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Planetarium
Eclipsen und Synapsen, Verworrenes und Versponnenes, alles aus einem Ursprung zwar, doch über die Jahrtausende durcheinander gebeutelt, erobert, verloren, inbrünstig geküsst und gleich darauf verbrannt, wieder auferstanden, schöner als je zuvor, mit raffinierteren Tricks ausgestattet und auch
Tangenten, Kriekenten und andere Enden, von salsicce, vielleicht von Linien, die sich irgendwo verheddert hatten und die dann doch, ein wenig entwirrt und somit entmystifiziert, von Insidern schon auf den ersten Blick erkannt, von Kennern der Materie also schnell entschlüsselt und ihrer geheimen Botschaft beraubt, trotzdem oder gerade deshalb noch geheimnisvoller in viellagige Plisséegebinde verbal oder tatsächlich eingehüllt wurden, mit und ohne Bauchbinde - das ist das Thema, was mich momentan am meisten bewegt. Begreiflicherweise schwirrt mir der Kopf.
Streng limitiert – das ist bei nach Elite-Art getrimmten Ganovenstückchen eigentlich Standard – und auch erfundene zeitliche Limitierungen gibt es, die der Raffsucht, der kurzlebigen Freude an einem vermeintlichen Schnäppchen einen zusätzlichen Reiz verschaffen.
Bekannt war bis zu diesem Tage fast alles. Wir lernten mit unseren Schwächen und Anfälligkeiten umzugehen, beinahe uns selbst zu verstehen – und damit wiederum auch diejenigen zu verstehen, die wir, unseres eigenen Überlebens wegen, manipulieren mussten. Wir dachten, dass wir das könnten. Auf jeden Fall waren wir - nach wie vor - auch immer noch selbst manipulierbar! Was sagt man dazu?
Kundenpsychologie, Marketing, Seminare.
Spezialisten verteilten ihr Wissen, abteilungsbezogen. Licht- und Duftexperten, auch Psychologen reisten von ferne her an, aus den Vereinigten Staaten von Amerika dozierte ein dreifacher Professor und Erfinder der an den Kassen platzierten Süßigkeitsempfehlungen auf niederem Niveau für die des Lesens und Schreibens noch unkundigen Hosenscheißer.
Wir erlernten die Kunst der Gesprächsführung, des richtigen Blickes, der richtigen Gestik, der richtigen Einschätzung. Wir wussten jetzt auch um die unglaubliche Macht des Lichtes in allen farblichen Facetten und um den Einfluss musikalischen Fallouts – das Kaufverhalten beeinflussend und wir wären schon ungekrönte Professoren gewesen, Professoren der permanenten Umsatzsteigerung und hörten vom Ansinnen, auf den Beringinseln eine spezielle Universität zu gründen – von Stiftungen bekannter Weltfirmen gesponsert – die dann für Umsatzsteigerungen im dreistelligen Bereich eine Art Augment-Nobelpreis bereithalten würde, mit einem ordentlichen Aufgeld, versteht sich.
Statt einer schweren, den Träger nach geraumer Zeit zu Boden ziehenden Edelmetallkette mit der Universitätsmedaille als Ausdruck der verdienten Ehre und Würde könnte ich mir ein paar Kalbsfüße vorstellen, wie sie nach dem Dienstag als Schlachttag in jeder ordentlichen holländischen Schlachterei ausliegen. Der Preisträger der Bering-Universität könnte dann, statt durch einen unverständlichen Vortrag in Englisch, Arabisch und Mandarin die Anwesenden genauso gut von seinen Fähigkeiten überzeugen, indem er – die dreistellige Umsatzsteigerung als Leitbild – jenen Füßen die dazu gehörigen Kalbsbeine und dann folgerichtig auch den fehlenden Kalbsleib samt Kopf hinzufügt und mit einem letzten Streich, bei dem die Mitarbeiter schon freiwillig auf ihr Gehalt verzichten, aus diesem wundersam entstandenen Kalb durch einen flüchtigen Kuss auf dessen Stirn ein echtes GOLDENES KALB macht, das nun ehrenhalber auf einem Sockel aus makellosem Marmor steht und mit dem Kälberaugen - Originalblick Dankesbezeigungen von jedem entgegennimmt, der an eine immer und immerzu fortwährende Steigerung und Zunahme aller Güter und Gewinne auf Erden glaubt, sozusagen ans Endlose in einer leider endlichen Welt. Deshalb kann man in diesem schweren Fall von Wirklichkeitsverlust tatsächlich von Glauben sprechen.
Nicht allzu lang nach diesen denkwürdigen, nach diesen unvergesslichen Tagen auf den wie geeiste Faustkeile aufgereihten Inseltrümmern im Polarmeer, die aufgrund ihres exzeptionellen Charakters gar nicht mehr die kleinbuchhalterische Frage zulassen, ob sich dieses Event wirklich dort, schräg oben auf dem Globus bei dreißig Kältegraden ereignet hat oder nur in gewissen Köpfen; eben jetzt - da nun alles und nichts mehr möglich oder unmöglich erschien – stürzten wie eine Springflut aus dem Weltall nicht enden wollende Massen von flüssigem Stickstoff herab auf alles Irdische und alles wurde in Sekundenbruchteilen eingefroren, tiefgefroren, schock- und totgefrostet! All das Bekannte, schon lange sehnlichst Gewünschte, schwer Erreichbare, das schon Sichergeglaubte und schwer Erkämpfte.
Es breitete sich eine arktisch-sibirische tiefer-geht-es-nicht-Kälte aus; die Menschen gingen in die Sauna, um zu überleben, beileibe nicht um zu schwitzen.
Drei Nächte später erwischte es den Mond.
Er war - wie ich es an diesem irrealen Abend wahrnahm und im Gegensatz zu mir - nur halbvoll, doch diese Irrsinnskälte hatte ihn gekillt. Klirr – machte er mehrere Male und zersprang dann nicht in zwei Hälften oder drei Drittel oder vier Viertel – nein, er machte das bekannte Geräusch zerspringenden Glases in abertausend Teile – und das mitten auf unserem Hof!
Hier steht alles unter Denkmalsschutz. Nichts darf verändert werden, das Vorhandene soll gepflegt und erhalten werden.
Und jetzt? Berge von kosmischen Scherben, Ausdruck höherer Gewalt, auf die wir Erdenwürmchen eh’ keinen Einfluss haben, Spuren einer himmlischen Katastrophe – darf oder muss man die wegräumen wie ein abgestürztes Flugzeug oder soll man diese letzte Warnung von oben grad’ so liegen lassen wie in einem Freilichtmuseum – für die eventuell noch kommenden Generationen? Und all die toten Uhus und Fledermäuse?
Wer hier etwas verändert, macht sich strafbar. Entspricht sein Tun oder Nichttun den Vorgaben des Gesetzgebers nicht oder er tut – bewusst oder unbewusst – das Gegenteil von dem, was er hätte nach Ansicht des Gesetzgebers tun müssen, ruiniert er eventuell sein ganzes Leben und schlimmstenfalls auch das seiner möglichen Nachkommen. Die Rechts- und Unrechtsanwälte müssen bezahlt werden. Das von oben eingeschlagene Küchenfenster, das den Mondscherben nicht standhalten konnte, die mit alten, ausgesuchten Dachschindeln zurechtgemachten Scheunendächer, besonders die handwerklichen Glanzstücke der Firstreihe, von denen ein jedes eine fast übermütige Tolle trägt, einst handgeformt und jetzt ziemlich sachbeschädigt - das alles könnte kosten und kosten.
Wie zum Spott erblicke ich am Winternachtshimmel, den ich eigentlich um Hilfe anflehen wollte, ein strahlendes, kristallklares Kaleidoskop, das aber nicht mit noch nie gesehenen Farben brillieren will, sondern es steht da oben ganz still, nur in Silber und Weiß, sehr geschmackvoll, mit fast religiöser Klarheit. Vielleicht sind die herrlichen Farben der Kälte zum Opfer gefallen? Die Kälte hat die Farben aufgefressen! Ja – so muss es gewesen sein.
Ein zerschellter Mond und diese wie in einer Brüsseler Diamantenschleiferei entstehenden neuen Dimensionen in versetzten Zeiten beeindrucken mich - mit neuen Visionen, Versprechungen, Rechen- und Verrechnungstricks, besonders Darstellungsarten, bei denen sich fragwürdige Zahlen und Prognosen gegenseitig aufheben oder auch verstärken. Ich sollte mich im Warmen aufhalten, am liebsten schon im Bette sein, doch nein und nochmals nein, ich starre in dieses wunderbare Planetarium, so ganz ohne Opernglas mit eigenen klaren Augen – und es bannt mich.
Ich bin fasziniert – und sprachlos, völlig sprachlos.
Unvorstellbar – so eine Materie! Glücklicherweise gibt es dieses anspruchsvolle Wort.
Was sonst sollte man sagen, wenn man den Mund halb offen hält und auch sonst nichts kapiert?
Überwältigend! Einfach überwältigend, kolossal.
Doch zuviel Verzug können wir uns nicht leisten! Das Alles um uns herum wird ja nicht kleiner; eher größer wird es. Mit jeder Entdeckung eines neuen Sterns muss man doch befürchten, dass mit diesem glücklichen und nun vom Menschen auserkorenen Himmelsgestirn auch gleich eine ganz neue, bis gestern noch unbekannte Milchstraße mitentdeckt wird.
Und annehmen dürfen wir nun unsererseits, dass die ihrerseits in der neuentdeckten Milchstraße wiederum bis zu einer Milliarde zählenden, noch zu kalibrierenden Fix- und beliebig anderer Sterne für die satt subventionierte und immer durstige und hungrige Wissenschaft zumindest für die nächsten Jahrhunderte ein sicheres Brot abwerfen werden.
Aber im kosmischen Sinne eine Belanglosigkeit.
Ich liebe Tee mit Milch, mit eingebrocktem Brot und Honig oder Zucker. Was nur suchte ich da draußen im Stickstoff - Eis – Geknister? Ein bisschen Erkenntnis – mit kältetaubem Hirn?
Völlig meschugge. Und selbst hier, im Warmen, kommen die Gedanken keinen Schritt voran.
Aber dieses Weltall-Gegaukel!? Da höre ich doch sphärische Musik, unüberhörbar optimistisch. Jaah, das muss es sein! Wir verlassen den Planeten der Enge und der Beschränkung. Wir sind zwar hier geboren und hier sind wir auch zur Grundschule gegangen – aber jetzt haben wir die Nase voll von allen Gängeleien und Restriktionen. Wir wollen verdammt noch mal nicht an kurzer Leine gehalten werden! Wir haben nur ein Leben. Capisce?
Wir hauen ab, wir ziehen Leine. Heidiwitzka, Herr Raumschiffkapitän! Denn eines ist klar – in der Unendlichkeit dort oben gibt es keine Wälder von Gebots- und Verbotsschildern, keine Einbahnstraßen und Radaraugen, keine kleinlichen Einschränkungen, keine Spaßbremsen. Da geht die Post richtig ab; nicht mit dem Postillon und den stolpernden Gäulen, sondern mit der Mega-Laser-Show mit echtem Polarlicht und Sternschnuppen wie Konfetti.
Mein Zielhafen: der Orion. Zwischen Rigel und Beteigeuze bauen wir den Ionen-Highway für die Eiligen, denn obwohl man im keimfreien Raum gut und gerne zwei- bis dreihundert Jahre alt werden kann, verbringt man viel Zeit in den Raketen. Die Entfernungen sind ungeheuer, vergleichbar mit denen in Sibirien, multipliziert mit 116 Milliardentrillionen.
Anyway: dieser Ionen-Highway wird die erste interstellare Raumallee sein! Wir säumen ihren Verlauf mit lasergezeugten Platanen mit ewigem Laub; nichts wird herunterfallen und niemand wird ausrutschen.
Ein paar leichtlebige Damen verteilen wir wie im Original und sie werden uns beim Vorbeifliegen große Leuchteaugen machen, nachdem uns ihr Sensor registriert hat – dann wird es ganz bei uns liegen, weiterzudüsen oder einen Looping vor dem Andocken zu inszenieren. Wie das alles verrechnet wird, muss die Praxis zeigen. Die ersten Kontakte werden vermutlich etwas holprig verlaufen und oft wird man den Satz hören: „Verzeihung, ich muss mich erst ein wenig assimilieren“.
Aber Verzagtheit kennen wir nicht. Wir leugnen unsere irdische Abkunft in keiner Weise, und dass moderne Schnellstraßen, jetzt eben auch unsere Allee im Universum, ihre Vorbilder in der Antike finden, ist ebenfalls nicht neu. Auch die Glücksdamen an der Laserroute sind eine Verbeugung vor irdischen Gepflogenheiten.
Ob wir neben dem Straßenstrich auch Anderes von zu Hause übernehmen, steht noch in den Sternen. Auf jeden Fall müssen wir das Universum attraktiver gestalten, denn so dürftig und langweilig, wie es sich momentan darbietet, kann es nicht bleiben.
Wir müssen unsere Duftmarken setzen! Wenn der Weltraumtourismus erst einmal richtig einsetzt, dann müssen wir gewappnet sein! Wir brauchen Drive-ins für jeden Bedarf, Amüsements für jeden Geschmack – und sei er auch noch so merkwürdig. Es geht schließlich ums Geld und nicht um stillen Sternenschimmer. Wir brauchen Sensationen, unüberbietbare Rekorde! Der von uns zurückgelassene Tennisball „Erde“ muss neidvoll den Kopf in den Nacken legen und gebannt nach oben schauen – zu uns, zu unserem Glanzstück, der „Neuen Welt, der Future World“. Wer diese einmalige Chance nicht sieht, hat Sand in den Augen.
„Wie einige milliardenschwere Scheichs eventuell?“, stichelt Lars. Er reicht uns einen Feldstecher aus dem ersten Weltkrieg. Wir sehen große, künstliche Inseln. Eine riesige, aus Sand geformte Palme mit für sehr viel Geld bewohnbaren Fächern im Arabischen Golf: „The Palm Dubai“ und auch fünf irdische Kontinente, auf die gleiche Weise zusammenfantasiert, ebendort: „The World“, in aller Bescheidenheit!
Lars ist der Meinung, dass wir noch zu unseren Lebzeiten Zeugen des Weltuntergangs dieser hirnrissigen Kunstwelt aus Sand und Kies im stets und ständig schürfenden, sabotierenden Meerwasser werden.
Dass wir sie noch ein letztes Mal im Fernsehen betrachten können – die unvergleichlichen, innen mit Jade und Blattgold ausgelegten, überwiegend leerstehenden Superlativ-, Büro-, Wohn- und Hoteltürme, die Indoor-Schneeparadiese mit Minusgraden bei mörderischen fünfundvierzig Außengraden, die großkotzigen Autobahndrehscheiben für ein paar Dutzend klimatisierter Edelkarossen.
Dass wir die Hände vors Gesicht schlagen, weil wir nur durch unsere eigenen Finger gefiltert dem hundertfachen Untergang der neuen, quadratkilometergroßen Titanic mit den tausend Schornsteinen dieser Idiotenarchitektur im Wüstensturm, im Sandchaos zusehen können, dem Zusammenbruch des kontemporären Hyperturmes von Dubai – nach der Regieanweisung von Babel.
Aber dass gleich zwei Welten gleichzeitig untergehen, hätte noch nicht einmal ein Drehbuch aus Hollywood in einem Film untergebracht. Aber es ist so.
Die eine Welt geht unter im Sand, im Sandmeer. Die andere versinkt im Salzwassermeer. Allmutter Natur macht eine korrigierende Geste, ganz ohne Aufregung, ohne böse Katastrophe - nur nach den Regeln ihrer Hausordnung. Inseln sind dort, wo sie es will, aber nicht dort, wo es Investoren wollen. Und auf Sand können die Menschen Zelte bauen, aber keine himmelhoch aufragenden Profittürme.
Doch selbstverständlich muss jeder, der auf sich hält, diese Attraktionen gesehen haben! Shoppen bis zur Erschöpfung, als ob in der Restwelt alle Läden geschlossen wären. Schlemmen, wie man das anscheinend nur im Orient kann. Relaxen und Wellnessen – als ob die herrliche Welt jenseits des Wüstensandes dafür nicht abertausend bessere Möglichkeiten böte – in prächtiger Naturkulisse, mit klaren Seen, weißköpfigen Bergen, dunkelgrünen Wäldern und wundervollen Parks bis zum Horizont. Doch das ist das Wesen des Booms – er ist heftig, aber kurzlebig. Einen Dauerboom kann es, den natürlichen und physikalischen Gesetzmäßigkeiten folgend, nicht geben. Denn dann könnte es auch einen Dauerorgasmus geben.
Genug Freunde dieser beiden Dauerevents gäbe es, aber leider – sie müssen weiterfantasieren. Wie zum Beispiel in Dubai und Umgebung.
Nach dem Boom wurden die Profite deutlich weniger. Anfangs versucht man den Knick in der Bilanz noch mit sehr kreativ formulierten Beschönigungssprüchen zu erklären, doch bald wirkt dieses Botox nicht mehr und es beginnt die Zeit der Baisse, die nun einmal, unvermeidbar, dem Boom folgt. Auch spricht es sich mittlerweile herum, dass es wohl doch nicht das non-plus-ultra ist, von einem klimatisierten Käfig in den anderen zu wandeln.
Die Manager des Geldes und der guten Laune öffnen deshalb nach dem frühen Einbruch der Dunkelheit einige Türen ins Freie und kutschieren die Inhaber der goldenen Kreditkarte durch die abgekühlte Nacht zum Beduinenfeuer, sehr romantisch, das lohnt den weitesten Flug.
Auch der gestrige Ritt auf dem Kamelhöcker durch die flirrende Hitze war nur eine strapaziöse Schaukelei und des übersüßen heißen Tees hätte es ebenfalls nicht bedurft. Aber man hat tolle Bilder gemacht.
Immerhin zog eine große Ernüchterung durch die Köpfe und Gemüter, wie seinerzeit bei des Kaisers neuen Kleidern. Mit dem Fazit: anderswo ist es weniger heiß, aber schöner – fürs gleiche Geld.
Jetzt ist niemand mehr da, der die immer wieder versandenden Fahrrinnen zwischen den Wahnsinnsinseln ausbaggert, der die Betonstalagmiten immerfort abbürstet, abschleckt vom immer wiederkehrenden Wüstensand, der den mit enervierender Zuverlässigkeit einfliegenden Sand von den Straßen schaufelt in einer Prozedur, die ursprünglich – rein rechnerisch - gedacht war bis ans Ende der Welt.
Rein rechnerisch wollte man so viel Geld schaufeln, dass der Dauerkampf gegen den Sand locker zu bezahlen sei. Schließlich ist der Mensch der Herr der Welt! Und jetzt ist man pleite.
Verspekuliert, zu hoch gepokert?
Aber woher denn! Wenn einfältige Menschen in der Djellaba innerhalb einer Generation zu fast überirdischen Reichtum kommen, wenn sie eigentlich nicht so recht wissen, was sie damit Gescheites anstellen könnten, deshalb den Rat von scheinbar seriösen Experten suchen und ihn, gegen fürstliche Entlohnung, auch bekommen, dann liegt es doch auf der Hand, dass die Ratgeber ihre Krawatten straffer ziehen und noch mehr Rat geben möchten. Rat mit Nachhaltigkeit! Der bringt am meisten ein.
Schon Aaron hat im Schtetl seinem Lehrling Moshe gleich anfangs beigebracht, wie der Kunde genommen werden muss. Denn bis auf einige Widerborstige sind die Menschen ziemlich gleich. Sie wollen ihre Eitelkeit bedient wissen, ihren – meist dümmlichen – Anspruch auch, sie wollen ernst genommen werden, obwohl sie tragischerweise meist zum Lachen sind, wollen auch nicht dazu lernen, da sie doch schon alles wissen und genießen die Tatsache, alles beurteilen und bewerten zu können. Das ist großartig. Und mit des Kaufmanns psychologisch-schlitzohrig ausgefeilten Redensarten kommt es tatsächlich zum Vertragsabschluss, zum Deal. Der Berufsstand der Projektentwickler blüht auf. Keine Idee ist zu gewagt, oder zu verrückt. Alles ist recht, um Ansehen und Prestige in der Welt zu erlangen. Außerdem muss auch das Wohlleben „Nach dem Öl“ finanziell abgesichert sein, aber die neuen Weltwunder werden Traumrenditen garantieren!
Dann rücken sie alle an – die Spezialschiffe, die schwimmenden Bagger, die Monstermaschinen, die Megatransporter. Auch ganze Heere von angeheuerten Arbeitern aus aller Herren Länder. Man braucht neue Häfen, denn jeder Zementsack, jede Schraube muss von weit her angeliefert werden.
Hier ist nichts – außer Sand, Hitze und Geld.
Doch jetzt kann man sie nicht mehr bezahlen, die fleißigen Menschen aus den ärmsten Ländern der realen Welt - auch wenn die Löhne noch so bescheiden sind. Aber vielleicht waren feinster Marmor und Goldflitter in diesen unvorstellbaren Mengen doch zu teuer?
Auf jeden Fall bestimmen jetzt andere Faktoren den weiteren Ablauf der hier mit abgefeimter Unterstützung aller westlichen Spezialisten eingefädelten Geschäfte. Wie im Märchen schwirren geflüsterte Uraltweisheiten durch den Raum: „ Letzlich siegt das Meer.“, „Hochmut kommt vor dem Fall.“, „Nach dem Boom kommt die Krise.“, „Ein Nimmersatt wird nimmer satt.“
Das sind die alten Texte. Höchst überflüssig kommen jetzt noch neue Sprüche hinzu: Krise, meist Immobilienkrise, auch Spekulationen mit Drahtseilcharakter, Unersättlichkeit, Größenwahn und überhaupt – Wahn schlechthin. Wahn, wie ihn nur die Gier entfachen kann.
Gier, die alle Bedenken beiseite schiebt, alle bisherigen Erfahrungen, alles Kultivierte und Ethische.
Ich, für meinen Teil, wette, dass ein Großteil der Krawattenträger von Anfang an genau wusste, wie die Sache laufen wird. Und wo ist das Problem?
No problem. Man war bei jedem Deal mit einer guten Courtage dabei, mit einer sehr guten. Dazu kamen noch die Spesen, die Vermittlungshonorare, die eigenen Beteiligungen, die Prämien, die ausgezahlt wurden, wenn die Arbeiten einfach so ablaufen, wie es besprochen war. Noch dazu die Erschwerniszulagen, Wochenendaufschläge, Trennungsgeld, Heim-, Hin- und Rückflüge, Sonderaufwendungen und unvermeidbare Nebenkosten. Das summierte sich.
Zuletzt soll aber nicht verschwiegen werden, dass der ganze Golfmilliardenzauber noch nicht ganz erloschen ist, auch wenn auf dem vom Sande zugewehten Airport keine Flugzeuge mehr starten oder landen.
Aber sie fliegen noch über diese Region, machen viele Extrakurven, bis die Passagiere auf den Fensterplätzen genug fotografiert haben und drehen dann wieder ab. Nun ja, von den einst stolzen Inseln, der Natur abgerungen, ist nicht viel geblieben. Die Reste ähneln flachen Dünen, die durch falsches Navigieren ins Meer geraten sind. Einige Investoren sind hier ebenfalls begraben. Viel zu sehen hingegen ist von den Rendite- und Prestigebauten aus der Boomzeit. Die ragen wegen ihrer damaligen Rekordhöhe immer noch zu zwei Dritteln aus dem Wüstensand, wie traurige Mahnmale, die uns daran erinnern wollen, dass wir doch mit einem sehr komplizierten Charakter geschlagen sind.
Übrigens – unser Pilot ist ein besonders netter! Auf dem Heimflug von diesem denkwürdigen Sightseeing by Air geht er für einige Minuten auf Gegenkurs und ermöglicht es uns so, noch einmal mit ziemlicher Distanz auf die tote Stadt zu schauen. Im Abendlicht bekommt alles wegen des aufgewirbelten Sandes die gleiche Farbe - einen rötlichen Schimmer wie auf einer alten kolorierten Postkarte, auch das Indoor-Skizentrum mit seiner geschmolzenen Winterlandschaft, die mit einer dicken Sandschicht panierten Betonbleistifte der Banken und Weltfirmen mit den Millionen erblindeter Fensterscheiben, der moderne Containerhafen unter einer ungleichmäßigen Sandkruste und die Traumhotels, jetzt statt mit Pool-Landschaft mit hauseigenen Dünen, bis zum dreizehnten Stockwerk.
Ich bin mir sicher – auch die weltbesten Regisseure könnten in ihren visionären Filmen, mit oder ohne Computertricks, keine traurigere Fata Morgana auf die Leinwand bringen.