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Pit der Stadtwächter

Beitritt
16.03.2005
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Pit der Stadtwächter

Die Nachtschicht:
oder: Pit, der Stadtwächter:

Er verbarg sein vernarbtes Gesicht
unter dem hochgeklappten Kragen des
langen Mantels, der ihm durch sämtliche
Nächte bereits treue Dienste geleistet
hatte. Er zog die Stirn kraus und strengte
sich gar nicht erst an, an etwas anderes
zu denken. Der kleine dicke Mann, der
kichernd das Wägelchen mit den Pesttoten
an ihm vorbei aus der Stadt hinausrollte,
schien den Getank mit einem ordentlichen
Schuss Selbstgebranntem ertränkt zu haben.
Nachdem Pit das Tor schleunigst hinter dem
humpelnden Suffkopf verschlossen hatte, hörte
er noch lange das Rumpeln und Poltern des Wagens.
Langsam schob sich sein Kopf wieder aus der
Versenkung hervor und er roch wieder die altbekannte
Mischung aus Kaminrauch und Räucherschinken, die sich
um die naheliegenden Häuser gelegt hatte. Beiläufig
verpasste er einer abgemagerten Katze einen Tritt,
die an einem vom Wagen herabgefallenen Ohr nagte.
Langsam schritt er vor dem Eichetor auf und ab,
betrachtete die Stadt, die vor ihm, wie in einem
kleinen Tal lag, umrandet von Wiesen und Wäldern.
Die Dunkelheit war nicht mehr fern und Pit entfachte
die zwei neben dem Tor stehenden Latüchten mit seinem Feuerholz.
Er fluchte lautstark, als eine der Lampen sich löste
und sich zischend auf seinem Lumpen ausbreitete. Eine
alte Frau, die sich in einen Kartoffelsack gezwängt
zu haben schien, blieb kurz stehen und blickte zu ihm
hinüber. Drohend erhob Pit seine Helebarde und fuchtelte
über seinem Kopf wild damit herum. "Gehe deines Weges,
altes Weib und gaff dir nicht deine verwaschenen Augen
an mir aus!". Erschrocken stolperte die Alte und konnte
sich gerade noch an einer Hauswand abstützen. Gerade als
sie erhaben einen ihrer drei verbliebenen Finger heben wollte,
ergoss sich der Inhalt eines Nachttopfes über sie, der
blindlings von einem Jüngling aus dem Fenster über der
alten Tröte gekippt wurde. Pit verschluckte sich fast an
seinem Lachen, als es lautstark an das Tor hämmerte.
"Einlass, ich gewähre Einlass! Zur Hülf ihr Leut" Der
metallene Riegel, der ein kleines Blickfenster öffnete,
ließ sich nicht so einfach beiseite schieben. Pit packte
mit Hand und Zahn an und riss den Riegel aus seiner
Verankerung. Lange Zeit, das Geschehen vor dem Tor zu
beurteilen hatte er nicht. Schatten huschten hin und
her und er vernahm, die flehende Stimme des besoffenen
Leichencheauffeurs. Unmittelbar darauf surrten Pfeile
durch die Luft, von denen einige an das Holztor knallten.
Kühn öffnete Pit das Tor und stellte sich breitbeinig in
den Eingang. Sofort stürzte ihm die fette Schweinshaxe von
vorhin entgegen und begrub den tapferen Wächter unter seinem
dezent durch den Aufprall mitschwingenden Körper. Ein
gezielter Hieb mit dem Dolchknauf zwischen Nasenbein und
Kleinhirn ließ die personifizierte Dickheit von Pit abweichen.
Erst jetzt, wo freie Sichtverhältnisse geschaffen waren,
erkannte er den zornig heraneilenden Bauerntölpel, der in
regelmäßigen Abständen mit Pfeil und Bogen unsicher um sich
feuerte. Mit seinem Fuß knallte Pit das Tor noch im Liegen
zu und vernahm nun die rauhe und zugleich sich stets ¸berschlagende
Stimme. "Wie oft habe ich dir gesagt, du sollst deine dämlichen
Toten nicht bei mir aufs Feld kippen. Denkst du das ist guter
Dünger, du fettes Schwein? Wenn ich auch nur einen einzigen
verfaulten Finger, oder den nächsten Fuß bei mir herumliegen
sehe, dann findest auch du dich schneller auf meinem Feld wieder
als dir lieb ist!". Nach dieser mitreiflenden Rede verleihte der
Bauer seinen Worten Nachdruck im wahrsten Sinne des Wortes,
indem er an die Stadtmauer urinierte. Vorsichtig öffnete Pit
das Tor und der beiflende Uringeruch zwang ihn, seinen Kragen
erneut aufzurichten. Er schickte dem Flüchtenden drei raunzende
Wachhunde hinterher und nahm sich schmunzelnd dem noch immer benommenen Dicken an.

Schnell war er wieder aufgerichtet!
Winselnd und vollkommen erschöpft blickte er Pit mitten zwichen die Augen.
Er wollte gerade auf die Narbe im Gesicht des Stadtwächters zeigen, als Pit
ihn aufklärte, dass jetzt Nachtruhe sei und er sich gefälligst zu trollen
habe. Pit hatte keine Neven für lange Geschichten.
"Vielen Dank Herr, dass war Rettung in aller höchster Sekunde.!"
Der Leichenkutscher wollte verbal ausholen, als Pit ihn anfuhr:
"Jaja, jetzt is' Sperrstunde, ich mach gleich dicht hier und er verkrümelt
sich jetzt besser zu Wein, Weib und Gesang, soweit Taler vorhanden!"
Pit packte den Leichenkutscher am Schlawittchen und zerrte ihn hinter die
nächste Häuserecke. Dort ließ er ihn fallen und ging zurück zum Stadttor.
Inzwischen war es Nacht geworden und die klamme Kälte zog langsam ein in die
Stadt. Nebelschwaden kreuselten sich an den Häusern vorbei und die kleinen,
kalten Finger des Nebelgeistes ließen auch Pit in seinem dicken Filzmantel
nicht in Ruhe. Wütend und vor Kälte sich die Hände reibend trat Pit an die
nahe Feuerstelle an dem Stadttor heran. Schnell entfachte er mit dem Rest
Reisig, welches er von einer nahen Hecke gebrochen hatte und zwei
Feuersteinen ein warmes Feuerchen. Plötzlich liefl ihn ein leichtes Reuspern
hochfahren. "Guten Abend Herr, wir sind zwei Edelmänner, die wohl gerne
durch euer gut befestigtes Tor schreiten wollen!"sagte der erste, fette, gut
gerüstete Mann. Neben ihm stand ein langer, hagerer Genosse, auch in Waffen.
Pit musterte die zwei von oben bis unten.
"Ich muss Euch nicht daran erinnern, dass der Stadtrat Sperrstunde verhängt
hat? Marodierende Horden ziehen wieder durchs Ländle! So packt euch mit
eurem Eisen und schwingt die Hufe in Richtung Kaminfeuer."
"Nun, ich denke wir sind euch eine Erklärung schuldig!" fing der lange
Gerüstete an.
"Wir kommen im Streit und wollen ausserhalb der Mauern unseren Zwist mit dem
Schwerte begleichen!"
"Trozdem kann ich euch nicht durchlassen, verschiebt eure Randale bis morgen
und geht saufen!" hakte Pit ein.
Das Gespräch verlief ohne weiterkommen, bis Pit und die beiden Kontrahenten
sich auf 20 Minuten geeinigt hatten.
"Also gut, 20 Minuten, länger nicht, dann kurble ich die Brücke hoch und
der Gewinner kann als Zugabe noch draußen pennen!"
Erleichtert dankten die Zwei und Pit entriegelte wieder das Stadttor.
Nachdem die zwei Streithähne weg waren drückte Pit die Türe zu und begab
sich wieder zu seinem Feuer, welches er mit noch mehr Reisig schürte.
Vor den Mauern ertönte plötlich wildes Geschrei und ein:"Ich mach dich
platt, du Ratte! Nie mehr besuchst du meine Hilde in der Nacht!" erscholl
laut über die Häuser. Aber der Schreier ernete nur ein rauhes Gelächter des
Anderen. Waffenklirren und Krakeele waren die Folgen des Streitgesprächs und
der Leichenkutscher war auch schon wieder vor dem Tor, begiert, mit dem
Verlierer ein letztes Geschäft zu machen. Pit sah das und wurde wütend. "Ja
Jesus noch eins, gebt ihr denn nie auf. Der gemeine Pöbel hält sich an
nichts, obwohl es seiner Sicherheit gilt." "Scher dich zum Teufel, du alter
Leichenfledderer sonst werf ich Euch den Ratten im Verließ zum Fraße vor!"
Panik machte sich beim Kutscher breit und er stahl sich von dannen.
Der Kampfeslärm vor den Toren hatte sich mittlerweile gelegt. Ein leises
Kratzen an der dicken Eichentüre verriet Pit, dass der Gewinner draußen auf
Einlass wartete. Pit entriegelte die Türe. Es war der lange, Hagere, der
sich durchsetzen konnte und nun unter Darbietung seiner letzten Kräfte in
den rettenden Schutz hinter die dicke Eichentüre wankte.
Das Kettenhemd hatte einige Ringe lassen müssen und um die Augen des Hageren
prangten zwei dicke Veilchen. Der Hagere warf Pit noch zwei Taler Trinkgeld
hin und schlurfe in den Nebel hinein.
Der Wächter nahm sie dankend, setzte sich erleichtert neben sein Feuer und
ruhe sich aus.

Der Wind schlawenselte um die knorrigen Vorplatzeichen und sang sein
erbarmungsloses Lied. Pit fühlte Unbehagen und warf den Rest des Gehölzes
in die wütende Glut. Aus der Ferne schmetterte es auf einmal einen unsäglichen,
dissonanten Blechklang gegen Pits Haupt. Der Schmerz nahm zu, je näher ihm der
Verursacher kam. Die Vögel verstummten und aus so mancher Fensterscheibe bröckelte
der Kit. Ein besoffener Barde kroch auf seinem Zahnfleisch die Strafle hinauf und
bediente mit seinem linken Zeh die Trulla in seiner rechten. Er ließ sich neben
Pit am Feuer nieder und wimmerte altgriechische Wortgeflechte herab, so dass es Pit
an den Haaren zog. Pit hatte genug, wie jeden Tag zu dieser Urzeit. Nach sorgfältigem
Abschätzen der hiesigen Situation, rupfte er seinen Dolch aus dem Hosenlatz und
fuhr dem alten Drückeberger unter die Gürtellinie. Gurgelnd stürzte der ledierte
ins gare Stockbrot. Pit kniff seine Augen zusammen und wehrte sich gegen die aufkommenden Gefühle aus Schuld und Unschuld. War dies ein erster Schritt, zur Selbstfindung,
oder war die Monarchie
seiner selbst die Unfehlbarkeit, die er jahrelang zu unterdrücken gewusst hatte?

 

Hallo Ragna

Ich hab jetzt mal deinen Text trotz dieser mehr als seltsamen Form (das solltest du unbedingt noch ändern) gelesen und muss sagen: ich bin begeistert :thumbsup: Eine wunderbare, anrührende oder durchaus amüsante Geschichte ist dir da gelungen.
Man erkennt, dass es nicht der erste Text ist, den du verfasst hast (wenn doch, dann bist du mit einem Talent gesegnet, auf das ich nur neidisch sein kann :D ) Leicht und flüssig geschrieben. Eine interessante und skurile Alltagssituation (zumindest vor 500 Jahren) aus einem interessanten Blickwinkel betrachtet.

Aber es ist keine Satire! (Mein Urteil beruht auf der Definition von Satire im Hauptthread dieser Rubrik) In "Historik" wäre sie wohl am besten aufgehoben, obwohl ich gestehen muss, dass es wohl keine adäquate Rubrik für diese Story gibt.

Einige wenige Textanmerkungen:

erhob Pit seine Helebarde
Hellebarde?

Plötzlich liefl ihn ein leichtes
ließ

Das Gespräch verlief ohne weiterkommen
Weiterkommen

Die Vögel verstummten und aus so mancher Fensterscheibe bröckelte
der Kit.
Ich glaub, da hast du nicht gründlich genug recherchiert. Fensterscheiben und Kit kamen wohl erst sehr spät(17-18Jh?) beim einfachen Volk im Mode. Bin mir nicht sicher, obs da noch LEichenkarren und Stadttorwächter gab.


Fazit: Wunderschön zulesende historische Geschichte über die allabendlichen Probleme eines eindamen Torwächters. Gerne mehr (in adneren Rubriken)


gruß
Hagen

 

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