Professor Zoing und die künstliche Intelligenz
Das Radio spielte ein altes Lied, draußen hagelte es leicht, da kam plötzlich Martin Schmidt zur Labortür herein. Er ist ein alter Freund von Professor Zoing, sein Hilfsarbeiter oder auch sein Kumpane, aber manchmal auch sein Komplize.
Drin war es schön warm, obwohl kalte Neonlichter den Raum erhellten.
„Professor Zoing, es kann nicht so weitergehen! Die Presse hat schon seit Wochen nichts mehr von ihnen gehört!“, sagte Martin Schmidt.
Er bahnte sich seinen Weg zum Professor durch Kisten mit Prozessoren und Halbleiterbahnen und unzähligen bunten Kabeln, die überall im Labor herumlagen.
Professor Zoing pfeifte vor sich hin, als er gerade einige Dioden mit dem Diodenzupfer anzupfte.
„Was ist denn los?“, fragte Professor Zoing unverblümt.
„Das wollte ich sie gerade fragen. Was ist hier los?“, sagte Martin Schmidt, während er sich erstaunt umblickte.
„Das ist mein neuster Coup.“, sagte Professor Zoing. „Ich erfinde die künstliche Intelligenz.“
„Nein.“, sagte Martin Schmidt.
„Doch.“, sagte Professor Zoing.
„Aber Doktor Paraculus hat mit seinem Traktatus Golemus Nonsensibus kurz TGN, quasi bestätigt, das künstliche Intelligenz nicht möglich, bzw. nicht richtig ist.“
„Ach, du meinst, seine philosophische Anschauung über das sogenannte Ablöse-Paradoxon.“, fragte Professor Zoing.
„Ach, so nennt man das?“, fragte Martin Schmidt.
„Ja, denn es heisst, würden die Menschen künstliche Intelligenz erschaffen, würden sie als Schöpfer einer neuen Lebensform in diesem Augenblick von ihr abgelöst werden, somit unbrauchbar gemacht werden. Diese neue Lebensform hätte demnach als einzige Aufgabe im Leben, die nächste Ebene der Schöpfung, nämlich die künstliche künstliche Intelligenz zu erschaffen. Und diese wiederum würde dann die künstliche künstliche künstliche Intelligenz erschaffen. Immer weiter würde das gehen, immer schneller und besser, mit dem Ziel, die absolute Unabhängigkeit zu erreichen. Wie wir ja alle wissen ist die vollendete Unabhängigkeit in Reinform die simple Nichtexistenz. Irgendwann käme man an diesem Punkt an, und alles beginnt von vorne, da die Existenz aus der toten Materie entsteht. Das Leben dreht sich also im ewigen Kreislauf. Doktor Paraculus hat das ganz richtig erkannt, dennoch baut er nur auf seine Theorie, und nicht auf die Praxis.“
„Und wie wollen sie das wiederlegen?“, fragte Martin Schmidt.
„Nun,“ sagte Professor Zoing. „Ich will meine Behauptung bestätigen, daß man nicht lebt, um etwas zu machen, sondern etwas macht, um zu leben.“
„Versteh´ ich nicht.“, sagte Martin Schmidt.
„Sagen sie der Presse: wenn ich immer nur das machen würde, was man von mir erwartet, dann bestände kein Unterschied zwischen der Existenz und der Nichtexistenz. Und komm morgen wieder, dann verstehst du, was ich meine.“
Nachdem Martin Schmidt verwundert den Raum verließ, werkelte Professor Zoing weiter an verschiedenen Sachen.
Am nächsten Tag kam wie bestellt der Hilfskumpane Martin Schmidt zu Professor Zoing ins Labor. Auf dem Weg dorthin malte er sich die tollsten Sachen aus, mit dem der Professor mal wieder Alle ins höchste Staunen versetzen würde. Er hatte bestimmt ein golden glänzendes Supergehirn erschaffen, das einem Quantensprung innerhalb weniger nano-sekunden zu berechnen vermochte.
Im Labor angekommen war er tatsächlich verwundert, der Professor hatte aufgeräumt, der Raum war ordentlich. In der Mitte des Raumes bewegten sich zwei menschengroße Puppen. Sie waren aus ganz billigem Kartoffelsack-material. Die Augen waren angenähte Hosenknöpfe und der Mund war grob aufgemalt. Sie schlugen sich, abwechselnd in den Bauch und ins Gesicht. Bei jedem Schlag hörte man aus dem inneren der jeweiligen Puppe ein gequältes Dröhnen, das entfernte Ähnlichkeit mit einem menschlichen Seufzer hatte.
Martin wunderte sich sehr, aber noch mehr, als die beiden Puppen augenblicklich aufhörten, sich zu schlagen und sich in die Arme fielen, zärtlich liebkosend. Dabei hörte man leise Gluckslaute.
Und so plötzlich, wie sie sich liebkosten, so plötzlich stießen sie sich wieder voneinander weg und begannen erneut, sich zu prügeln.
Das wiederholte sich einige Male und Martin Schmidt betrachtete das alles mit sehr verwundertem Strinrunzeln. Da kam Professor Zoing ins Labor.
„Ah, sie sind schon da, lieber Kollege.“, sagte Professor Zoing mit erfreutem Lächeln.
„Professor Zoing,“, stammelte Martin Schmidt. „Was ist das?“
Er deutete auf die beiden Puppen.
„Das, mein Herr, ist die künstliche Intelligenz, die ich geschaffen habe.“
„Was? Warum prügeln die sich, und umarmen sich gleich wieder... was soll das... können die was anderes auch noch?“, fragte Martin Schmidt.
„Nein!„ lachte Professor Zoing. „Mehr ist nicht drin. Da sind nur ein paar mechanische Motoren und Sensoren und ein Tonband drin. Die einzige Elektronik, die sich darin befindet, ist ausschließlich auf Liebe und Hass programmiert.“
„Das verstehe ich nicht. Wo ist da die Intelligenz?“, fragte Martin Schmidt.
„Intelligenz ist relativ.“ Antwortete Professor Zoing. „Eine Amöbe ist auch eine Art Intelligenz.“
„Ich verstehe immer noch nicht. Warum müssen sie sich ablösend bekämpfen und umarmen?“
„Das sind die beiden Gegensätze des Lebens. Sie durchleben in ständiger Abwechslung die höchste Extase und den abgrundtiefsten Schmerz. Sowohl passiv als auch aktiv.“
„Wie witzig, Professor Zoing. Das kann man doch nicht Leben nennen, eine blöde Puppe mit einem Tonband und einem Sensor drin, das ist doch kein Leben.“
„Wie sieht es denn in ihnen aus, mein lieber Freund? Bestehen sie nicht auch aus Sensoren und Leitungen und reagierenden Wiedergabegeräten? Um etwas zu fühlen, muss ich doch nicht in der Lage sein, isolineare Quantengleichungen abzuleiten. Alles, was zur Reaktion vorhanden sein muss, ist vorhanden.“
„Die Puppe fühlt doch nicht wirklich Schmerz. Sie fühlt auch keine Liebe! Das kann nicht sein!“
„Wieso nicht? Ich habe es in die Elektronik eingegeben: Umarmung = Liebe. Schläge = Hass. Nichts einfacher als das!“, lachte Professor Zoing.
„Und in wiefern wiederlegt das hier Doktor Paraculus´ Theorie über das TGN, oder das Ablöse-paradoxon, wie sie es nennen?“
„Das liegt doch auf der Hand: Obwohl die Vorraussetzungen für künstliche Intelligenz und empfindsames Leben hiermit erfüllt sind, wird man wohl kaum davon ausgehen können, das wir Menschen von solchen Puppen abgelöst werden können.“
„Das würde ich aber mal sagen.“, murmelte Martin Schmidt.
„Nein, aber fest steht: Das hier ist Leben. Hier ist was los. Sie sind in Aktion. Sie fühlen, sie leiden, sie brauchen sich, sie schaffen eine eigene innere Welt, in der die konstante Abwechslung die Leere der Existenz auffüllt. Sie leben mehr als so mancher Mensch.“
„Sie spielen Gott.“, sagte Martin Schmidt.
„Sie schmeicheln, mein lieber Martin Schmidt. Aber ich spiele Gott und Teufel in einer Person.“
„Aha. Gut.“, sagte Martin Schmidt. „Aber... selbst wenn das so ist, das diese Puppen wirklich leben... was soll das bewirken? Was haben Sie davon? Sie stehen wochenlang in ihrem Labor und überlegen und machen und tun... heraus kommt ein blödes philosophisches Spielchen. Das interessiert doch nun wirklich keine Sau!“
„Das kann schon sein, Herr Schmidt.“, sagte Professor Zoing etwas distinguiert.
„Aber irgend etwas muss man doch tun.“
ENDE