Prinz
Die einzige Möglichkeit,abgelegene Teile im hohen Norden Kanadas im Winter zu erreichen,bildet der Hundeschlitten.Werner Johnson hatte schon zahllose Reisen mit seinen Hunden gemacht,durch tiefen Schnee und schwere Stürme,wenn das Thermomether viele Striche unter dem Gefrierpunkt anzeigte.
Im Januar 1928 fuhr Johnson wieder einmal mit seinem Hundezug durch die Wälder des hohen Nordens.Es war ein dunkler finsterer Tag.Am Himmel standen unheilverkündend schwarze Wolken.Kein Laut war zu hören,nur der Schnee knirschte unter dem fahrenden Gespann.
Eine verdächtige Stille!
Johnson trieb seine Tiere zu größerer Eile an,denn er wusste,dass binnen kurzem ein schwerer Sturm losbrechen würde.Er wusste auch,daß er bald eine einsame Hütte erreichen konnte,wo es Schutz vor dem Unwetter gab.Gewöhnlich scheint in dieser Gegend die Sonne im Winter nur einige Stunden,aber an diesem Tage wurde es überhaupt nicht richtig hell,und früher als sonst senkte sich die dunkle Nacht herab.Bald war es ganz finster.
Endlich tauchte in der Ferne das Licht der Hütte auf.Johnson spürte im Geist schon die Wärme und den freundlichen Empfang.
Er befreite die Hunde von ihrem Zuggeschirr,gab jedem einen getrockneten Fisch und betrat das Häuschen.
Auf einem einfachen Bett lag ,beinahe bewusstlos,eine junges Mädchen .Sie schwitzte,hatte hohes Fieber und wimmerte vor sich hin.Eine Frau erklärte mir,dass ihre Tochter eine Blinddarmentzündung hätte und ohne ärzliche Hilfe daran sterben würde.Vor der Tür stand längst ein Schlitten bereit,aber der Vater war mit den Hunden fort.
Der Anblick des kranken Mädchens rührte Johnsons Herz,und ohne lange zu überlegen,was der Entschluß für ihn bedeutete,sagte er :“Ich werde sie zum Arzt bringen.“
Er beeilte sich, seine müden Hunde einzuspannen,und wickelte die Kranke in warme Tücher und decken.Nach einer halben Stunde waren sie bereit für ihre lange Reise zur Station.
Doch als sie etwa 12 Kilometer gefahren waren,brach eine der Kufen.Nun waren sie gezwungen zur Hütte zurückzukehren.Wer wäre da nicht entmutigt worden?
Nicht so Werner Johnson!Er wechselte schnell die Schlitten aus,und dann begann aufs neue der Kampf gegen den Sturm in dieser dunklen Nacht.Alle Spuren waren vom schnee verwischt,aber er versuchte ,seine Hunde auf dem rechten Wege zu führen.
Der Sturm blies den Schnee durch seine Kleider,der auf seiner Haut schmolz und wieder gefror.Ihm war,als steckte er in einem Eispanzer.Er konnte kaum atmen.Seine Augen waren entzündet vom Schneetreiben.
Aber vorwärts ging’s – zehn – zwanzig – fünfzig Kilometer.Zuletzt merkte Johnson,dass er den Weg verloren hatte und im Kreis herumgefahren war.Was tun?Er fragte sich,ob das Mädchen überhaupt noch lebte,aber er wagte nicht,nach ihm zu schauen.Nein,er musste vorwärts.
Es gibt eine Grenze für die menschliche Kraft.Johnsons lange Tagreise,zusammen mit diesem Nachterlebnis,waren auch für ihn fast zuviel.Nur mit Mühe konnte er sich noch wach halten,indem er von Zeit zu Zeit vom Schlitten sprang und ein kurzes Stück mitlief.
Es gab nur eine Möglichkeit – er musste sich auf Prinz verlassen.Prinz war der Leithund .
Aber sie waren ja daran,mit dem Tod um die Wette zu laufen,und obgleich die Chance nur eins zu einer Million war,sie mussten sie nutzen.Vielleicht konnten die Augen des zuverlässigen Hundes sehen,was Johnson nicht mehr sah,und vielleicht würde er den Weg durch das schneeverwehte Gelände finden.
„Vorwärts,vorwärts Prinz!“ rief er,und aufs neue zogen die Tiere den Schlitten mit noch größerer Geschwindigkeit.
Kaum noch hoffend ,ließ sich Johnson vorwärtsziehen.Nur der Gedanke an das mit dem Tod ringenden Kind im Schlitten hielt ihn bei Bewusstsein.
Und dann wurde sein Mut mächtig belebt.Er sah einige zerstreute Hütten : Das Dorf Big River war erreicht,die nördlichst gelegene Siedlung an der Bahnlinie der Staatlichen Eisenbahnen.
Prinz hatte es geschafft.
Wie durch ein Wunder stand ein Güterzug an der Station.Der Schneesturm hatte die Abfahrt verzögert.Nun wurde die Lokomotive samt einem Gepäckwagen für das bewusstlose Mädchen vom Zug abgehängt,und eine der schnellsten Fahrten nach Prince Albert begann.
Als die Lokomotive am Ziel anlangte,stand schon ein Krankenauto mit dem Arzt da.
Während die Lokomotive auf der Rückfahrt war,legte sich Johnson auf den Boden des Bahnhofwartesaales und schlief mit der Befriedigung ein,einem Menschen in Not geholfen zu haben.Prinz legte sich in den Schnee und schlief ebenfalls.
Sie waren mit dem Tod um die Wette gerannt – und hatten gewonnen!