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Psyche der Einsamkeit

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05.06.2012
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Psyche der Einsamkeit

Das Prasseln des Regens hat ihm immer schon mehr gefallen als das unbarmherzige, offenbarende Strahlen der Sonne. Er sitzt vor dem Fenster und starrt auf die Szenerie vor sich, die ihn auf irgendeiner Ebene wohl berührt. Wieder setzt er sich die kalte Mündung des Revolvers auf die Schläfe. Nimmt sie weg. Setzt sie etwas weiter rechts wieder auf. Überlegt, ob er sich den Lauf doch lieber tief in den Rachen schieben soll. Wie man es möglichst schmerzlos und mit garantiertem Erfolg erledigt, hat er schon längst auf einem Dutzend Foren recherchiert. Er weiß natürlich nicht, ob dem Glauben zu schenken ist, aber was bleibt ihm sonst? Er kann schlecht jemanden um Rat fragen.
Die Waffe riecht und schmeckt ölig. Er drückt so tief, bis er den Würgereflex spürt. Dann zittern seine Hände und er lässt sie samt Waffe in seinen Schoß zurückgleiten.
Sie zu bekommen war schwieriger, als zu erfahren, wie er sie bedienen kann. Aber nur eine Frage der Zeit. Die Idee dazu lieferten ein Haufen Heldengeschichten von ruhmreichen Selbstmördern und Märtyrern. Ihr Tod wird als ehrenvoll dargestellt, trotzdem kommt er sich feige vor. Dann denkt er daran, was er verloren hat. Was er erst nie zu besitzen und dann nie zu verlieren glaubte.
Also bringen seine Hände die Waffe doch wieder in Position an seiner Schläfe. Er beginnt, hektisch zu atmen. Sein Magen wird flau, die Zunge schwer und bitter. Er versucht, tief durchzuatmen und wartet auf die Fanfaren. Dann fällt es ihm wieder ein: Wenn seine Existenz keine Rolle spielt, wird auch sein Tod niemanden bewegen. Es wird keinen Trauermarsch geben, irgendjemand wird sich höchstens über den Geruch wundern und nach vergeblichen Klingelversuchen selbst eintreten oder irgendjemand anderen dafür besorgen. Sein einziger Beitrag zur Welt wird dann eine grausige Anekdote für seinen Finder sein.
Dann überlegt er, ob er doch noch bis morgen warten soll, ob das Gefühl in seinem Magen dann vielleicht beginnt, abzuklingen. Auch wenn das wohl nur erneut seine Feigheit beweist, er legt den Revolver in eine Schachtel am Fenster. Etwas zu tun gibt es nicht. Sein Leben ist wie ein Album im Laden – nur eine leere Hülle, der Inhalt ist an der Kasse verwahrt. Was auch immer die Kasse in dieser Metapher in Wirklichkeit ist. Er hat jetzt keine Zeit, darüber nachzudenken.
Wobei, was denkt er da – natürlich hat er die Zeit. Ist die Kasse der Tod? Nein, er ist nicht religiös, er glaubt dass sein Tod mit großer Wahrscheinlichkeit das definitive Ende darstellt. Und selbst wenn, sein Leben war wohl nicht allzu sehr im Sinne irgendeiner herkömmlichen Religion. Ist er vielleicht die eine übrige Hülle, für die gar kein Inhalt mehr vorrätig ist. Oder muss er auf den Kunden warten, der ihn kauft und zur Theke bringt. In diesem Fall fiel dem Kunden wohl auf dem Weg sein anderer Geschmack auf, oder dass er sich vergriffen hatte, sodass er die Hülle zurückbrachte. Oder irgendwo einsortierte. Oder auf den Boden warf und zertrat.
Inzwischen ist es dunkel. Also schläft er. Beziehungsweise, er liegt auf dem Rücken und bestimmt den Rhythmus des pochenden Schmerzes im Magen. Was nicht leicht ist, denn dieser wird auch von seinen Gedanken und Erinnerungen bestimmt, die flüchtig und nur schwer kontrollierbar sind. Irgendwann wird ihm das aber auch langweilig. Er überlegt, ob er noch einen Wert für die Welt hat, ob er irgendetwas beizutragen hat. Die Antwort auf diese Frage ist ernüchternd, wie immer, wenn er sie stellt.
Also gibt er den sinnlosen Versuch zu schlafen auf und setzt sich wieder an das Fenster mit der Schachtel. Starrt in die jetzt dunkle Szenerie. Wolken verderben die Sicht auf die Gestirne. Soll er lieber warten bis er sie noch einmal gesehen hat? Nein, das sind wieder feige Ausflüchte. Das merkt er selbst. Er muss es jetzt beenden. Ohne Zögern. Entschlossen greift er in die Schachtel, überprüft die Trommel, setzt an und spannt den Hahn. Doch natürlich kommt wieder einer dieser Urinstinkte dazwischen, der sich gegen das, was er vorhat, sträubt.
Seine Augen scheinen vor Anspannung aus den Höhlen zu treten, so fühlt es sich für ihn an. Er schwitzt. Sein Körper scheint einen unmenschlichen Druck aufzubauen. Seine Hände gehorchen ihm nicht mehr. Er kann die Waffe nicht ruhig halten.
Eine Lösung um seine Instinkte auszulöschen hat er noch parat. Ein paar kräftige Schlucke Fusel und schon zittert er nicht mehr so stark wie vorher. Aber das Gefühl in seiner Magenkuhle hat auch nachgelassen, wie er jetzt erfreut bemerkt.
Am nächsten Morgen ist der Revolver wieder in der Schachtel und er selbst hat endlich Schlaf gefunden. Vielleicht mehr eine Bewusstlosigkeit, aber immerhin ein Fortschritt.
Er steht auf, stößt mit dem Zeh gegen die leere Flasche und läuft fluchend zum Bad, um den Inhalt der Flasche zu großen Teilen wieder von sich zu geben. Danach setzt er sich auf den Klodeckel und hat dummerweise nichts mehr zu tun, das ihn vom Denken abhält. Er verflucht seine eigene unwillkürliche Neugier. Sie zwingt ihn, sich zu erinnern, warum er überhaupt bedrückt war, und einem Sturzbach gleich erreicht er seinen Zustand von gestern Abend mit einem Schwall von Gefühlen, die sich wie ein hässlicher Klumpen in ihm sammeln, mit fast schon vertrauter Beständigkeit Schmerzimpulse aus seinem Unterleib senden und ihren neuen Verbündeten, den dröhnenden Schädel, freudig willkommen heißen.
Er zieht irgendetwas über und geht in einen Laden. Die Blicke der Leute, manche mitleidig, die meisten verächtlich, verträgt er mit einer neugewonnenen Art des Zynismus, die ihn selbst erstaunt. An der Kasse, den Korb voller Flaschen, erkennt er, dass es einfach an seiner neuen Einstellung liegt: Es ist ihm egal. Fast schon befreiend. Hält ihn kurze Zeit vom Denken an ... verdammt. Tückisch, diese Verdrängungsbeschäftigung. Trügerisch und unsicher. Die Kassiererin schenkt ihm ein mechanisches Lächeln, doch beim Gehen sieht er ihr Naserümpfen.
Die nächste Woche durchlebt er nur halb bewusst. Sein Hals brennt am Samstag. Er erkennt eine jetzt-oder-nie-Situation wenn er sie sieht. Er kann weitermachen wie bisher, dann landet er irgendwann im Obdachlosenasyl oder auf der Straße. So oder so wird er zugrunde gehen. Oder er spart sich seinen letzten Rest Würde auf, und erledigt es selbst. Übt noch ein letztes Mal entscheidenden Einfluss auf sein eigenes Leben aus.
Am Fenster. Die Nacht ist klar. Der Mond fast voll. Kein Regen. Kein Gewitter. Dennoch ein Donnerschlag. Danach endlich Ruhe.

 

Hallo Tiberius

Ich fand die Episode aus dem Leben des Protagonisten nicht schlecht dargestellt. Nicht melodramatisch, nicht tränendrüsendrückend, weitgehend sachlich, wenn auch mit eher schwachem Motiv. Der Titel ist aus zwei Gründen für mein Empfinden jedoch nicht ganz glücklich gewählt. Von der Psyche der Einsamkeit zu sprechen klingt abwegig, weckt mir allenfalls Erwartungen an die mythologische Gestalt, die sich nicht erfüllen kann. Da Psyche übersetzt aber nicht nur Seele bedeutet, sondern auch Atem, Hauch, gäbe es mit einer deutschen Wortwahl einen treffenderen Sinn. Des Weiteren kommt die Einsamkeit in der Geschichte als solches nicht voll zum Tragen, der Zustand des Prot. zeichnet sich stärker durch Apathie aus, was Vereinsamung einschliesst.

Folgend noch einige Anmerkungen zum Text aus meiner Sichtweise als Leser:

Das Prasseln des Regens hat ihm immer schon mehr gefallen als das unbarmherzige, offenbarende Strahlen der Sonne.

Der Begriff Offenbarung im Zusammenhang mit dem Strahlen der Sonne erscheint mir unsinnig. Etwas offenbaren setzt voraus, dass es bisher nicht bekannt war, etwas entschlüsselt. Der Satz liest sich also treffender ohne dieses Wort.

Überlegt, ob er sich den Lauf doch lieber tief in den Rachen schieben soll. Wie man es sauber und mit garantiertem Erfolg erledigt, hat er schon längst auf einem Dutzend Foren recherchiert. Er weiß natürlich nicht, ob dem Glauben zu schenken ist, aber was bleibt ihm sonst?

Da hat der Prot. schlecht recherchiert, es ist weder sauber noch ist der erwartete Erfolg sicher. Überlebende sehen dann wie Kriegsversehrte aus, denen ein Teil des Gesichts und darunter liegendem Knochen weggefetzt wurde.

Die Idee dazu lieferten ein Haufen Heldengeschichten von ruhmreichen Selbstmördern und Märtyrern. Ihr Tod wird als ehrenvoll dargestellt, trotzdem kommt er sich feige vor.

Ein Haufen suggeriert, dass er sehr belesen ist in diesem Gebiet. Dies klingt manisch. Dass er solches las und sich identifiziert ist im Rahmen, auch wenn nicht kennzeichnend für seine apathische Wesensart. Hierbei stolperte ich auch über das feige, was voraussetzt, dass er sich zu einer Rechtfertigung andern gegenüber verpflichtet fühlt. Wenn er stattdessen Angst davor hat, ist es alleweil verständlich.

Dann denkt er daran, was er verloren hat. Was er erst nie zu besitzen und dann nie zu verlieren glaubte.

Der zweite Satz ist etwas verschlungen, er entschlüsselte sich mir als Leser erst bei genauer Hinterfragung. Etwas gekürzt und mit Komma dem ersten Satz angeschlossen, würde es klarer darlegen.

Dann fällt es ihm wieder ein: wenn seine Existenz keine Rolle spielt, wird auch sein Tod niemanden bewegen.

Wenn (nach Doppelpunkt grossgeschreiben)
Eine narzisstische Regung, die ihn aufgrund der beschriebenen Wesensart eigentlich unberührt lassen könnte. Aber natürlich sind menschliche Charaktere kompliziert und lassen sich nicht auf ein Symptom reduzieren. Dies würde sich vielleicht plausibler weisen, wenn stärker durchscheint, dass er nicht immer so apathisch war.

Endlich. Auch wenn das wohl nur erneut seine Feigheit beweist, er legt den Revolver in eine Schachtel am Fenster.

Das endlich erscheint mir hier überflüssig. Es ist die Erzählstimme, die da ansonsten völlig unparteiisch spricht. Warum dieser Bruch? Einem Leser, dem die Situation ansonsten schwerfällt, wird es sich selbst denken.

In diesem Fall fiel dem Kunden wohl auf dem Weg sein anderer Geschmack auf, oder dass er sich vergriffen hatte, sodass er die Hülle zurück brachte.

Dies ist eine Stelle, an der ich schmunzeln musste, wenn ich mir die Szene ins faktische Leben übersetzte. (Zurückbrachte lässt sich in einem Wort fassen)

Also schläft er. Beziehungsweise, er liegt auf dem Rücken und bestimmt den Rhythmus des pochenden Schmerzes im Magen.

Wenn er nicht einschlafen kann, ist höchstens von der Absicht die Rede, aber nicht: Also schläft er.

Aber das Gefühl in seiner Magenkuhle hat auch nachgelassen, wie er jetzt euphorisch bemerkt.

Euphorisch klingt mir hier zu übertrieben. Ich würde dies abschwächen, ihm aber durchaus ein in sich befriedigendes Gefühl unterstellen.

Vielleicht mehr eine Bewusstlosigkeit, aber immerhin ein Fortschritt. Er steht auf, stößt mit dem Zeh gegen die leere Flasche und läuft fluchend zum Bad, um den Inhalt der Flasche zu großen Teilen wieder von sich zu geben.

Diese beiden Sätze würde ich durch eine Zeilenschaltung trennen, denn es sind zwei verschiedene Situationen. In der Ersten er noch am Schlafen.

Danach setzt er sich auf den Klodeckel und hat dummerweise nichts mehr zu tun, dass ihn vom Denken abhält.

das

Er verflucht seine eigene unwillkürliche Neugier, die ihn zwingt, …

Hier hast du einen Bandwurmsatz produziert, der sich zugunsten dem Leser gut aufteilen lässt.

Er zieht irgendetwas über und geht in einen Laden. Die Blicke der Leute, manche mitleidig, die meisten verächtlich, verträgt er mit einer neugewonnenen Art des Zynismus, die ihn selbst erstaunt.

Dies lässt mir Fragen offen, deren eigene Beantwortung ich als Leser nur höchst vage vornehmen könnte. In was für einen Laden? Zu welchem Zweck? Weshalb wird er verächtlich gemustert?

Hält ihn kurze Zeit vom Denken an...verdammt.

Leerschlag vor und nach den Auslassungszeichen.

Die nächste Woche durchlebt er nur halb bei Bewusstsein.

Nur halb bewusst, wirkte mir hier treffender. Auch wenn stark alkoholisiert, war er wohl nicht direkt bewusstlos, oder?

Beim ersten Lesen bemerkte ich an vier oder fünf Stellen fehlende Kommas, die ich beim zweiten Durchgang zum Kommentieren aber dann nicht mehr suchte. Du solltest es diesbezüglich noch durchsehen.

Die Geschichte habe ich gern gelesen, da sie sich der Thematik auf einer Ebene nähert, die versucht nachzuvollziehen, was in diesem Protagonisten vor sich geht, ohne zu heroisieren oder überschwänglich zu dramatisieren.

Schöne Grüsse

Anakreon

 

Hallo Anakreon,

Zunächst einmal ein Dankeschön, dass du dir die Mühe gemacht hast, meine Geschichte zu lesen und zu werten.
Ich gebe zu, über einen Titel nachzudenken habe ich bis kurz vor der Veröffentlichung hier vollkommen vergessen. Die Geschichte schlummerte schon eine Weile auf meinem Rechner und ich wollte im Grunde wissen, ob mir die Analyse dessen, was einen Selbstmörder ausmacht, einigermaßen überzeugend geglückt ist.
Mit der Abneigung des Prot. gegen die "offenbarenden" Sonnenstrahlen wollte ich eine behutsame Andeutung seines fehlenden Selbstwertes erreichen - im Licht der Sonne kann er sich nicht vor seiner Umgebung verbergen. Was ihm später erst, wie er feststellt, doch egal wird.
Wenn das zu weit hergeholt erscheint, kann ich das Wort natürlich auch streichen.

Wie man es sauber und mit garantiertem Erfolg erledigt

Sauber ist nicht das richtige Wort an dieser Stelle, zum Ausdruck sollte eher gebracht werden: Ohne unnötig lange Qual.
Wird ersetzt mit "möglichst schmerzlos"
Welche Methode nun die beste ist, hat allerdings nur der Protagonist, nicht der Autor recherchiert, letzterer kann auf dieses Detail gern verzichten.

Zu den Geschichten: Ich denke da vor allem an diverse Action/Kriegsfilme, in denen die klassische "lasst-mich-zurück"-Szene auftaucht. In der Regel begegnen wohl jedem einige fiktive oder mit realem Hintergrund ausgestattete Szenarios, in denen die selbstaufopfernde Haltung einer Figur oder Persönlichkeit, einschließlich ihres Todes, z.T. glorifizierend dargestellt wird, ohne dass man dabei spezielles Interesse genau dafür hegen müsste.

Dann denkt er daran, was er verloren hat. Was er erst nie zu besitzen und dann nie zu verlieren glaubte.

Konkreter wird das Ereignis, das letztendlich zu der Tat führte, nicht direkt angesprochen. Gerade diese Unklarheit zu belassen, auch mithilfe der Ausdrucksweise, war mir wichtig.

"Endlich" wird ohne Einwände gestrichen.

Inzwischen ist es dunkel. Also schläft er.

Dieser relativ banalen Gedankengang des Prot. einzuschieben, im Widerspruch zu der essentiellen Entscheidung, die er zu fällen gedenkt, soll verdeutlichen wie er sich an ein wenig Gewohnheit und Normalität zurückführen will, auch wenn das Vorhaben scheitert. "Also schläft er" stellt eine Aufforderung des Prot. an sich selbst dar. Wie ein Versuch, die Rückkehr zu Gewohnheit und Normalität zu erzwingen.

"Euphorisch" ist wirklich zu stark, das hätte mir eigentlich selbst auffallen müssen. Lieber "erfreut".

Die nächsten drei Kritikpunkte sehe ich ebenso ein.

Dies lässt mir Fragen offen, deren eigene Beantwortung ich als Leser nur höchst vage vornehmen könnte. In was für einen Laden? Zu welchem Zweck? Weshalb wird er verächtlich gemustert?

Hm, was für einen Laden genau er betritt, ist nicht entscheidend, oder? Es gibt dort die Flaschen, mit deren Inhalt er seinen Schmerz wegzuspülen versucht, der Zweck seines Besuches ist doch damit schon erklärt. Vielleicht fehlt noch eine Andeutung seiner äußeren Verfassung. In meiner Vorstellung hat ihn seine längere Zeit andauernde Antriebslosigkeit verwahrlosen lassen. Auf Hygiene ist er auch nicht mehr allzu sehr bedacht. Ich werde noch eine Möglichkeit suchen, das eindeutiger für den Leser herauszustellen.

Zu guter Letzt, die beiden letzten Punkte muss ich wohl auch einsehen.

Ich bedanke mich nochmal fürs Lesen und kommentieren!

Schöne Grüße

Tiberius

 

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