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Puppe
Ich krieche zurück auf allen Vieren, war immer schon das Tier dem ich jetzt ähnle, krieche weg vom Licht und hin zu einer Dunkelheit, die mich ahnen lässt, dass noch nicht alles vorbei ist. Die Hölle wartet. Auch die werde ich genießen, jetzt, wo ich weiß, was Genuss bedeuten kann. Ich lasse den ganzen Dreck zurück, den ich ihnen angetan habe und ein Gebirge aus Ungläubigkeit, einen Tränensee, in dem ich sie schwimmen ließ, in dem sie das Ufer nicht mehr fanden. Ich sehe sie, wie sie in ihrer Ohnmacht graben, ich sehe, dass sie nichts entgegenzusetzen haben. Es nie hatten, weil sie nicht wussten, was vorging. Weil keiner von ihnen von meinen Spielen wusste. Weil alle zu beschäftigt waren mit sich selbst und mir unendlichen Raum ließen für das, das neben allem anderen abging. Für das ich und Puppe gestorben sind, weil wir uns vertrauten und es das wert war.
Ich lachte allen ins Gesicht in dem Moment, als sie mich schnappten. Jetzt erst, rief ich ihnen entgegen. Jetzt erst habt ihr mich erkannt? Wenn Papa nicht gleich angerufen hätte? Was dann? Was dann, bitteschön?
Ich hätte schlauer sein können. Ich hätte es noch eine ganze Zeit verlängern können. Doch das Piepsen ihrer kleinen Schreie änderte sich, so wie ich die Spiele änderte, neue ausprobierte, dazuerfand. Irgendwann wurde der Keller zu eng für meine Träume. Ihre, unsere Schreie schwappten als Sturmflut gegen die mürben Deiche der Gesellschaft, die draußen ihren Rasen mähte, sich die Fingernägel anstrich, ihre Autos wusch.
Wir hatten eine fünfjährige Tochter. Puppe. Ich sagte Puppe zu ihr. Sie hatte die Beweglichkeit, die Reinheit und die Stille einer Puppe. Sie hatte das weiche Haar meiner Frau. Auch die schimmernde fast weiße Haut hatte sie von ihr. Meine Frau gierte nach Macht, Ansehen, nach dem schnellen Geld. Anwältin. Sportwagen. Sie hatte Liebhaber, die sie alle paar Wochen wechselte. Ihre Karriere ging steil nach oben. Ich hatte nichts mitgebracht, durfte sie trotzdem heiraten, zog in ihr Haus, wurde ihr Gärtner, Diener, Liebhaber. Dann kam Puppe zur Welt. Es war ein Kampf gewesen. Mein Kampf gegen die von meiner Frau vorgeschlagene Abtreibung. Mein Kampf um das Vertrauen und die Liebe meiner Tochter. Wir waren viel alleine. Ein großes Haus. Viel Zeit an den Nachmittagen und Abenden, wenn das Kindermädchen verschwunden war. Während meine Frau mit ihren Geschäftspartnern in den Society- Lokalen der Stadt zu Abend aß, in fremden Betten an ihrem Aufstieg bastelte, kamen wir uns näher. Puppe und ich.
Wie gesagt.
Puppe vertraute mir.
Es begann für mich die Zeit der Entdeckungen. Puppe war das Erste in meinem Leben, das auch von mir kam, das auch mir gehörte. Nicht das Haus, nicht der Sportwagen meiner Frau gehörten mir. Puppe war es. Sie hatte meine Augen und wenn ich vor ihr kniete, hat sich mein Gesicht in ihren Augen gespiegelt, die auch die meinen waren. Meine Zähne, meine Zunge, meine Schreie. Ich sagte ihr, dass ihre Schmerzen mein Glück wären, machte anfangs behutsam an ihr rum, bat sie zu piepsen dabei. Sie machte mit, mit zusammengepressten Lippen und mit der Angst, ihrem Vater sein Glück zu rauben, wenn sie es nicht täte. Danach bekam sie alles von mir. Schokolade mit Nüssen darin, einen Plüschhasen, Gewand für ihre Lieblingspuppe Elvira. Sie war meine Puppe und ich erfüllte ihr danach jeden Wunsch. Sag nichts zu Mama. Es sind unsere Spiele, Puppe. Unsere Geheimnisse. Sie hielt dicht.
Es wurde mir zuwenig.
Ich schlief schlecht, hatte große Ideen in meinen Träumen. Irgendwann nahm ich das Messer mit in den Keller. Puppe machte große Augen. Schrei ein bisschen für mich, sagte ich zu ihr. Morgen hören wir auf zu spielen. Lass uns heute schauen, wer das Spiel gewinnt. Puppe oder Papa. Dann ließ ich das Messer über ihren Körper tanzen und ließ damit alle meine Träume raus. Ich hatte so viele Träume aufgehoben. Nur für diesen Nachmittag. Puppe schrie wie ein Tier und ich spürte in ihren Schreien die Liebe, die sie für mich empfand. Ich ließ nichts aus. Nur an ihren Augen machte ich nichts. Sie waren der Spiegel, in dem ich mich wiederfand.
Als es vorbei war, rief Papa an und erzählte der Polizei von seinen Träumen.
Sie schlugen mich zusammen und sperrten mich weg zu Tieren wie ich eines war. Zu Tieren, die ähnliche Träume hatten. Sie sprachen mir die Zurechnungsfähigkeit nicht ab. Sie glaubten mir meine Träume nicht. Als ich erfuhr, wie es weitergehen würde, blieb ich ruhig. Ich nahm ja Puppe mit auf den Weg, der vor mir lag. Sie machten es schnell und es war tatsächlich in keiner Weise mit Schmerzen verbunden. Das Gift hatten sie exakt dosiert. Es tat seine Arbeit und meine Flügel wuchsen. Dann war auch das vorbei.
Jetzt krieche ich auf allen Vieren und lache, wenn ich auf den Dreck zurückblicke, der auch ohne mich der gleiche bleiben wird, weil es zu viele meiner Art dort unten gibt.
Aber Puppe ist mit mir und wir werden uns die Hölle schönspielen.
Puppe vertraut mir.