ich mein, was ist zum Beispiel mit einem Film, der gut erzählt ist, gute Schauspieler hat und in dem ständig jemandem die Haut abgezogen wird. Und dessen Gehirn gegessen wird. Das brauch ich nicht.

Was mir noch aufgefallen ist

Auch die werde ich genießen, jetzt, wo ich weiß
Hier hast du wieder diese unglückliche Präposition wo, besser klingt "da".
Als es vorbei war, rief Papa an und erzählte der Polizei von seinen Träumen.
Hier dachte ich für eine Sekunde, die Perspektive hat gewechselt. Aber das könnte natürlich auch an meiner Engstirnigkeit liegen.

Liebe Grüße

Jan

 

Jan, danke das du dabei bist.

Das Thema ist aber kein Film, passiert ständig. ich will nicht Effekthascherei damit betreiben. Ich sah ein kleines Mädchen in einer zu großen U- Bahn, mit einem Vater, der zu besoffen war. Dann habe ich nachgedacht. Sagen wir ganz einfach, dass mich dieser momentane Eíndruck zu dieser Geschichte inspiriert hat. Es war nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Liebe Grüße - Aqua

 

Arche, Mann,

die Staatsanwälte, ja. Die sollen kommen. Die, die bei solchen Prozessen immer wegschauen. Es ist gut. Ich möchte am Marktplatz gevierteilt werden. Hast du so etwas wie eine Digitalkamera, Arche? Nimm alles auf. Lass dich von den Bullen nicht wegprügeln, versprochen? Es wäre wichtig für die, die nach uns nach Arbeit suchen.

Umarmung - Aqua

 

Lieber Aqualung!

Also irgendwie bin ich mir nicht ganz klar, was ich zu Deiner Geschichte sagen soll. Stilistisch ist sie wieder mal perfekt, da hab ich nichts zu kritisieren, auch kein RS-Fehler ist mir aufgefallen.

Du beschreibst sehr gut die Situation, sehr einfühlsam - aber in welche Richtung gehen Deine Argumente?!
Einerseits sehe ich die Aussage, daß die Frau Schuld trägt, daß er das macht, weil sie ihrer Karriere nachgeht. - Da muß ich ziemlich schlucken... Denn damit, daß er aufs Kind schaut und sie arbeitet, hat er ja nicht den Auftrag, das Kind zu mißhandeln. Meist ist es umgekehrt, aber wichtig ist, daß ein Elternteil beim Kind ist - ob dies Vater oder Mutter ist, ist egal. In Deiner Geschichte steckt aber auch weiters die Aussage, daß man Männer eben nicht bei Kindern lassen soll, weil sie ja vielleicht das Kind mißhandeln könnten, was eigentlich ja auch eine schlimme Unterstellung wäre. - Vielleicht lese ja nur ich das heraus...
Festzustellen wäre dabei auch noch, daß nicht immer Männer es sind, die Kinder mißhandeln. Auch Frauen mißhandeln Kinder - auf alle Arten.

Auf der anderen Seite zeigt Deine Geschichte aber auch wunderbar auf, wie das Vertrauen des Kindes mißbraucht wird - und das finde ich wieder ganz großartig gemacht!

Am Schluß ("Als es vorbei war...") habe ich das gleiche Problem wie PeterPan...

Alles liebe,
Susi

 

Ich hab auch ein Problem damit, Susi.
Es passiert täglich irgendwo zwischen unseren Befruchtungsbunkern. Es passiert und wir können nichts tun. Das ist das Schlimme daran. Lass bitte in diesem Fall jegliche geschlechterspezifische Betrachtung aus dem Spiel. Mann, Frau. Alle können zu Schweinen degradieren. Keine Interpretationen bitte, die irgendwen ins falsche Eck stellen. Das beschriebene Tier ist in jedem von uns.

Scheint in Döbling die Sonne? Weißt du's?

Aqua, der Teetrinker.

 

Oh, in Döbling, da ziehen sicher auch oft die Wolken auf... in den Villen, wo alles so rosig ist... Nein, ich glaub, dort scheint sie auch nicht, Aqua...

 

In Döbling liegt sowas von Marie für dich herum, Susi.
Geh hin und hol es dir.

Beseelte Träume wünscht - Aqua

 

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