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Placebo vs. Nocebo
Sie geben ihnen Medikamente. Ein Zimmer. Acht Betten. Acht todkranke Menschen. Zwei verschiedene Tabletten.
Die ersten 6, hier nur A, B, C, D, E, F genannt bekommen neu entwickelte Tabletten, Produkte einer noch in den Kinderschuhen steckenden Forschungsrichtung. Jeder der sechs öffnet seine Hand, von vom Alter faltig bis zu jugendlich frisch. Die Tabletten kullern in die erwartungsvollen Handflächen. Klein, weiß, rund, ganz normal, so hätte man sie vielleicht beschrieben, fast harmlos. Sechs Hände wandern zu sechs erwartungsvollen Mündern. Einem alten Mann fällt seine Arznei auf dem Weg zum gierig wartenden Schlund aus der Hand. Keiner achtet darauf, keine Schwester kommt, um sie auf zu heben.
Die anderen zwei, den Benennungsregeln stur folgend G und H, schlucken nicht mit weniger Begierde die beiden ihnen verabreichten Zuckertabletten.
Es vergeht ein Tag, und es passiert nichts besonderes, mit der Ausnahme, dass der alte Mann wegen der am Vortag versäumten Dosis heute die doppelte Dröhnung erhält.
Ein weiterer Tag vergeht, und bei den ersten sechs zeigt sich eine Reaktion. Zwei der sechs bekunden Unwohlsein. Die beiden Placebo-Patienten lassen keine Verschlechterung ihres Gesundheitszustands erkennen.
Ein weiterer Tag vergeht, und nun haben schon alle sechs Schmerzen. G und H werden in einen anderen Raum verfrachtet, damit sie nicht von den anderen beeinflusst werden. Die Ironie dabei bemerkt keiner, denn gerade der Umzug verrät doch, das irgendwas nicht stimmt.
Ein weiterer Tag vergeht, und der alte Mann, auch B genannt, muss wiederbelebt werden. A hat hässliche schwarze Punkte auf der Haut, die entfernt an Pest erinnern. Cs haut ist übersät mit brandblasenartigen Eiterbeulen. Ds Gesicht ist nicht mehr fähig, den Schmerz, den sie empfindet dar zu stellen.E sind die meisten Haare ausgefallen, die sonst faltenfreie Haut formt einen glänzenden Eierkopf. F rührt sich nicht mehr. G und H bekommen von alledem nichts mit.
Ein weiterer Tag vergeht, und die Anzahl von As Todesflecken übersteigt die Anzahl der Sommersprossen bereits deutlich. B ist inzwischen weniger als Haut und Knochen. Cs angespannte Haut hält die Belastung durch die Körpersekrete nicht mehr aus, und platzt auf. Keiner wischt ihm die stinkende Flüssigkeit ab. D kann sich nicht mehr bewegen und stinkt nach Urin und vielem mehr. E hat eine schwarze Grube im Gesicht, dort wo vorher 20 Jahre lang ein Auge gesessen hat. F ist nicht mehr da. Die übrig gebliebenen verlangen nach mehr der Heil versprechenden Pillen.
Ein weiterer Tag vergeht, und man sucht bei A vergeblich nach einem Fleckchen gesunder rosa Haut. Bs Frau schiebt den Leichnam ihres Mannes mit Tränen in den Hautrinnen davon. Der Gestank von Cs und Ds Körperabsonderungen erfüllt den ganzen Raum. Auf Cs Haut hat hat sich ein dicker, halbverkrusteter Eiterfilm gebildet. E nimmt ihre Umwelt nicht mehr wahr. G und H erfahren durch die Vorstellung einer heilenden Wirkung der Medizin eine Verbesserung ihrer Gesundheit.
Ein weiterer Tag vergeht, und nur noch C und E liegen zusammen in dem Zimmer. C trinkt soviel er kann, doch sein Körper ist sichtlich dehydriert, die haut fast bis auf die Knochen zurückgewichen. E ringt innerlich, doch schon bald verliert sie die Oberhand.
Ein weiterer Tag vergeht, nur noch G und H sind am Leben, und so gesund, wie sie noch fast nie in ihrem Leben waren. Das Experiment wird abgebrochen. G und H bekommen ihr Geld und werden entlassen, das Schicksal der anderen bleibt ihnen vorerst unbekannt.
Ein Jahr vergeht, und die Presse macht auf den Skandal in der Forschung aufmerksam. G und H, kerngesund, erfahren das traurige Ende der anderen Probanden.
Ein Jahr vergeht, und G und H, die weiterhin Zuckerpillen schlucken wandeln auf den gleichen Pfaden zum Höllentor, die auch schon A, B, C, D, E und F beschritten haben