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- Anmerkungen zum Text
Meine erste Kurzgeschichte, die ich je verfasst habe. Mir kam diese Idee, als ich mir ein paar instrumentale Lieder im Genre Horror auf Youtube angehört habe. Sie ist wahrscheinlich sehr kurz im Vergleich zu anderen, aber das macht hoffentlich nicht viel aus. Bitte um konstruktive Kritik, besonders unter den Aspekten des Spannungsaufbaus und der Wortmalerei.
Prüfungsangst
Ich war völlig erschöpft. Angespannt ging ich diesen morgen meinen gewohnten Schulweg. In Gedanken ging ich alles durch, was ich mir in dieser Nacht noch an Wissen aneignen konnte. Meine Augen zuckten immer wieder vor Müdigkeit und mein Hals war ganz trocken. Mein Kopf war schwer und steif vom nächtlichen Lesen.
Träge schleppte ich mich in Richtung der Haltestelle. Meine Beine wurden immer schwächer und zitterten, als müssten sie das Gewicht meiner gesamten Familie tragen. Normalerweise hörte ich auf dem Weg Musik, aber ich konnte meine Hände nicht von den Trägern meines Rucksacks lassen. Es schmerzte bereits, weil ich so krampfhaft an ihnen festhielt. In ihm befanden sich sämtliche Notizen und Bücher mit kleinen Zetteln, die an manchen Seiten oben heraus ragten.
Wenn der Bus in zehn Minuten hier ist, würde es nur zwanzig weitere dauern, bis ich angekommen war.
An der Haltestelle war niemand zu sehen. Ich war ganz allein. Langsam nahm ich meinen Rucksack auf meinen Schoss und umschlang ihn. Wenn kein Auto vorbei fuhr, hörte ich eine leises Ticken. Tick. Tack. Tick. Tack. Mit jeder Sekunde die verstrich, stieg meine Anspannung. Ich drückte meine Tasche so fest an mich, dass die Wasserflasche darin anfing zu knacken. Ich schaute auf meine Uhr. Es waren erst vier Minuten vergangen. Das Warten machte mich nervös und ich fing an mit meinen Beinen auf und ab zu wippen. Ich warf meinen Kopf nach hinten und stieß an die Überdachung an. Ich schloss meine Augen und versuchte ein letztes Mal alles durch zu gehen.
Mein Herz schlug rasant und mein Körper pumpte sich voll mit Adrenalin. War ich ausreichend vorbereitet? Würde es reichen, um zu bestehen? All diese Fragen quälten mich, sodass mein Kopf anfing zu pochen.
Immer leiser, aber stetig vernahm ich ein dumpfes Rauschen. Mir wurde schwindelig und ich lehnte mich zur Seite. Es wurde immer lauter und lauter und ein ohrenbetäubender Schmerz machte sich breit. Ich hielt mir die Ohren zu und rollte mich zusammen, doch es brachte nichts! Das Rauschen kam von innen und es gab keine Möglichkeit ihm zu entkommen.
Plötzlich öffneten sich meine Augen, wie von alleine. Alles war verschwommen und verzerrt. Keine Bewegung. Als wäre die Welt erstarrt und die Zeit angehalten. Im rechten Augenwinkel sah ich einen schwarzen Fleck. Wie ein Roboter musste ich ausgesehen haben, so monoton war die Bewegung meines Kopfes, als ich mich nach dort umdrehte.
Eine kleine schwarze Kreatur hockte da auf der Bank neben mir. Ihre Augenhöhlen waren leer und trotzdem spürte ich ihren eindringlichen Blick am ganzen Körper. Sie legte den Kopf leicht schief und man konnte das Knacken ihres Genicks hören. Es war keine sanfte Bewegung, eher abrupt und unmenschlich. Ihr Mund öffnete und bewegte sich, als würde sie zu mir sprechen. Doch ich konnte nichts hören. Ich schüttelte mit dem Kopf und wollte grade zu verstehen geben, dass ich sie nicht hören könne. Noch bevor ich was sagte, sprang sie mir entgegen und griff nach meinen Schultern. Ihr Gesicht war nun ganz nah an meinem und mit einem Mal verstand ich sie.
"Du schaffst das schon. Du bist doch mein kluges Kind!"
"Ich weiß du wirst mich nicht enttäuschen, gib dein Bestes!"
"Wer fleißig lernt wird gute Noten schreiben."
"Denke an deine Zukunft!"
"Blamier mich nicht vor deinen Lehrern!"
All diese unterschiedlichen Stimmen und Worte, aber ich kannte sie alle. Wie oft musste ich sie die letzten Monate hören. Mit jedem Satz kam die Kreatur immer näher an mein Gesicht.
Ich riss die Augen auf. Alles nur ein Traum! Meine Tasche war zu Boden gefallen und ich hatte auch nicht mitbekommen, wie sich das kleine Mädchen neben mich gesetzt hatte. Ich konnte den Schweiß auf meinen Händen fühlen, ich konnte ihn sogar sehen. Er glitzerte im Licht der Sonne. Das kleine Mädchen schaute mich entsetzt an und lief dann zu ihrer Mutter auf der anderen Bank. Sie nahm ihr Kind fest in die Arme und beruhigte es. Beide sahen mich an, als wäre ich ein Monster. Ich hob meinen Rucksack auf und schaute auf meine Uhr. Noch drei Minuten, dann würde der Bus hier sein.
Ein leichter Schmerz machte sich an meinen Unterarmen breit. Ich schob die Ärmel meines Pullovers hoch. Riesige Kratzspuren fuhren meine Arme entlang. Sie waren noch blutig und sahen frisch aus. Wie konnte das passieren? Hastig schob ich die Ärmel wieder nach unten. Das Blut drang durch und man konnte dunkelrote Spuren auf der Unterseite meines Hoodie sehen. Ich verschränkte meine Arme. Niemand durfte es sehen! Was sollten denn nur die Leute denken? Meine Beine fingen wieder an zu wippen. Jetzt war ich noch nervöser als zuvor.
Ich hatte in den Prüfungen davor schon versagt und nun hatte ich nur noch diese eine Chance. Es war ihnen peinlich. Das Kind zweier Akademiker Eltern und trotzdem nur ein "ausreichend". Wie musste das aussehen? Ständig redeten sie mir ein, dass ich es schaffen muss, sonst wäre ich ein Niemand. War ich das nicht jetzt schon? Alle wandten sich ab, seit des Vorfalls. Sie schauten mich an, als wäre ich ein Psychopath. Aber, das war nicht ich.
Dann endlich konnte ich den Bus sehen. Eilig sprang ich auf und warf mir meine Tasche über den Rücken. Die Tür öffnete sich direkt vor meiner Nase und ich stieg ein. Nur wenige Schüler saßen darin. Die meisten von ihnen hatten Kopfhörer in den Ohren und lehnten emotionslos am Fenster. Die ganz hinteren Plätze waren alle leer und ich kauerte mich auf die letzte Bankreihe, in die letzte Ecke. Einige Sitze vor mir hing eine digitale Uhr von der Decke und zeigte abwechselnd die Uhrzeit und Außentemperatur an. 7:30 Uhr und 15 Grad.
Meine Arme pulsierten und schmerzten schrecklich. Noch fünfzehn Minuten. Die Zeit verging rasend schnell. Einige derer, die im Bus keine Musik hörten, drehten sich zu mir um und schauten mich genervt an. Das laute Auftreten meiner Beine musste sie tierisch nerven. Doch ich konnte nicht anders. Sie zitterten nun mal. Um ihnen nicht in die Augen schauen zu müssen, kramte ich meine Notizen hervor und tat so, als würde ich ihre Blicke nicht spüren. Jeder Stichpunkt sollte sich in meinen Kopf einbrennen, doch stattdessen, vergaß ich alles schon wieder, sobald ich einen neuen las. Ich hatte das Gefühl nichts zu wissen und mein Gesicht wurde auf einmal ganz heiß, je mehr ich diesen Gedanken verinnerlichte. Meine Atmung wurde schwerer und ich hörte das Papier in meinen Händen rascheln, weil sie so sehr zitterten. Mein Blick wanderte wieder zur Digitaluhr. Noch fünf Minuten. Die Zeit rannte mir davon.
Ich konnte die nächste Haltestelle bereits sehen. Da musste ich aussteigen. Die Anzeigetafel wechselte zu: Goethe-Gymnasium. Das Adrenalin schoss wieder durch meinen Körper und ließ meine Knie erweichen. Eilig stopfte ich alle Notizen wieder in die Tasche und stand auf. Als der Bus anhielt schaffte ich es grade so mich auf den Beinen zu halten und nicht zur Seite zu kippen. Der Schwindel setzte wieder ein. Meine Knie waren wie Wackelpudding.
Ein Blick auf meine Uhr: 7:51 Uhr. Im Eilschritt ging ich auf das große Eingangstor zu. Die Schule war groß und ich musste ans andere Ende des Gebäudes. Mit jedem Schritt stieg meine Angst an. Ich wollte nicht hier sein! Innerlich war mir klar, dass es unvermeidbar war, aber dennoch wünschte ich mir, es wäre erst in einer Woche so weit und nicht heute. An diesem Mittwoch heute, hätte ich so viele andere Sachen lieber gemacht. Nichts ersehnte ich mir lieber, als das Ende dieses Albtraums. Dann sah ich bereits, wie mir meine Lehrerin entgegen kam.
"Ah perfekt du bist da. Dann können wir ja gleich beginnen!", sagte sie fröhlich und aufgeweckt.
Sie ahnte ja nicht, was das für ein Chaos in mir herrschte. Ich konnte fühlen wie sich mein Magen verkrampfte. Er schmerzte und ich hatte das Gefühl mich übergeben zu müssen. Mein Gesicht wurde vermutlich schneeweiß, denn ich konnte fühlen, wie ihm die Farbe entglitt. Wie steif gefroren, folgte ich meiner Lehrerin in den Prüfungsraum.
Sie schloss die Tür hinter mir und beim Einrasten des Schlosses, zuckte ich verschreckt zusammen. Meinen Rucksack legte ich im Vorraum ab. Ich holte tief Luft und versuchte mich zu beruhigen.
Ich schaffe das!
Ich setzte mich hin und tatsächlich hatte ich das Gefühl, dass es klappen würde.
"Gut, wenn du dann so weit bist dann drehe das Blatt bitte um."
Ich drehte es um und starrte es an. Ein Zitat war darauf zu lesen.
"Lies das Zitat und sage uns was du darüber denkst."
Wie angewurzelt saß ich da. Steif und völlig ahnungslos. Ich war darauf nicht vorbereitet. Meine Sicht wurde schwammig und verzerrt. Dann war da wieder dieses Rauschen in meinem Kopf. Es wurde dunkel im Raum. Ich starrte planlos auf das Blatt und versuchte etwas zu sagen, irgendwas, doch mein Mund war mir zugeklebt.
Tropf. Tropf. Tropf. Eine rote Flüssigkeit tropfte von oben herab und überdeckte in einer kleinen Pfütze das Zitat. Ich konnte nichts erkennen. Buchstaben flogen aus der roten Suppe heraus und davon. Sie waren verschwunden. Die Worte waren einfach weg. Ich schaute nach oben und sah dort wieder dieses schwarze Wesen. Es hing an der Decke und schaute auf mich herab. Aus seinen Augenhöhlen tropfte es immer stärker und bald war mein Blatt komplett in rot getränkt. Ich verstand nicht, was grade passierte. Ein grässliches Schreien erfüllte den Raum. Es war so laut, das meine Ohren bluteten. Es hörte sich an, wie ein entsetzliches Weinen. Ich rollte mich zusammen und versteckte meinen Kopf in meinen Armen. Das Pulsieren fing wieder an. Meine Beine wippten wieder stark auf und ab. Ich befürchtete, der Boden würde darunter einbrechen. Mein Herz schlug bis zum Hals und mein Gesicht wurde ganz heiß. Ich schaute auf und sah, dass meine Lehrer verschwunden waren. Stattdessen saß es da. Es war hässlich, entsetzlich hässlich. Drei Worte sprach es aus und dann erinnerte ich mich wieder.
"Du hast versagt."
Der Raum fing an zu beben und warf alles um. Es wurde immer heftiger und stärker. Regale fielen auseinander und zertrümmerten auf dem Boden. Die Decke löste sich auf und alles um mich herum verflüssigte sich und versank in die Dielen.
Die Uhr an der Wand in meinem Zimmer zeigte 3:00 Uhr morgens, an einem Mittwoch. Da standen meine Eltern neben meinem Bett. Der Notarzt war auch da. Auf einer Trage eine weiße Decke. Darunter ein Jugendlicher. Ich rief ihnen zu, doch sie hörten mich nicht. Ich traute mich nicht zu ihnen zu gehen. Das Lacken war rot gefärbt.
"Es war eine Überdosis.", sagte einer der Sanitäter.
"Nein, es war Suizid.", sprach die Stimme in der Dunkelheit.
Ich drehte mich um und sah einen Schatten auf mich zukommen. Aus den Augen, der Nase und den Ohren lief Blut heraus. Die Arme waren aufgeschlitzt. Das Blut tropfte auf den Boden.
Das war ich, der da stand und keinen Schmerz mehr fühlte. Ein Versager. Ein Niemand. Und nun auch ein Toter. Aber der Druck war endlich verschwunden. Das Rauschen, der Schwindel und die Panikattacken würden nie wieder kommen.
Ich atmete auf und fing an zu lachen.
Ich war frei.