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Powerseller
Es waren zuviele Sachen, und sie waren schon zu lange dort. Mich störte das nicht, denn diese Sachen waren friedlich und machten keinen Ärger, solange man sie in Ruhe ließ. Genau das tat ich und hätte es auch weiterhin getan, wenn meine Frau nur nicht so versessen darauf gewesen wäre, den Wagen über Nacht in der Garage zu parken.
Sie begann Fragen zu stellen – gemeine Fragen.
„Wann hast du das Surfbrett zum letzten Mal benutzt?“
„Wozu brauchen wir das alte Aquarium noch?“
„Wirst du dich jemals um das kaputte Fahrrad kümmern?“
Ich sage es ganz offen: mir war nicht danach, diese Fragen zu beantworten. Ich wollte mich entspannen. Ein Fernseher, ein Sessel, etwas zu knabbern – darin bestand mein Plan fürs Wochenende. Aber meine Frau machte Terror.
„Willst du, dass mir so ein Psychopath den Lack zerkratzt?“
„Soll ich diesen Winter wieder Eis kratzen, obwohl wir eine Garage haben?“
„Weißt du, dass die Nachbarn schon den Kopf schütteln?“
Zähneknirschend machte ich mich also an die Arbeit und räumte all das schöne Zeug auf die Strasse – Montag war Sperrmüll. Da stand ich nun und betrachtete die verstaubten Schätze, wie sie im Tageslicht funkelten. Schweißperlen liefen mir übers Gesicht, und ein paar Tränen gesellten sich dazu.
„Ja sind Sie denn verrückt?“, rief der gute Herr Hohlkamm.
Ich zuckte zusammen, denn er hatte sich unbemerkt angeschlichen.
„Sie wollen das alles wegwerfen?“
Wieder zuckte ich – diesmal mit den Schultern.
„Ja warum verkaufen Sie das denn nicht über Ebay?“
„Diesen Kram kauft mir doch kein Mensch ab“, wandte ich ein.
Da brach mein Nachbar in schallendes Gelächter aus. Er kriegte sich gar nicht mehr ein, der gute Herr Hohlkamm. Die Brille musste er abnehmen und sich mit dem Ärmel über die Augen wischen.
„Ha! Ha! Ha! Haha!“, brüllte er und stampfte mit dem Fuß auf.
So herzhaft hatte er nicht mehr gelacht, seit dem Feldwebel damals im Krieg versehentlich die Handgranate in den Kakao gefallen war – eine Geschichte, die er immer wieder gerne erzählte. Doch an jenem Tag erzählte er mir etwas anderes – und zwar, dass bei Ebay alles gekauft würde.
„Hören Sie Herr Forst, die kaufen bei Ebay alles. Ha! Ha! Alles! Hahaha!“
Sein Enkel, der sich mit Ebay und anderem Hightech auskannte, hatte ihm geholfen, sämtliches auf dem Speicher lagerndes Gerümpel an den Mann zu bringen. Ich blieb skeptisch, aber ich wollte es versuchen.
Es funktionierte. Gebannt verfolgte ich, wie die Gebote für meine Wahren stiegen und stiegen. In den folgenden Tagen entrümpelte ich den Keller. Meine Frau beobachtete mein Treiben und machte ein besorgtes Gesicht, anstatt sich zu freuen.
Doch der Erfolg gab mir Recht. Bis zum Morgengrauen reinigte und verpackte ich Gegenstände, deren Existenz ich über Jahrzehnte hinweg verdrängt hatte. Auf dem Weg zur Arbeit machte ich nun täglich an der Postfiliale halt, um meine Pakete aufzugeben.
„Herr Forst, in letzter Zeit machen Sie einen erschöpften Eindruck. Fühlen Sie sich nicht gut?“, fragte mein Chef.
„Mir geht es blendend!“, beruhigte ich ihn.
Nachdem er den Raum verlassen hatte, legte ich meinen Kopf auf den Schreibtisch und schlief eine dreiviertel Stunde. Als ich erwachte, hatte ich eine Idee. Ich durfte mich nicht länger auf den Verkauf der eigenen Ressourcen, die sich langsam erschöpften, beschränken. Mittlerweile hatte ich ein Gespür für den virtuellen Marktplatz entwickelt, und das musste ich nutzen. Nun wollte ich ernsthaften Handel betreiben. Günstig einkaufen, teuer verkaufen, kurzum: an der Wertschöpfungskette partizipieren.
Meine Frau tobte, als die ersten weit unter dem üblichen Preisniveau ersteigerten Funde geliefert wurden. Ich versprach, im Winter den Handel soweit einzuschränken, dass der Wagen Platz in der Garage hätte. Damit waren alle Probleme gelöst, denn Psychopathen, die den Lack zerkratzten, gab es keine in unserer Wohngegend – was für ein Unsinn. Sie lachte, aber es war kein aufrichtiges Lachen.
Mein Chef deutete auf den Schreibtisch und fragte: „Was ist das?“
„Pakete.“
Er betrachtete nachdenklich die Pakete – so, als hätte er nie zuvor welche gesehen. Es kam mir vor, als wollte er noch weitere Fragen stellen. Doch damit musste er sich gedulden, denn der Pförtner rief an und bat mich, herunterzukommen und einem Boten den Empfang einer Lieferung zu quittieren. Kleinere Gegenstände ließ ich mir nämlich direkt ins Büro schicken, damit ich die Wahre zeitnah prüfen und anbieten konnte.
Nach einigen Wochen musste ich den ein oder anderen Kauf auch in der Wohnung unterbringen, weil die Garage und der Keller aus allen Nähten platzten. Meine Frau platzte ebenfalls - sie begriff einfach nicht, was für einen lukrativen Nebenverdienst ich da geschaffen hatte. Auch mein Chef nervte zunehmend.
„Herr Forst, das kann so nicht weitergehen“, meinte er.
„Ebay hat mich zum Powerseller ernannt“, antwortete ich.
Aber auf diese Bemerkung ging er gar nicht ein. Ich erhielt eine Abmahnung.
In den folgenden Tagen verließ mich das Glück. Es begann damit, dass die hochwertige Espressomaschine, die ich im Angebot hatte, für ein Apfel und ein Ei ersteigert wurde. Ich schrieb dem Käufer, das Gerät sei mir runtergefallen und infolgedessen nun schwer beschädigt. Daraufhin teilte er mir mit, dass er auf den Erhalt einer funktionstüchtigen Maschine bestehen würde, und dass es ihm gleich sei, wo ich diese hernähme. Sollte ich ihn enttäuschen, sähe er sich leider gezwungen, seinen auf derartige Fälle spezialisierten Anwalt einzuschalten. Sein Schreiben endete mit freundlichen Grüßen.
Vor Wut zitternd verpackte ich die Espressomaschine und schickte sie dem Arsch. Es war das erste Mal, dass ich bei einem Geschäft ordentlich drauflegte.
Die Probleme häuften sich. Mir wurde ein Paket mit einem Fernseher zugestellt. Der Absender hatte einen Brief beigelegt, in dem er sein Geld zurückforderte, weil der Apparat defekt sei. Nun war der Fernseher tatsächlich hin, doch es handelte sich keineswegs um jenes Gerät, das ich geliefert hatte. Hier war ich an einen eiskalten Betrüger geraten.
Wie sich bald zeigte, schreckte dieser Verbrecher vor nichts zurück, um seine unverschämte Forderung durchzusetzen. Mit ständigen Anrufen wollte er mich mürbe machen.
Als er mich sogar im Büro belästigte, rastete ich aus und brüllte in den Hörer, dass es mein Chef noch am Ende des Flurs mitbekam. Umgehend erhielt ich die Kündigung.
„Sie waren vorgewarnt Herr Forst. Das haben Sie sich selbst zuzuschreiben“, hieß es.
Am Abend dieses schicksalhaften Tages hörte ich Reifenquietschen vor meinem Haus. Aus einem Geländewagen stiegen drei kräftige Jungs mit Baseballschlägern, und ich ahnte, dass ich einen von ihnen bereits kannte. Sie zertrümmerten die Gartenmöbel, schlugen ein paar Fensterscheiben ein und verwüsteten die Blumenbeete meiner Frau.
„Ich warte auf die Knete, Drecksau!“, rief einer der Jungs zum Abschied.
Dann brauste der Geländewagen davon, und meine Frau, die alles beobachtet hatte, schleppte einen Koffer die Treppe hinunter. Ich versuchte sie zu beruhigen, doch sie wiederholte nur, dass sie nun endgültig die Scheidung wollte. Dann brauste auch sie davon.
Als sich am nächsten Morgen das Finanzamt bei mir meldete und eine detaillierte Auskunft über meine Handelsaktivitäten verlangte, wurde mir klar, dass ich eine regelrechte Pechsträhne hatte.
Natürlich brach dann auch noch die Nachfrage für die von mir gebunkerten Wahren ein, aber das spielte keine große Rolle mehr.
Gestern traf ich den guten Herrn Hohlkamm auf der Strasse.
„Sind Sie alles losgeworden?“, fragte er.
„Das ein oder andere schon“, sagte ich.
Dann weinte ich ein bisschen.