Professor Zoing und der Schweigekrieg
Es war einmal, auf einem verlassenen und felsigen Planeten, der ganz weit außen lag, noch hinter dem Abgasplaneten und sogar noch hinter dem bis heute unbenutzten Alphorn-Test-Planeten; da versammelte sich ein Völkchen von Subquantengroßen Zwergen. Diese Zwerge wurden noch von keinem noch so tüfteligen Forscher entdeckt, da die Zwerge sich dank ihrer unglaublichen Winzigkeit hinter Atomstaub verstecken konnten. Und Atomstaub ist ja bekanntlich viel viel viel kleiner als das kleinste Atomkernchen.
Außerdem suchte man nicht genau genug, um sie zu entdecken, denn wie soll man etwas finden, von dem man nicht mal weiß, das es existiert? Hätte es einen Hinweis darauf gegeben, das dort auf dem unbekannten und unbewohnten Planeten in einer Felsschlucht unter einem Kieselsteinchen zwischen zwei Staubkörnchen ein ganzes Volk haust, dann hätte man vielleicht mit viel Mühe irgendwas gefunden. Aber so kam es niemandem in den Sinn nach irgendwas zu suchen, woher denn, man hat schließlich besseres zu tun.
Doch Professor Zoing war natürlich der erste, dem etwas auffiel. Und zwar Millionen von Lichtjahren entfernt, auf seinem Heimatplaneten. Dort tüftelte er gerade an der Weltformel herum und es gelang ihm sogar, auf die Lösung zu kommen. Danach war ihm etwas fad, denn das Geheimnis der Welt ist ein bisschen langweilig, wenn man es erstmal raus hat.
Er spielte aus lauter Frust ein wenig mit den Formeln herum und berechnete zum Spaß die Menge der Materie im ganzen Universum. Dabei nahm er die Daten aller bekannten Planeten und Sterne und sonstiger Himmelskörper, analysierte die Beschaffenheit. Dann nahm er alle sonstigen vorkommenden Elemente des Universums und berechnete die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens und die Verteilung. Dann ließ er sich von seinem Computer sämtliche Vektoren aller Atome des Weltalls vorlesen, bis ihm die Haare grün wurden. Dann setzte er auch dies in eine Formel, die im Zusammenhang mit der chronologischen Differenz eine endlos lange und unglaublich komplizierte Gleichung bildete.
„Gleichungen müssen gekürzt werden!“, sang Professor Zoing vergnügt.
Und so kürzte er und kürzte, bis das Ergebnis der Gleichung der Weltformel entsprach – diese lautete nämlich 1 = 1. Das heißt, die Gleichung hätte 1 = 1 anzeigen sollen, bei der zweiten 1 war jedoch eine fast nicht vorhandene Abweichung vorhanden. Die Abweichung war so klein, das man alle Nullen der Welt hätte nebeneinander stellen können und sie hätten immer noch Zillionenmal so viel angezeigt, wie die Abweichung betrug. Jeder normale Mathematiker hätte diese Abweichung (wenn er sie bemerkt hätte) als „durchaus und ohne weitere Bedenken zu vernachlässigen“ eingestuft und ignoriert. Nicht so unser Professor Zoing.
Er konnte einfach nicht sein Federmäppchen schließen, ohne vorher den Fehler in der Formel gefunden zu haben.
Er begann also, die Rechnung zurück zu verfolgen und nachzuforschen, wo denn dieser winzige Fehler seinen Ursprung haben könnte. Diese Suche gestaltete sich als sehr ermüdend, denn je weiter er in die Formel eindrang, desto kleiner wurde die Abweichung. Doch nach einem harten Kampf hatte er das Ergebnis. Bei einem der Planeten, die er anfangs eingab, stimmte das Subquantenniveau nicht überein mit der zu interpolierenden Menge. Das konnte nur heißen, das dort auf diesem Planeten etwas sein musste, was noch gänzlich unbekannt war.
So machte sich Professor Zoing mit seinem Zoing-o-spaceschiff auf zu diesem Planeten.
Währendessen herrschte auf dem besagten Planeten in der besagten Felsschlucht unter dem besagten Kieselstein, zwischen den beiden besagten Staubkörnen ein sehr befremdlicher Zustand. Es fand der bei diesem Zwergenvolk übliche Schweigekrieg statt. Zwei Parteien, die sich wegen irgendwas streiten, lösen dieses Problem, indem alle Schweigen. Bricht auch nur Einer innerhalb dieser Parteien das Schweigen, hat diejenige Partei verloren und die andere bekommt Recht.
Dieser Schweigekrieg lief nun seit hunderten von Jahren und das Tragische dabei war, das die vielen Generationen, die schon in diesen Schweigekrieg hineingeboren waren und selber Kinder zeugten, die gar nicht mehr wussten, warum alle Schweigen. Sie wurden nun mal so erzogen, das war die Tradition. Keiner konnte sich mehr erinnern, wie man eigentlich spricht.
Einer dieser schweigenden Zwerge, ein besonders kleines Exemplar, da er so klein war, das er in der Hosentasche eines der anderen Zwerge lebte, entwickelte eines Tages eine Zeichensprache, die den Regeln des Schweigekrieges nicht widersprach. Doch in der Hosentasche bemerkte ihn natürlich niemand, deshalb kauerte er sich in die hinterste Ecke seiner Behausung und zeigte seine Entdeckung nur einem kleinen Zwergen-Floh, der hinter seinem linken Ohr lebte. Er erzählte ihm von seinen Träumen, von seinen Wünschen, (natürlich alles in der Zeichensprache, eine andere kannte er ja nicht) er erzählte von den Atomsternen, die hoch über den stark rauschenden Elektronenflüssen hingen, die sich wild und unberechenbar durch das Dickicht der Quantenwälder schlangen, hinaus in das Ungewisse.
Doch der Floh verstand leider kein Wort davon, denn seine Sprache beschränkte sich auf die beiden Ausdrücke „Hunger“ und „kein Hunger“. Dies konnte er nur durch seine Nase mitteilen, die abwechselnd grün und hellblau leuchtete.
Viele der Zwerge waren aufgrund dieses Schweigekrieges sehr einsam und traurig. Die einzige Rettung des untergehenden Völkchens wäre eine Hilfe von außerhalb. Und als hätte Professor Zoing dies gewusst, kam er an mit seinem Raumschiff und landete zufällig in der Felsschlucht, nahe bei dem Kiesel, unter dem das Zwergenvolk lebte.
„Es muss hier sein – ich bin mir sicher.“, sagte Professor Zoing, während er mit einer Hand ein sonderbares Gerät hochhielt, das nach mikroskopisch kleinen Teilchen suchen sollte. Dieses Gerät funktioniert wie ein Filter, der nur Großes durchlässt. Einfach ein Gegenteil von einem Sieb. Ist doch logisch. Und das, was er da aufgefangen hat, ist winzig, winziger als Atome, die ja ohnehin schon so richtig mega-klein sein sollen, mit eigenen Augen gesehen hat sie ja noch niemand.
Nun waren diese Zwerge aber wirklich extrem klein. Wenn wir denken, eine Mücke wäre klein, dann muss man sich vor Augen halten, dass selbst eine Mücke aus Millionen von Zellen besteht. Eine Zelle besteht wiederum aus Millionen von Molekülen, ein einziges Molekül besteht aus Tausenden von Atomen. Und ein Atom ist 100.000mal so groß wie ein Atomkern. Und dieser winzige Atomkern besteht immer noch meist aus vielen Protonen und Elektronen und die wiederum aus Quanten, Hedonen und Mesonen und so weiter und diese Teilchen wiederum aus Subquanten. Und diese Zwerge sind grade mal so groß, dass sie auf diesen Subquanten Karussell fahren können. Also, sie sind wirklich irrsinnig klein. Selbst wenn Professor Zoing nun glücklicherweise einige der Atomkerne aus dem Volk herausfiltert, dann ist es immer noch sehr unwahrscheinlich, dass er darauf die Zwerge entdeckt.
Aber auch für das Problem hatte Professor Zoing eine Lösung parat.
Er hatte eine unglaublich Clevere Maschine entdeckt. Und zwar sieht sie zunächst gar nicht spektakulär aus. Es ist eine kleine Kiste mit 2 Steuerknüppel links und rechts und einem Monitor in der Mitte. Vorne an der Kiste sind 2 Mechanische Hände angebracht. Man kann sie sich umschnallen und diese Hände bedienen. Diese Kiste nutzt nun eine geniale Methode, um im Micro-Miniaturbereich zu agieren. Professor Zoing befahl der Maschine zunächst etwas zu bauen. (Die Maschine war auch intelligent, sie konnte Befehle ausführen, dank der vielen Prozessoren im Innern) Sie sollte sich selbst bauen, eine exakte Kopie von sich selbst, um genau zu sein. Nur mit einem Unterschied: Die Kopie sollte nur halb so groß sein. Die Maschine bewegte sofort die Hände, und sie war, wie man zugeben musste, äußerst geschickt. Flink baute sie sich selbst nach, ihre eigenen Pläne hatte sie ja gespeichert. Bald war die halb so große Kopie fertig. Der Befehl, den Professor Zoing der Maschine gab, war kaskadierend, das bedeutet, dass sie den Befehl ihrer Kopie sofort weiter gab. Die Kopie begann daraufhin sofort dasselbe zu tun wie ihre Erbauerin. Sie kopierte sich selbst, nur wieder halb so groß, also nur ein Viertel der Originalgröße. Schnell waren eine Reihe Kopien der ersten Maschine erbaut, eine immer halb so groß wie die nächste. Und nach kurzer Zeit sah man gar nichts mehr von der Aktivität, aber Professor Zoing hörte, dass da unten, im atomaren Größenbereich, einiges an technischer Reproduzierung stattfand. Die Hände der Maschinen hielten jeweils die Steuerknüppel der nächst kleineren Maschine in der Hand. Nur die erste Maschine nicht, die hatte sich Professor Zoing umgeschnallt und bewegte die Steuerknüppel und beobachtete den Monitor. Zu erwähnen wäre noch eine Kamera, die vorne integriert ist. Sie filmt immer den Monitor des nächst kleineren Gerätes. So konnte Professor Zoing bis in die Subquanten gucken und sogar einige von ihnen umdrehen, um zu sehen, ob sich darunter nicht jemand versteckt.
Es dauerte lang. Er suchte und suchte, aber das Areal war ja voll von Subquanten. Es waren viele. Und wenn jemand meint, ein Schwarm Mücken, das wären viele, der soll froh sein, das ich nicht so weit aushole wie mit dem Größenvergleich von vorhin.
Es sind einfach viel zu viele.
Nach einer weile machte Professor Zoing eine Mittagspause und aß eine Stulle, während er sich auf einen Felsen setzte. Er aß zuerst genüsslich, doch dann schreckte er hoch: was wäre, wenn genau hier, wo ich sitze, das Zwergenvolk lebte? Das wäre ja schrecklich, er hätte sie mit seinem Gewicht bestimmt platt gemacht. Doch dann fiel ihm ein, dass ein schützendes Feld um jeden Atomkern gespannt ist. Diese kleinen Dinger hat jemand so fest gezurrt, dass sie kaum zu spalten sind. Versucht man es doch, beispielsweise mit einem ganz scharfen Beil und ganz viel Kraft, dann geben diese Felder zwar irgendwann nach, aber dann explodieren sie mit einer so großen Wucht, das ihre Zerstörungskraft nicht auszuhalten ist, und außerdem entsteht dabei ein Höllenlärm.
Doch mit dem Miniaturisierungsapparat konnte Professor Zoing ganz bequem an den Elektronenwächtern vorbei greifen und sich im Atomkern gefahrlos gründlich umsehen.
Er stand also ruckartig auf und schnallte sich die Maschinerie wieder an. Der umgekehrte Sieb fand einige verdächtige Subquanten. Und siehe da: hinter dem dritten Teilchen, das Professor Zoing umdrehte, da kauerte ganz verschreckt ein kleiner Zwerg. Er hatte eine Zipfelmütze und Bommel an den Schuhen. Seine Hose war verdreckt und rissig und er staunte, denn er bekam selten Besuch.
Professor Zoing wollte gleich mal nachfragen, wie es dem kleinen Zwerg so gehe, doch ihm fiel ein, dass ja Schallwellen, die er mit der Stimme erzeugen würde, viel zu groß wären, als das es ein Zwerg dieser Größe je verstehen könnte. Er musste sich anders zu helfen wissen, er hatte ja am anderen Ende des Miniaturisierungsapparates nur 2 winzige mechanische Hände. Da fiel es ihm ein: natürlich! Zeichensprache!
Doch der Zwerg war sehr zornig und es fiel ihm gar nicht ein, auf die Gebärdensprache der mechanischen Hände zu reagieren. Doch wie es der Zufall will, dieser Zwerg war zum Glück genau der, in dessen Hosentasche der einzige Zwerg hauste, der die Zeichensprache sprach. Und wie alle Lebewesen mit 2 Händen wissen, ist Zeichensprache eine Sprache, die in jedem Teil des Universums gleich ausgesprochen wird, abgesehen von ein paar Dialekten. Der kleine Zwerg lugte aus der Hosentasche und winkte. Professor Zoing war überglücklich als er dies bemerkte. Der größere Zwerg hatte seine Hände über der Brust verschränkt und grummelte, denn es herrschte ja Schweigekrieg. Doch der kleine artikulierte und gestikulierte, er war ganz wild, denn endlich durfte all das aus ihm heraus, was er all die Jahre für sich behalten musste. Und so erzählte er dem Professor über sein Volk.
Die Minifizipizianer, (so hieß das Volk) waren früher ein großes Volk. Ihr Reich erstreckte sich einst über ein ganzes Heliumatom. Sie waren freundlich, lebenslustig und überhaupt nicht arbeitsscheu. Sie arbeiteten auf den Feldern, wo sie Gluonen anbauten, sie ernährten sich von Quarks, ganz ganz winzigen Miniteilchen. Das Leben war hart, denn um ein mit Quarks beschmiertes Brot essen zu können, musste man eine Milliarde Gluonen zu einem Teig rühren und lange backen. Manche schmiedeten auch Milliarden von Strings und Superstrings zusammen und bauten daraus Häuser und andere Dinge für die Zwerge. Strings waren ja extrem klein, selbst für die Zwerge waren sie so winzig, das sie sie nur unter einem Mikroskop sehen konnten. Doch zum Glück war nichts kleiner als das, diese Strings waren ja schließlich der Grundbaustein des Universums. Wenn man genau hinsah, konnte man das Vibrieren der Strings sehen. Manche Zwerge bauten daraus String-Harfen, die von selbst erklangen, Stringschmuck für die Ohren der Zwerginnen, oder auch einfach mal einen String-Tanga.
Es war also ein buntes Leben, selbst für so kleine Lebewesen. Doch irgendwann gab es Kriege, die verschiedenen Länder verfeindeten sich. Angeblich hatte der König des Südlichen Landes dem König des Nördlichen Landes ein sehr wertvolles Nukleon gestohlen, ein sehr schönes Exemplar, mit einem grandiosen Nukleonmuster und besetzt mit den funkelndsten Leptonen. Sie führten daraufhin einen lange währenden Krieg und irgendwann hatte der Krieg seinen Höhepunkt erreicht. Das war der Zeitpunkt, als die Photonenkanone erfunden wurde. Eine schreckliche Waffe. Man lädt ein Photon in eine dicke Röhre und zündet hinten die Ladung. Dann fliegt das Photon in hohem Bogen bis ins Nachbarland und zerstört dort Häuser und Zwerge. Als durch einen Zufall beide Könige sich selbst mit einer Photonenkanone umbrachten, sahen die Bewohner wie dumm sie doch waren, einen so grausamen Krieg zu führen. Um nie wieder so etwas geschehen zu lassen, erklärten Sie ab sofort nur noch den Schweigekrieg als einzig erlaubten Krieg. Alle hielten das für vernünftig und human, doch wie man sehen konnte, tat es dem Volk gar nicht gut. Sie waren uneins und konnten den Konflikt nicht lösen.
Der Professor fragte den kleinen Zwerg, warum denn der Schweigekrieg noch so lange angehalten hat, da ja der erste Krieg aufgrund des Dahinscheidens der beiden Könige beendet worden war.
Der kleine Zwerg gestikulierte heftig und klagte den Umstand an, dass sich aufgrund des jahrelangen Schweigens die Gründe für den Krieg nicht mehr so genau feststellen ließen. Aber er vermutete, dass die Völker noch immer Groll gegen einander hegten, weil das verschwundene Nukleon nicht aufgetaucht war.
Der Professor überlegte. Wie konnte man nur das wertvolle Nukleon wieder finden? Er hatte jedoch gleich die grandiose Idee, den Zwergen mit einem Nukleon-Suchgerät zu helfen. Er baute mithilfe der übertragenen mechanischen Hände ein winziges Gerät, das mit aussenden von Leptonstrahlung die Nukleonen in der Nähe aufspürt. Der kleine Zwerg war sehr gerührt, als er diesen Nukleonradar vom Professor geschenkt bekam. Er bedanke sich und machte sich auf die Suche. Nach ein paar Nanosekunden bekam Professor Zoing auch eine Nachricht, dass das kunstvolle Nukleon wieder gefunden worden sei, es war während der Schlachten nur unter einen Bogen aus Pionen gekullert. Die verfeindeten Länder fielen sich gegenseitig wie verloren geglaubte Brüder in die Arme.
Professor Zoing war froh, dem kleinen Volk geholfen zu haben und legte das Atom wieder vorsichtig zwischen die beiden Staubkörner, winkte noch mal zum Abschied mit der kleinen Minihand und flog davon in die unermeßlich gigantische Weite des Weltalls.
Somit wäre es mal wieder bewiesen das große Taten auch im Kleinsten vollbracht werden können.
ENDE