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Portajom

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08.04.2012
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Portajom

„Da wo de Böll liescht?“

„Ja genau!“

Kurz muss die alte Dame überlegen. Doch dann erklärt sie mir den Weg.

Die Sonne wirft milde Strahlen auf mich herab, die meinen Nacken wärmen, während ich durch scheinbar endlos lange Rhabarberfelder wandere.

Die zierlichen Äste der Obstbäume sind blütenbedeckt.

Während ich mich den Hügel hinauf Richtung Bergfriedhof kämpfe, spüre ich den sauer-süßen Geschmack des Rhabarbers auf meinen Lippen.

Ich denke an den Tagelöhner, der in die Dienste des Messerwerfers tritt. An die sorgenerfüllte Hausfrau, die auf ihren Mann, den irischen Arzt, wartet, der wieder einmal zu einer Entbindung auf Land hinaus muss. Bin in Gedanken bei Katharina Blum, die von der ZEITUNG zu Grunde gerichtet wurde und schreibe zusammen mit dem arm- und beinlosen Jungen „Wanderer kommst du nach Spa…“ an die viel zu kleine Tafel seiner Schule.

Ich habe mein Ziel erreicht und passiere das buntbemalte Eingangsportal des Friedhofs. Ohne Pfeile und Beschreibung steuere ich direkt auf sein Grab zu, gerade so als ob ich es schon ewig kennen würde.

Als ich auf das Grab zutrete passiert nichts.

Der Grabstein ist klein, ja beinahe versteckt. Nur die bunte Skulptur lässt darauf schließen, dass hier einer der bedeutendsten Schriftsteller, der Nachkriegszeit seine letzte Ruhe gefunden hat.

Beim Gang zurück bin ich enttäuscht. Enttäuscht weil nichts magisch war an diesem Ort.

Noch drei Stunden Zugfahrt. Dann bin ich wieder zu Haus. Ich schlage mein Buch auf und lese ein paar Zeilen:

„…. und als ich traurig meinen Kopf durch die Mauerlücke steckte war sie schon verschwunden und ich sah nur die stille, russische Straße, düster und vollkommen leer . …“

Und mit einem mal wird mir klar, dass Böll nicht tot in einem Grab irgendwo in Merten liegt sondern lebt. Lebt in all seinen Worten und Zeilen und jeden Tag neu geboren wird in den Köpfen seiner Leser.

 

Hallo & herzlich willkommen hierselbst,

liebe/er/es Makkeratzi.

da hastu Dir eine kleine Pilgerfahrt zu einem der Väter der deutschen Kurzgeschichte der Nachkriegszeit ausgesucht - und sie gefällt, mögen andere auch dieses und/oder jenes vermissen (der Spannungsbogen ist sehr beliebt, dabei bin ich vor langer, langer Zeit beim Archipel GULAG eingeschlafen; bei Schlafstörungen brauchte es nicht einmal eine Seite und die Lider wurden schwer und schwerer; ich habs auch nicht zu Ende gebracht, ich bin in einem Alter, wo ich absehbar einen langen Schlaf tun werde). Da gibt's - bis auf vernachlässigbare Kleinigkeiten - nix zu mäkeln und der feine Schluss gibt sogar Appetit auf mehr!

Der Einstieg

„Da wo de Böll liescht?“
weckt bei mir die Antwort "jenau", muss aber nicht, wenn man aus anderen, vielleicht sogar fremden Gefilden stammt. Obwohl ich das ja vom genau durch ein Komma trennen würde, um beide Teile herauszuheben.

Auch die folgende, dem maingestreamten Auge ungewohnte Satzstellung geht in Ordnung, wie auch die kurzen Sätze, die ja auch als einer auftreten könnten, was dann in der Idylle des Rhabarbers (ein feines Obst!) in einem Zweizeiler geschieht.

Aber könnte es sein, dass der Icherzähler gehbehindert ist, kämpft er sich doch (sicherlich nicht wie an der Front) einen Hügel hinauf. Warum eine Zeitung in Großbuchstaben erscheinen muss, wird allerdings Dein und des Icherzählers Geheimnis bleiben. Die Zeitung Zeitung zu nennen, trifft mich hart. Immerhin hat sie sich zur staatstragenden Säule (der Schwaber verniedlicht s0 oder doch so ähnlich die Sau) aufgeschwungen und zum Hüter der Verfassung. Da zeigstu zu viel Ehrfurcht vor der Blödzeitung.

Schließlich wäre dann doch noch - sinnig genug, auf dem Friedhof - ein Komma nachzureichen

steuere ich direkt auf sein Grab zu, gerade soKOMMA als ob ich es schon ewig kennen würde.
Und direkt noch einmal:
Als ich auf das Grab zutrete passiert nichts.
Hier würde Dir die Umstellung Haupt und Nebensatz leichter erkennen lassen.

Zur Abwechslung wäre dann ein Komma * entbehrlich:

, dass hier einer der bedeutendsten Schriftsteller,* der Nachkriegszeit seine letzte Ruhe gefunden hat.
EnttäuschtKOMMA weil nichts magisch war an diesem Ort.
Und noch einmal im Zitat:
„…. und als ich traurig meinen Kopf durch die Mauerlücke steckteKOMMA war sie schon verschwunden …“

Und mit einem mal wird mir klar, ...
.
einmal klein und zusammen, das eine Mal groß und getrennt.

Gern gelesen vom

Friedel

 

Hallo,

Ich denke die Botschaft des Textes ist wahr. Sie ist aber weder sonderlich brisant noch originell. Es ist eine Binsenwahrheit.
Und wie sie dargestellt wird, ist pomadig. Es liegt sehr nahe.

Ich hab vor einer Woche den großartigen Film "Midnight in Paris" gesehen. Der hat auch als zentrale Botschaft eine Binsenweisheit ein bisschen, dass man die Vergangenheit immer glorifiziert. Und es gibt auch da immer wieder Szenen, die zeigen, was "tote" Kunst ist - Status und viel Schein - und was lebendige Kunst ist. Oder wie der Umgang damit ist. Das ist häufig ein Thema. Diese Reliktbesessenheit - bei Wonderboys hat jemand die Jacke von Marilyn Monroe -, Leute haben sündhaft teure Erstausgaben, die sie nie lesen, und die im Regal stehen ,damit jeder sehen kann, dass sie im Regal stehen.
Bei den Verwirrungen des jungen Zögling Törleß wird das verspottet, das Anbeten von seelenlosen Relikten, dieses kultische. Es ist also wahrlich kein neues Thema, an dem du dich hier versuchst, und es ist auch wahrlich kein Thema, an dem nur Pfuscher je dran waren. Da gibt es schon richtig gutes Zeug.

Jetzt ist natürlich nicht jeder literarische Text genötigt eine große Geschichte zu erzählen, um etwas zu sagen. Aber ein literarischer Text täte gut daran, nicht das erstbeste zu nehmen, was ihm in den Sinn kommt, um so eine Botschaft an den Mann zu bringen.
Bei der Geschichte hier, hätte es zum Beispiel schon fast gereicht, wenn der Pilger am Grab andere Leute sieht, die so reagieren, wie er meint, reagieren zu müssen, und dann könnte man sagen: Hier so ist es und ich bin anders, und Leser schau es dir an. Man hätte etwas verschleiern können, um was es hier geht. Man hätte dem Leser etwas zeigen können, man hätte ihm etwas erzählen können, so sagt der Text etwas, das mit Verlaub - etwas Schulziges hat: Böll liegt nicht begraben, sondern seine Worte leben in jedem weiter, der ihn gelesen hat.
Jedesmal wenn man mit der Schule als Kind so einen Ausflug gemacht hat und stand an den Stätten berühmter Ereignisse und bekam dann was vorgemurmelt von armen Studentinnen, die das 3mal am Tag machen müssen, - ja, es ist nicht der Fehler der Schüler, dass man da nicht begeistert wird. Der Genius loci ist kein sehr überzeugendes Konzept.

ICh will mal was Böses sagen: Reich-Ranicki sagt das auch immer. Wie viele Autoren in ihrer Zeit beliebt und bekannt waren und nach ihrem Tod interessieren sich immer weniger Menschen für sie. Böll ist dafür ein gutes Beispiel. Mit jedem Jahr verblasst sein Ruhm mehr. Mit jedem Jahr wird er weniger gelesen, weil sich das Deutschland, gegen das er gekämpft hat, verändert hat. Weil die Kirche nicht mehr so mächtig ist und die Bürger nicht mehr so spießig.
Ich hab "Ansichten eines Clowns" gesehen, mir gab das nichts mehr.
Der Tod eines Autors ist vielleicht ein spannenderes Thema als seine Unsterblichkeit. Auf jeden Thomas Mann kommen tausende Autoren, die langsam und schleichend und Jahr für Jahr mehr aus der Wahrnehmung rutschen. Sonst wär kein Platz für Neues da.

Gruß
Quinn

 

Naja. Dass Autoren wirklich aus der Mode kommen, weil die Themen ihrer Zeit nicht mehr aktuell sind halte ich für eine sehr gewagte These.
Ich finde wenn man sich fürs Geschichtenerzählen interessiert kommt man um manche Autoren einfach nicht herum. Ganz egal wie ansprechend das Thema ist.
Für mich (aber das ist auch rein subjektiv) hatte Böll eine unnacharmliche Art zu schreiben. Ich habe mich nie wirklich für die Nachkriegszeit interessiert. Aber bei Bölls Texten wird man, ob man nun will oder nicht, direkt in die Gefühlswelt der erzählenden Personen gerissen und durchfühlt mit ihnen ihren Alltag.
Es gibt spannendere Themen und Autoren die spannendere Geschichten erzählen können. Doch darum geht es meiner Meinung nach nicht. Ich denke man sollte beim Erzählen den Spannungsbogen nicht ausser Acht lassen, doch er ist auch nicht das Wichtigste. Es sind oft die kleinen Geschichten, die uns aus dem Grau unserer Existenz reissen. Wenn jemand Unwesendlichkeiten interessant erzählen kann ist das für mich große Kunst.
Ich gebe allerdings zu, dass die Auissage der Geschichte etwas pathetisch daher kommt. Finde aber auch leider keine andere Möglichkeit das Ausgesagte zu umschreiben. Die Idee mit anderen Menschen vorm Grab gefällt mir leider gar nicht. Es geht nicht darum den Protagonisten auf eine andere Stufe (über die anderen zu stellen). Das würde meiner Meinung nach die Aussage verfälschen. Es geht um das individuelle Empfinden des Handelnden in der beschriebenen Situation.

Gruß Marco

 

Dass Autoren wirklich aus der Mode kommen, weil die Themen ihrer Zeit nicht mehr aktuell sind halte ich für eine sehr gewagte These -
recht hastu,

lieber Marco!,

’s ist noch kein Meister vom Himmel gefallen – er bräche nicht nur sein Genick, sondern vor allem mit dem Leben und hätte folglich sehr wenig von seiner Meisterschaft.

Dieser schlichte Erstling, ich wiederhol mich gern, gefällt mir nicht nur, er ist auch besser als mancher andere.

Immerhin!, wird durch Quinn mehr als die Dicke Berta, also arg schweres Geschütz gegen Dich aufgefahren in der Nennung des Sankt MRR, der sich wahrscheinlich sträuben würde, auch nur eine Geschichte hier vor Ort mit der Kneifzange anzufassen, geschweige, ein Wort darüber zu verlieren. Wahrscheinlich weiß er nicht einmal um dieses Forum.

Ich denke die Botschaft des Textes ist wahr. Sie ist aber weder sonderlich brisant noch originell. Es ist eine Binsenwahrheit. / Und wie sie dargestellt wird, ist pomadig. Es liegt sehr nahe.

Hallo Quinn –
oder muss ich Dich nun mit MRR bezeichnen?

Ach was, selbst Marcel Reif wäre eine maßlose Übertreibung! –

Du schreibst m. E. eine seltsame Einleitung:

Nein, was auch immer MRR in seiner vermeintlichen Boshaftigkeit alles verursacht, die Botschaft ist, wie sie hier vermittelt wird, wahrhaftiger als eine auf billige Effekte ausgerichtete Geschichte. Keine Geschichte muss sich besonderer Originalität und/oder Brisanz erfreuen.
Sollte die alte Dame der auferstandene Böll sein oder der Icherzähler stolpern und in ein Grab fallen? Was wäre dem Troglodyten beim Besuch einer Begräbnisstätte seit dem Holozän ausgehenden je sonderlich originell gewesen? Der Autor machte sich gemein mit der Blödzeitung und ließe Böll im Grabe rotieren.
Die Botschaft ist in ihrer Schlichtheit wahrhaftiger als manche Sumpfblüte (was den Schilf nicht stören wird).

Binsenwahrheit bedeutet Selbstverständliches und mir ist noch beigebracht worden, dass Friedhöfe mit Recht und wie selbstverständlich für circensische Sensationen ungeeignet wären (als hätt’s da noch kein Hollywwod gegeben!). Eine Leiche hat nach deutschem Recht den Übergang vom Personen- zum Sachenrecht geschafft und ist für keinen Unsinn, der mit ihrem Namen betrieben wird, mehr verantwortlich. Etymologisch bedeutet die Binsenwahrheit „einen Knoten an der völlig glatten Binse suchen“ [Duden Bd. 7, lk. Sp. S. 96].
Das zweite falsch gewählte Wort ist dann pomadig, das vom wohlriechenden (!) Haarfett abgeleitet ist. „Pommade“ – das geübte Auge erkennt in diesem frz. Wort den Apfel – ist ein Schönheitsmittel. Tatsächlich lässtu Dich aufs polnische "po malu" ein, das schlicht „allmählich“ bedeutet und mit dem kommstu heut nicht, kommstu morgen übersetzt werden könnte, tatsächlich aber als jemand pomade/egal sein gedankenlos daherberlinert -

und genau das ist wohl der Fall: Dir ist dieser Erstling, den ich gegenüber vielen andern für gelungen halte, in seiner scheinbaren Langeweile ein Gräuel, zeigt sie doch: Böll ist eben nicht vergessen, gleichgültig, was einer zu seinem Werk meint. Seine Halbwertszeit währt schon jetzt länger als unsere beiden aufaddiert, multipli- & potenziert. Sie wird noch länger dauern – und wenns nur der Dr. Murke am Ende einer Dienstfahrt wäre. Mag die Kirche ihre frühere Position eingebüßt haben, der mainstream sorgt schon für Gleichschaltung und Anpassung, gegen die Böll sich zeitlebens sträubte wie übrigens auch der inzwischen so gut wie vergessene Werner Finck, dessen Ideen aber im Darsteller des Dr. Murke - Dieter Hildebrandt – weiterleben. Da bleibt jeder comedian eine bloße (ver)blöde(nde) Nummer.

Dann kommt doch noch ein wahres Wort über den heutigen Warenfetichismus, wobei ich mir nicht sicher bin, ob Du im Törleß des Musil den Text von 1906 oder Schlöndorffs Verfilmung von 1966 meinst in den Worten

Bei den Verwirrungen des jungen Zögling Törleß wird das verspottet, das Anbeten von seelenlosen Relikten, dieses kultische.

Wie dem auch sei, Gruß aus'm Ruhrpott vom

Friedel

 
Zuletzt bearbeitet:

Böll wird noch gelesen. Natürlich wird er noch gelesen. Aber sein Ruhm verblasst und mit ihm der von tausend anderen.
Reich-Ranicki hat eine Kolumne bei der FAZ, in der ihn immer Leute fragen: Ja! Warum wird eigentlich derundder-Autor heute nicht mehr gelesen? Als ich damals in den 30ern in Wien auf der Schule war, haben wir den alle gelesen und er war so toll?
Und MRR sagt dann immer: Ist halt so.
Darauf hab ich mich bezogen.

Du willst doch nicht ernsthaft argumentieren, dass Autoren immer die gleiche Bedeutung behielten? Willst du sagen, dass Böll heute noch die selbe Bedeutung hat, genau so "lebendig" in der Öffentlichkeit ist, wie zu seinem Wirken? Noch so präsent? Nein, natürlich nicht.
Für den einzelnen mag das noch so sein, aber er ist nicht mehr so lebendig wie vor 50 Jahren. Nichts anderes habe ich gesagt.
Wenn Böll für dich wichtig ist, meinetwegen. Tod ist er noch nicht. Er wird noch gelesen, aber er ist nicht mehr so lebendig wie damals. Mein Kommentar war doch kein Angriff gegen Böll ... wie das schon wieder gelesen wird, dann les meinen Kommentar mal richtig, statt dich an "pomadig" aufzuhängen.

Und bitte ... "Böll liegt nicht begraben, er lebt in jedem Leser weiter?" - das ist für dich ein toller Gedanke?

Autoren gewinnen an Bedeutung. Autoren verlieren an Bedeutung. Für jeden Böll gibt es Zeitgenossen, die heute keiner mehr liest. Und vielleicht erlebt Böll in 100 Jahren ein Revival, vielleicht werden ihn nur noch Germanisten kennen, vielleicht ist er eine Randnotiz der Literatur.
Das finde ich als Thema interessanter, viel interessanter, als ein Satz wie ihn die Geschichte hier zur Prämisse hat.

Dass man im Alter sich an die Idee klammert, weil man was geschrieben hat, sei man nun unsterblich, weil es könnte ja sein und so ... das kann ich nachvollziehen (du hattest ja einen Freund hier im Forum, der aus den Gründen geschrieben hat, dass die Sterblichkeit angeklopft hat). Dass es schmerzlich ist, wenn Autoren aus der eigenen Vergangenheit mehr und mehr verblassen, versteh ich auch. Aber das ist eben der Lauf der Welt. Das liegt nicht an mir, das hab ich nicht beschlossen, da brauchst du keine Pomaden nach mir zu werfen.

Und so toll ist der Text nun wahrlich nicht. Er hat eine Botschaft, eine Prämisse, die dir gefällt, das mag sein, aber viel dran ist doch hier wirklich nicht.
Wenn wir Texte nur danach beurteilen, ob deren Botschaft uns gefällt, dann ist das ein schales, oberflächliches Geplapper nur.
Also der Text hier ist mir kein Gräuel wegen einer Botschaft, dass Böll noch lebe ... das ist mir, mit Verlaub, wirklich wurscht. Der hatte seine Hoch-Zeit 20 Jahre vor meiner Geburt.
Wir sehen doch grade in den Medien, was passiert, wenn ein Schriftsteller zu seinen Lebzeiten noch mitbekommt, wie er an Bedeutung verliert. Wie sein literarisches Strahlen verblasst. Wie es den Lauf aller Dinge nimmt. Da die Unsterblichkeit des Autors zu feiern ... tja, für Autoren ein hübscher Gedanke ... viel Konflikt ist da nicht drin, viel Realität auch nicht, da wäre das von mir vorgeschlagene Thema, der Tod eines Autors, spannender.

 

@ Quinn:
Ich gebe dir Recht, der Schlusssatz ähnelt schon stark der übertriebenen "Moral von der Geschicht" einer amerikanischen Sitcom. Habe auch lange überlegt, wie ich ihn verändern könnte. Doch irgendwie bin ich zu keinem Ergebnis gekommen. Denn er sagt auf etwas schräge Art und Weise eben genau das aus, was ich damit sagen wollte.
Du hast vollkommen Recht natürlich wird Böll immer mehr in den Hintergrund treten. Wäre ja auch schlimm, wenn es nicht so wäre.
Wo wäre sonst der Platz für neue Autoren mit neuen Geschichten und aktuellen Themen.
Und doch sagt Quantität wie immer nichts über die Qualität aus. Ich hatte nicht vor den größten Epos aller Zeiten zu schreiben. Es ist eine kleine, belanglose Geschichte. Eine kleine Anerkennung für das Schaffen eines, meiner Meinung nach großartigen Autoren.
Er verliert Jahr um Jahr Leser. Viele Bücher treten heute in den Hintergrund. Frag mal in einer 5. Klasse wer schonmal die Schatzinsel oder Moby Dick gelesen hat. Da wirst du nicht mehr viele finden. Oder frag am Stammtisch, wer die Bibel gelesen hat. Bücher und Autoren verlieren natürlich an Aktualität. Das sagt aber nichts über deren Kunst aus.

Ich liebe die Art, wie Böll kleine Geschehnisse in große Worte packt ohne dabei zu sehr abzuschweifen. Aber das sollte jeder für sich selbst herausfinden.

Ich habe mein erstes Böll-Buch auf einem Bücher-Trödel eines Tierheims gefunden. Es war das irische Tagebuch. Ich nahm es eigentlich nur mit, weil ich auch schon einmal Irland besucht habe und erfahren wollte, wie er seinen Aufenthalt dort erlebt hat. Doch seitdem habe ich sene Bücher schätzen gelernt. Reiner Zufall. Wahrscheinlich wäre ich in der Buchhandlung nie an eines seiner Bücher gelangt, die ich seitdem verschlinge wie Popcorn.

Und vielleicht regt mein kleiner Beitrag ja auch andere Leute an Bölls Geschichten zu lesen und ihn so vor dem Vergessen zu bewahren.

 

Böll wird noch gelesen. Natürlich wird er noch gelesen. Aber sein Ruhm verblasst und mit ihm der von tausend anderen,
nein,

lieber Quinn,

nicht von tausend anderen, sondern von allen, würd ich meinen, und jenen, die nicht mit Ruhm sich bekleckerten, wird’s werden, als hätte es sie nie gegeben.

Dass jeder Autor Kind seiner Zeit ist (da erkennt man unseren Hang zur Binsenwahrheit) und somit auch immer nur zeitgebunden schreiben kann (er wäre denn Prophet und würde dann im Alten Testament – wie alle andern Taschenspieler auch – nachträglich aufgenommen) und Literatur auch Geschäft ist, das Konjunkturen unterliegt, ist keine Frage. Dass Du dafür einen Heiligen, den ich wiederum eher als Widerstandskämpfer und Schlitzohr bewunder, wie die Dicke Berta auffährst, gibt mir zu denken.

Immerhin hat MRR das DWB den „interessanteste[n] Roman und das allerwichtigste Buch in deutscher Sprache“ genannt. Bevor jemand das Kürzel mit dem der Eisenbahn verwechselt: es ist in aller Bescheidenheit das derzeit 33-bändige Deutsche Wörterbuch, mit dem Jacob und Wilhelm Grimm zu ihrer Zeit (wenn’s ein „seinerzeit“ gibt, müsst es auch ein „ihrerzeit“ geben) begonnen haben. Wer von uns kennte noch das Grimm’sche Wörterbuch? Wer wüsste mehr als das eine oder andere Märchen von ihnen? Und doch stehen sie für die Sprache auf einer dem Luther vergleichbaren Stufe.

Und eine letzte Frage:

Wer sagt denn, dass Du Böll mögen müsstest? Niemand. Jeder ist für seine Interessen und seinen Geschmack selbst verantwortlich, wenn ihn denn die Umwelt lässt. Und ich behaupte auch nicht, dass Marco der auferstandene Rimbaud wäre. Ich stelle nur fest, dass sein Erstling aus der Flut der Neuerscheinungen hier vor Ort herausragt und eine Bemerkung zur Fehlerquote hat er selbst mit dem Nachfolger widerlegt.

Zudem ist mir ein seltsam Ding widerfahren, sonst hätt’ ich Dir gestern schon nach dem Studium Deines Beitrages geantwortet, hatte ich doch zuvor die Biografie des Jean Paul von Walther Harich (wem der Name irgendwie bekannt vorkommt, es ist der Vater Wolfgang H.s,), von 1925 zu lesen begonnen, die in der Vorrede wie folgt beginnt (hätt’ ich gewusst, was mich erwartet, ich hätte das Zitat schon mitgebracht; ich erlaube mir, Rechtschreibung und Schriftbild dem heutigen Standard anzupassen):

„Nach unfassbaren Gesetzen tauchen von Zeit zu Zeit die Großen der Geschichte aus Dunkel und Vergessenheit wieder ans Licht. Das vorliegende Buch steht unter dem gleichen Gesetz, das Jean Paul jetzt, hundert Jahre nach seinem Tode, wieder in unser Gesichtsfeld rückt. Hundert Jahre würde es dauern, prophezeite der glühende Börne, bis ‚sein schleichend Volk’ ihm nachgekommen ist. Heut ist es so weit. Die Erschütterungen des Weltkriegs und der Nachkriegsjahre haben den Boden gelockert. Wir sind bereit, Jean Paul zu empfangen. / Nachträglich ist es leicht erklärt, wie dieser große Dichter uns so lange entschwinden konnte. Von der größten Epoche deutscher Dichtung – viel größer als heute unsre Zünftigen ahnen – nahmen wir bisher nur auf, was durch Fleiß oder Intellekt überliefert werden kann. […] Das Feld beherrschte Goethe als Repräsentant einer im Persönlichkeitskultus hängenden Gesellschaftsschicht, und Kant, der den Mythos tötete“, woran wir erkennen, dass der Fetischismus keine moderne Erscheinung ist.

Mir liegt fern, Dich zum Studium Jean Pauls zu bewegen. Ich will Dir aber die Freude machen, zu seinem Geburtstag im nächsten Jahr ein Rezension hierorts einzustellen zwischen grönländischen Prozessen und dem Katzenberger – und wenn’s mir so gefällt und ich es nicht bis dahin vergessen habe, Dir zu widmen …

Gruß

Friedel

 

Mir liegt fern, Dich zum Studium Jean Pauls zu bewegen. Ich will Dir aber die Freude machen, zu seinem Geburtstag im nächsten Jahr ein Rezension hierorts einzustellen zwischen grönländischen Prozessen und dem Katzenberger – und wenn’s mir so gefällt und ich es nicht bis dahin vergessen habe, Dir zu widmen …
Es wird mir Freude und Ehre zugleich sein, es nicht zu lesen!

 

Es wird mir Freude und Ehre zugleich sein, es nicht zu lesen!

Ein schöner & konsequenter Abschluss, wie ich meine, zum Thema. Darum zu Abschluss und auf künftige Projekte ein Zitat von einem Größeren, als wir Zwerge es je sein werden: „Wir wenden uns zur Ironie zurück. Man sieht, dass sie, so wie die Laune, sich nicht gut mit epigrammatischer Kürze verträgt – welche mit zwei Zeilen gesagt hätte: Kunstrichter und Hunde wittern nicht Rosen und Stinkblumen, sondern Freunde und Feinde -; allein die Poesie will ja nicht etwas bloß sagen, sondern es singen, was allzeit länger währt“, steht für uns schon in der Vorschule der Ästhetik,

mein lieber Freund,

wenn’s im § 37 um „die Ironie und den Ernst ihres Scheins“ geht.

Bis zum nächsten Mal, sagt der

Friedel

 

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