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- 07.05.2019
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Es handelt sich hier um eine hoffentlich amüsantes modernes Märchen.
Prinz Seidenschimmer oder die armdicke Salami
„Mein Vater, der Scheißkuppler!“ denke ich wütend und ein bisschen fassungslos, als ich zum ersten Mal einen seiner Aushänge zu Gesicht bekomme. „Mann gesucht“ steht da, „vorzugsweise Prinz“ lese ich weiter. Immerhin standesgemäß soll ich verschachert werden. Ich bin nämlich eine. Eine Prinzessin meine ich. Der Schrieb da ist von meinem Vater, logischerweise dem König. Gut, so toll, wie es sich anhört ist es nicht. Es handelt sich bei Lisanien eher um einen Zwergenstaat als um ein richtiges Königreich oder eben ein sehr sehr wenig großes Herrschaftsgebiet. Aber ich bin die einzige Tochter von Poppyking, wie ich meinen Vater zu nennen pflege. Oder sagen wir besser, wie ich ihn zu nennen pflegte, als ich ihn noch mochte. „Bei Gefallen halbes Königreich dazu“ entziffere ich und traue meinen Augen kaum. Ich will keinen Eindringling!! Was ist denn in Pop..., eh meinen Vaterarsch gefahren? Wütend setze ich mich auf mein Fahrrad und strample zornig Richtung Schloss. Weit ist es nicht. Geht auch gar nicht, wie bereits mehrfach erwähnt, handelt es sich um ein eher gering ausgedehntes Imperium. Ich reiße die Tür auf und renne in den großen Saal. Erstaunt sehe ich, dass Pop.., der Vaterarsch auf seinem Thron sitzt. Das macht er sonst nie. Wozu auch? Hier wohnt keineR außer uns. DienerInnen sind passe, in Zeiten von Political Correctness kann sich die niemand mehr leisten, ohne unangenehm aufzufallen. Es gibt durchaus Momente, an denen ich das bedaure. Der Herrschersessel ist ein wenig schäbig und durch die zahlreichen Hinterteile, die viel Zeit auf ihm verbrachten, schrecklich unbequem, frau versinkt darin und entkommt ihm fast nicht mehr ohne fremde Hilfe. Daher wundere ich mich, dass sich der König freiwillig darauf niederlässt.
„Was machst du da?“ frage ich streng.
„Ich teste den Thron“ erwidert er.
„Warum?“ will ich wissen.
„Weil ich darin residieren möchte, wenn die Bewerber eintreffen“ wagt er hinzuzufügen und ich meine tatsächlich einen amüsierten Unterton zu vernehmen. Na warte Bürschchen denke ich.
„Du leugnest also nicht einmal“ sage ich in einem, wie ich hoffe, gefährlichem Ton.
„Was gibt es denn zu bestreiten?“ fragt er und klingt dabei erstaunlich ahnungslos.
Ich halte ihm zähneknirschend seine „Bekanntmachung“ unter die Nase.
„Ach das“ lächelt er. Er grinst tatsächlich. Ziemlich breit sogar.
„Spinnst du jetzt total?“ fauche ich.
„Nein“, gibt er schmunzelnd zurück. „Ich langweile mich ziemlich. Die Geschäfte laufen gut, wir erfreuen uns an einem, wie ich hoffe, weiter andauernden ewigen Frieden und zu essen gibt es in Hülle und Fülle. Spiele und Sport erreichen auch langsam die Grenzen der meinerseitigen Erbauung also habe ich mir das als Zeitvertreib ausgedacht. Und den finde ich ziemlich genial, nebenbei bemerkt“ sagt er frech und sieht mich erwartungsvoll an.
„Auf meine Kosten?“ quetsche ich durch meine Zähne heraus.
„Ja, ein bisschen“ gibt er zu. „Aber dich zu fragen, erschien mir aussichtslos. Deswegen zog ich es vor zu handeln. Stell dir doch nur all die ganzen Idioten vor, die nun ihre Aufwartung machen und sich alle erdenkliche Mühe geben, weil sie glauben, sie bekommen dich!“ Er lacht jetzt aus vollem Halse. „Das wird ein Spaß!“ Fast steckt er mich an. Ich verbeiße mir mühsam ein Lächeln und sage trotzig:
„Ich will aber gar nicht heiraten!“ Worauf er mich verständnislos anguckt.
„Wieso? Wer sagt, du musst dich vermählen?“ Dann schnackelt es bei ihm. „Ach Quatsch mit Soße“ ruft er aus, „ich will dich doch nicht hergeben. Bist du verrückt? Nachdem sie sich alle bis auf die Knochen blamiert und wir uns genug amüsiert haben, sage ich, es gibt einen Trauerfall in der Familie, blablabla eine Hochzeit pietätlos oder erzähle, du seist lesbisch und wir brauchen einen Alibiehemann oder etwas anderes, was uns bis dahin eingefallen ist. Warte mal, noch besser, wir lassen sie Rätsel und Aufgaben lösen, wie in alten Märchen und machen diese einfach so schwer, dass es keiner schafft und voilà: Problem gelöst!“
Stolz sieht er mich an. So langsam beginne ich mich für die Idee zu erwärmen. Die letzte Zeit verlief, sagen wir euphemistisch, tatsächlich etwas ereignislos.
„Meinst du, ich genüge als Anreiz?“ überlege ich zweifelnd. „Die Hälfte von nicht viel ist nämlich noch weniger“ gebe ich zu bedenken.
„Stell dein Licht nicht unter den Scheffel“ knurrt er mit väterlicher Autorität. „Du bist klug, nicht auf den Mund gefallen, charmant, bezaubernd und schießt jeden Pfeil ins Schwarze. Dein Prinz muss sich vor Nichts fürchten mit dir an seiner Seite.“
„Ach, Poppyking“ entfährt es mir geschmeichelt. Wie immer wickelt er mich geschickt um seinen Finger. Meistens bemerke ich es nicht einmal und schmelze wie Butter in der Sonne.
Mann, bin ich verschwitzt. Wir schufteten gerade wie die BrunnenputzerInnen mein Vater und ich. Um ordentlich Eindruck zu schinden, wenn schon keine DienerInnen zur Stelle sind, schleppten wir unter vollem Einsatz unserer Körperkraft den kleinen Thron aus der Dachkammer in den großen Saal. Damit auch ich die Prinzen und anderen Kandidaten standesgemäß empfangen kann. Meine Mutter brachte ihn vor 30 Jahren mit, als sie zu meinem Vater zog. Er ist ganz niedlich. Floraler Druck. Hintergrundsfarbe: rosa. Zum Glück sieht frau die Löcher nicht, wenn ich darauf sitze. Denn heute ist der große Tag. Genau zum jetzigen Datum hat Poppyking die Bewerber einbestellt.
Zwei Stunden später wuselt es im großen Saal und das Geschnatter der Interessenten klingt wie 1000 Bienenschwärme. Um der Göttin willen, sind das viele! Ein bisschen schmeichelt es mir, dass ich mich solcher Beliebtheit erfreue. Ich setze mich etwas aufrechter hin und fahre mir unauffällig durch mein rotes Haar. Es ist nicht echt. In unserer Familie wird frau früh grau. Ich bin jetzt 31 und besitze bereits zwei recht dicke bleifarbene Strähnen. Das gefällt mir nicht und deswegen wechsle ich des öfteren die Frisur. Im Moment eben feuerrot. Das nur nebenbei für die Neugierigen...seufz, langsam wird’s mir fast zu viel mit dem Gesumm da unten zu unseren Füßen.
„Poppyking“ flüstere ich zum Nachbarsthron, „das sind aber viele.“
„Ja“, wispert mein Vater zurück. „Ganz schön stressig. Ich habe den Hofmathematiker um ein schnelles Rätsel gebeten. Nur wer es löst, darf am Wettbewerb teilnehmen, sonst verlieren wir den Überblick.“
„Gute Idee!“ lobe ich ihn.
Da kommt Genannter schon um die Ecke und bringt eine Tafel mit. Poppyking nickt ihm zu. Er stellt sich vor die Menge und räuspert sich laut ohne Wirkung. Mein Vater bemüht die Hoftröte. Sofort wird es still. Besser gesagt, stiller.
„Häähem“, sagt der Abakus, wie wir ihn hinter seinem Rücken nennen. „Meine Herren, darf ich um Eure Aufmerksamkeit bitten. Erst einmal wollen wir Euch im Namen von Ihrer Majestät, dem König und Ihrer Durchlaucht, der Prinzessin willkommen heißen.“ Hier nicken wir beide gnädig den Teilnehmern zu. „Da Ihr so zahlreich erschienen seid und wir hier nicht alle von Euch unterbringen können, werdet Ihr zunächst eine Aufgabe bekommen. Nur, wer dieses Rätsel löst, darf teilnehmen an unserem Wettstreit!“ Nun hat er sie. Es ist mucksmäuschenstill bis auf ein klein wenig Geraschel. Gebannt starren sie auf die noch verhüllte Tafel. Abakus reißt mit einer dramatischen Geste die Decke von ihr, so viel und schnelle Bewegung hätte ich ihm gar nicht zugetraut! Darauf erkenne ich folgende Abbildung:
Sie zeigt ein Quadrat, das in sechzehn gleichgroße kleinere Quadrate geteilt ist. Um die Achsen in Quadrat zwei und drei und sechs und sieben ist ein weiteres Quadrat hineingezeichnet. Des weiteren bei den Quadraten zehn und elf und vierzehn und fünfzehn.
„So, werte Herren!“ fährt Abakus fort. „Wie viele Quadrate seht Ihr auf diesem Bild? Die Lösung verratet Ihrer Majestät oben auf dem Thron. Alle, die richtig liegen, dürfen, wie erwähnt, morgen antreten und erhalten die Chance auf die Hand Ihrer Durchlaucht und das halbe Königreich!“ Jubel brandet auf. Hüte und Kronen fliegen in die Luft. Einer bemerkt das gar nicht. Er starrt auf die Tafel und denkt. Sein Blick ist wach und konzentriert, das spricht für einen ebensolchen Geist. Sein Mund bewegt sich. Er zählt. Der Mund ist ziemlich hübsch fällt mir auf. Wie eine rote Kirsche. Eine sehr leckere und saftige derselben. Ich bekomme ziemlich Appetit darauf. Auf Kirschen, nur auf Kirschen wohl bemerkt! Außerdem glotze ich neiderfüllt auf seine Haare. Wie bringt er sie dazu, so zu schimmern? Ich muss herauskriegen, was er verwendet. Sahne, Sojaöl und Zitrone habe ich schon probiert. Ist okay, wenn ich mich anstrenge, meine ich ein Resultat zu erahnen. Das ist es aber sicher nicht, denn dieses hier ist phänomenal. Wie knisternde Seide und gesponnenes Gold. Sprich Kohle, denn sie sind dunkelbraun. Doch, was passiert? Hee! So ein Trottel! Ein anderer Kandidat schiebt sich vor mein Beobachtungsobjekt. Auch er sieht ansprechend aus. Er trägt Glatze, aber bei dem Gesicht kann er sich das gut leisten. Seine Haltung finde ich allerdings ein bisschen affektiert und diese goldenen Pluderhosen reizen mich zum Lachen. Der Blazer dazu ist schwarz mit goldenen Bordüren. Ach Gott, wir sind hier doch nicht in Mailand oder Paris. Jetzt grinse ich doch ein wenig. Ich wette, der ist unterhaltsam. Mit dem werden Poppyking und ich jede Menge Spaß haben, hoffentlich weiß er die richtige Antwort. Aber zuerst kommt Kandidat Kirsche die paar Stufen zum Thron herauf. Er würdigt mich keines Blickes, sondern beäugt nervös meinen Vater.
„Ja?“ sagt der dröhnend.
„Das Ergebnis lautet: 40, Hoheit“ informiert er uns leise.
40? Wir sind bass erstaunt, denn wir zählten 27. Und der Abakus auch!
„Zeig sie uns“ brüllt mein Vater.
Was schreit er denn so laut? Aua. Kirsche holt einen Zettel und Stift heraus, auf dem er das Bild aufmalt und zeichnet die Quadrate auf. Tatsächlich! Ich habe eine Menge nicht gesehen, schäme mich, weil ich anscheinend nicht so klug bin. Gleichzeitig bewundere ich Seidenschimmer. Wie er heißt? Als errate Poppyking meine Gedanken, fragt er ihn nach seinem Namen. „Ich bin Patryk von Polandi“, stellt er sich uns vor. „Prinz Seidenschimmer“ Aha! Nicht nur mir sind seine Haare aufgefallen! Er verbeugt sich und ich spüre mich erröten. Wieso das denn? Wie peinlich und unprofessionell. Hoffentlich hat es niemand bemerkt. „Ach was“ mischt sich die Pluderhose ein. „Jeder kennt ihn unter seinem eigentlichen Namen.“ Seidenschimmer wedelt abwehrend mit seiner Hand. Er möchte nicht hören, was kommt. Wir umso mehr. Poppyking hatte sowas von Recht! Das ist unterhaltsam, mehr als das, das ist richtig lustig. Ich bin begeistert!
„Er trägt den Beinamen 'Armdicke Salami'“ teilt uns der Glatzköpfige mit neidischem Unterton mit. „Wieso das denn?“ entfährt es mir, bevor ich nachdenke. Shit! Mein alter und trotzdem immer wieder begangener Fehler. Schon kommt die Rechnung. Pluderhose lacht laut und anzüglich.
„Eine Unschuld wie Eure teure Hoheit wissen solche Dinge nicht“ sagt er aber dann in schmeichelndem Tonfall und verbeugt sich ebenfalls. Was für ein Idiot denke ich.
„40“
Poppyking und ich sehen uns an.
„40 übrigens“ äußert sich Pluderhose lässig wieder.
Sogar der kennt die richtige Antwort überlege ich verwundert und schäme mich noch mehr, dass es mir nicht gelungen ist. Vergessen schon mein Wunsch von vorhin, er möge des Rätsels Lösung kennen.
„Wie heißt Ihr?“ erkundigt sich mein Vater und ich sehe seinem Gesicht an, dass er genauso überrascht ist wie ich.
„Ich bin Innozenz Lackafi“ macht er sich bekannt. „Leider nicht von adligem Geblüt“ fügt er hinzu und das fällt ihm sichtlich schwer, sein Mund bekommt einen verkniffenen Zug.
„Es hieß, das sei erlaubt. Sich auch ohne Titel zu bewerben“ Ich sehe, dass er es für eine ungeheure Ungerechtigkeit hält, dass er keinen innehat.
„Natürlich“ sagt mein Vater. „Ihr wusstet die korrekte Antwort. Ihr seid dabei!“
Innozenz verbeugt sich noch einmal, dieses Mal hocherfreut. Er zieht seinen Hut, ein goldenes Ding mit drei bunten Federn.
„Darf ich mir erlauben, Euch zu versichern, Eure Majestät“ sagt er zu mir gewandt „dass Ihr in Natura noch 1000 Mal schöner seid als auf dem Bild.“
Ohjee. Ich nicke wieder gnädig. Klingt wie ein Kurs auf der Abendschule. Flirten leicht gemacht oder so. Gut, ich muss zugeben, zu ihm passt es, der ganze Typ ist schwülstig. Bevor ich ihm eine gepfefferte Antwort geben kann, kommt eine dritte Person die Stufen hinauf. Ich sehe in ein verschmitztes Gesicht und ein paar braune gewitzte Augen. Verspüre sofort eine riesige Sympathie. „Guten Tag, ich bin Ritter Felix von Gerlachingen und die richtige Antwort lautet: es sind 40 Quadrate.“ Juhu, auch er weiß es! Der ist nett. Ich versuche zu verdrängen, dass anscheinend hier jeder die Lösung kennt außer meinem Vater, ich und der Hofmathematiker.
Doch dem ist zum Glück nicht so. Den anderen ergeht es so wie uns und deshalb müssen sie gehen. Das heißt, die Kandidaten stehen fest: Prinz Seidenschimmer alias armdicke Salami, Ritter Felix von Gerlachingen und die Pluderhose. Na, das wird sicher interessant! Und ich gehe jetzt Kirschen essen, ich habe Hunger!
Am nächsten Morgen stellen Poppyking und ich fest, dass wir in der Klemme stecken: Immerzu schoben wir es hinaus, uns um die Aufgaben und Rätsel zu kümmern. Außerdem hat der Abakus sich gestern verplappert von wegen der Start des Spektakels sei heute.
„Das Ganze ist verflixt unausgegoren“ konstatiert Poppyking etwas verlegen. „Was machen wir nur mit ihnen?“
„Zu allem Unglück sind sie so superintelligent“ ergänze ich niedergeschlagen. „Viel schlauer als wir, also wie können wir sie bloß reinlegen?“
„Ja“, stimmt mein Vater zu. „Es war blöd, den Abakus zu fragen.“
„Wieso kannte der eigentlich nicht die richtige Antwort?“ versuche ich abzulenken, indem ich mich darüber aufrege.
„Er wusste sie wohl, ich habe mich später danach erkundigt. Er wollte seinem Chef nicht widersprechen.“
„So ein Schleimer!“ empöre ich mich halbherzig. „Hinterher lässt sich das leicht behaupten, inzwischen singen die Vöglein das Ergebnis von den Bäumen.“ Irgendetwas stößt mich an. Es ist der Satz, den ich gerade sagte. Was ist es nur? Genau: das Verb.
„Apropos singen“, überlege ich langsam, „ist der flamische Barde noch zu Gast? Wie hieß er gleich? Hmm … Dewald van de Boolde!“ Ich schnippe triumphierend mit dem Finger. Mein Vater beäugt mich misstrauisch. Ich glaube, er denkt, ich schnappe über. Das passiert auch hin und wieder. Es handelt sich bei mir eben um ein eher impulsives Geschöpf. Aber nicht dieses Mal, jetzt habe ich die Lösung der Misere gefunden.
"Sie singen“ platze ich heraus. „Und zwar um die Wette!“ Poppyking starrt mich an, langsam erhellt sich sein Gesicht.
„Das ist gut“ erwärmt er sich für meinen Geistesblitz. „Damit es professionell zugeht, bewerten wir nicht allein ihre schöpferischen Ergüsse, sondern mit dem Musikus aus Holland.“ Erleichtert wischen wir uns über die Stirn. Das ist gerade noch gut gegangen. Wir begeben uns auf der Stelle auf die Suche nach Letztgenannterem und finden ihn draußen in den höfischen Gärten.
„Ach, ist das schön hier, es bringt mich zu kreativen Höchstleistungen“ schwärmt er.
„Ich habe eine anspruchsvolle Aufgabe für dich“, unterbricht Poppyking van de Boolde und erzählt ihm den Sachverhalt.
"Das gefällt mir“ meint der und wir atmen auf. Das wäre geschafft! Nicht einmal die knappe Frist schreckt den Notenliebhaber ab. „Jetzt müssen wir nur noch die Bewerber in Kenntnis setzen“
„Das reicht in zwei Stunden auch noch“ sagt mein Vater knapp, „Zeitdruck ist ein wesentlicher Faktor bei der Einschätzung der Leistung.“ Woher hat er das denn? Na, egal, mir solls recht sein, ich enthülle ihnen schließlich nicht Anforderung Nummer Zwei. Poppyking lässt ausrichten, dass es um 14 Uhr weitergeht. Noch two hours left. Die Armen, sie sollen wohl ins kalte Wasser springen. Da ich schon im Garten bin, bekomme ich Lust, darin zu wandeln. Mal gucken, ob der Kirschbaum schon Früchte trägt. Meinen Lieblingsplatz besetzt allerdings schon einer sehe ich enttäuscht, als ich ankomme. Aber der nähere Anblick wischt den Dämpfer schnell beiseite. Da sitzt nämlich Patryk von Polandi zu meiner Freude. „Darf ich?“ frage ich ungewohnt scheu und verweise auf den Boden neben ihm. „Bitte“ sagt er, verhaspelt sich fast. Er klingt ein wenig aufgeregt. Etwa meinetwegen? Hoffentlich! Ich lasse mich nieder und eine Weile schweigen wir einträchtig. „Wie heißt denn Ihr?“ erkundigt er sich schließlich. „Auf dem Aushang ward Ihr abgebildet, aber ohne Euren Namen.“ „Abelina“ antworte ich ihm. „Aber die meisten sagen Abbi zu mir.“ Das stimmt nicht ganz. Freunde sagen so zu mir. Gute FreundInnen. „Klingt gut“ meint er. Wieder Stille. Seltsamerweise fühlt sie sich gut an. Miteinander.
„Ich habe es nicht so mit den Worten“ entschuldigt er sich. „Bin gern und viel allein und nicht geübt im Komplimente machen und im Umgang mit Frau.., eh Prinzessinnen.“ Er ist so süß, ich bin hin und weg.
„Das gefällt mir“, beruhige ich ihn und merke, dass ich es auch wirklich finde, „weil es aufrichtig ist.“ Ich bins zufrieden neben ihm zu sitzen.
„Außerdem überlege ich die ganze Zeit, was uns wohl erwartet. Mich und die anderen meine ich. Nachher. Ich habe ein bisschen Angst“ gibt er zu. Er ist so knuddlig.
„Wenn du mir deine Haarrezeptur gibst“, höre ich mich zu meinem Erstaunen anbieten, „verrate ich dir die nächste Aufgabe.“
„Es ist ein Familiengeheimnis“, lächelt er jetzt. „Das darf ich nicht ausplaudern.“
„Eure nächste Hürde liegt ziemlich hoch“ kontere ich. Patryk denkt eine Weile nach.
„Gut“, schlägt er ein. „Deal.“
„Du zuerst“ fügt er hinzu.
„Musik“ sage ich geheimnisvoll. Fragend guckt er mich an.
„Hoffentlich nicht singen“ macht er sich Sorgen.
„Leider doch“ entfache ich sein Entsetzen, wie ich bemerke.
„Ohjee“ klagt er, „ich treffe keinen Ton und noch weniger behalte ich schwierige Texte!“
„Letzteres macht nichts“, tröste ich ihn, „den musst du selbst erfinden.“
„Das ist ja noch viel schlimmer“, japst er. „Damit bin ich raus.“
„Ach Quatsch“ entfährt es mir, „nicht, wenn ich mitrede.“ Dankbar schaut er mich an. „Außerdem reicht es doch, wenn du die Mehrzahl der Einsätze bewältigst. Nicht jeder muss mit Bravour abgeschlossen werden.“ „Und jetzt: die Kur“ bestehe ich auf unserer Abmachung.
„Ich muss mich vorbereiten. Später“ ruft er bereits im Gehen.
„Ganz schön fix im sich Aufrappeln“ bewundere ich seine Eleganz.
Und - ich muss wohl eingenickt sein, kein Wunder bei den Aufregungen der letzten Stunden – wache ich mit einem Ruck auf von ungewohnten Geräuschen. Schnell wird mir klar, dass es sich um Instrumente handelt, die gestimmt werden. Sofort springe ich auf und strebe eilig zum großen Saal. Ich will das auf keinen Fall verpassen! Auf einem Stuhl mit der Aufschrift „Vorsitzender des Jurorenkomitees“ (es ist eine breite Sitzgelegenheit) sitzt Dewald van de Boolde. Er steht neben unseren Thronen. Der Barde trägt einen schicken Anzug mit seinen Initialen in Rot am Revers. Da wir wie gesagt keine DienerInnen beschäftigen, gibt es nur eine Erklärung: er besaß ihn schon oder ist ein Nähgenie. Macht er das öfters? Warum wohl sonst schleppte er diesen Stuhl mit sich herum? Denn den schmücken die gleichen Initialen. Danach frage ich ihn, wenn er weniger beschäftigt ist. Die Kandidaten trudeln ein. Als erstes schreitet Pluderhose in den Saal. Ich muss mich korrigieren, denn Lackafi hat sich umgezogen. Er trägt ein blütenweißes, für meinen Geschmack zu rüschiges Hemd und darüber eine Art Tunika in Lila mit goldenen Bordüren. Diese glitzert ziemlich aufgrund der 1000 Palletten, aus denen sie besteht. Gekrönt wird der obere Teil des Ensembles mit einer Scherpe in Pink. Knallenge silbrige Leggings zieren seine Beine, (der Göttin sei Dank ist das lilafarbene Ding lang genug …), die wiederum in goldenen Stiefeln stecken. Er übt schon mal für seine – frau sieht ihm an, dass er das denkt – spätere Rolle als Prinz. Nichts da, schmink dir das gleich gründlich ab. Aber lustig sieht er schon aus. Ein Schmunzeln kann ich nicht unterdrücken. Felix von Gerlachingen beweist den Sinn für Humor, den ich gleich in seinen verschmitzten Augen zu entdecken vermeinte. Er trägt ein T-Shirt mit der Aufschrift „Gewinner“. Die Rückseite zeigt eine prächtige Krone. Darunter steht „des Prinzen-Casting 2013“. Ein amüsiertes Gackern entfährt mir, ich kann nicht anders. Er sieht mich an und wir prusten gleichzeitig los. Es ist ein guter Moment. Ich mache ein V für Victory in seine Richtung. Lackafi hebt säuerlich seine Mundwinkel an, wohingegen Patryk so aussieht, als verweile er geistig auf einem anderen Planeten. Ich nutze die Gelegenheit ihn genauer zu betrachten. Er mag anscheinend alles, was mit der Streitmacht zu tun hat. Er trägt ein Hemd, das zu leger ist für die Heereszunft, aber das Kettenhemd sieht echt aus und steht ihm gut. Sein Rock darunter ist von schimmerndem Blau mit eingewebter Krone, hinter der ein Fuchs keck heraus schielt. Die Farben sind leuchtend, die Qualität hervorragend. Ich tippe, dass seine Familie neben den Haarkuren gleichfalls in der Tuchweberei so einige Geheimnisse auf Lager hat. Auch der Schuhmacher, der seine Stiefel nähte, das erkenne ich ein bisschen neidisch an, versteht sein Handwerk. Da Patryk nicht allzu groß ist, passen sie mir vielleicht auch, ich versuche deren Größe abzuschätzen. Während ich überlege, streift mich sein Blick. Oh, der Arme! Er sieht aus, als führe man ihn zum Schafott. Ich lächle ihn ermutigend an und zeige ihm meinen erhobenen Daumen. Schon strafft sich seine Haltung etwas.
„Hähem“ macht der Barde geräuschvoll und lenkt damit die Aufmerksamkeit auf sich. Poppyking sitzt schon auf dem Thron, das habe ich vor lauter Gucken gar nicht bemerkt. Schnell husche ich hin und platziere mich daneben. Wir lächeln uns erwartungsvoll an. Neben uns steht jetzt das Hoforchester. Wiederum muss ich unser LeserInnen-Publikum enttäuschen, denn das besteht nur aus drei Mitgliedern: dem Geiger, der ist allerdings gut, dem Klavierspieler und der Trompeterin. Letztere ist der Star, sie muss auch am meisten tun, denn Hörner und Pauken können wir uns nicht leisten, so dass den Job der Fanfaren die Frau übernimmt. Sie scheinen sich ziemlich über die Abwechslung zu freuen. Stimmt, wir haben schon lang kein Fest mehr gefeiert oder Konzert veranstaltet. Das liegt an meiner Mutter. Sie ist jetzt schon länger fort. Mein Vater vermisst sie ziemlich. Wir beide sind nicht so gesellige Typen, meine Mutter dagegen schon. Ständig trampelten sich die Gäste auf die Füße in unserem Schloss, so voller Leben war es, als sie noch da war. Sie pflegte Beziehungen mit den Nachbarn, den Nachbarländern, mit der ganzen Welt sozusagen. Inzwischen haben wir Internet, das ist fast dasselbe;-) Ich sehe meine Mutter ab und zu, Poppyking weigert sich. Sie hat ihn mit ihren Affären verletzt, Männer scheint Betrug noch etwas mehr mitzunehmen, wahrscheinlich weil es ihr Ehrgefühl beschädigt. Neben dem Herzschmerz vermute ich mehr die gekränkte Eitelkeit, die ihn so gegen sie aufbringt. Denn ihre Ehe war, zumindest seit ich genug Bewusstsein habe, um es mitbeurteilen zu können, nicht so der Bringer. Abgesehen davon, ärgere ich mich, ist Poppyking selbst kein bisschen besser, das ist der Grund, warum eine Hofdame nach der anderen verschwunden ist. Seltsam, dass er sie wirklich zu vermissen scheint, denn sie haben sich, seit ich denken kann, immer nur gestritten. Deswegen möchte ich mich nicht verheiraten. Ich bewundere aufrichtig alle Personen, die mutig genug sind, vor einen Altar zu schreiten und ernsthaft daran glauben, die Sache sei für immer. Vielleicht liegt es daran, dass mich Amors Pfeil noch nicht tief genug traf oder dass meine Mutter das mit der Ewigkeit auch nicht hin bekommen hat, zumindest nicht mit einem, ich glaube auf ewig verheiratet sein ist für sie machbar, nur nicht mit derselben Person. Auf jeden Fall feiere ich erst dann Hochzeit, wenn ich davon überzeugt bin. Dauernd vor einen Altar zu treten verdirbt mir die Sache. Wenn, dann nur einmal. Weiterhin halte ich es für ein Wunder, wenn sich zwei Liebende über lange Zeit in die gleiche Richtung entwickeln. Ehe ist wohl nicht mehr zeitgemäß, zumindest nicht die auf immer konzipierte. Wir werden mittlerweile zu alt...ich heirate mit 70, sage ich, weil ich diesen Spruch ziemlich witzig finde (zugegebermaßen ein wenig eitel), weil dann „für immer und ewig“ überschaubar geworden ist. Außerdem finde ich, geht es am Sinn der Sache vorbei, sowie ich ihn verstehe, wenn frau es übertreibt. Weder Poppyking und ich merkten uns den Namen von Ehemann Nummer 8. Vielleicht beleidigt es meinen Vater auch, dass er nicht Nummer 1 war. Er hat nämlich seinem Bruder die Frau ausgespannt, weswegen ich meinen Onkel noch nie zu Gesicht bekam. Letzterer hat in einem inzwischen ziemlich baufälligen Gemäuer in der hintersten Ecke von Lisanien gehaust. Es war einmal eine stattliche Burg mit 20 Gemächern, in einem Gebiet, dass sich Metanien nennt, weil dort wunderbarer Met hergestellt wird. Als mein Onkel aufgrund der tragischen Ereignisse zum Trinker wurde, nannten wir sie zynisch Burg Methanol. Ich schäme mich ein bisschen dafür, obwohl ich den Namen nicht kreirt habe. Das war Poppyking, der sich noch mehr schämt. Ich habe ihn schon oft gefragt nach meinem Onkel, aber er gibt und gab nie Auskunft. Meine Mutter auch nie, denn das ist der Hammer: trotz aller Streite schienen sie sich bei all den Dingen, die mich betrafen oder richtig wichtig waren, immer ganz einig. Sie sprachen auch nie schlecht voneinander, das rechne ich beiden hoch an. Ich bin also kein traumatisiertes Scheidungskind.
„Hähem“, macht van de Boolde noch einmal und ich schrecke aus meinen Gedanken auf. „Willkommen meine Herren“ fährt er fort, mein Vater und ich bemühen wieder einmal das gnädige Zunicken. „Ich darf Ihnen zunächst einmal Ihre Aufgabe schildern. Vielleicht ist Ihnen mein Name aus zahlreichen Wettstreiten der hohen Künste geläufig, deren Richter ich zu sein beliebte mit ebenso hohem Erfolg.“ Begeistert klatscht Lackafi in seine Hände und ruft ehrfürchtig
„Dewald van de Boolde!“
Eher gelassen bestätigt letztgenannter seine Identität.
„Euer Spiel ist eine Sensation“ schwärmt er, „keine Aufführung wird mehr besucht als 'Dewalds Sänger und Darsteller Spektakel', von Banausen auch zu DSDS abgekürzt. Ich bin hocherfreut, geehrt, bewegt, ergriffen, erschüttert, (hier denke ich, ja, Lackafi, we got it), Euch von Angesicht zu Angesicht zu treffen!“ Er verbeugt sich sicherlich gefühlte 300 Mal, anscheinend hat er sein Fitnessprogramm vernachlässigt und möchte seine Schmeichlerei mit ersterem verbinden. Poppyking und ich schauen uns an. Wieder einmal stellen wir erstaunt fest, dass das Geschehen der Welt an Lisanien, oder zumindest an uns beiden, vorbeigeht. Gut, sogar wir beide haben von DSDS gehört und den vielen 1000 Menschen, die an die Orte ziehen, wo es gastiert. Aber dass Dewald van de Boolde es leitet, der Kopf des Spektakels ist, zieht uns gerade die Schuhe aus. „Seid still“ fährt der Berühmte nun Lackafi an. „Ich genieße hier in vollen Zügen ein unbekanntes Leben als Musiker und bis zum nächsten Spektakel wünsche ich das auch weiterhin zu tun!“ Dann, denke ich hämisch, würde ich mich und den Stuhl nicht so präsentieren und mir etwas weniger auffälliges anziehen. Wahrscheinlich sehnte sich der Barde tatsächlich nach Normalität und als er sie bei uns Ignoranten bekam, war es ihm auch nicht recht. Und die lila Tunkia mag er nicht, weil sie ihm zu ähnlich ist. Außerdem überschlug er sich beinahe vor Begeisterung, seiner Berufung auch hier nachzugehen. Lackafi entschuldigt sich wortreich. Van de Boolde ignoriert ihn und erkärt: “Das Orchester spielt eine Melodie, die ich erdacht habe. Sie ist eingängig und leicht zu singen. Das Los wird zeigen, in welcher Reihenfolge ihr dran seid. Ihr werdet die Verse zum Lied selbst schmieden und danach werden wir“, er schaut zu uns, „beurteilen in den Kategorien Gefühl, Dichtkunst und Gesang.“
Von Lackafi strafft sich und ist bereit loszulegen, Felix von Gerlachingen scheint nichts wirklich ernstzunehmen, grinst eher amüsiert und Patryk sieht aus, als wolle er in eine Ohnmacht sinken. „Damit Ihr motiviert seid und eine Kostprobe bekommt, schlage ich vor, Prinzessin“, wieder der Blick zu mir, „dass Ihr den drei Herren einen Kuss schenkt.“ Ich erröte. Von Lackafi und Gerlachingen klatschen in die Hände. Patryk und ich schauen uns an, nun haben wir beide das Gefühl, es ginge aufs Schafott. Mechanisch bewege ich mich auf die Kandidaten zu. Die Tunika drängt sich vor und hebt mir ihren vollen Mund entgegen. Ich nehme stattdessen die Hand und hauche einen flüchtigen Kuss darauf. Felix von Gerlachingen gebe ich einen dicken Schmatzer auf die Backe. Bei Patryk wird mir ein wenig warm und ich hüstele vor Verlegenheit. Ich zögere, dann bewege ich mich nach vorne, er auch und unsere Köpfe stoßen aneinander. Wir reiben sie und lächeln etwas befangen. Dann versuche ich es noch einmal, strebe seine Wange an, er will mir entgegenkommen und so erwische ich seinen Mund. Er fühlt sich weich an, zart und angenehm. Mit leichtem Druck schmiegt er sich an meinen als gehöre er schon immer dahin, als seien wir eins. Ich schließe meine Augen und versinke in dieser Empfindung. In meinem Bauch kribbelt es. Mir wird sehr leicht zumute und ich spüre ein Ziehen in der Herzgegend. Der Kuss intensiviert sich, ich schmecke ihn, ihn und Kaninchen mit Rosmarin, das heute auf dem Mittagstisch stand.
„Hähem“ bohrt es sich zuerst in meinen Gehörgang, dann in meinen Kopf. Schuldbewusst fahren wir auseinander, es ist mir peinlich, dass ich mich vergessen habe. Schnell stürze ich zu meinem Thron. Poppyking blinzelt mich vielsagend an. Van de Boolde verteilt Briefumschläge, wie sich herausstellt muss Patryk beginnen. Traumwandlerisch begibt er sich nach vorne zum Orchester. Er kann sich zuerst einmal das Musikstück anhören, informiert uns van de Boolde, beim zweiten Mal setzt er dann ein mit seinem Text. Jeder Teilnehmer erhält eine andere, ebenso leicht zu singende Melodie. Patryk sieht aus, als schwebe er. Die Instrumente setzen ein. Sie klingen gut. Mir geht es gut. Ich fühle mich beschwingt und gut gelaunt. „Abbi“ singt Patryk. Ich sehe ihn an. Ich grinse, weil er recht hat. Er trifft in der Tat keinen Ton und klingt schauderhaft. „Abbi“ haucht er noch einmal, „schmeckt besser als Kohlrabi.“ Erstaunt platze ich heraus. Er lächelt mich an. Das will ich hoffen, denke ich. Dass ich besser schmecke als ein Gemüse. Gut, ich erkenne an, dass sein Geschmackssinn funktioniert: In der Tat habe ich heute diese Pflanze zu mir genommen, als Vegetarierin kommt mir kein Karnickel auf den Tisch, höchstens lebendig unter die kraulenden Hände. Patryk belässt es bei diesem Reim und singt noch ein paar Wiederholungen, die seinen Sinn für Musik jedoch nicht verbessern. Ich schmunzele, weil ich ihn so süß dabei finde. Und bei seinem Blick wird mir so heiß, dass ich kein feuriges Gedicht brauche. Dewald van de Boolde guckt meinen Lieblingskandidaten vernichtend an.
„Also“, fängt er zu Patryk gewandt zu sprechen an, „Ihr macht mich sprachlos.“ Dabei schüttelt er langsam den Kopf. „mir schmerzen die Ohren, es ist, als habt Ihr mit Eurer Armbrust auf sie geschossen. Weiterhin frage ich mich, wo hört Dichtkunst auf und wo beginnt damit ein Verbrechen? Ihr habt ganz bestimmt letzteres an unserer Sprache begangen. Gut, Gefühl konnte ich heraushören. Und ich habe bestimmt ein dringendes verspürt: dass Ihr aufhören mögt. Sobald wie möglich!“
Patryk schaut ihn mit einem leichten Grinsen an, er kennt seine Unmusikalität und hat nichts anderes erwartet. Dewald van de Boolde lehnt sich zufrieden mit seinem Urteil zurück und wartet auf das meines Vaters.
„Naja“, sagt mein Vater betreten, „Euer Gesang ist eher mittelmäßig, Euer Reim ääähhh eigentümlich, ich meine bestenfalls originell, aber in Herzenssachen konntet Ihr punkten. Da habt Ihr mich erreicht.“ Damit gibt er das Wort an mich weiter.
„Ich bin begeistert“, sage ich und klatsche in die Hände. „Musik bedeutet schließlich, Stimmungen und Gefühle weiter zu geben und das ist Euch vollkommen gelungen. Dabei ist es mir nebensächlich, ob auch jeder Ton getroffen wurde. Der Reim ist sauber und hoffentlich zutreffend“, verschwörerisch blinzle ich ihm zu. Er lächelt mich schmelzend an. Wir schauen uns eine Ewigkeit in die Augen, so lang, dass ich gar nicht mitbekommen habe, dass Felix von Gerlachingen hinüber zum Orchester geht. Die Wirklichkeit beginnt sich an ihren Rändern leicht zu wellen, sie kommt mir unendlich leicht und wandelbar vor, als könne ich sie mit einem Fingerschnippen ändern. Es ist ein magisches Gefühl und gefällt mir unheimlich gut. Meine Verwirrung stört es anscheinend nicht. Ein glückliches Grinsen schleicht sich in mein Gesicht und nistet sich ein. Die beschwingte Musik dazu wie gerufen. Ich wiege mich im Takt und sehe von Gerlachingen zu. Er macht mit seinem Mund Geräusche, die zu den Tönen passen und setzt dann ein mit einer Art Sprechgesang:
„Diese Aufgabe ist ziemlich fies -genau!-,
denn wie soll ich ein Lied verfassen,
über eine betörende, mir aber unbekannte Frau,
die ich weder lieben konnt, noch hassen,
bei der wenigen Zeit, die ich mit ihr verbracht,
kann ich nur Äußerlichem Lob spenden,
wir haben schon miteinander gelacht,
damit ist der Anfang gemacht,
und wird in tiefer Freundschaft enden!“
Er verbeugt sich elegant. Wir klatschen fortissimo und erheben uns von den Thronen. Selbst Dewald van de Boolde sieht beeindruckt aus. Mein Vater beginnt:
„Eure Stimme ist zwar keine vom Thron hauende, aber Ihr habt das wunderbar und einfallsreich gelöst. Die Sprache ist für Euch erfunden worden, wie es scheint und angesichts der Tatsache, wie wenig Zeit blieb, um Euch vorzubereiten, bin ich begeistert! Das Gefühl konnte, wie Ihr selbst soeben eindrucksvoll geschildert habt, noch nicht entstehen und wird ersetzt durch ebenso wertvolle Ehrlichkeit.“ Er spendet noch einmal Beifall und setzt sich wieder.
„Dem kann ich nur beipflichten“ sage ich schlicht und zwinkere von Gerlachingen anerkennend zu. Der erwidert die Geste.
Dewald van de Boolde sagt: „Das war nichts“, wir schauen uns erstaunt an, Poppyking und ich, aber er spricht schon weiter: „zum Rügen!“ Felix von Gerlachingen verbeugt sich noch einmal. Nun ist Lackafi dran. Er ist schon ziemlich heiß drauf, loszulegen. Wieder setzt die Musik ein. Auch diese ist dem Ohr wohlgefällig und einfach. Lackafi wiegt sich im Takt und summt zunächst, dann öffnet er selbstbewusst den Mund und singt:
„Ihr seid mein Herz, Ihr seid meine Seele,
wenn ich mich nachts im Finstern quäle,
gebt Ihr mir Frieden auf Erden,
Ihr könnt meine Kirschengöttin werden!
Ihr seid meine Seele, seid mein Herz,
erlöst mich nun von meinem Schmerz.“
Seine Stimme klingt wunderbar. Kräftig und zart zugleich, sie schmilzt förmlich im Ohr, wie gutes Eis auf der Zunge. Alle sind begeistert und bereiten Ovationen. Dewald van de Boolde bekommt einen Dukatenblick, wenn er Lackafi anschaut, ich glaube, er denkt daran, ihn unter Vertrag zu nehmen. Es ist bereits vor der Urteilverkündung klar, wer diesen Wettbewerb für sich entschieden hat. Lackafi verbeugt sich stolz, als er den Sieg für sich verbuchen kann. Er glaubt, mich und das Königreich bereits in der Tasche zu haben. Mir reicht es jetzt.
„Damit ist das Spektakel für heute vorbei“ sage ich entsprechend laut und bin froh, als wir endlich allein sind. „Wir brauchen für morgen etwas, dass dieser Lackafi nicht hinbekommt!“ sage ich aufgeregt zu Poppyking. „Mir wird bange bei Vorstellung, diesen aufgeblasenen Schnösel an der Backe zu haben“
„Ich finde ihn unterhaltsam“ meint Poppyking. Als er meinen Blick wahrnimmt, beeilt er sich hinzuzufügen: „Aus sicherer Distanz und begrenzter Zeit selbstverständlich. Außerdem“, hier trifft mich ein wissender Blick, „ist offensichtlich, wer bei dir schon gewonnen hat.“
„Ach Poppyking“ schwärme ich, „du kennst mich eben gut.“
„Ich vermute fast“, lächelt er, „dass auch Fremde diese messerscharfe Schlussfolgerung ziehen können...“
Was? Ich verstehe nicht ganz, was er meint und schenke ihm stattdessen ein beseeltes Grinsen. Damit scheint er auch zufrieden.
„Ich gehe schlafen“ sage ich und schwebe davon.
„Derweil kümmere ich mich um das Problem und lass mir etwas Verzwicktes einfallen“, ruft er mir nach. Was meint er nur? Morgen ist dafür auch noch Zeit, ich lege mich in die Federn und werde sicher etwas Schönes träumen!
Lächelnd wache ich auf. Puh, und heiß ist mir auch, denn mein Traum war nicht gerade jugendfrei ...hihi. Nein, vergesst es, von dem werdet ihr nichts erfahren. Es kam ein talentfreier Sänger darin vor, der einige unanständige Dinge tat, in denen er allerdings wahre geniale Begabung zeigte. Ich springe auf, ich möchte Patryk von Polandi sehen und ihm einen guten Morgen wünschen. Was für eine wunderbare Idee! Sie versetzt mir Flügel und Sieben-Meilen-Stiefel an die Beine, so schnell war ich noch nie im Großen Saal. Dabei fällt mir auf, dass ich gar nicht weiß, wo die Kandidaten untergebracht sind. Sprich in welchem maroden Teil vom Schloss sie hausen. Mein Vater scheint ebenfalls noch nicht wach. Keine Seele ist anzutreffen. Ich suche ein bisschen, laufe herum, aber ergebnislos. Ich finde zwar einen Raum, der aussieht, als sei er als Lagerstatt verwendet worden, aber er ist verlassen und nur etwas Müll und ein löchriger alter Schlafsack liegt zerknüllt auf dem Boden. Da er rosa ist und ein paar Pailetten rausgekullert sind. Gehe ich davon aus, er ist Lackafis Besitz. Er scheint dringend Geld zu benötigen. Der arme Kerl, hier mit mir wird er es garantiert nicht finden. Wenn mein Vater neben dem Spaß, den er sich von den Freiern erhoffte, noch etwas anderes anstrebte, dann selbst etwas mehr Schotter. Gut, wie gesagt, die Geschäfte liefen schon schlechter, wir leben gut, aber mit Prunk und Protz ist es eben nichts. Manchmal denke ich, er wünscht sich die Zeiten meines Urgroßvaters zurück, der sich seine Kutsche pimpen und vergolden ließ, wie ich des öfteren hörte und in jedem Flügel des Schlosses hauste ein anderes Wesen, das wir heute Adels-Groupie nennen würden. Allerdings hielt das dann auch nicht so lange, denn das viele Geld zum Ausgeben holte meine Uroma rein, und er machte es nicht gerade geschickt, seine neuen Vorlieben zu verbergen. Scheiden lassen ging noch nicht, aber sie verschwand auf Nimmerwiedersehen und damit auch der Wohlstand. Mein Vater hat die Wirtschaft wieder etwas angekurbelt, aber reich ist etwas anderes. Allerdings ist das keine Erklärung dafür, dass er das Schloss so verlottern lässt. Denn, selbst wenn wir es nicht vergolden können, besser instandhalten geht auf jeden Fall. Wahrscheinlich hat das mit meiner Mutter zu tun. Sie war richtig gut in solchen Dingen wie Einrichten, hatte ein Gefühl für Raum und passendes Mobiliar. Sie fehlt mir auch. Das merke ich, mir fehlt ihr Lachen und ihre Lebendigkeit und ihre rauschenden Feste. Ja, sogar die, ich gebe es etwas unwillig zu. Auch wenn es anstrengend mit den vielen Leuten ist, ab und zu schadet Trubel keiner und keinem. Deswegen macht mein Vater nichts, tippe ich, weil er möchte, dass sie es tut. Und darauf hofft, dass sie zurück kommt. Aber sie möchte, dass er den ersten Schritt macht. Und das verstehe ich, er ist ausgerastet, sie verdient eine Entschuldigung. Genau deshalb schafft Poppyking es nicht: er ist zu stolz. Stur und stolz. Wie ich. Ich komme voll nach meinem Vater, bin eine 100 % Kopie in weiblich und etwas dünner, hoffe ich.
„Morgen“ nuschelt es hinter mir, mein Vater ist aufgestanden.
Inzwischen bin ich mit meinen Gedanken beschäftigt in der Küche gelandet. Morgens richtet sich mein Vater sein Frühstück selbst. Eine Köchin leisten wir uns nur, wenn Gäste da sind. Da das im Moment der Fall ist, wundere ich mich, wo sie bleibt. Mein suchender Blick fällt meinem Vater auf. „Sie hat die Vesper der Kandidaten gerichtet und sie ihnen mitgegeben“, sagt er, guckt auf die Uhr an der Wand, runzelt die Stirn und meint: „sie ist allerdings schon eine Ewigkeit weg!“ Als habe sie ihren Chef vernommen, rauscht sie in dem Moment zur Tür herein.
„Auftrag erledigt!“ schnauft sie zufrieden. Kein Wunder, dass sie solange braucht, bei ihrem Übergewicht. Eine klassische Köchin, die mich immer ihre Schüsseln auslecken ließ. Hmmmm, der Rharbarberkuchen. Apropos lecker, wo ist denn nun Patryk? Ich frage meinen Vater nach den Kandidaten.
„Sie sind schon unterwegs“ sagt er geheimnisvoll und ich sehe ihm an, wie angetan er von sich ist. Uh oh, das gibt mir ein leichtes, ziehendes Gefühl einer bangen Ahnung.
„Wohin?“ frage ich daher in ängstlichem Ton.
„Du weißt ja nicht, was ich mir habe Tolles einfallen lassen“, sagt er stolzgeschwellt. Meine Instinkte kündigen drohendes Unheil an.
"Und was ist das?“
„Ich habe sie zu Fiffy geschickt“, grinst er „sie sollen mir eine ihrer Federn bringen oder wie die Teile heißen.“ Ich spüre, wie ich blass werde.
„Schuppen“ verbessere ich automatisch. Matt ergänze ich „du weißt, wie sie tut, wenn sich einer an denen zu schaffen macht.“
„Eben drum“, er klingt begeistert, „du wolltest doch etwas Schwieriges!“
„Aber nichts, wobei sie draufgehen!“ schreie ich ihn wütend an.
Wenigstens guckt er jetzt betreten, was mich noch mehr erschreckt und mir zeigt, diese Option ist nicht ganz unrealistisch. Der letzte, der es probiert hat und er kam noch nicht einmal in die Nähe, hinkt immer noch und seine Narben werden ihn lebenslang an diese Unternehmung erinnern. Ich drehe mich um, stürme aus dem Saal und renne direkt in den Stall, wo mein Fahrrad steht. Sofort schwinge ich mich auf den Sattel und strample los. Es ist ein Rennrad und zwar ein richtig gutes. Ich liebe Fahrrad fahren und früher bin ich in Wettbewerben mit geradelt. Ich habe etliche Preise gewonnen, meine Armbrust klemmt schon auf dem Gepäckträger. Auch darin bin ich ziemlich gut, meine Mutter legte der Göttin sei Dank viel Wert auf eine gleichberechtigte Erziehung. Obwohl das kein passender Ausdruck ist, da ich ein Einzelkind bin. Was ich meine, ist: ich kann schießen, eine Kutsche lenken, Auto und Rennrad fahren und bin eingewiesen in die Regierungsgeschäfte. Obwohl mir letzteres eher im Hintergrund liegt, das Repräsentieren ist nicht so mein Ding. Ich trage am liebsten praktische Klamotten, wie auch jetzt, was mir sehr zupass kommt in der aktuellen Notlage. Ich muss auch in der Gegend herum heizen, da ich nicht weiß, wo genau Fiffy sich gerade aufhält. An und für sich ist sie ein harmloses Haustier. Deswegen auch nicht an der Leine. Sie tut keiner Fliege etwas zuleide, solange frau kein Interesse an ihren Schuppen zeigt. Dann rastet sie aus. Da das jeder hier weiß, kann sie sich frei bewegen. „Oh Poppyking, du Idiot!“, denke ich wütend. Hoffentlich passiert Patryk nichts, ich habe furchtbare Angst um ihn. Keuchend bin ich an den drei Eichen angelangt, das ist einer von Fiffys Lieblingsplätzen. Da das Gras zerwühlt und zertrampelt ist und noch leicht schwelt, springe ich vom Rad und renne zur Höhle, deren Eingang etwas versteckt in einem Felsen hinter den Eichen liegt. Die Höhle ist einer von Fiffys Schlafplätzen. Ich schleiche mich an, gucke hinein, kann aber nichts entdecken. Fiffy ist nicht klein, sogar groß für ihre Spezie, sie ist definitiv nicht da. Gerade will ich mich auf mein Rad schwingen, da höre ich die Schreie. Mir wird mulmig und ich renne um den Felsen herum. Da Fiffy dahinter am Boden liegt, habe ich sie nicht gesehen. Der Felsen ist ebenfalls sehr groß. Eher ein kleiner Berg. Ich befand mich an der Spitze der einen Seite und sehe deshalb schnell die Bescherung. Fiffy guckt ziemlich böse. Sie knurrt und dabei stößt sie winzige Flämmchen aus, denn Fiffy ist ein Drachenweibchen. Zum Glück ist deren Feuerkraft begrenzt, denn sonst würde Patryk, der sich gerade in ihrem Maul befindet, nicht mehr leben.
„Abbi!“ schreit er, „Hilfe!“
„Fiffy“ sage ich streng. „Aus!“ Fiffy kümmert sich zunächst nicht um meinen Befehl. Sie ist zu sauer. „Fiffy“ sage ich noch strenger. „Aus!“ Fiffy schnauft noch einmal, dann öffnet sie ihr Maul und Patryk purzelt heraus. „Brav“ lobe ich sie und werfe ihr ein Leckerli hin. Die habe ich immer in der Tasche, falls ich Lust bekomme, sie zu besuchen. Patryk kommt auf mich zu und umarmt mich. „Danke!“ sagt er aus tiefstem Herzen und umarmt mich stürmisch. Ich komme nicht dazu zu sagen, dass Fiffy eine Seele von einem Drachen ist, denn schon küsst er mich. Das gefällt mir so gut, dass ich umgehend vergesse, was ich gerade noch äußern wollte. Mir wird wieder ganz leicht und die Welt färbt sich rosa und glitzert. Außerdem fühlt es sich so an, als höben meine Füße vom Boden ab. Sein Mund ist weich und angenehm und mir kribbelt eine Armee von Ameisen die Arme herauf, wahrscheinlich wollen sie die Schmetterlinge in meinem Bauch besuchen, da sind ebenfalls eine Menge anwesend.
„Scheißviech!“ kreischt es hinter mir. „Lass mich raus. Hiiiilfe!“ Lackafi ist nun der nächste in Fiffys Gewalt. Fiffy ist inzwischen noch zorniger. Irgendwie hat es doch etwas Komisches, Lackafi zappeln zu sehen.
„Hilf mir!“ schreit er, „rette mich!“
Ich trenne mich ungern von Patryk.
„Ihn da kannst du später noch besabbern, ich bin in Gefahr!“
Fiffy ärgert sich immer mehr über das Geschrei, sie ist lärmempfindlich. Inzwischen hat sie sich erhoben und sie ist, wie gesagt, sehr groß. So ungefähr sieben Meter misst sie schon, wenn sie ihren Hals reckt, was sie gerade sehr anschaulich tut. Dabei staune ich, wie schön sie ist. Ihre Beine und der Rücken bestehen aus glänzenden Schuppen in genau dem Ton zwischen Grün und Blau, den ich so liebe, während ihr Bauch und ihre Hörner elfenbeinfarbig schimmern. Ihr Kopf ist klein im Vergleich zum Körper, aber elegant geformt, ihre Zähne sehen zwar furchterregend aus, aber sie täuschen: denn Fiffy ist Vegetarierin. Sie besitzt ein niedliches, ebenfalls türkises Schwänzchen und ich schwöre, sie hat schon damit gewedelt, wenn ich ihr ein besonders gutes Leckerli gebracht habe oder ihr vorsinge. Musik liebt sie. Ich werde meinen süßen Patryk von ihr weghalten müssen, sonst tut sie ihm was an. Zumindest, wenn er singt ;-) Oh,oh. Ihre riesigen grünen Flügel sind gespannt und sie schüttelt Lackafi hin und her. Der hat jetzt richtig Angst. Seine Augen weit aufgerissen, ist er bleich und schwitzt, das Wasser läuft ihm über sein Gesicht.
„Ich habe betrogen“, kreischt er, „ich gebe es zu. Ich habe ihn da belauscht“, damit meint er wohl meinen Herzensprinzen, „ich hatte keine Ahnung, wie viel Quadrate. Und das Lied war eine Mischung aus Dewald van de Booldes erfolgreichsten Musikstücken. So rettet mich endlich. HIIIIILFE!!“
Selbst in einer lebensbedrohlichen Situation quatscht er noch Opern. Gut, ich gebe zu, es waren interessante Informationen darunter. Fiffy geht der Lärm auf den Wecker und sie öffnet ihr Maul, Lackafi stürzt herunter. Er glänzt rosa im Fallen. Ah, das habe ich vor dem schwindelerregenden Kuss aus den Augenwinkeln gesehen. Ich muss etwas tun, sonst tötet ihn der Fall. Ich spanne meine Armbrust, kneife ein Auge zusammen, ziele und schieße. Der Pfeil bohrt sich durch sein Schulterpolster und nagelt ihn damit an einen Baum, ungefähr eineinhalb Meter über dem Boden. Das war knapp. „Was für ein guter Schuss!“ sagt Patryk bewundernd. Ich freue mich über die Anerkennung und lächle ihn an. Dabei sinke ich ich in seinen Blick. Wir bewegen uns automatisch aufeinander zu, aber mich stört ein beharrliches Geräusch. Es ist Lackafi, der befreit werden will. Gemeinsam ziehen wir den Pfeil aus dem Baum und Lackafi fällt zu Boden. Er zittert. „Ich verklage Euch und Euren Vater“, erklärt er mir wütend. „Es stand nichts von lebensbedrohlichen Umständen auf Eurem Papier!“ Mit diesen Worten stürmt er davon. Felix von Gerlachingen biegt gerade um die Ecke, sieht Fiffy und dreht wieder um.
„Das ist mir zu heiß!“ sagt er zu mir.
„Lass es lieber“, bestätige ich ihn, „Fiffy ist ein wenig eigen mit ihrer Haut.“
„Kannst eine von denen haben“ bietet Patryk ihm großzügig an. In seiner geöffneten Hand liegen zwei von Fiffys blaugrün schimmernden Schuppen.
Erstaunt sehe ich ihn an. „Woher hast du die denn?“
„Ich habe sie bestochen“, deutet er geheimnisvoll an, ist aber weder durch Felix, noch durch mich zum Reden zu bewegen. „Später“, flüstert er mir zu.
„Okay“, wispere ich zurück und nehme seine andere Hand. „Wiedersehen Fiffy“ rufe ich ihr noch zu. „Bis zum nächsten Mal“ Aber Fiffy ist mit Kauen beschäftigt. Sie nagt an etwas Stockähnlichem mit ordentlichem Durchmesser. Nächstes Mal schaue ich, was sie da gefunden hat, denke ich noch und dann werde ich abgelenkt durch die Freude und das blubbernde Glück, das Patryks Hand in meiner auslöst. Wir hüpfen zurück, nur Augen füreinander und Felix begleitet uns. In der Halle erwartet uns ein großes Geschrei. Lackafi und mein Vater. Ich schicke Patryk und Felix hinaus und sage, ich regle das allein. Sie sind froh, der dicken Luft zu entkommen und ich höre, wie sie beschließen sich ein Bier zu holen und sich ein Action-Spektakel reinzuziehen. Einträchtig unterhalten sie sich über einen eisernen Mann Teil Drei, wenn ich es richtig verstanden habe. Wahrscheinlich wieder etwas mit den Rechenmaschinen, die die meisten Männer so lieben.
„Ich verlange Schmerzensgeld!“ schreit Lackafi und reißt mich aus meinen Gedanken.
„Ich habe eine bessere Idee“ erwidere ich und blinzle meinem Vater zu. Poppyking wartet gespannt. „Wie wäre es stattdessen mit einem Titel und einer Burg?“ ködere ich Lackafi, der mich mit offenem Mund anglotzt. Ich weiß doch, was der sich wirklich wünscht. Ich wäre nur das Mittel dazu gewesen.
„Das ist eine mehr als angemessene Entschädigung“ stottert er und ich ich sehe, wie heiß er darauf ist. Poppyking lächelt anerkennend, er weiß, was kommt.
„Sie heißt Burg Methanol und liegt im Süden von Lisanien. Es gibt zwanzig Gemächer“, hier leuchten seine Augen, „allerdings ist sie etwas ..hähem .. nun, reparaturbedürftig.“
„Das macht nichts“, versichert er schnell, „das regle ich irgendwie.“
Das glaube ich ihm sogar. Er hat ein unglaubliches Talent, Leuten etwas vorzumachen. Irgendeiner oder einem wird er schon die Dukaten aus der Tasche ziehen. Mein Vater holt das Schwert und den Umhang. Er hüllt sich damit ein, eine feierliche Wolke in Rot und Fellbesatz. „Kniet nieder“ sagt er zu Lackafi. Prompt lässt der sich fallen. Er bekommt gleich einen Orgasmus, zumindest sieht er so aus. Mein Vater nimmt das Schwert und berührt damit Lackafis rechte Schulter, dann die linke, um zur rechten zurück zu kehren.
„Damit seid Ihr Graf Innozenz von Lackafi“, verkündet er feierlich. „Herr von Burg Methanol in Metanien.“
Von Lackafi erhebt sich, eine Träne der Rührung läuft ihm seine Wange hinab. „Danke“, sagt er ergriffen und drückt erst Poppykings und dann meine Hand fest. „Darf ich mich entfernen?“ Er bekommt die Erlaubnis erteilt und rennt fast aus dem Saal. Bestimmt will er gleich sein neues Haus erkunden. Der wird Augen machen, wenn er das verfallene Gemäuer zu Gesicht bekommt. Ich grinse und ich sehe, dass Poppyking es ebenso tut. Zwei Menschen, ein Gedanke. Ich liebe meinen Vater!
Patryk und ich sitzen beim Abendessen. Wir haben zusammen gekocht, mir zuliebe etwas Vegetarisches und nun stoßen wir an.
„Du“, sage ich zu ihm, „zwei Dinge beschäftigen mich: erstens, wann bekomme ich endlich das Rezept für die Kur und zweitens wenn es dir gelungen ist, Fiffy dazu zu bewegen, dir ihre Schuppen zu überlassen, warum um Himmels willen stecktest du dann in ihrem Maul??“
Ratlos zuckt er die Schultern. „Ehrlich gesagt habe ich keine Ahnung. Sie war ganz friedlich und zutraulich, ich total happy über die Schuppen.“
„Und dann?“ frage ich gespannt.
„Nichts und dann“ antwortet er. „Ich habe „we are the champions“ geträllert und als nächstes befand ich mich in ihrer Schnauze!“
Prustend halte ich mir die Hand vor den Mund, dass keine Essenskrümel hinaus fliegen.
„Achso, jetzt ist mir alles klar“, sage ich und kläre ihn auf, als ich sein verwirrtes Gesicht betrachte. „Fiffy liebt Musik und ist sehr lärmempfindlich.“ Jetzt kichert er mit.
„Wir sollten sie van de Boolde als Jurymitglied empfehlen.“ Nun lachen wir beide schallend. Mein süßer Patryk. Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so verliebt in einen Mann außer vielleicht in Poppyking. Er wärmt mein Herz, wenn er lacht und seine braunen Augen bringen die Schmetterlinge zum Fliegen. Sie sind nicht so dunkel, es sei denn, er küsst mich, grins, nein, eher wie karamelisierender Honig und ich liebe Kamarell! Er trägt immer noch den blauen Rock und hinter seinem Kettenhemd schmiegt sich sein Lederbeutel an seinen Rücken. „Was ist da eigentlich drin?“ frage ich plötzlich, denn diesen Beutel trägt er immer. Wirklich immer. Er guckt betreten und will mir offensichtlich ausweichen.
„Oh lala, ich komme ja im richtigen Moment!“ sagt plötzlich eine Stimme hinter. „Meine Tochter beim Candle-light-dinner! Willst du mir den jungen Mann nicht vorstellen?“
„Mama!“ entfährt es mir verblüfft, um dann aufzuspringen und sie in die Arme zu schließen. Ein bisschen Wasser schießt mir in die Augen, wie habe ich sie vermisst! Nachdem wir uns eine gefühlte halbe Stunde geherzt haben, während der Patryk geduldig wartete, stelle ich ihn ihr vor. Ihr Blick verweilt anerkennend auf ihm und bleibt an seinen Haaren und seinem Rock kurz hängen. Ich lächle, wir legen anscheinend Wert auf die gleichen Dinge.
„Nun“, sagt sie schließlich, „dann feiern wir also bald Hochzeit.“
Patryk und ich gucken uns bestürzt an. Davon war nie die Rede.
„Äh“, räuspere ich mich, „wie kommst du denn darauf?“
„Erwin deutete etwas dergleichen an“ meint sie.
Ich muss kurz überlegen, wen sie meint, bis mir der nie benutzte Vorname meines Vaters einfällt. Poppyking. Ich will wütend werden, weil er wieder Mist baut, bis mich der Gedanke besänftigt, dass er immerhin meine Mutter hierher gebracht hat und darin stimme ich ihm zu: der Zweck heiligt in diesem Fall die Mittel.
„Bist du alleine hier?“ frage ich meine Mutter später, als wir zusammen durch den Garten spazieren. Als sie mich verständnislos anschaut, frage ich sie nach Ehemann Nummer 8.
„Ach der“, sagt sie. „Ihn ereilte dasselbe Schicksal der anderen fünf: er langweilte mich zu Tode.“ „Vielleicht liegt das daran“, erwidere ich vorsichtig, „dass du immer noch einen anderen liebst.“ Scharf schaut sie mich an, um kurz darauf ihre Augen nieder zu schlagen.
„Vielleicht“ stimmt sie leise zu.
„Dann gut, dass du da bist“ bemerke ich. „Poppyking leidet“, rede ich weiter. „Er vermisst dich furchtbar“
„Ich ihn auch“ gibt sie zu. „Zuerst glaubte ich wirklich, verliebt zu sein“, damit meint sie bestimmt Ehemann Nummer 3, „aber schnell stellte ich fest, dass dem nicht so war. Ich habe mir etwas vorgemacht und mit jedem weiteren Mann ist mir das klarer geworden. Vielleicht habe ich auch gehofft, Erwin kommt und rettet mich vor mir selbst und weiteren Ehemännern. Aber er hat sich nie gemeldet.“
„Er ist zu stolz. Nicht gerade eine gute Eigenschaft in dem Fall, aber du kennst ihn doch.“
„Ja“ seufzt sie, „er ist stur und stolz und ich heirate.“
Wir grinsen. Wo sie recht hat, hat sie recht.
„Wo wir gerade beim Thema sind“, sage ich, „ich möchte nicht.“
„Was?“ fragt sie.
„Heiraten“ antworte ich. Dann lachen wir laut und befreit. Das wäre geklärt. Ich habe nämlich in der Tat schon darüber mit Patryk gesprochen. Wir stellten erleichtert fest, dass wir beide keinen Bock darauf haben. Außerdem gehen die Medien so auf Prinzessinnen- und Prinzen-Hochzeiten ab. Das möchte ich noch weniger: Gegenstand einer Soap werden und ständig etwas über meinen Partner in der Morgenzeitung lesen. Nein danke sage ich nur! Meine Mutter geht, um sich fürs Abendessen frisch zu machen. Ich begebe mich zu Poppyking.
„Hast du etwas von einer Hochzeit gefaselt?“ frage ich ihn streng.
„Ja“, bekennt er, „ich habe eine Anspielung gemacht.“
„Dafür habe ich etwas gut“ sage ich zu ihm.
Er guckt mich betreten an. „Was meinst du?“
„Für den Wettbewerb auf meine Kosten und für die Pseudo-Vermählung.“
„Ersterer bescherte dir immerhin eine echte Liebe“, protestiert er schwach.
„Ja, aber das reicht nicht.“
„Was willst du also noch?“ fragt er ergeben.
„Dass du Mama sagst, dass du sie vermisst und ihr verzeihst.“
Er braust auf. „Niemals!“ schreit er.
„Du hast sie zuerst betrogen“, schreie ich zurück.
„Das war etwas anderes“, brüllt er, aber schon leiser und ich höre sein schlechtes Gewissen.
„Mach dir doch nichts vor“ sage ich verächtlich, „springe über deinen Schatten. Ihr liebt euch und habt eine Chance zusammen, werfe das nicht weg.“ Damit lasse ich ihn allein.
Ich sitze im Garten und betrachte meinen Kirschbaum, als Patryk kommt und mich fragt, ob er sich zu mir setzen darf.
„Klar“, sage ich und mache Platz. Sogar sitzend lässt er seinen geheimnisvollen Beutel an. „Jetzt spucks schon aus“ fordere ich. „Was ist da drin?“
Er sieht meinem Blick an, dass ich nicht nachzugeben gedenke. „Na gut“, seufzt er. „Ich experimentiere noch, aber gut.“ Er nimmt seinen Rucksack ab und öffnet ihn. Greift hinein und zum Vorschein kommt … eine armdicke Salami. Ich lache so, dass ich von der Bank falle und dass mir die Tränen hinunterlaufen. Ich wälze mich auf dem Boden, so muss ich wiehern. Schließlich bekomme ich einen Schluckauf.
„Jaja, schon gut“, sagt er.
„Komm, das ist echt witzig“ erwidere ich. „daher hast du deinen Beinamen.
„Ja“, gibt er zu. „Bei uns auf dem Hof weiß es jede und jeder. Deswegen bin ich gegangen, meine Eltern wollten unbedingt, dass ich die Tuchweberei fortführe. Aber das Stoffmachen liegt mir nicht. Ich möchte Salami herstellen.“ Jetzt klingt er begeistert. Er nimmt ein Messer und schneidet mir ein Stück ab. Sie schmeckt köstlich und ungewöhnlich süß. Letzteres fügt sich trotzdem harmonisch in das Geschmackserlebnis ein. Er schaut mich erwartungsvoll an. „Und?“
„Lecker“, meine ich, „aber irgendwie anders“.
„Ja“, sagt er, „sie ist vegetarisch.“
„Unglaublich“, meine ich kauend. Dann begreife ich. „Damit hast du Fiffy bestochen!“
„Ja“, sagt er stolz. „Sie ist voll drauf abgegangen.“
„Sie hat Geschmack. Ich finde sie auch genial. Was ist drin?“
„Wasser, Fett, Hefe, Gewürze und ein Hauch Karamell.“
„Kein Wunder liebe ich diese Wurst“ rufe ich aus. „Ich liebe Karamell!“
„Außerdem gibt es kein Familiengeheimnis“ gesteht er und wird rot. Erstaunt schaue ich ihn an. „Das mit der Kur ist ein Zufallsprodukt. Einmal, als ich beim Salamimachen war, hat mein Handy geklingelt und ich hatte die Hände voll im Teig. Da habe ich sie schnell mit meinen Haaren abgewischt, um ans Telefon zu gehen. Danach glänzten sie so toll, dass ich jetzt öfter etwas Teig darauf mache.“
„Okay“ grinse ich, „ich will auch.“ In seinem Beutel sind zwei Sorten. Auch die Fleischvariante schmeckt bestimmt fein. „Die musst du anbieten“ meine ich, „sie schmeckt so gut, dass wird ein Verkaufshit!“
„Ja“, sagt er, „Bald ist sie fertig abgeschmeckt. Aber ich wollte meine Eltern nicht enttäuschen.“
„Ihre Tuchweberei kann doch bestimmt auch jemand anders fortführen, oder?“, frage ich.
„Ich weiß nicht, denn ich bin der Älteste. Meine Schwester, wenn sie volljährig ist, vielleicht.“
„Wir gehen deine Eltern bald besuchen“ schlage ich vor. „Ich wette, sie sind so froh, dich wieder zu haben, dass sie mit allem einverstanden sind.“
Er schaut mich an. „Außerdem weiß ich: von dir werden sie begeistert sein!“ Er nimmt mich stürmisch in die Arme und küsst mich. „Das geht nicht anders.“ Verliebt schauen wir uns lächelnd an. Hand in Hand marschieren wir in den Großen Saal. Dort sehen wir ein anderes Paar ins Gespräch vertieft. Meine Eltern sitzen einträglich nebeneinander. Endlich! Verschwörerisch blinzle ich Poppyking zu und hebe den Daumen. Er winkt zurück und Mama sendet mir einen Kuss zu. Ich platze vor Stolz auf meinem Vater. Wie er das wieder hinbekommen hat! Er verblüfft mich immer wieder. Ach, was bin ich glücklich! Vielleicht, aber nur vielleicht war es doch eine gute Idee mit dem Prinzen-Casting. Wahrscheinlich können wir das Format an einen Sender verkaufen oder an Dewald van der Boolde. Ich grinse. Wir werden uns schon etwas einfallen lassen. Aber jetzt freue ich mich an meinem Leben und auf das nächste Fest. Denn sicher wird es bald eines geben, nun, da meine Mutter zurückgekehrt ist. Sie kann Patryks Eltern einladen und und und
Damit verabschiede ich mich erst einmal von euch und hoffe, wir lesen irgendwann wieder voneinander. Auf Wiedersehen.