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Press Button to Start
Das Ganze beginnt mit diesem Traum. Doch je länger ich in dieser Dunkelheit bin, desto mehr vergesse ich.
Den Traum. Mich selbst.
Wieder und wieder rufe ich ihn mir ins Gedächtnis, um die Erinnerung daran frisch zu halten, manche Details bleiben, andere kehren plötzlich wieder zurück, manche verschwinden.
Wie ich selbst.
Wie lange ich nun hier bin? Ich habe keine Ahnung, Zeit ist bedeutungslos, wenn man in einem schwarzen Nichts steckt. Manchmal taste ich nach den Wänden, nur um zu spüren, ob sie noch da sind, diese kalten, feuchten Felsen, hier in dieser Höhle, an manchen Stellen ist etwas, was sich anfühlt wie Moos – doch wie kann das sein in dieser Dunkelheit?
Erschöpft setze ich mich hin, der Boden ist kühl, feucht und man hat das Gefühl, auf Seife zu sitzen – etwas schmieriges auf jeden Fall. Dort seltener etwas wie Moos, das alles ist glatt, wie eine Art Marmorplatte. Nur eben felsig, an manchen Stellen ein paar Unebenheiten, kaum zu bemerken, etwas angeraut. Wasser läuft in dünnen Rinnsälen hinab, der Boden ist also schräg – und überhaupt fallen mir unzählige Dinge auf, die man bei Licht gar nicht beachtet hätte. Die Luft. Wie alles riecht, so kühl, gar nicht muffig, obwohl kein Wind geht – man könnte sagen: Es riecht nach Stein.
Und während ich mit der rechten Hand über den Boden gleite, vorsichtig die kaum spürbare Schräge ertastend, gleite ich in jenen seltsamen Dämmerzustand zwischen Schlafmangel, Müdigkeit und einem erinnerten Halbtraum, der so real wirkt, wenn ich nun spüre, WIE
ICH die Schräge hinabgleite, rutsche, rolle, bis ich an einem Baum liege. Die Rinde ist so rau und brüchig, ein Stück geht ab, als ich meine Finger daran festklammere, um aufzustehen, ganz langsam. Ich bin in einer Stadt, links und rechts sind Mauern, alte Stadtmauern, Gaslaternen erhellen das alles nur wenig, Mondlicht wird von Bäumen abgefangen. Ich bin allein. Und dann sind da Geräusche. Schritte, ein Vogel, etwas undefinierbares, ein Krächzen.
Ich habe keine Angst. Der Weg führt immer weiter nach unten geradeaus, recht steil. Aufpassen, sonst falle ich nochmal. Es ist so glitschig, Regen setzt ein. Abwärts. Nur die eine Richtung, wenn ich mich umdrehe, ist alles verschwunden – kein Nebel, Dunkelheit hat alles verschluckt.
Alles ist endlich. So auch dieser Weg und manchmal gibt es kein Zurück. Während links und rechts die Mauern immer höher werden, ich nicht mal mehr abschätzen kann, wie hoch die eigentlich sind, da sehe ich ein metallisches Aufblitzen. Am Ende des Weges. Hier kommt das Mondlicht durch, da die Bäume verschwunden sind, am Ende ist ein Gitter. Etwa 3 Meter breit und so lang wie mein Unterarm. Ich höre Stimmen, und während die Wolken nun wieder das Licht des Mondes befreien, sehe ich durch das in die Erde eingelassene Gitter, wie ein Gulli für Abwasser. Daran haben sich einige Blätter festgesetzt, dieses Murmeln wird lauter, Krächzen – was ist das?
Ich nehme meinen Mut zusammen und schiebe die Blätter zur Seite. Hinter dem Gitter sind Menschen. Falsch! Nur ihre Köpfe, die Augen starren mich an, verfolgen mich, „Hilf uns“, sagt ein Kopf mit Brille und weissem Haar, ein älterer Mann, dessen Worte jedoch von einem Schwall Blut erstickt werden.
Ein Schock kann betäubend sein, so nehme ich viele Dinge wahr, aber verdränge sie auch gleich wieder. „Hilfst du uns?“ fragt die Stimme eines Mädchens und ihre Augen zeigen nach rechts. Da leuchtet etwas. Rot. Ein Knopf, er blinkt, darüber die Schrift „Press Button to Start!“
Ich drücke ihn – und das Gitter klappt langsam nach unten weg, die Köpfe werden zusammengedrückt, als wenn sie aus Gummi wären. Blut – oder was immer das ist spritzt, fließt in dichten Strömen, Regen setzt ein, verdünnt die Realität. Ich schaue mir das alles fassungslos an, was geschieht hier, was geschieht... und DANN
ERWACHE ich. Wieder in der Dunkelheit. Ich atme auf, dass alles in Ordnung ist – der Fels, der Geruch nach Stein – das Moos. Und dann muss ich lachen. Wie kann man diese Situation nur als „alles in Ordnung“ bezeichnen? Gar nichts ist in Ordnung.
Mein Körper hat sich langsam an den Hunger gewöhnt. Wie in einem Abenteuerroman lecke ich Wasser von den Steinen, Nährstoffe, Flüssigkeit – immerhin. Aber mit meiner romantisch – verklärten Vorstellung, dies einmal zu tun, hat das alles nichts gemeinsam. Es ist eklig, aber man gewöhnt sich daran. Ein bisschen zumindest. Eigentlich weiß ich gar nichts von mir selbst. Was gewesen ist, vorher. Habe ich gearbeitet, Familie, Freunde, lebe ich allein, schon immer allein? Das Einzige woran ich mich erinnere ist dieser Traum – und ein paar Bücher, die ich mal gelesen habe. Lesen... Hier in völliger Dunkelheit unmöglich, was ist nur passiert? Der Schlüssel muss in diesem Traum zu finden sein – doch wie? Und gibt es überhaupt einen, ist das nicht nur meine Vorstellung und die Angst davor, dass da einfach nur gar nichts ist, so wie sich manche Menschen an die Existenz eines Gottes klammern? Ich weiß es nicht, aber ich kann ja auch gar nichts anderes tun, als mich wieder und wieder zu erinnern, zu versuchen einem Hinweis nachzugehen und so kehre ich an den Beginn meines Traumes zurück, während meine Zunge immer noch das kalte, salzige Wasser von der Felswand schmeckt – und ich lieber gar nicht so genau daran denken möchte, was ich hier tue, sondern lieber DARÜBER,
WAS am Anfang war, bevor ich die Schräge herabgleite. Ich versuche immer weiter daran zu denken, das alles wie ein Video ganz langsam zurückzuspulen, Bild für Bild, den Punkt zu suchen, in dem das Rutschen begann, den Moment davor. Es gelingt, ich rolle den Berg hoch, nicht hinab, Bild für Bild, alles ist heller, Lichter von Laternen – warum nur ist in solch abstrusen Situationen immer finsterste Nacht, Gewitter oder Nebel? Die Schräge wird steiler und steiler, bis ich direkt vor einer Wand liege, die wie ein Turm vor mir aufragt. Was soll das? Es muss doch einen Ausgangspunkt geben, es muss! Ganz oben sehe ich ein Fenster bzw. eine Öffnung, hat man mich hier vielleicht einfach nur... wie Müll entsorgt? Ich nehme diesen Geruch war, diesen seltsamen Geruch, das ist doch Alkohol? Spiritus? Im nächsten Moment sehe ich in dem Fenster etwas helles, eine Fackel wird auf mich geworfen – ich schreie auf, doch ich kann mich nicht hören, und in dem Augenblick, da ich die Hitze der Fackel spüre wird mir eins klar – ich selbst habe mich die Schräge heruntergerollt, um die Flammen zu löschen! Ich rolle, stolpere, haste die Schräge hinab, über diesen kalten felsigen Boden, immer weiter, bis ich an dem Baum stoppe und ich mich an der rauen Rinde aufrichte. Ich bin froh, nun wieder hier zu sein, den Flammen entkommen, und ich weiß, dass ich dennoch zum Anfang zurückkehren muss, um die Wahrheit herauszufinden. Eine Wahrheit.
Diese liegt verborgen in dem Feuer der Fackel, in dem seltsamen Gitter am Enden der Schräge, zungenlose Köpfe, die sprechen – und seltsamerweise findet man es in solchen Situationen verwunderlicher, dass sie ohne Zunge reden können, als dass man über die fehlenden Stimmbänder nachdenkt. Vom Rest mal ganz zu schweigen. Und SO
VERSPÜRE ich keine Lust mehr, auf dieses salzige Wasser. Ich lege mich nochmal etwas hin und schlafe wohl tatsächlich ein. Dieses Mal träume ich nicht viel, ich höre ein Geräusch, so als ob jemand etwas reibt, ein Streichholz vielleicht. Das Geräusch des Entzündens weckt mich. In der Mitte des Raumes steht eine Kerze, das Licht lässt mich sofort meine Augen schließen. Ich rieche Bienenwachs und meine Augen brennen so sehr, ich halte meine Hände davor und ganz ganz langsam versuche ich sie an das wenige Licht zu gewöhnen. Es ist ein überwältigendes Gefühl, Feuer zu sehen. Die Farben kehren zurück, Farben, an die ich mich nur noch erinnern konnte. Es sieht alles so aus, wie ich es mir vorgestellt habe, felsig, feucht, dunkel. Der Boden glatt, kleine Bäche. Meine Augen schmerzen vor Anstrengung, ich will einfach nur schlafen – doch das geht nicht, nicht jetzt, ich muss wach bleiben, wer weiß, wann ich Licht wiedersehe? Ich habe vielleicht nur diese eine Kerze. Wer auch immer sie hier reingestellt hat, ich bin ihm dankbar. Dabei sollte ich wütend sein. Ich geniesse die Wärme, die von der Kerze ausgeht, ich überlege meine Kleidung zu verbrennen, um so länger etwas von dem Feuer zu haben, aber die Vernunft siegt, dies nicht zu tun. Und so sehe ich nun direkt in die Flamme, das Licht nimmt mich gefangen und ich nehme das alles nur noch durch einen Schleier und aus der Ferne wahr. PLÖTZLICH
STEHE ich oben am Fenster. Ich überblicke die Stadt, während hinter mir ein sehr wichtiger Mensch sehr wichtige Worte verliest. Ich höre nicht zu. Dann spüre ich eine Flüssigkeit, einen Stoß – ich falle. Hinab, bis nach unten, drehe mich um. Die Fackel trifft mich. Ich rolle um zu löschen, und als ich zum Stillstand komme, mich an der Rinde festhalte, aufrichte da sehe ICH,
DASS die Kerze wieder erloschen ist. Ich bin allein. In der Dunkelheit. Über allem schweben nur Fragen – und keine Antworten, und ich spüre, nein ich weiß, dass der Traum mir nicht helfen kann. Der Traum von der Schrägen, die ich brennend hinabrolle, um mich zu löschen, am Ende dieses Gitter, der Knopf den ich betätige, „Press Button to Start!“ Ich bin am Ende, süchtig nach Licht. ICH
RENNE in die Mitte des Raumes, kreische, „Warum tut ihr mir das alles an? Was soll das!“, ich schreie meine ganze Verzweiflung aus mir heraus und plötzlich geht ein grelles Licht an, die Dunkelheit fällt von den Wänden wie Vorhänge, ich sehe mich selbst mich selbst mich selbst, mein Bild in Tausend Spiegeln. Wieder gewöhne ich meine Augen an das dieses Mal gleißende Licht, ich gehe dicht an den Spiegel und sehe mich an, meine Kleidung ist noch erstaunlich heil, mein Gesicht weist keinen Bartwuchs auf, ich sehe mein Gesicht – und erinnere mich auch daran. Diese Feststellung ist tröstlich, sehr tröstlich. Ich weiß nicht wer ich bin, aber ich erinnere mich an mich. Immerhin das. ALS
ICH erwache, ist das alles wieder verschwunden. Ich bin in der Höhle, wie in einem schwarzen Loch. Ich denke an die kurze Geschichte der Zeit, Hawking – und Star Trek. Das alles wirkt wie eine seltsame Version des Holodecks. Ich muss lachen. Vielleicht holt mich Picard hier raus? Mit der Verzweiflung nähert sich der Wahnsinn, so heißt es. Ich stehe auf und gehe tastend durch den Raum. Alles ist wie immer, bis ich diesen seltsamen Geruch bemerke. Süßlich, betäubend, Ether. Kurz bevor ich das Bewusstsein verliere, sehe ich, wie sich eine Tür öffnet. Licht dringt herein und eine Frau betritt die Höhle. Das Letzte an das ich mich erinnere, ist der helle Kittel, den sie trägt. IN
DEM dämmernden Zustand, da Wirklichkeit, Traum und das Surreale vermischt werden, befinde ich mich nun. Alles um mich herum ist weiß und gleißend. Viel zu hell, so, dass ich mich fast in die Dunkelheit zurücksehne. Dann geht es etwas besser, ich sehe in das Gesicht der Frau, ich möchte etwas sagen, doch es geht nicht. „Sagen sie nichts. Sie hatten einen Unfall, bei der Fabrik. Ein Feuer. Mit viel Glück konnten wir ihre Sehkraft wiederherstellen, doch sie brauchen noch absolute Ruhe.“ Ich will reden, jetzt, fragen, was das alles soll – doch ich kann nicht. Ich lehne mich zurück, und bin dann wohl eingeschlafen. Sie sagt noch etwas, aber die Stimme verschwindet in weiter Ferne und im nächsten AUGENBLICK
STEHE ich in dem Turm hoch oben über der Stadt. Ich höre nur einen Satz: „Schuldig, soll er auch brennen!“ Dann spüre ich den Stoß, falle, sehe die Fackel, ich rolle mich den Abhang hinunter um mich zu löschen, erhebe mich an dem Baum. Gehe durch die Nacht. Am Ende ist das Gitter „Hilf uns, hilf uns“ flehen die Köpfe, körperlos, wie aus Gummi, blutend, dann drücke ich den Knopf, „Press Button to Start!“, und höre nur Schreie und Verzweiflung, Wut, dann ein Wort, immer wieder: Schuldig, schuldig, schuldig! Alles dreht sich in mir, alles wird immer lauter, ich halte es nicht aus, fordere, ja, genieße den Übergang in die Finsternis, doch DIESES
MAL erwache ich nicht mehr.