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Prominenz im öffentlichen Personennahverkehr

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25.08.2003
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Prominenz im öffentlichen Personennahverkehr

Nun ist die Stadt, in der ich lebe nicht gerade das, was man unter einer Weltstadt versteht. „Nicht mehr“, mögen da einige Vorwitzige rufen, und die Alteingesessenen werden maulen „Weltstadt? Was soll das überhaupt sein? Berlin (hämisches Grinsen)“ ? Na, Bonn jedenfalls nicht.
Interessant ist aber, dass sich doch einige Prominenz in Bonn tummelt.
So sah ich neulich an der Haltestelle Bonn-Hauptbahnhof, aus dem Fenster der Straßenbahn -in Bonn auch „U-Bahn“ (warum nicht gleich „Bundes-U-Bahn“) genannt, da sie durch einen Tunnel fährt- Lothar Vosseler. Lothar Vosseler, werden sie jetzt vielleicht sagen, den kenn‘ ich nicht, der ist doch gar nicht prominent. Das ist falsch. Ihnen sagt der Name Lothar Vosseler vielleicht nichts, aber Gerhardt Schröder kennen sie schon, oder? Der Lothar Vosseler ist nämlich sein Halbbruder, und also prominent („allgemein rühmlich bekannt“, Deutsches Wörterbuch: Fremdwörterlexikon, Zweiburgen Verlag, 1984). Komisch ist nur, dass Lothar Vosseler zumindest nach Informationen des Kampfblattes für sozialen Ausgleich (BILD) zur Zeit auf Mallorca weilt, wo er sein Geld als Ausflugskapitän von Glasbodenbooten verdient. Herr Vosseler: „Geht zwar nur bis August, aber schön warm ist es und andere Leute machen hier Urlaub“, ja eben drum. Scheinbar hat er also Zeit gefunden, neben seiner Arbeit als Kapitän auch noch ab und zu in Bonn nach dem Rechten zu schauen, denn nachdem ich ihn das erste Mal entdeckt hatte, lief er mir noch zweimal über den Weg, immer an der Haltestelle Bonn-Hauptbahnhof. Da Prominente ja nicht so gern angesprochen werden, immer diese lästigen Autogrammjäger(!), habe ich mich nicht getraut Herrn Vosseler zu fragen, was er denn in Bonn so treibe und wie der Job als Glasbodenbootausflugskapitän denn so laufe. Sie müssen wissen, Herr Vosseler hatte es nicht leicht. Er war lange arbeitslos (ja, auch die Prominenz verschont das Schicksal nicht, besonders die familiär bedingte Prominenz nicht. Stefan Effenbergs Bruder ist ebenfalls arbeitslos und Prinz Charles sonnt sich ja auch nur im Ruhm seiner früh verstorbenen Gemahlin. Was daraufhin deuten könnte, dass a) Gott einen Sinn für hintersinnigen Humor hat, b) Gott keinen Sinn für Humor hat oder c) es nur diejenigen Arbeitslosen in die BILD-Zeitung schaffen, die wirklich prominente Verwandte haben), arbeitete dann als Kanalröhrenreiniger irgendwo in Ostwestfalen bis ihm auch dort wegen der allgemein schlechten wirtschaftlichen Lage gekündigt wurde und lebt jetzt halt auf Mallorca, was ja auch nicht leicht ist.
Doch nun zu unserem eigentlichen Thema: Neuerdings fahre ich Straßenbahn mit, jetzt halten sie sich aber fest, Peter Handke. Ja, genau dem, ein literarisches Monument. Das kam so: Eines morgens, ich wartete um halb acht auf die Straßenbahn und schaute mir die Leute an, wie man das halt morgens so tut, wenn man keine Lust hat über irgendwelche Möchtegern-Prominenz in einschlägigen Fachmagazinen zu lesen.
Dort saß ich also, als mir ein gutgekleideter Herr in einem beigen Trechcord auffiel, der einen dunkelgrünen Hut trug. Unter dem Hut hervor lugten einzelne, leicht gelockte Strähnen grau-blonden Haars. Von hinten konnte man sehen, dass der so gegen alle Eventualitäten des Wetters gewappnete Herr die rechte Hand an’s Kinn gelegt hatte. Bzw. das konnte man natürlich nicht sehen, aber es war zu erahnen denn den rechten Arm, der schließlich in eine Hand mündet oder vielleicht besser endet, hing nicht schlaff am Körper herunter, sondern war an den Brustkorb angelegt. Hätte ich zu diesem Zeitpunkt schon gewusst, dass es sich bei dem Herren um Peter Handke handelt, hätte mich diese Körperhaltung, die ja eine stehende Variation des berühmten sitzenden Denkers von Rodin ist, nicht verwundert, denn schließlich ist Peter Handke ein berühmter Dichter, der früh morgens nicht die Muße hat in der Zeitung „Buntes aus aller Welt“ zu lesen oder geheimnisvolle Herren an der Straßenbahnhaltestelle zu mustern, sondern gespannt in die Ferne schaut, einem uns unergründlichen, ihm klaren, Ziel, entgegen.
Als ich in die Bahn eingestiegen war, konnte ich den Herren wieder sehen, diesmal von vorne und da erkannte ich ihn. Es war Peter Handke, kein Zweifel, die Augen der Mund. Er läßt sich übrigens einen Drei-Tage-Bart stehen (sieht nicht unelegant aus) und sein Haupthaar ist tatsächlich eher grau-blond als braun. Vielleicht färbt er aber auch (unbewiesene Behauptung, die ich jederzeit auch ohne Unterlassungsklage zurücknehme). Am nächsten Morgen stand Peter Handke wieder da. Mir fiel auf, dass er eine abgenutzte Aldi-Tüte bei sich trägt, in der wahrscheinlich seine Notizzettel mit den Ideen für neue Stücke sind. Auf jeden Fall ist Herr Handke ein äußerst sympathischer, bescheiden auftretender Herr, der jeden Morgen mit der 22 Richtung Kieslachstr. fährt. Vielleicht frage ich ihn morgen nach einem Autogramm.

 

Ja, ich weiß, evt. eher Humor, aber Alltag ohne Humor ist auch blöd, oder?
Greetings
Lobo

 

Hi Lobo

Schon beim zweiten Satz hat sich ein heimtückisches Schmunzeln auf mein Gesicht geschlichen und wollte dann nicht mehr weichen bis zum Schluss. Überzeugender Humor :thumbsup:

Wenn man davon absieht, dass der Text keine klassische Geschichte ist und eher als Kolumne oder Leserbrief durchgehen würde, halte ich ihn für sehr gelungen.
Besonders die Selbstironie hat mir gefallen, obwohl sich der Prot hier und da über BILD und Konsorten lustig macht, scheint er selbst ziemlich gut unterrichtet zu sein für einen Nicht-Bildleser ;)

Ich hätte mir eine richtige Pointe gewünscht, dass er Peter Handke trifft, kommt zwar überraschend, aber als Schluss reicht das mMn nicht.

Liebe Grüße
wolkenkind

 

Hallo Wolkenkind,

erstmal vielen Dank für deine positive Kritik. Es stimmt, der Text ist eher als Kolumnne angelegt. Die Schlusspointe, ja, die Schlusspointe wollte mir bis zum Schluss einfach nicht einfallen. Dafür das nächste Mal mit, bestimmt.
Gruß
Lobo

 

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