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Polypionie

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23.01.2002
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Polypionie

Es war vor zwei Stunden gelandet. Seine Gestalt war kolossal, einfach gewaltig. Seine Füße, groß wie Bratpfannen, stampften durch die Straße. Seine Hosen, in denen die kleinen Thaikinder hätten Verstecken spielen können, lagen hauteng über den Fettzylindern, die man nur sehr entfernt mit Beinen assoziieren konnte. Selbst die größte Übergröße schnitt ihm regelrecht die Blutzufuhr in diese Stampfer ab.
Die nächtliche Hitze Bangkoks ließ ihm den Schweiß in Bächen über seinen Torso laufen und sammelte sich in riesigen Pfützen zwischen den Rettungsringen, zwischen denen er sogar Bierdosen zerquetschen konnte. Er schnaufte wie ein Walross.
Die Menschen stieben auseinander, sobald er auch nur in Sichtweite kam, was sehr leicht passierte, denn seine überdimensionale Statur ragte weit über die Köpfe seiner Mitmenschen heraus.
Entlang der Khao San Road standen die Straßenverkäufer und priesen mit ihrer asiatischen Schüchternheit ihre Waren an. Kaum bewegte sich seine Gestalt vorüber, so verbreitete sich eine bedrückende Stille, die immer entsteht, wenn man in einem Fünfsternerestaurant mit seinem Chef diniert, fragt, ob denn die junge Dame, die ihn begleitet, seine Frau sei und dann über die besonders intakte Vater-Tochterbeziehung seines Vorgesetzten erfährt, den Rotwein lobt, um sogleich belehrt wird, dass er Kork hat und man dann, um die Situation zu retten ihm ein wenig des eigenen Essens auf den Teller schaufelt. „Es schmeckt wirklich deliziös! Probieren Sie doch einmal!“.
Er fühlte sich beobachtet- zu grund natürlich. Ein ungewollter Animateur der Massen. Sein Blick war gesenkt, doch spürte er die aufgerissenen Augenpaare ihn anstarren- nein nicht ihn, sondern seinen gestraften Körper- er war nicht sein Körper. Ein ungewollte Symbiose. Er war ein junger Mann, eigentlich sehr sympathisch, so sagte man es ihm nach.
Als es mit 14 Jahren anfing- er zu fressen anfing, er seine Masse innerhalb eines Jahres geradezu verdoppelte und der Arzt ihm dann irreparable Polypionie diagnostizierte- da dachte er zunächst an eine kulinarische Köstlichkeit. Doch seit dem beschäftigte ihn seine unerklärbare Krankheit immer mehr, und er ertränkte seinen Kummer in einen endlosen Kreislauf des Selbstmitleids und daraus resultierenden Fressorgien.
In Thailand hatte er gehofft ein toleranteres Volk vorzufinden. Menschen, die ihn akzeptierten, die ihn nicht denunzierten, ihn des nachts die Alpträume nahmen. Er hatte große Pläne: Askese und Meditation sollten ihn heilen, seinen Körper vor dem Kollaps retten, doch hatte er nicht bedacht, dass gerade in einem Land, dessen Menschen ihm im Schnitt bis knapp unter die Brustwarzen reichten, seine Erscheinung Gelächter, Beschämtheit und Unglauben hervorrufen würde.
Er erreichte das Ende der Straße und konnte seine Trauer kaum verbergen. Er wollte wieder nach hause.

 

Nun,

dann wünschen wir ihm natürlich eine gute Heimreise; nur ist mir nicht klar, warum er unbedingt nach Thailand „auswandert“, um über seine Polypionie hinwegzukommen...
Na ja.
Ansonsten: wohl Satire und Gesellschaft gemischt ausgedrückt; also „Humor“ und „Drama“ gleichzeitig feilgeboten.


Hendek

 

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