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Prometheus 3
Prometheus 3
Der Flug in den mittleren Erdorbit war weder besonders spannend noch besonders beliebt. Das Spannendste war bisher das Andocken ihrer Raumkapsel an den Raumschlepper gewesen, der in einer niedrigen Umlaufbahn auf sie gewartet hatte. Besonders beliebt war der Flug schon deshalb nicht, weil er mitten in den Van-Allen Gürtel führte. In diesem Strahlungsgürtel um die Erde war die Teilchenstrahlung besonders hoch. Wer zulange blieb konnte sich Krebs einfangen, sein Erbgut ruinieren, die Netzhaut seiner Augen schädigen, und noch ein paar andere unerfreuliche Dinge mehr.
Aber diese Flüge waren gut bezahlt. Sehr gut sogar. Denn in den Feldlinien des Erdmagnetfelds fing sich Antimaterie. Einzelne Atome dieser exotischen Materie entstanden, wenn die kosmischer Hintergrundstrahlung auf die obersten Schichten der Erdatmosphäre traf. Sie bewegten sich entlang der Feldlinien des Erdmagnetfeldes. Daher gab es im Van-Allen Gürtel eine Menge Antimaterie. Relativ gesehen. Nicht mehr als hier und da ein Atom. Doch schon unglaublich winzige Mengen hatten ein Energiepotential, das alle anderen bekannten Energiequellen weit in den Schatten stellte.
Für Jana, die Pilotin dieses Fluges zu einem der Antimaterie-Sammler im Van-Allen Gürtel, war das ihr erster Flug dorthin. Ihre Firma vergab diese Routen nur an Freiwillige. Die Prämien waren hoch, es gab immer genügend Bewerber. So hatte sich auch Jana freiwillig gemeldet.
Sie hatte den Flug im Simulator trainiert. Die Flüge im Simulator waren spannender gewesen als der in der Wirklichkeit. Hier tat sich seit dem Verlassen der niedrigen Umlaufbahn absolut nichts. Schwerelos trieben sie dem Scheitelpunkt ihrer Ellipsenbahn entgegen. Das nächste Manöver war erst in ein paar Stunden fällig, und die beiden Passagiere neben ihr waren auch nicht sehr gesprächig. Rechts außen saß George, ein stämmiger Ukrainer. Er machte den Eindruck eines erfahrenen Raumfahrers. Er war offenbar eingeschlafen.
Neben ihr saß Brad, ein Kanadier. Er hatte das Bahneinschussmanöver mit Argusaugen verfolgt. Mittlerweile hatte er sich etwas entspannt und las die ganze Zeit Wartungsanleitungen auf seinem Computer. Der Sitz links neben Jana war ausgebaut worden und hatte einem Frachtcontainer Platz gemacht, der knapp durch die Luke passte. Passagiere und Fracht gehörten 'Orbital Energy Ltd.', einem der Konzerne, die draußen im Van-Allen Gürtel tätig waren.
„Brad, darf ich dich was fragen?“ versuchte Jana das Schweigen zu brechen.
„Hm … natürlich.“ Die Antwort klang wenig begeistert.
„Was macht ihr da draußen eigentlich, ich meine, das Antimaterie-Sammeln, und so?“
Brad sah sie von der Seite an. Hatte sie wirklich keine Ahnung, oder wollte sie nur Smalltalk betreiben?
„Na ja, wir sammeln das Zeug eben. Ich meine die Anti-Protonen, wenn sie vorbeifliegen. Wir fangen sie mit einem großen Magneten. Viel erwischt man nicht, aber paar Nanogramm im Jahr reichen für's Geschäft. Sie kommen in einen magnetischen Speicher, und wenn der voll ist, fliegt er automatisch zur Erde. Die Antimaterie geht an ein Kraftwerk. Ein bisschen Antimaterie in eine Ladung schwerer Wasserstoff, und voilà, sie zerstrahlt und der Wasserstoff fusioniert. Ganz simple Geschichte.“
Er wandte sich wieder seinem Computer zu, in der Hoffnung seinen Beitrag zur Konversation damit erledigt zu haben.
Jana war damit keineswegs zufrieden. „Und was macht ihr dann da draußen, ich meine ihr beide? Die Sammler arbeiten ja automatisch, wegen der Strahlung und so. Wieso fliegt ihr dann dorthin?“
„Was haben sie dir denn erzählt?“ fragte Brad vorsichtig.
„Nur das Übliche, die Flugdaten, ein Charterflug für Reparatur und Wartung, zwei Passagiere plus Fracht. Und dass es drei bis vier Tage dauern kann, bis wir wieder zurück fliegen.“
„Ja, genau ...“ Brad war wirklich nicht besonders gesprächig.
„Na komm schon, warum fliegt ihr da raus?“
„Wir müssen etwas reparieren.“ Pause „Der Sammler arbeitet zur Zeit nicht. Wir hatten einen Quench im Supraleiter. Er war plötzlich nicht mehr supraleitend. Da hat es ein paar Wicklungen durchgebrannt.“
Jana dachte laut nach: „Eine paar Wicklungen könnte man doch sicher umgehen, oder?“
„Prinzipiell ja, aber als der Bordcomputer das System wieder hochfahren wollte, hatten wir plötzlich 'ne Menge elektrischen Widerstand. Die Solarzellen liefern auch weniger Strom. Und die Sensoren im Segel zeigen Asymmetrien an. Da hat's mehr, fürchte ich. Die Diagnosesysteme helfen uns nicht weiter, also müssen wir raus und uns das selber ansehen.“
Jana kamen Bedenken. „Sag mal, ist da eigentlich Antimaterie in dem magnetischen Speicher? Oder ist der leer?“
Brand grinste säuerlich. „Der Speicher ist halb voll. Und der Stoff ist noch drinnen. Wenn der Speicher ausgefallen wäre, hättest du davon gehört! Den Lichtblitz würde man auf der Erde am helllichten Tag sehen, und die Gammastrahlung wäre noch am Pluto draußen zu messen. Nein, nein, der Speicher ist sicher, absolut sicher, keine Sorge.“
Jana sah ihn zweifelnd an. Ihr erster Flug in den Van-Allen Gürtel schien keine reine Routine zu werden. Andererseits, dachte sie, hat er wahrscheinlich recht. Der Speicher hatte eine unabhängige Stromversorgung und war so sicher gebaut, dass er an Bord einer automatischen Kapsel zur Erde zurückkehren konnte. Er konnte tagelang im Wasser, in der Wüste oder im ewigen Eis liegen. Wenn allerdings die Batterien leer würden und das Magnetfeld des Speichers zusammenbrach, oder wenn Luft in sein Vakuum eindrang, wäre es günstig, nicht in der Nähe zu sein ...
Zwei Stunden später waren sie fast am Scheitelpunkt ihrer Bahn. Ihr Ziel, der Antimaterie-Sammler, war schon auf dem Radar erkennbar. Der Computer hatte ihn anhand seines Transponder-Signals als 'Prometheus 3' identifiziert. Er näherte sich mit beträchtlicher Geschwindigkeit 'von hinten', während ihr eigenes Raumschiff langsam dem Scheitelpunkt seiner Ellipsenbahn entgegen trieb.
Sie mussten warten, bis der Sammler sie überholt hatte, bevor sie ihm nachfliegen konnten. Jeder Triebwerks*ausstoß in Richtung des Sammlers war zu vermeiden. Der Speicherbereich sollte nicht mit normaler Materie verunreinigt werden, wozu auch der Abgasstrahl einer Düse gehörte.
Prometheus wurde nun auch über die Außenbordkameras sichtbar. Sein Hauptkörper war ein 200*m durch*messendes, dunkles, vogelnestartiges Gebilde. Supraleitender Draht rankte sich in großen Wicklungen auf der Schattenseite eines riesigen Sonnensegels das ihn gegen die Sonnenstrahlen schützte. In Schatten des Segels war es kalt. Dadurch war der Draht supraleitend und konnte die immensen Ströme des Einfang-Magnetfelds ertragen. Solarzellen auf der sonnenzugewandte Seite des Segels erzeugten diesen Strom.
Am Rand des Sonnensegels leuchteten einige unscheinbare bläuliche Lichter. Kleine Ionentriebwerke kompensierten den Lichtdruck der Sonne und verhinderten, dass der Sammler im Laufe der Jahre aus der Bahn trieb.
„Pass auf, gleich wird’s hell!“ warnte Brad. Der Sammler war an ihnen vorübergezogen, die Sonnenseite des Segels kam jetzt ins Blickfeld. Der Bildschirm wurde kurz von blendender Helligkeit überstrahlt, bevor die Kameras sich den neuen Lichtverhältnissen angepasst hatten.
Jetzt stand dasBahnmanöver auf dem Programm. Sie machten sich daran, Prometheus einzuholen.
„Okay. Jungs, es geht los! Bereit für Beschleunigung?“ Zustimmendes Brummen von den Passagieren.
Der Countdown erreichte seinen Nullpunkt. „Zündung!“ In den beiden stummelartigen Treibwerksgondeln erwachten die Manövertriebwerke mit dumpfen Grollen. Die Passagiere wurden sanft in die Sitze gedrückt. Auf Janas Konsole leuchteten orange Triebwerkskontrollleuchten auf. Der Bildschirm zeigte die Minuten und Sekunden bis zum Brennschluss. Sie meldete der Flugkontrolle den Beginn des Manövers: „Kaliningrad, Oscar Tango Eins Eins, OMS vier begonnen, Zündung nominal.“ Die Flugkontrolle bestätigte sofort: „Roger, Eins Eins, Zündung nominal.“
Prometheus, der sich in den letzten Minuten von ihnen entfernt hatte, wurde scheinbar langsamer, und begann dann allmählich wieder auf sie zu zukommen. Brennschluss. Die Lichter auf der Konsole erloschen. Die Crew federte aus ihren Sitzen, wurde aber von den Gurten zurückgehalten.
Während der nächsten Stunde näherten sie sich dem blendend hellen Sonnensegel, bis es schließlich den halben Weltraum vor ihnen auszufüllen schien. Die integrierten Solarzellen gaben ihm einen regenbogenartigen Glanz, wie bei einer alten CD, wenn man sie ins Licht hielt.
„Schaut mal, da ist was auf dem Segel, Richtung zwei Uhr!“ Eine Stelle glänzte nicht so ebenmäßig wie das restliche Segel. Jana schaltete die Telekamera auf die Bildschirme ihrer Passagiere, die sofort interessiert die Bilder studierten.
„Das Segel sieht verzogen aus, vielleicht ein Riss, oder eine Überdehnung.“ mutmaßte Brad. „Kann ich mal mit meiner Firma reden?“ fragte er.
„Wenn du mit den Omnis Verbindung kriegst, sicher. Die Hauptantenne brauch ich für das Andock-Radar.“ Die 'Omnis' waren die kleinen Rundstrahlantennen des Schleppers. Die große Hauptantenne, über die normalerweise die Kommunikation lief, war nach vorne gerichtet und maß den kleiner werdenden Abstand zum Sammler. Brad versuchte es trotzdem. Nach zwei Versuchen brachte er eine Verbindung zustande. Leise schilderte er der Firma seine Beobachtungen.
Jana hatte keine Zeit sich darum zu kümmern. Sie flog das Andockmanöver nach Instrumenten. Das heißt, der Computer flog. Sie hatte ein wachsames Auge auf seine Manöver. Im Abstand von 50 m begann der Computer, das Raumschiff langsam in Rotation zu versetzen, um sich der Drehung von Prometheus anzugleichen. Um das Sonnensegel gespannt zu halten, rotierte der Sammler drei mal in der Stunde um seine Längsachse. Dieser Drehung mussten sie sich anpassen, bevor sie andocken konnten.
Die Passagiere wurden etwas unruhig und schalteten auf ihren Bildschirmen ständig zwischen den Außenansichten und den Fluginstrumenten hin und her. Zur Beruhigung zählte Jana den verbleibenden Abstand herunter: „Drehung synchron, Entfernung 30, Geschwindigkeit 0,4. Auf Kurs.“ Das Fauchen der kleinen Steuerdüsen war ein paarmal zu hören, als der Schlepper weiter abbremste. Zwei Minuten später glitt, begleitet von einem metallischen Schaben, die Andocksonde in dem Aufnahmekegel und hakte ein. Die Elektromotoren der mechanischen Befestigung jaulten kurz auf, und verschraubten die beiden Dockringe miteinander.
Die Bilder der seitlichen Kameras zeigen ringförmige Wellen im Sonnensegel. Mit majestätischer Langsamkeit liefen sie vom Zentrum nach außen, als ob jemand einen Stein in einen Tümpel aus flüssigem Silber geworfen hätte. Nachdem der Stoß des Andockens abgeklungen war, beruhigte sich die Oberfläche wieder,.
Brad und George schwebten durch die Kabine des Schleppers. Beide trugen leichte Innenbord-Raumanzüge. Sie schlossen die Helme und prüften die Dichtheit. Jana verriegelte die Luke hinter ihnen. Auch sie hatte jetzt ihren Helm auf.
Am vorderen Ende des Schleppers befand sich die Luke zum Kontrollraum von Prometheus. Sie war noch geschlossen, und die Vorschrift verlangte, dass die Crew beim Öffnen dieser Luke Raumanzüge trug, auch wenn die Atmosphären-Kontrollen grünes Licht für drüben anzeigten.
Sie entfernten den Deckel, der den Tunnel zu Prometheus bisher verschlossen hatte. Ohne Gegendruck konnten sie den Deckel in den Sammler hinein drücken und schwebten kurz danach in dessen Kontrollraum.
George blickte auf sein Atmosphären-Messgerät. „Ich würde sagen, wir riskieren es.“
„Okay.“ Brad hielt die Luft an und öffnete seinen Helm. Es knackte in seinen Ohren, er spürte die kühle Luft des Sammlers. „Kalt und trocken wie eine Wüstennacht. In Ordnung, der Druck ist stabil.“
Er wandte sich den Kontrollen des Sammlers zu und überflog sie.
„Wir sollten uns gleich mal die Stelle im Sonnensegel anschauen, die uns beim Anflug aufgefallen ist. Jana, hast du einen Fußball an Bord?“
„Du meinst einen PSA, oder?“ Janas Stimme klang etwas verwirrt aus dem Kopfhörer.
Ein PSA, ein 'Personal Satellite Assistant', war eine Kunststoffkugel mit winzigen Kameras, Elektronik und Batterien. Ein Kaltgas-Manöver System erlaubte es ihm, in der Schwerelosigkeit herumzufliegen und den Astronauten Bilder von draußen zu liefern.
„Ja. Wir können ihn raus schicken und uns die Geschichte erst mal in Ruhe ansehen. Das spart uns einen Weltraumspaziergang, und dann wissen wir genauer, was los ist.“
Eine halbe Stunde später war der 'Fußball' aktiviert, mit komprimiertem Stickstoff betankt und bereit zum Abflug. Die Bildschirme seiner Minikameras zeigten die blendende Helligkeit des Sonnensegels. Per Fernsteuerung manövrierte Jana den PSA aus der Schleuse, dann nahm er selbstständig Kurs auf den Rand des Segels. Zwei Minuten später bremste die kleine Kugel ab und kam kurz vor dem äußeren Rand des Segels zum Stillstand. Mit majestätischer Langsamkeit zog die glänzende Oberfläche unter ihm vorbei.
„Viel sieht man ja nicht, nur die Folie mit den Solarzellen, ab und zu eine Speiche.“
„Warte mal ab.“ sagte Brad „Die Stelle müsste bald ins Bild kommen.“
Alle starten gespannt auf die Schirme.
„Ich glaub', da hinten kommt was.“ George war der Erste, dem die Unregelmäßigkeit auffiel, die sich durch die Rotation auf die Kamera zu bewegte. Jetzt wurde die dunkle Stelle zusehends größer.
„Das Segel hängt irgendwie durch … da! Das ist ein Riss! Oh, das schaut nicht gut aus.“ Die Kameras zeigten einen langen Riss im Segel. Das hatte seine Spannung verloren und hing durch, von der Sonne weg. Der Riss hatte sich geöffnet, und die Sonne schien auf das darunterliegende Drahtgeflecht.
„Bingo!“ sagte Brad, „Entweder war das ein Meteorit, oder ein Stück Weltraumschrott, oder so was in der Art. Die Sonne scheint durch den Riss und heizt den Draht auf. Wir werden das Segel flicken müssen, damit der Draht wieder kalt wird..“
„Am rotierenden Segel geht das nicht.“ wandte George ein. „Wir müssen es erst abbremsen, bevor wir da ran können.“
„Okay, ich frag mal unten an um Freigabe.“ Brad aktivierte den Sprachkanal zur Bodenstation und schilderte ihre Einschätzung. Die Antwort kam rasch.
„Wir haben grünes Licht. Wir sollen die Drehung stoppen und das Segel mit Mylar-Folie und UV-Kleber flicken. Und während wir warten bis das Segel steht, sollen wir die Leistungselektronik prüfen, ob die was abgekriegt hat.“
„Jaja, nur die Ruhe.“ maulte George. Als Bordelektriker war das sein Job. Bis er die ganze Elektronik geprüft hatte würde soviel Zeit vergehen, dass er sich im Anschluss gleich auf den Ausstieg vorbereiten musste. Ein Weltraumspaziergang nach acht Stunden Flug und weiteren acht Stunden Arbeit war kein Honiglecken.
„Ich würde sagen, wir starten die Diagnoseprogramme und machen dann mal Pause, damit wir beim Ausstieg einigermaßen frisch sind.“ Zustimmendes Gemurmel von allen Seiten.
Brad war inzwischen zum Steuerstand geschwebt und aktivierte das Bremsprogramm. Die kleinen Ionentriebwerke am Rand des Segels schwenkten in seitliche Richtung und arbeiteten jetzt gegen die Drehung. Bis sie allerdings den Drall des Sammlers gestoppt hatten, würden noch zehn Stunden vergehen.
„Okay Großer, dann mal ran an die Arbeit. Wir werken also jetzt noch zwei Stunden, anschließend essen wir was und hauen uns aufs Ohr, bis der Wecker läutet.“
Zehn Stunden später, nach einem hastigen Frühstück mit Orangensaft aus der Quetschtüte, folgte das Anlegen und Prüfen der Raumanzüge. In voller Ausrüstung kletterten Brad und George in die enge Kapsel, die sie hierher gebracht hatte. Es gab keine eigene Luftschleuse, also musste die Kapsel als Schleuse dienen
Jana hatte in den Prometheus-Kontrollraum gewechselt und verfolgte von dort den Ausstieg. Der PSA war wieder mit von der Partie und zeigte Bilder von den beiden Gestalten in klobigen Raumanzügen, die sich durch die Luke der Raumkapsel zwängten. Aus ihrem Frachtcontainer hatten sie ein Paket hauchdünner, aber sehr reißfester Folie entnommen, dazu Werkzeuge und Tuben mit zähflüssigem Kunstharz.
Über eine lose Leine waren die beiden zwar miteinander verbunden, aber nicht mit dem Schiff.
„Passt bloß auf und verfliegt euch nicht“, ulkte Jana, „wenn ich euch holen muss, dauert das seine Zeit.“
„Wir schaffen das schon. Pass lieber auf, dass uns der Fußball nicht bei der Arbeit in die Quere kommt.“
„Roger.“ Jana bremste den PSA per Fernsteuerung mit einem kurzen Gasstoß ab, damit er hinter den beiden zurückblieb.
Sie flogen in größerem Abstand über das Segel, damit sie die Schadensstelle besser überblicken konnten. Der Riss verlief schräg von innen nach außen. Ein Fremdkörper war offenbar in flachem Winkel durch das Segel geflogen und hatte es aufgerissen. Glück im Unglück war, dass er nicht das Zentrum des Sammlers mit dem Speicher getroffen hatte. Wäre der Speicher zerstört worden, hätte die Antimaterie mit der Umgebung reagiert und den ganzen Sammler in Sekundenbruchteilen in einer Atomexplosion zerstört.
Dass so etwas immer, theoretisch also auch jetzt, geschehen konnte, gehörte zu den Berufsrisiken eines Wartungstechnikers auf einem Antimaterie-Sammler. Brad beruhigte sich allerdings mit zwei Gedanken:
Erstens war es statistisch gesehen äußerst unwahrscheinlich, dass so etwas überhaupt passierte.
Und falls doch, wäre er wahrscheinlich tot, bevor er es bemerken würde!
Er schüttelte die wenig hilfreichen Gedanken ab. Er musste sich auf den Einsatz konzentrieren. Ohne die stabilisierende Rotation hatte das Segel an Spannung verloren. Es wölbte sich zwischen den Speichen, der Riss war schwer zu erkennen.
Jana betrachtete auf ihren Bildschirmen die Übertragung der beiden Helmkameras und des PSAs. Sie zeigten die beiden Astronauten, die sich jetzt dem Segel näherten.
„Könnt ihr den Rissanfang sehen?“fragte sie.
„Ja. Das Segel ist hier überdehnt. So ganz faltenfrei werden wir das nicht mehr hinbekommen.“
Im Laufe der nächsten Stunden klebten sie zunächst provisorisch die losen Risskanten des Segel aneinander, um wieder etwas Spannung ins Segel zu bringen. Mit dem Spezialkleber aus ihren Klebepistolen bestrichen sie die Kanten und deckten sie dann mit der hauchdünnen, silbrig glänzenden Reparaturfolie ab. Der Kleber würde im Laufe der nächsten Stunden unter dem UV-Licht der Sonne aushärten.
George war 'unter' das Segel getaucht, auf die kalte Seite, wenige Meter über den Drahtschleifen. Er drückte die Risskanten von unten gegen die Reparaturstelle. Die Arbeit verlangte den ständigen Einsatz ihrer Manöverdüsen, damit sie nicht fort getrieben wurden. Buchstäblich mit den letzten Litern aus den Tanks ihrer Anzüge flogen sie schließlich zum Raumschlepper zurück und stiegen durch die Luke wieder ein.
„Okay, du kannst abdocken und den Spin-up einleiten. „sagte Brad per Funk, „Es dauert sowieso Stunden, bis wir wieder auf Touren kommen, kein Grund länger als notwendig zu warten.“
Um Prometheus nicht unnötig zu belasten löste Jana die Dockverbindung. Das Klacken der zurückfedernden Haltebolzen klang wie ein entfernter Kanonenschuss durch die Wände der Kabine. Mit kurzen Stößen aus den Steuerdüsen zog sich der Schlepper ein paar Meter zurück, bevor sich der Sammler in Bewegung setzte..
Während der nächsten Stunden brachten die Ionentriebwerke den Sammler langsam wieder in Drehung. Zuerst nur unmerklich, dann zusehends schneller, begann sich das Segel unter ihnen wieder zu drehen.
„Sieht aus, als ob es hält. Die Sensoren im Segel sind im Nominal-Bereich. Wir warten jetzt noch acht Stunden. Wenn bis dahin alles heil bleibt, holen wir uns das Okay für den Rückflug.“
Das Segel hielt. Die Wicklungen der magnetischen Spule kühlten ab und waren wieder betriebsbereit. Die Solarzellen lieferten durch die abgedeckte Reparaturstelle zwar etwas weniger Strom, aber das war unter diesen Bedingungen akzeptabel.
Weit unter ihnen hatte sich die Erde in eine günstige Position gedreht Der Bordcomputer zündete die Triebwerke und schoss ihre Kapsel auf die Rückkehrbahn zur Erde ein. Als sie 200 km entfernt waren, nahm Prometheus seinen Betrieb wieder auf, und fing jene winzigen Teilchen ein, die später auf der Erde das heißeste aller Feuer entfachen würden.
* * *