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Positiv denken!

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26.08.2002
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Positiv denken!

o -- o


Weil ich immer so deprimiert aussah, schenkte mir ein Freund vor zwei Jahren das Buch „Ab heute mache ich alles anders“.
In dem Buch wird erläutert, warum man ein Versager ist - und ein Versager ist man eigentlich nur, weil man glaubt, dass man ein Versager ist. Diese negativen Einstellungen und negativen Bilder, die man von sich selber hat, sind die Grundlagen des Versagerlebens; alleine schon, wie man sich ausdrückt, ist entscheidend. Probleme sind keine Probleme, sondern Herausforderungen. Selbst Leistungsträger der Gesellschaft sind sich dessen nicht jederzeit bewusst. Sogar Lovell, Kommandant der Apollo 13, hat es falsch gesagt; richtig wäre gewesen: „Houston, wir haben eine ... Herausforderung.“

Wenn man also, mal angenommen, statt ein langweiliger Lohnbuchhalter lieber ein interessanter Kommunikationstrainer wäre, also, dann soll man nicht so Sachen denken wie "Ich würde gerne ein Kommunikationstrainer sein"; man soll denken: "Ich bin ein Kommunikationstrainer" und sich ab sofort wie ein Kommunikationstrainer verhalten. Also alles tun, was man glaubt, dass ein Kommunikationstrainer tut und sich den Mitmenschen natürlich als solcher präsentieren. Noch besser ist es, sich gleich zu denken: "Ich bin ein guter Kommunikationstrainer" - und ist somit im Handumdrehen einer.
Die Herausforderung ist sozusagen, den inaktiven negativen Konjunktiv (der die aktive positive Energie mindert) abzuschaffen und in der inneren Kommunikation durch "Ich-bin"-Aussagen zu ersetzen.

Gute Idee, und weil ich als kleiner Junge immer verprügelt wurde und davon träumte, Profiboxer zu sein, denke mir ab heute: "Ich bin ein guter Boxer". Um mich den Mitmenschen möglichst schnell zu präsentieren, besuche ich den Jahrmarkt, wo man automatisch 500 Euro gewinnt, wenn man im Ring drei Runden gegen Gustav, die Eisenfaust übersteht. Ich überstehe auch problemlos drei. Sogar genau drei – drei ganze Sekunden. Nach dem ersten Schlag von Gustav klebt mein Gehirn wie zerquetschtes Plastilin am Inneren meiner Schädeldecke.

Sobald ich es, nach vier Tagen Krankenhausaufenthalt, wieder benutzen kann, erinnere ich mich an die Warnung im Buch, man solle sich vor Generalisierungen hüten. Eine Generalisierung ist, wenn man einen Einzelfall verallgemeinert. Wenn man, beispielsweise, bloß weil es quasi einmal nicht geklappt hat, gleich in Betracht zieht, dass es überhaupt nicht klappt. Eine solche Einstellung blockiert und demoralisiert. Also denke ich mit der "Ich-bin-Technik" was neues Positives und bin ab heute ein guter Skispringer.

Ich stand zwar noch nie auf Skiern, will mein erneuertes Selbstbild jedoch nicht unnütz durch Zweifel schwächen, daher verzichte ich auf einen Skikurs und fahre mit meiner neuen Ausrüstung lieber gleich nach Garmisch-Partenkirchen. Der Sprung von der Schanze vor etwa zweihundert Zuschauern gelingt gut. Anfangs; die später auftretende Herausforderung ist allerdings achtzig Meter weiter unten die Landung, weil ich es nicht schnell genug schaffe, mich im Flug wieder richtigrum zu drehen und mit mehreren verschiedenen Körperteilen gleichzeitig aufschlage.

Wenn etwas schiefgegangen ist, darf man auf keinen Fall die eigene Zuversicht untergraben und das einen "Misserfolg" nennen. Das wäre eine ganz falsche Botschaft an das Unterbewusstsein. Man spricht in einem solchen Fall besser von einem "Resultat, das noch nicht ganz zum Ziel geführt hat". Man erleidet nie einen Fehlschlag. Man macht stets eine wertvolle Erfahrung für die Zukunft.
Außerdem, inneres Glück ist im Grunde sowieso nicht von äußeren Umständen abhängig. Menschen sind glücklich, weil sie sich entscheiden, glücklich zu sein, steht in dem Buch auf Seite 137: "Wenn Sie glücklich sein wollen, können Sie das sofort sein. Warum wollen Sie warten, bis ein äußerer Umstand eingetreten ist? Es ist Ihre alleinige Entscheidung! Fangen Sie einfach an, glücklich zu sein!"

Während ich also im Krankenhaus darauf warte, dass meine zu Zahnstochern zersplitterten Knochen wieder zusammenwachsen, habe ich mich gleichzeitig für inneres Glück entschieden und bin bereit, nach dem Ende der Rehabilitationskur weiter an meiner beruflichen Karriere zu arbeiten. Bloß will ich nichts Sportliches mehr machen. Lieber verwirkliche ich meine künstlerische Veranlagung, denke nun positiv "Ich bin ein guter Schwertschlucker" und lasse mich selbstbewusst von einem renommierten Zirkus engagieren. Dort habe ich zwar nur einen einzigen, dafür aber spektakulären Auftritt, in dessen Verlauf ich die wertvolle Erfahrung mache, mehrere wichtige Teile meines Körpers vom Rest abzutrennen.

Fünf Wochen später, nachdem die Ärzte mir die Eingeweide zurück in den Bauch gestopft haben und leichten Optimismus hinsichtlich meiner Überlebenschancen äußern, fällt mir die Stelle im Buch ein, die ausdrücklich davor warnt, Sätze mit dem Wort „nie“ zu denken. Diese falschen Glaubenssätze, die den Mut kaputtmachen, wie "Ich werde nie eine Gehaltserhöhung bekommen" oder "Das werde ich nie schaffen".

Was ich vielmehr brauche, ist ein neuer positiver Gedanke. Ich besuche einen Berufsberater.
„Nun, sehen Sie“, sagt der nach der Analyse meiner Eignungstests, „Qualifikationen haben Sie zwar gar keine, doch Sie sind wirklich gut darin ... in nichts gut zu sein. Am Besten können Sie nichts können. Sie müssen Politiker werden.“
Obwohl ich weder gut rechnen, reden oder argumentieren kann oder was von Gesellschaft oder Wirtschaft verstehe, dachte ich danach "Ich bin ein guter Politiker", und was bin ich, nur zwei Jahre später? Ich bin Wirtschaftsminister. Es hat funktioniert mit meinem neuen Leben. Man darf eben nie aufgeben.

 

Hallo FlicFlac,

eines mal vorneweg: Du hast echt Glück, dass ich Deine Geschichte überhaupt zu Ende gelesen habe, denn der zweite Teil Deines ersten Satzes hat mich ziemlich abgeschreckt. Dreimal "da" in einem Halbsatz. Ich dachte, na, wenn das so weiter geht und habe mir kurz überlegt, ob ich mir das überhaupt antun soll. Und jetzt kommt das Positive: Am Ende war ich froh, dass ich es mir angetan habe.

Mir hat Dein kleiner Ausflug in die Ratgeberszene gut gefallen. Man wird ja von allen Seiten bombardiert mit "Positiv-Denken-Büchern" und "Wie Sie ein glücklicher Mensch werden" oder "Super erfolgreich im Beruf" und dergleichen mehr. Und trotzdem ist Deutschland am Jammern ohne Ende, als wären wir die Allerärmsten der ganzen Welt, nur Krise, Krise und alles wird immer noch schlimmer. Da haben solche Bücher wahrscheinlich Hochkonjunktur.

Das Ende Deiner Geschichte hat mir besonders gut gefallen.
Stimmt, ich kann mich auch oft des Eindrucks nicht erwehren, dass gerade unsere Politiker von Wirtschaft, Politik und allem anderen keine Ahnung haben. Aber dafür haben sie ja dann die Lobbyisten. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bis auf den "da-Satz" gerne gelesen.
LG
Giraffe :)

 

Dank dir, Giraffe, für das Feedback - und ich habe den Da-Satz extra für dich weggemacht ;-))

LG,
Flic

 

Hm, bei der Boxerszene musste ich lachen. Ich frage mich nur, ob der Schluss nicht ... zu platt ist? Und, passt das zum Vorigen? Bin mir da aber selber unsicher.

 

Salve FlicFlac,

Deine kleine Satire ist zwar nicht der Knüller, hat mir aber zwischen Tür und angel doch ein schmunzeln entlockt - was wohl hauptsächlich an meinem Misstrauen gegen solchen Kram wie Neurolingualem Programmieren, think pink und ähnlichem liegt.

Die Satire könnte noch viel besser zünden, wenn Du nicht auf einer Masche heumreiten würdest (das Befolgen der Ratschläge aus der Ratgeberliteratur führt zu Gesundheitsschäden). So findet die dramatische Steigerung alleine in der Dauer des Krankenhausaufenthalts seinen Niederschlag.

Auch mehrere Formen dieses Positiv-Gedöns differenziert auf die Schippe zu nehmen, und dabei Kenntnis des Feindes ;) zu beweisen, würde die satire bereichern.

Der Schluss hat mir, im gegensatz zu Giraffe, nun gar nicht gefallen. Das Klischee des dummen, unfähigen Politikers ist ein derart starker Trigger, dass es die Intention des Textes abschwächt, weil es in eine andere Richtugn lenkt.

Ansonsten, wie gesagt, war es ein nettes Häppchen für zwischendurch.

LG, Pardus

 

Hallo Flic,

herrlicher Humor! Eine Botschaft an die netten Menschen, die meinen, sie mussten ihren Freunden helfen, "besser" zu werden. Ein paar Details, zum Beispiel die Natur der Schmerzen und Krankenhausaufenthalte hätte ich gern gewusst - um das Amusement noch ein wenig zu steigern.

Freundliche Grüße vom

Berg

 

Hallo,

Man sieht, Du hast auch mal ein Buch gelesen über dieses Positive Denken. Anscheinend hat es auch nicht richtig funktioniert :-) Das kann man aus der amüsant geschriebenen Geschichte herauslesen. Evtl. hätte man die Beispiele noch raffinierter auswählen können und ein bischen mehr auf dem Unglück rumreiten können. Da sind einfach drei vier Fälle so ein bischen "gelangweilt" dahingeschrieben.

Am Schluss erflogreicher Politiker zu werden - ist denkbar. Aber war dann nicht die ultimative Auflösung.

Trotzdem sehr gute Idee

lg gdeki

 

Danke euch!

1} In der Tat bin ich mir mit dem Politikerschluss selbst nicht sicher. Der ist nicht ganz "sauber". Das empfinde ich auch so. Eine geradlienige Eskalation gefällt mir aber nicht - und der jetzige Schluss bricht (wenigstens) die Erwartung, es könne kein "happy end" kommen. Einzig denkbar scheint mir die Alternative, der Prot würde am Ende ein guter Denk-positiv-Bücher-Autor ... das ist aber vielleicht auch zu schwach.

2} Mehrfach wurde erwähnt, die Leiden des Prot wären zu kurz/lapidar hingestellt. Ich habe jedoch das Gefühl,
- solche Darstellungen könnten auch schnell ermüdend wirken, und man kann das Ausmalen auch der Leserphantasie überlassen,
- explizite Darstellungen von Schmerz oder Behandlungen im KH würden dem Text eine Länge geben, die die Idee des Texts nicht trägt.

Oder was sagt ihr?

LG,
Flic

@Berg: Schön, dass ich deinen Humor getroffen habe :-)

 

Hallo FlicFlac!

In der Tat bin ich mir mit dem Politikerschluss selbst nicht sicher. Der ist nicht ganz "sauber".
Hm, also mir hat die Geschichte gerade mit dem Schluß gefallen. Wobei es natürlich nicht so ein konkretes Amt sein müßte, vielleicht einfach nur »Minister« oder »Bundestagsabgeordneter«?

Die Idee an sich, auf diese weisen Bücher eine Satire zu schreiben und zugleich die Qualifikation von Politikern in Frage zu stellen, finde ich auch sehr gut, allerdings hättest Du das noch mehr ausschlachten können. Momentan sehe ich den Schluß eher als Rettung, d.h., durch die gelungene Pointe stört es weniger, daß Du mit Ideen im Mittelteil eher sparsam warst. Im Grunde ist es ja dreimal das gleiche, er redet sich ein, Boxer, Schwertschlucker oder Schispringer zu sein, und natürlich geht es jedesmal schief.
Du sprichst anfangs von einem ganzen Buch, in dem steht ja sicher nicht nur der eine Tip. ;)
Und es geht im Leben ja auch nicht nur um Berufe. Ein paar Szenen, die mehr aus dem Leben gegriffen sind, könnten der Geschichte gut tun. Ich bin sicher, Du findest da ein paar originelle Beispiele, wenn Du möchtest.

- explizite Darstellungen von Schmerz oder Behandlungen im KH würden dem Text eine Länge geben, die die Idee des Texts nicht trägt.
Da stimme ich Dir zu. Es sei denn, es wären Ereignisse, die mit den Tips aus dem Buch zu tun haben.

Auf jeden Fall hab ich die Geschichte gern gelesen, und sie hat mir auch gefallen, aber sie könnte mehr sein.

Nur noch ein paar Kleinigkeiten:

»Es war vor zweieinhalb Jahren, da schenkt mir ein guter Freund dieses Buch.«
– schenkte

»Weil ich immer so deprimiert aussehe.«
– aussah

»und denke mir ab heute: "Ich bin ein guter Boxer".«
– Boxer.“

»wo man automatisch 500 Euro gewinnt, wenn man im Ring drei Runden gegen Gustav, die Eisenfaust übersteht.«
– fünfhundert
– würde ich umdrehen: wenn man drei Runden im Ring übersteht

»klebt mein Hirn wie zerquetschtes Plastillin am Inneren meiner Schädeldecke.«
– schöner statt »am Inneren« wäre »innen an meiner Schädeldecke«

»Sobald ich mein Gehirn, nach vier Tagen Krankenhausaufenthalt, wieder benutzen kann, erinnere ich mich an die Warnung im Buch, man solle sich vor Generalisierungen hüten.«
– mit dem »Sobald« wirkt es wie ein Blick in die Zukunft, Vorschlag: Nach drei Tagen Krankenhausaufenthalt kann ich mein Gehirn wieder benutzen und erinnere mich an …

»die später auftretende Herausforderung ist allerdings 120 Meter weiter unten die Landung,«
– hundertzwanzig
– würde ich umdrehen: die später auftretende Herausforderung hundertzwanzig Meter weiter unten ist allerdings die Landung

Liebe Grüße,
Susi :)

 

@FlicFlac
Hallo mein Lieber,
Geschichte 1 ist eigentlich, meinem Gefühl nach, eine bitterböse politische Satire, die mir ziemlich gut gefällt, vor allem deshalb, weil, sie das zu Anfang nicht preisgibt und bis zuletzt die Spannung steigert, was er sich noch ausdenkt jetzt zu sein. Und wozu ich nur 3 Anmerkungen habe:
1.der vergleich mit den Zahnstochern und deinen Knochen find ich nicht passend genug, knirscht beim Lesen
2. die Episode Schwertschlucker find ich eins zuviel
3. den Übergang von den selbst gewählten Arten des Seins zur Berufsberatung find ich noch holprig und erschließt sich mir beim lesen nicht ganz
Grüßchen

 

Danke dir für das Feedback!
Hm ich bin nicht völlig froh über das Hybrid Auf-die-Schippe-nehmen-übertriebener-Selbstdingsbücher und politisch-satirische Pointe. Und leider ist ja auch Korruption nicht gestreift.

2. die Episode Schwertschlucker find ich eins zuviel
Ja, das stimmt, der 3. Versuch sollte der letzte sein. Deshalb ist sie sehr kurz und dachte das 'geht grad noch'.

3. den Übergang von den selbst gewählten Arten des Seins zur Berufsberatung find ich noch holprig und erschließt sich mir beim lesen nicht ganz
Auch da Zustimmung. Wollte das nicht mehr in die Länge ziehen. Mal schauen, 1-2 Sätze sollten noch dazwischen, empfinde ich auch so.

 

Moin Flic Flac

und, nicht wahr,
herzlich willkommen hierorts, @NichtWahr -
und Dank für die Ausgrabung, die nichts von Leichenfledderei an sich hat, wie ich finde.

Ein älteres Werk auszugraben bedeutet auch immer, auf die Wurzeln zurückzugreifen, denen sich niemand entziehen kann. Und noch schöner, dass auch mal das Sachbuch, bzw. eine besondere Gattung des Sachbuches und Lebensratgebers durch den Kakao gezogen wird, denn mit der Digitalisierung wird auch der gebundene Ratgeber zu den bedrohten Arten zu zählen sein. Und was die Digitalisierung für Unsinn überwiegend produziert will ich gar nicht erst aufzählen ... Ich kann mir Herrn freie-Fahrt-für-freie-Bürgen Krischan Lindner sowohl als einem Ratgeber wie einem Casting entsprungen vorstellen (wahrscheinlich wird er beides genutzt haben), wobei er sich verbitten wird

„Ab heute mache ich alles anders“​
auch nur zu denken.

Paar Flüskes

Hier

"Ich bin ein guter Boxer".
musstu den ausbüxenden Punkt einfangen …

Ähnlich und doch ganz anders, hier

Obwohl ich weder gut rechnen, reden oder argumentieren kann oder was von Gesellschaft oder Wirtschaft verstehe, dachte ich danachPunkt "Ich bin ein guter Politiker", und was bin ich, nur zwei Jahre später?

hier
Fangen Sie einfach an, glücklich zu sein!"
muss das Komma weg! Es zerschlägt das sehr komplexe, 3-stellige Prädikat „glücklich zu sein anfangen“

Wie dem auch wird, gern gelesen vom

Friedel

 

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