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Protokoll 2b
Protokoll 2b
Es gab auf der Welt kaum einen Menschen, der die seltsame Lichterscheinung nicht gesehen hatte, sei es mit eigen Augen oder nur im Fernsehen. In der Nacht vom neunten auf den zehnten August standen sie zu Tausenden auf den Straßen und blickten zum Sternenhimmel empor, wo die Lichtquelle einer Sternschnuppe gleich auf einer festen Bahn leuchtete, nur um dann plötzlich einen wilden Zickzackkurs zu fliegen, der die offizielle Erklärung, es handle sich nur um einen Kometen, eindeutig widerlegte.
Jeder der ein Teleskop besaß wusste, um was es sich wirklich handelte, genau wie alle UFO-Gläubigen, die erst gar keine Bestätigung brauchten.
Sämtliche Behörden, die ihr Auge auf den Weltraum gerichtet hatten, wussten natürlich schon lange vor der Bevölkerung, dass sich der Erde ein eindeutig künstlich erschaffenes Objekt von gewaltigen Ausmaßen näherte. Man hatte sogar schon vor dem Sichtkontakt mit dem fremden Flugobjekt eine Nachricht aus den Tiefen des Weltraums erhalten. Es war die von ihnen selbst ausgesandte Nachricht gewesen, die intelligente Lebensformen auf anderen Planeten über die Existenz der Erde und ihre Bewohner informieren sollte.
Zuerst hatte man auch ein bisher unbekanntes kosmisches Phänomen in Betracht gezogen, doch als die Nachricht im Abstand von exakt 24 Stunden wiederholt wurde, bestand kein Zweifel mehr daran, dass der Absender die Nachricht auch verstanden hatte.
Als in der Nacht vom neunten auf den zehnten August also die ganze Welt ihre Augen auf den Himmel richtete, hatte ein Komitee bestehend aus Wissenschaftlern und Politikern schon längst alles klar gemacht. Bereits im April hatten sie einen Willkommensgruß ausgesandt, der auch prompt beantwortet wurde. Diesmal nicht durch ein stures Zurücksenden, sondern durch eine freundliche Grußbotschaft, deren betonungsloser Klang klarmachte, dass es sich dabei um eine vom Computer erschaffene Stimme handelte. In den folgenden Monaten herrschte ein reger Funkverkehr, in dessen Verlauf die Aliens ihren Wunsch äußerten, der Erde einen persönlichen Besuch abzustatten. Sie einigten sich auf die Möglichkeit eines späteren Austauschs von Wissen und Technologie. Jeder der davon wusste, fieberte dem zehnten August entgegen, dem Tag, für den die Landung der fremden Wesen geplant war.
Die Aliens hatten nicht darauf bestanden, die ganze Bevölkerung der Erde mit einzubeziehen, und das Komitee hatten beschlossen, diese Aufgabe so lange wie möglich aufzuschieben. So wurde erst am Morgen des zehnten August, ungefähr gegen sechs Uhr mitteleuropäischer Zeit, die Geschichte vom Kometen widerrufen, und die Wahrheit an die Bevölkerung weitergegeben. Zumindest soweit, daß es ich bei dem Objekt wirklich um ein UFO handelte und es Kontakt mit der Erde aufgenommen hatte. Schon ohne preiszugeben, dass die Außerirdischen landen würden, versetzte diese Nachricht die ganze Welt in einen Schockzustand.
Einkaufszentren wurden von panischen Massen überrannt, die vor der sicherlich bevorstehenden Invasion noch Vorräte anlegen wollten. Auch sämtliche Geschäfte die Waffen führten, waren bald leergeräumt. Zwischen sieben und acht Uhr mitteleuropäischer Zeit wurde die Terranische Befreiungsarmee gegründet. UFO-Gläubige brachten zeitweise das Telefonnetz zum Zusammenbrechen, indem sie jede Behörde mit Anfragen bombardierten, ob die Aliens landen würden, und wie hoch in diesem Fall die Chance stünde, mit zu den Sternen fliegen zu können. Um neun Uhr war es unmöglich Independence Day, Krieg der Welten oder eine ähnliche Geschichte aufzutreiben, sei es als Video, Buch, Comic, Audiokassette oder Computerspiel. Gegen halb elf hatte die TBA weltweit schon über zehntausend Mitglieder. Auch Polizei, Feuerwehr und Krankenhäuser hatten alle Hände voll zu tun.
Das eigentliche Ereignis des Tages, die Landung der Fremden war auf drei Uhr nachmittags angesetzt. Als Landeplatz hatte man eine kleine, unbewohnte Mittelmeerinsel gewählt, um nicht noch mehr Aufruhr zu verursachen. Aber eigentlich wäre es zu diesem Zeitpunkt auch egal gewesen, wenn das Raumschiff in der Innenstadt von Paris aufgesetzt hätte. Schon vor Wochen hatte man das betreffende Gebiet vorbereitet. Unmengen an Kameras waren auf die Insel gebracht worden, zusammen mit den führenden Wissenschaftlern fast aller Forschungszweige. Gegen zwölf Uhr mittags trafen auch die Staatsmänner ein, wobei fast jedes Land vertreten war. Der Papst kam eine halbe Stunde später, was wohl daran lag, daß er sich mehr oder weniger selbst eingeladen hatte. Dass die Außerirdischen Katholiken waren, wurde in Fachkreisen bezweifelt, und da sie bisher nicht über das Thema Religion gesprochen hatten, zogen es allen Beteiligten vor, die Gäste erst einmal zu begrüßen und dann vielleicht irgendwann später einmal auf Glaubensfragen einzugehen. So flog der Papst um ein Uhr wieder ab, um die Landung und die Invasion der Aliens, die er ganz klar kommen sah, eine Stunde später aufs schärfste zu verurteilen, was nun auch die restliche Weltbevölkerung über die Landung informierte.
Zehn Minuten vor drei nahmen die Anwesenden einen leuchtenden Punkt am Himmel war, der sich langsam und bedächtig herabsenkte. Den Zuschauern stockte der Atem, als das riesige Schiff, von hundert glitzernder Lichter umspielt, immer weiter hinabsank. Doch ungefähr 500 Meter über dem Erdboden hielt es unvermittelt an. Einige bange Sekunden folgten, in denen sich jeder fragte, was wohl falsch gelaufen sei, und ob die Aliens vielleicht doch Katholiken waren.
Ein Funkspruch der Aliens verschaffte Klarheit. Sie entschuldigten sich dafür, bei ihren bisherigen Transmissionen vergessen zu haben, den traditionellen Ablauf eines ersten Kontaktes gemäß Protokoll 2B genauer zu schildern. Die Erde wurde darüber informiert, dass man nach den Traditionen und Vorschriften der interstellaren Raumfahrt der erste Kontakt durch den Austausch von wertvollen Geschenken besiegeln würde. Man verschob die Landung also auf drei Uhr am folgenden Tag und verschaffte der Erde somit immerhin ganze 24 Stunden, um ein würdiges Geschenk aufzutreiben.
Das man es wirklich fertig brachte, ein solches zusammenzustellen, grenzte schon an ein Wunder. Und nicht nur weil UFO-Fanatiker, die im Internet von der Sache erfahren hatten und sich freiwillig als Geschenk meldeten, die Organisation immens erschwerten.
Viel komplizierter erwies sich die Auswahl des Geschenks, denn niemand wusste so genau, was die Aliens als würdiges Geschenk erachten würden. Die Idee, ihnen wertvolle Kunstwerke mitzugeben, wurde schnell verworfen, und auch der Vorschlag, der schnelle Sportwagen, fette Uhren und andere Statussymbole beinhaltete, wurde rasch abgewiesen. Wobei Beobachter meinten, dass dieser Plan nur daran scheiterte, dass man sich nicht auf die Marken einigen konnte.
So entschloss man sich letztendlich für Edelsteine, da die Aliens geometrische Formen und bunte Lichter zu schätzen schienen. Und um dem Geschenk die richtige Würde zu verleihen, beschloss man ganz einfach, ihnen eine doch recht erhebliche Menge von dem Zeug zu überlassen.
Am nächsten Tag hatten sich natürlich auch die Medien eingefunden, und die Hälfte der Menschheit saß daheim vor dem Radio oder dem frisch erplünderten Fernseher. Auch einige betuchtere Privatpersonen hatten es geschafft, sich am Ort des Geschehens einzufinden, und mit ihnen nun auch alle möglichen Vertreter aller möglichen großen und kleinen Religion. Nur der Papst war daheim geblieben.
Glücklicherweise hatte es kein Mitglied der TBA geschafft, dem Landeplatz nahe zu kommen.
Als sich das Raumschiff Punkt drei wieder am Himmel zeigte und das Plündern wieder so richtig losging, erscholl aus Milliarden von Kehlen ein langgezogenes „Oh“. Diejenigen, die nicht „Oh“ riefen, sagten Dinge wie „Polizei! Stehenbleiben“, „Scheiße, die Bullen kommen“ oder hatten vor lauter Rennen gar nicht mehr genug Luft, um überhaupt etwas herauszubringen.
Diesmal blieb das glitzernde Schiff nicht in der Luft stehen, sondern setzte nach dem Ausfahren fremd anmutender Landestützen, die so groß wie Hochhäuser waren, auf dem Boden auf. Die Erde bebte unter dem Gewicht des tetraederförmigen Kolosses.
Für einige Minuten stand das Schiff einfach nur da, ein Berg von schwarzem Metall mit Discobeleuchtung. Doch dann öffnete sich eine Klappe an der Unterseite des Raumschiffs, und eine Delegation von zehn Außerirdischen kam zu Vorschein. Hunderte von Kameras richteten sich auf die Ankömmlinge, deren Bild auf den Fernsehschirmen von Milliarden Augenpaaren beobachtet wurde.
Die Aliens waren etwas größer als Menschen, doch Genaues konnte man aufgrund ihrer voluminösen und klobigen Raumanzüge nicht sagen. Selbst die Anzahl der Gliedmaßen konnte aufgrund der vielen Kabel und unförmigen Ausbuchtungen nur geschätzt werden.
Ihnen folge eine Art vollautomatischen, futuristische Schubkarre, in der zwei riesige metallische Truhen thronten.
Ehrfürchtig standen sich die Vertreter des fremden Planeten und die der Erde gegenüber. Einer der Außerirdischen drückte auf einen Knopf an seinem Anzug, und aus dem Inneren des Schiffes ertönten die Worte „Wir grüßen die Bevölkerung der Erde“ in allen lebendigen und drei toten Sprachen. Auf diese zeitraubende Prozedur folgte ein nicht minder zeitraubendes Händeschütteln, wobei die Vertreter der Erde einfach den Teil des Raumanzuges schüttelten, der sich ihnen am deutlichsten entgegenstreckte, respektive den, den sie zuerst zu fassen bekamen. Die Fremden nahmen daran keinen Anstoß.
Als auch dieser Teil der Zeremonie abgeschlossen war, folgte die Geschenkübergabe. Für den verschlossenen Behälter, den die Menschen den Aliens zuschoben, bekamen sie eine der verschlossenen Truhen. Zwar hatten die Aliens versichert, dass der Inhalt nicht radioaktiv oder in irgendeiner anderen Weise schädlich sei, doch man ließ Vorsicht walten und hielt die Truhe vorerst verschlossen. Die Aliens wiederum richteten einen seltsamen Apparat auf ihre Geschenkkiste, unterhielten sich kurz, entweder über Funk oder auf einer für das menschliche Gehör nicht wahrnehmbaren Frequenz, und bedankten sich dann für das Geschenk.
Selbstverständlich wieder in allen lebendigen und drei toten Sprachen.
Nachdem dies vollbracht war, öffneten sie die zweite Kiste. Zum Vorschein kam ein tetraederförmiges Metallgestell, das mit einem farbigen Stoff bespannt war. Dankend nahmen die Repräsentanten der Erde die Flagge an. Gleich darauf drehten sich die Aliens um und verschwanden in ihrem Schiff, das wenige Minuten später wieder abhob.
Noch Jahre später war die Erde in hellem Aufruhr. Alle warteten darauf, dass sich die Außerirdischen wieder melden würden. Die Medien kannten natürlich nur noch ein Thema, wobei die Frage nach dem Inhalt der Truhe verhältnismäßig oft aufkam.
Im Internet wurden wilde Diskussionen geführt und abenteuerliche Gerüchte gestreut, die Mutmaßungen reichten von einer Zeitmaschine über den Heiligen Gral bis hin zu ewig haltenden Glühbirnen. Die wenigen Personen die wussten, was die Truhe wirklich enthielt, zogen es vor zu schweigen.
Und nicht nur, weil sie dazu gezwungen wurden. Der eigentliche Grund war, dass sie sich für den Inhalt der Kiste schämten.
Den die Erde hatte schlich und einfach eine leer Truhe erhalten.
Auf dem außerirdischen Schiff hingegen waren Gespräche über die Erde auch nach Jahren immer noch sehr beliebt.
Die Wesen machten humorvolle Bemerkung darüber, wie die Menschen verzweifelt nach etwas Ausschau gehalten hatten, das nach einem Arm aussah, und die Zuhörer rieben immer wieder ihre Fühler mit einem schnarrenden Geräusch aneinander, das einem Lachen doch recht ähnlich war. Bisher hatte sich niemand so leicht hereinlegen lassen wie die Menschheit.