Porzellan, Glas und Gold
Das Metall der feingliedrigen Goldkette fühlt sich nicht gut auf ihrer Haut an.
Kalt. Falsch irgendwie - es kratzt ihre Haut auf, anstatt sich anzuschmiegen.
Stirnrunzelnd presst sie die Kette mit der flachen Hand an ihr Schlüsselbein.
Aber es wird weder warm noch passt irgendwas besser.
Es schmerzt ein bisschen, aber nicht genug.
Frustriert lässt sie die Hände fallen und muss einige Kraft aufwenden um dem plötzlichen Drang, sich die Kette von Hals zu reißen, zu widerstehen.
Eine Kette aus massiven, hochkarätigem Gold.
Sie scheint sie sie zu verspotten. "Hier, guckt sie an! Wie sie aussieht, als ob irgendjemand dieses Theater glauben würde!"
Sie würde so eine Kette nie freiwillig tragen denn sie kommt ihr heuchlerisch vor. Aber man hat ihr gesagt, dass sich das für den Anlass schicken würde.
Sie richtet ihren Blick wieder auf das Spiegelbild ihres Gesichtes. Es ist ihr fremd. Jetzt, wo sie ungeschminkt ist, merkt man recht deutlich wie erschöpft sie eigentlich ist. Eingefallene Wangenknochen, dunkle, tiefviolette Augenringe und für ihr Alter viel zu müde Haut. Doch das was sie am meisten erschreckt, sind die Augen.
Sie sind leer, tot.
Wenn Augen die Tür zur Seele sind, hat sie ein Problem.
Sie ist nicht mal volljährig und fühlt sich doch so schrecklich alt in diesem Moment. Mechanisch, den Blick nicht von ihren eigenen gläsernen Augen lassend greift sie nach der Puderquaste links neben dem Spiegel und den Tüchern. Langsam entfernt sie Schlieren von Maskara, die über ihre hohlen Wangen verschmiert sind. Dann verlieren sich helle Wölkchen in der Luft als sie langsam und wie benommen ihr Gesicht abtupft. Sie verdeckt alle Unreinheiten und Rötungen, die Zeichen der Ermüdung und der Erschöpfung, bis ihr ganzes Gesicht zu einer makellosen Maske geworden ist. Sie greift nach der Wimperntusche und bearbeitet vorsichtig ihre Wimpern, bis sie dicht und schwarz glänzen. Sie runzelt die Stirn, weil es sie stört dass sie sich mehr und mehr in eine Puppe zu verwandeln scheint.
Trotz des zweifelnden Blickes, den sie sich selber zuwirft nimmt sie noch den Lippenstift.
Sie vollendet die Maske, die ihr wie die des traurigen Clowns vorkommt.
Zögerlich rafft sie die Haare im Nacken zusammen und bindet sie so streng zurück, dass es wehtut. Vielleicht hält sie das ja bei Bewusstsein.
Sie betrachtet ihr Werk. Es widert sie an, wie sie aussieht.
Aber ihnen wird es gefallen.
Ihr ist auf einmal schrecklich kalt. Die Kälte scheint sich von der Kette auszubreiten und ihren ganzen Körper lahmzulegen. Resigniert lässt sie ihren Kopf gegen das Spiegelglas klacken. Es fühlt sich beinahe warm an gegen ihre Stirn.
Und sehr glatt. Makellos. Still. Nicht frech, nicht vorlaut.
So wie sie sie haben wollen.
Sie lässt ihren Blick durch den Raum gleiten, wobei er an der Uhr hängen bleibt. Sie würde sich an den Zeigern erhängen, wenn sie könnte.
Sie seufzt und richtet sich wieder auf. Traurig lächelt sie ihrem Spiegelbild zu.
Dann eilt sie aus dem Raum.