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Pizza wunderbar!
Ob ich das je so hinkriege wie der Ramirez? Ich will mich mit dem Weltmeister messen, nehme restlichen Teig mit nach Hause und trainiere verbissen. Will ebenfalls Künstler sein, Meister in der Kunst des Pizzabackens. Erst sollen die Leute staunen, wie elegant und schwerelos eine Pizza fliegen kann. Hoch hinauf in steiler Spirale, Rückhand, in eine neue Flugbahn dirigiert, anschließender Looping und punktgenaue Landung auf dem Backblech. Und dann sollen sie hineinbeißen in den knusprigen Teig mit köstlichem Belag, entzückt die Augen verdrehen, sich den Rest beidhändig und gierig hineinstopfen, mit rotem Wein nachspülen und total glücklich sein. Ja, das ist meine Mission: Ich will ihnen Freude bereiten, und auch, wenn es nur ein schneller Genuss ist, soll er doch erinnernswert sein bis zu ihrer letzten Stunde. Und ich will auch glücklich sein, eines Tages.
Wäre ich nicht elastischer Pizzateig in Rosannas Händen, hätte ich angemustert auf diesem Traumschiff mit ich weiß nicht wie viel tausend Passagieren. Oder würde nach Australien gehen – hab von den Bertoluccis gehört, wie schnell deren Söhne dort reich geworden sind. Pizza läuft überall.
Die große Welt! Aber noch dreht sie sich ohne mich.
Ich verdiene nicht genug, sehe auch keine Chance, an zusätzliches Geld zu kommen. Rosanna ist unzufrieden und nörgelt. Sie möchte Kinder, und natürlich eine größere Wohnung, besonders eine ruhigere.
Mein Tag ist zerrissen – ich arbeite drei Stunden mittags und dann abends bis Mitternacht.
Nie bekomme ich genug Schlaf, weil ich ohne Rosanna nicht einschlafen kann, und ich kann nicht ausschlafen, weil es in der Markthalle gegenüber schon in aller Herrgottsfrühe lärmt, hupt und rattert.
Sie muss mich freigeben. Oder ich gehe einfach. Von heute auf morgen. Macht mir nichts aus – jeder ist sich selbst der nächste.
Rosanna ist etwas älter als ich, aber ich werde sie verdammt vermissen. Das ist sicher.
Wenn ich angeschlagen von der Arbeit komme, im Kopf dröhnt es noch von dieser ganzen Schreierei und Hektik, küsst sie mich zärtlich und kneift mich ein bisschen.
Schnell werfe ich meine verschwitzten Sachen in die Ecke und stehe schon unter der Dusche.
Rosannas Hände gleiten meinen Rücken hinab, mit Seife und Schwamm, wir verschmelzen im heißen Strahl. Sie rubbelt mich ab, zieht mich zum Bett und setzt sich auf mich. Ich lutsche an ihren steifen Nippeln mit dem großen braunen Hof, sie schiebt mir ein Kissen unter und übernimmt das Kommando. Das ist jedes Mal eine Reise in eine andere Welt, ein Schuss ins All. Der Wahnsinn überkommt uns, wir explodieren, verflechten uns, keuchen wie Athleten. 2:30.
Rosanna löscht die kleine Lampe, durch die Vorhänge treffen Lichtstreifen aus der Normalwelt auf die Wand, immer häufiger. Es ist spät und früh zugleich.
Der Verkehr nimmt zu, die Stadt erwacht. Im Halbschlaf höre ich Stimmen, rede mit mir, mit anderen, bin immer bedacht, das Richtige zu sagen und zu tun. Ich träume vom großen Glück. Von einer eigenen Pizzeria. Ich würde Leute für mich arbeiten lassen, Anweisungen geben, immer größer werden – und dabei reich! Pizza am laufenden Band.
Pizza-Kingdom hieße meine Firma, auch auf anderen Kontinenten würde ich Fuß fassen. Den Bertolucci-Brüdern zeigen, was eine Harke ist.
Die neueste Geschäftsidee meines Chefs Salvatore ist der Maserati-Pizza-Service. Um seinen Privatwagen steuerlich besser zu stellen, funktioniert er ihn als Lieferwagen um. Ein Spaß für jedermann, wenn er sich’s leisten kann. Telefon sechsmal die Acht, wir liefern prompt.
Eines Abends fahre ich bei der letzten Auslieferung mal mit. Der Fahrer soll vorm Haus des Kunden Vollgas geben, es ordentlich röhren zu lassen.
Rollos werden hochgezogen, Leute bleiben stehen, Nachbarn glotzen: Ah, die Morettis bekommen Maserati-Pizza!
Der Hauseingang ist die Bühne. Sie nehmen die flammroten Kartons umständlich in Empfang und bedanken sich beim Fahrer. Nach dem Bezahlen ruft ihn Herr Moretti mit großer Geste zurück, um das Trinkgeld nochmals aufzurunden.
Davon hab ich leider nichts. Für mich bedeutet das mehr Arbeit. Allerdings bleibt Salvatore stur bei meiner zaghaften Anfrage nach besserer Bezahlung, sagt, es sei seine Idee, und wenn der Laden Verlust mache, wäre es sein Risiko – ich hingegen solle zufrieden sein, weil sich dadurch mein Arbeitsplatz absichere. Ich ziehe ihm eins mit der Pfeffermühle über den Schädel.
Doch bevor ich’s tue, erreichen mich neue Befehle. „Tre volti Primavera, due Capricciosa e una Stagioni”, brüllt Salvatore in mein Küchen-Kabuff. Tolle Vorstellung, die Gäste sind beeindruckt von seiner Beflissenheit um ihr Wohl, aber auch von seiner opernreifen Stimme. Die setzt er gerne ein, wenn es dem Geschäft nützt. Es gibt immer Anlässe, eine Arie zu schmettern, oder mit ‚Volare’ alle zu umarmen und selig zu machen.
“Si, Chef!”, antworte ich schwach; ich brauche meinen Atem für die Arbeit.
Ich habe das ungute Gefühl, auf dem falschen Dampfer zu reisen. Knochenmühle statt Traumschiff.
Salvatore fährt Maserati, ich fahre Bus. Auch im Privaten werde ich zunehmend unsicher. Damals war ich siebzehn, seitdem ist Rosanna meine erste und einzige Frau – aber ist das normal nach fünf Jahren? Wieso kam sie mit ihren Eltern zu uns auf Besuch, half mir aus meiner Schüchternheit, war viel zu schnell im Brautkleid?
Zugegeben, sie verwöhnt mich, aber wieso muss der eine arbeiten und der andere nicht? Ja, ja, der Haushalt, die kranken Eltern – ihr Tag habe auch nur vierundzwanzig Stunden. Kenn ich alles auswendig. Trotzdem fühle ich mich ausgenutzt. In letzter Zeit gibt es Nächte, an denen mir ihre Reiterei keinen rechten Spaß macht, beinahe auf die Nerven geht. Vielleicht fühlt sich manche Frau so, die von ihrem Mann geritten wird. Ich schiebe sie dann weg und versuche zu schlafen. „Was hast du denn?“, fragt sie.
„Ach, nichts. Bin nur müde. Lass mich“, nuschle ich.
„Hab ich was falsch gemacht?“, will sie wissen.
„Ach nein, überhaupt nicht. Kommt von der Arbeit.“
„Ist die nicht immer gleich?“
„Nein. Wegen dieser Maserati-Scheiße kann ich jetzt doppelt so viel rackern. Und Salvatore denkt nicht im Traum daran, mir mehr zu geben.“
Sie nimmt ihre Hände von mir und schaut zur Decke. Dann sagt sie: „Und wenn du dir was anderes suchst?“
Dio mio, wenn sie wüsste! Mein weißes Schiff liegt in Genua. „Nicht so einfach“, sage ich, „Und es würde dir nicht gefallen.“
Rosanna richtet sich jäh auf. „Was soll das heißen: ‚... würde dir nicht gefallen’?“
Jetzt ist es mir scheißegal: „Weil es ein Schiff ist.“
„Ja, bist du von Sinnen?“, ereifert sie sich. „Soll ich hier die einsame Seemannsfrau spielen?“
Weiß nicht, woher ich den Mut nehme: „So sähe es dann aus.“ Saucool, finde ich.
Rosanna steht auf und macht das große Licht an. Verhör-Licht. „Du weißt, dass du verheiratet bist – und dass ein Ehemann auch Pflichten hat, solltest du ebenfalls wissen.“
Ich antworte nicht, nehme mir ein Bier und mach den Fernseher an, Programm egal. Muss denken. Rosanna will sich neben mich setzen und wahrscheinlich weiter debattieren, aber ich blocke ab: „Nee, lass mich mal. Ich muss bisschen was sortieren.“
„Ja, sortier’ nur. Da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen.“ Schmollend zieht sie ab. Das kleine Uhrwerk in meinem Kopf kommt auf Touren, bin ganz erstaunt, wie viele Gedanken zur gleichen Zeit bearbeitet werden.
Ist jedoch unnütz, denn das steht schon lange fest: Ich hau ab. Brauchte nur einen Tritt.
Genua auf jeden Fall – weg, weg, weg! Ich klatsch mir kaltes Wasser ins Gesicht. Schlafzimmer ist dunkel, der Fernseher redet mit sich selbst. Busse fahren noch nicht, nehme also das Rad. Schnell in die Firma, hab noch einige Papiere im Spind.
Den Schlüssel hab ich von Salvatore. Oft verschwindet er mit den letzten Gästen, während ich noch beim Aufräumen bin.
Meine Taschenlampe genügt mir, ich kenne ja jede Ecke. Trotzdem geht jetzt die Festbeleuchtung an – Salvatore fragt lauernd, was ich zu dieser Zeit hier suche.
Viele Ausreden gibt es nicht, also sage ich: „Ich hole gerade meine Papiere.“
„’Ich hole gerade meine Papiere’“, äfft er mich nach. „Findest du nicht, dass ich da auch noch ein Wörtchen mitzureden habe? Wir haben vertraglich eine Kündigungszeit von drei Wochen vereinbart; ich hoffe, du hältst dich daran, sonst gibt’s Vertragsstrafe.“ Süffisant fügt er hinzu: „Aber du hast es ja.“ Ich könnt’ ihm eine reinhauen.
„Nein“, trotze ich, „ich habe es nicht. Deswegen gehe ich ja.“ Und plötzlich fällt mir das Reden ungewohnt leicht: „Du hast es! Wir machen doppelten Umsatz, aber ich arbeite zum alten Lohn. Das hat jetzt ein Ende.“
„’Das hat jetzt ein Ende’“, flötet Salvatore. „Jetzt in drei Wochen, meinst du wohl. Kein Problem für mich. Auf deine Stelle warten schon fünf andere.“
Ich bleibe unbeeindruckt: „Wenn die so blöd sind.“
Da geht er mir an die Gurgel. Er hat Grappa getrunken. Dieser Sperling mit der enormen Stimme hat eine erstaunliche Kraft. Er drängt mich gegen den Weinschrank, mir bleibt die Luft weg. Ich kriege die riesige Pfeffermühle, mit der er am Tisch die große Schau abzieht, zu fassen und zieh sie ihm über den Schädel.
Er geht zu Boden. Viel Blut verliert er nicht, das wird sich wohl eher innerlich abspielen – ich erkenne das an seinem leeren Blick. Aber wieso bin ich so eiskalt? Der Mann ist tot, und es berührt mich nicht.
Das Klirren seines Schlüsselbundes hab ich noch im Ohr. Ich kenne den Code. Sturzbesoffen hat er mir einmal seine Schätze gezeigt, 4481. Musste ich eintippen, er schaffte das nicht mehr.
Mit übergezogenen Backhandschuhen stehe ich vor seinem Tresor und nehme mir den vorenthaltenen Lohn. Hat nichts zu tun mit Rififi. Ich habe dafür hart gearbeitet. Im nächsten Moment erschrecke ich mich bis in die Knochen. Was, zur Hölle, mache ich? Bin ich noch bei Trost? Ich klau doch nicht!
Ich schäme mich vor mir selbst. Meine Hände flattern und fliegen, ich lege das Geld zurück.
Auf Tisch 4 steht noch Wein. Die Herrschaften haben ihn nicht geschafft. War ja auch die dritte Flasche. Ich belasse es nicht bei einem Schluck, sondern leere den Rest. Meine Hände beruhigen sich.
Ein Glück, dass Salvatore ein Leichtgewicht ist. Wie eine Schaufensterpuppe setze ich ihn in seinen Wagen und denke an eine Filmszene, als ich den Anlasser drücke. Die Maschine brüllt auf, so ein Ding bin ich noch nie gefahren. Unbekannte Kräfte pressen mich in den Sitz, statt auszukuppeln und die Fahrt langsam angehen zu lassen, schalte ich hoch, genieße bei jedem Gang den Sprung nach vorn. Der Wagen liegt souverän auf dem Asphalt, zischt dahin auf breiten Socken, und hätte ich nicht diesen traurigen Passagier, schaltete ich das Radio an.
Rot. Nicht die Ampel, ein anderes Rot. Groß, nicht grell, und nur ganz schnell. Ich trete die Bremse voll durch. Zu spät.
Mein Chef schlägt mit dem Kopf aufs Armaturenbrett, die Warnblinkanlage schaltet sich ein. Gespenstisch. Ich brauche keine Aufmerksamkeit.
Kein Mensch, kein Auto weit und breit. Ich sammle mich. Mit dem Foto habe ich nicht gerechnet.
Ruhig Blut! Salvatore wird aussehen, als ob er schliefe. Zu viel vom Roten, kann ich bezeugen. Die Flaschen stehen auf dem Tisch.
Er wollte noch ins ‚Paradiso’. Ja, ich habe ihn gefahren, ist schließlich mein Chef. Na ja, und dann ist er ausgestiegen, ich hab bisschen geholfen dabei, mit Mühe hat er sich die Treppen hochgehangelt, mehr weiß ich wirklich nicht.
Laber laber, alles Kacke. Ich habe einen Menschen umgebracht. Der sitzt tot in seinem Auto, das ich wegen meines Alibis vors Paradiso stellen will. Mit dem Toten? Scheiße, Scheiße – hundertmal Scheiße! So fühlt sich Panik an.
Der Wein wirkt. Ich fahre auf die Staumauer, werfe Salvatore über die Brüstung. Der Wasserstand ist niedrig, er klatscht auf Beton und erst dann ins Wasser.
Morgendämmerung. Tanken und einen großen Kaffee.
Die schlaflose Nacht steckt mir in den Knochen. Ich verlasse die Autobahn und suche mir eine Unterkunft in den Bergen. Häuser und Kirchen aus dem Bilderbuch, Geranien stürzen wie Wasserfälle von den Balkonen, ins gekreuzte Holz ist INRI geritzt und eine Frau aus Ceylon schüttelt die Betten auf.
Träumend lese ich in der Zeitung: „Mörder auf der Flucht!“ Das ist nicht der Wein, sondern der Wahnsinn, oder die Angst.
Seit ich frei bin von Rosanna und Salvatore, fühle ich mich wie hinter Glas. Oder unter Folie. Bilder und Geräusche erreichen mich nicht direkt. Ich habe ein merkwürdiges Gefühl – nicht dramatisch, aber bedrückend wie nach einer Zigeuner-Wahrsagung, an die man nicht glaubt.
Genua. Ist tatsächlich nicht die Schönste des Mittelmeers, aber ich will sie nicht heiraten. Erst mal runter zum Hafen. Porcalamadonna! Was für ein Riesenschiff! Vierzehn Decks. Seh mich schon die Pizze wirbeln wie Ramirez, der Weltmeister. Vorher zum Heuerbüro, doch zu allererst schlafen.
Unbedingt schlafen.
Es klopft, ich öffne. Graue Uniformen. War ja eh klar.
Sie behandeln mich korrekt, mit Handschellen. Peng – da sitz ich. Pizzakönig im Knast. Hat seine Frau verlassen und seinen Chef aus niederen Beweggründen umgebracht. Verabscheuungswürdig. Gibt wahrscheinlich lebenslänglich. Und das war’s dann wohl mit der großen Welt. Sie dreht sich weiterhin ohne mich.
Ganz so schlimm kommt’s dann doch nicht, die Untersuchungshaft wird angerechnet – bleiben noch zwölf abzusitzende Jahre. Oder im Stehen, wie’s beliebt.
Ich stehe oft am Fenster, stundenlang, aber nur nachts. Will die Sterne sehen, nicht die Mauern.
Muss zuerst das Bett darunterschieben, sonst könnte ich gar nicht rausschauen, dann steige ich hoch, die Finger in den Gitterstäben verhakt und verbogen.
Oft kapiere ich nicht, was ich seh. Der Große Wagen steht links, nein, liegt auf dem Rücken, mit den Rädern nach oben, mit verbogener Deichsel. Wie nach einem Unfall. Da schaue ich hinauf und habe keine Ahnung vom Lauf der Dinge; weiß nicht, wie es geht mit zu- und abnehmendem Mond, Großem Wagen auf dem Rücken oder auf den Rädern – und überhaupt mit dem ganzen Himmelskram.
Aber ich will gar nicht alles verstehen; ich glaube, das würde mir nicht gut tun. Vielleicht müsste ich auf das Staunen verzichten, wenn ich alles verstünde.
Doch habe ich Sinn für das Wahre. Will nicht sagen, dass Pizzamachen eine beinahe sakrale Handlung ist – doch ist sie der Inbegriff von Leben und Kultur, von Verstehen und Besinnung.
Weil aus Weizenmehl, etwas Öl und Wasser eine Materie entsteht, die echt ist. Die Urform des Glücks, das schlaraffige Gefühl des Versorgtseins, Gesättigtseins. Zwischen jedem Finger dicke Zitzen zum Auslutschen.
Ich träume von geilen Frauen, mit irrem Blick und trotzdem sanften Augen, die mich mit ins Bügelzimmer nehmen.
Statt die Wärter zu beleidigen und zu bespucken, betrage ich mich mustergültig, darf aufgrund meines Berufs in der Gefängnisbäckerei arbeiten und bekomme so die Möglichkeit, aus Kehrmehl, wenig Öl und Wasser einen flugfähigen Teig zu kneten.
Im Hof gebe ich oft kleine Vorstellungen. Die Männer staunen, wie unerwartet sich eine angenommene Flugbahn verändern kann, welche Varianten ein fliegendes Objekt bei geschickter Steuerung auszuführen vermag.
Und dann kommt mir die Idee mit dem Buch der Rekorde. Die größte fliegende Pizza der Welt! Das und nicht weniger. Ich steigere Teigmenge und Durchmesser. Jedoch reize ich meine Kräfte nicht bis zum Äußersten aus, sondern nehme einen zweiten Mann zu Hilfe. Gleich darauf einen dritten. Die Pizza hat jetzt einen Durchmesser von zwei Metern und fliegt besser als erwartet. Allerdings mit einer Einschränkung: Den Looping schafft sie bei dieser Größe nicht mehr.
Manchmal laufe ich mit Papier und Bleistift über den Hof, als wäre ich mit Berechnungen beschäftigt, doch kommt es mir auf die richtige Stelle an. Ich meine, zwischen den beiden Türmen müsste es klappen. Dann mach ich noch ein bisschen Kasperletheater, ziehe Schnüre vom Hofmittelpunkt zu den Seiten und vermesse sie, staple dabei drei leere Kisten übereinander.
Heute ist der große Tag. Reporter, Fernsehen und Aufnahmeteams sind angerückt, drängeln sich hinter Fenstern, in den Zonen für Besucher. Der Hof bleibt selbstverständlich gesperrt. Ich habe mein Kunststück so vervollkommnet, dass die Pizza wie eine riesige Fledermaus der von mir gewünschten Flugbahn folgt.
Die Gefängnis-Brass spielt aufgekratztes Zeugs, die Häftlinge stehen Spalier, und ich trete mit meinen drei Muskelmännern in orangefarbenen Trikots diszipliniert an.
Wir platzieren uns um den Teig, ich und die Drei mit ihren Schaufelhänden ziehen ihn gleichmäßig aus, mit viel Gefühl in ganz kleinen Schritten. Harte, kurze Trommelschläge in zunehmendem Tempo, Fanfare – die Musik würde auch zu einer Hinrichtung passen. Der Teig glänzt trotz der Schmutzpartikel und ist wundervoll zäh und elastisch zugleich.
Jetzt kommt er in Schwingungen, wir rennen im Kreis, dreschen mit flachen Händen auf ihn ein, immer schneller; wie ein Karussell beginnt er ein Eigenleben, fliegt aus reiner Freude, dreht und schwirrt wie ein Ufo. Flink wie eine Katze steige ich auf die Kisten und springe hinüber auf meinen fliegenden Teppich, verlagere mein Gewicht, steuere meine Wunderpizza durch die zwei Wachtürme hindurch, es schleift ein bisschen – na wenn schon! Und jetzt, Bomba Pomodoro! ist mir nach einem Looping zumute, doch ich bin schon froh, in einer Hecke zu landen. Nix wie weg, ich habe eine Mission!