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Propeller
Propeller
Als sie damit begonnen haben, konnte niemand wissen, wohin es führen würde. Jetzt aber leben wir mit dem, was geschah. Beten wir, dass sie Erfolg haben werden.
Die kontinuierliche Erwärmung der Erdoberfläche ist auf eine Vergrößerung des Ozonlochs zurückzuführen, was wiederum zusammenhängt, mit der offensichtlich eintretenden Verschiebung der Rotationsachse der Erdkugel und mit zahlreichen, immer noch unbekannten Faktoren. Die Forschung konzentriert sich derzeit darauf, die Ursachen für die Achs- und Positionsverschiebungen zu eruieren. Man hofft, auf diese Weise Einfluss auf die aktuellen Entwicklungen nehmen zu können.
Folge der Verschiebung ist einerseits die bereits spürbare Erwärmung. Dadurch breiten sich die afrikanischen und asiatischen Wüsten aus und Jahrtausende alte Gletscher, sowie die Polkappen schmelzen messbar ab. Durch diese Vorgänge wiederum steigen die Meeresspiegel an und treten große Flächen besiedelten Landes unter Wasser. Anderseits führen die klimatischen Veränderungen auch zu unzähligen Naturkatastrophen. Beispielhaft seien hier das Phänomen "el niño" oder die stark erhöhten Regenfälle in Mittel- und Nord-Europa genannt.
Ich weiß, dass Sie all das bereits aus den Nachrichten kennen. Dass sie über Klima-Gipfel und Konferenzen, über Abkommen und Ratifizierungen bestens informiert sind. Das ist auch nicht das, worüber ich Sie aufklären will. Das sind nur die Auswirkungen. Ich weiß, dass es nicht für die breite Öffentlichkeit bestimmt ist. Dass man es nicht einfach so herausposaunen sollte. Aber wissen Sie, ich bin ganz persönlich der Meinung, dass man die Gelegenheit haben sollte, sich darauf einzustellen. Deshalb möchte ich Ihnen anvertrauen, was mit uns geschieht.
Es fing schon vor Jahren an. Vor einigen Jahren. Sie haben beschlossen, dass es jetzt an der Zeit ist. Vermutlich war es höchste Zeit. Die Entscheidung selbst muss schon um einiges älter sein. Aber ihre Realisierung ließ auf sich warten. Ihre Realisierbarkeit. Die kläglichen Versuche beinahe seit Anbeginn der Zeit haben sich als untauglich erwiesen. Mit Anlagen aus Stein und Holz und Tuch. Jetzt aber hat der technische Fortschritt uns eine neue Dimension eröffnet. Sie zu nutzen ist die Aufgabe, der wir uns verschrieben haben.
Zuerst gab es Überlegungen, das Projekt unter Geheimhaltung auszuführen. Zur Vermeidung von Panik, aber auch aus Angst vor Sabotage. Aber dann kam man zum dem Schluss, dass es früher oder später ohnehin bemerkt werden würde. Das Konzept, auf das man sich letztlich einigte, ist um einiges raffinierter. Wenn man die nötigen Anlagen nicht verstecken konnte, musste man sie in aller Öffentlichkeit aufbauen. Ihr Zweck dagegen sollte geheim bleiben.
Mittlerweile finden Sie sie überall. Ihre Wirkung lässt noch zu wünschen übrig, aber möglicherweise gelingt es uns noch rechtzeitig, die entsprechenden Kapazitäten zu aktivieren. Das Aufreißen des Ozonloches hat die Lage entscheidend verschärft. Es ist Eile geboten.
Die Anlagen sind mittlerweile weit verteilt. Ihre Steuerung ist beinahe ausgereift und der augenblickliche Stand ist, dass wir unsere Position weitgehend halten können. Die Drift wurde gemindert. Zumindest das. Die Forschung hat ergeben, dass auf der Nordhalbkugel, vorwiegend in Europa, die Standorte bestimmt werden mussten, an denen die Anlagen zu installieren waren. Auch auf anderen Kontinenten wurden zahlreiche Anlagen errichtet. Diese sind für die Feinsteuerung verantwortlich.
Die hohen Betonmasten werden tief im Erdreich verankert, um den enormen Kräften standhalten zu können. Laufen alle Propeller auf voller Kraft, so gelingt es beinahe vollständig, die Drift zu unterbinden. Das Kippen des Globus kann damit für einige Stunden aufgehalten werden. Aber noch ist es nicht möglich, die fehlerhafte Neigung zu korrigieren. Auch nicht, die volle Leistung für einen längeren Zeitraum aufrecht zu erhalten. Folge einer langfristigen Einwirkung der Motoren ist bislang eine Serie von Erschütterungen. Diese treten nur in den seltensten Fällen in unmittelbarer Nähe der Propeller auf. Meist finden die Beben und Eruptionen auf der exakt entgegengesetzten Seite des Erdballs statt. Dort sind die Verwüstungen immens, wie Sie wissen.
Wir versuchen also unser Bestes, um die Ballance zu halten. Ich will Ihnen allerdings nichts vormachen. Der Punkt, an dem der Globus das Gleichgewicht verlieren wird, an dem die Unwucht ihn ins Trudeln bringt, ist beinahe erreicht. Von diesem Punkt an, kann nicht einmal unser Projekt diesen Untergang aufhalten, dessen Ursachen bis heute unbekannt sind. Ich bitte Sie daher, sich darauf einzustellen, dass wir für nichts garantieren können. Sich darauf vorzubereiten, dass wir verlieren könnten.
Eigentlich, das ist wahr, ist dieser Tag der offenen Tür, hier im sogenannten "Windgenerator" dazu bestimmt, Ihnen die offizielle Version seiner Funktion nahezubringen. Umweltgerechte Stromerzeugung aus regenerativen Energien, heißt das im Fachjargon. Verzeihen Sie mir, dass ich Sie nun mit dem konfrontiert habe, was uns in Wirklichkeit erwartet. Nach all den Jahren des Lügens und der Heimlichkeit war ich nicht mehr im Stande, Sie im Unklaren zu lassen, und obwohl es nicht meiner Aufgabe in diesem Betrieb entspricht, geschweige denn meiner Position in der Organisation, musste ich sprechen.
Trotz alledem wünsche ich Ihnen und Ihren Familien noch einen angenehmen Tag. Helfen Sie uns zu hoffen, dass es gelingen wird, das Kippmoment abzuwenden. Wir tun unser Möglichstes, um Sie und uns alle zu retten. Falls aber nicht, sind die Folgen unabschätzbar. Es wird sich nicht um Tage oder Wochen handeln, nicht einmal um Monate, soweit wir wissen. Aller Wahrscheinlichkeit nach werden uns nach dem Tage X noch ein oder zwei Jahre erwarten. Sicher ist dann aber eines: Es wird zuende gehen. Dies ist erst der Vorbote des Anfangs.