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Pisco Sour
Wir kennen uns nicht. Doch wir sehen uns. Flüchtig nur, weil wir Reisende sind.
Dann kommt die nächste Bucht, wir verlieren uns aus den Augen. Durch weißbeschissene Inselchen manövrieren wir, gehen vor Anker und warten auf Fracht. Zeit, den Pelikanen zuzuschauen. Wie sie im Sturzflug fischen, weiterziehen in strenger Formation, der Chef allen voran. Irgendwann tauchen Schaluppen auf, wir machen die Ladebäume klar.
Die Straße weiter oben macht einen Schlenker ins Hinterland, kehrt aber, sobald die Felsen es gestatten, zur Küste zurück – stets auf der Höh‘, um einen Unterschied zu wahren, sich abzugrenzen vom profanen Leben unten am Meer. So bietet sie ihren Nutzern Fernblick und erhabene Gefühle, wie sich das für eine Traumstraße gehört.
Ja, guckt nur auf uns. Wir haben einen Traumberuf. Sammeln an dieser tristen Küste alles ein, was stinkt, doch in Europa viel Geld bringt, das nicht stinkt. Das landet leider nicht in unseren Taschen. Wir kriegen nur soviel, dass es für die Mädchen reicht und für einen guten Schluck.
Doch wir verdienen uns etwas dazu.
Die oben an der Panamericana haben ihre Sauf- und Fickschuppen, die sich ‚Bar‘ und ‚Cafè‘ nennen, und deren Schein nachts wie falsches Nordlicht am Himmel steht. Wir am Hafen haben Ähnliches, nicht ganz so strahlend, und auf ‚Bar‘ und ‚Café‘ wird verzichtet.
Das sind zwei Welten: Wir hier unten im Blaumann, mit der ‚Havelland‘, dem breitarschigsten Dampfer der Welt, kurz vor der Verschrottung. Gerade noch gut genug für Fischmehl und Vogelscheiße, pardon: Guano klingt besser – und dort die Harleys und Motoguzzis, Lederjacken und Cowboystiefel.
Hin und wieder begegnen wir uns in den größten Bordellen der Küste, geredet haben wir noch nie miteinander.
Mich stört, dass die keiner geregelten Arbeit nachgehen und trotzdem ein Luxusleben führen. Brettern durch die Gegend, scheren sich um nix. Sind vielleicht mit dem goldenen Löffel im Mund geboren, oder Kriminelle, durch einen geglückten Bruch zu Geld gekommen. Oder Lebenskünstler.
Vielleicht sollten wir mal raus aus dem Hafendunst und bei den Herrschaften dort oben ein Bier trinken?
Antofax, eigentlich Antofagasta. Wir machen fest. Wie immer endlose Reihen gestapelter Weizensäcke auf der Pier, unter freiem Himmel. Hier regnet es nie.
Als es dunkelt, taucht eine schmucke Barkasse auf, ‚Aduana‘, der Zoll. Bruno in seiner Funktion als Zahlmeister und ich, der Bootsmann, gehen den uniformierten Herren entgegen und bitten an Bord. Die sind schon seit Jahren unsere besten Kunden. Sie zahlen weniger, doch bei Geschäften mit ihnen gibt es kein mulmiges Gefühl, der ganze Laden könne auffliegen.
Kräftige Jungens werfen einander die Kartons zu, Marlboro und Johnnie Walker. Die wandern wie bei einem Förderband von der Havelland zur Aduana. Die Herren zahlen mit Dollars, echten und falschen.
Aber die werden wir beim Goldkauf in Peru wieder los. Müssen nur schauen, dass man uns nicht bescheißt.
Nachdem wir uns schöngemacht haben, turnen wir die Gangway hinab ins Vergnügen.
Erst mal Vorglühen bei Arnoldo.
Wir hocken uns an den Tresen. „Dos Pisco Sour, por favor.“ Hier gibt‘s den besten: Süß, sauer und berauschend wie das Leben, sagen die Chilenen.
Arnoldo ist groß und hager, ergraut und gebeugt. Komischer Kauz, lässt sich nicht anmerken, dass er uns seit Jahren kennt. Er füllt den Shaker mit Traubenbrand, Rohrzucker und Limette und beginnt zu schütteln. Während alle Welt das elektrisch macht, zappelt er hinter seiner Theke und shakt und shakt. Wir bekommen unsere Drinks, auf den Schaum etwas Angostura, und Arnoldo schüttelt immer weiter, ohne Shaker. Nur wenn er sitzt, gibt dieser Tick Ruhe.
Wir bleiben nicht lange, wollen oben mal einen Blick riskieren.
Trotz unnötiger Raserei kommen wir gut an und der Taxista bekommt seine dreißig Escudos – sechzig hat er gefordert.
Alles hell und grell, Ami-Style, Neon statt Sterne, ein Laden neben dem anderen.
Es röhrt und ballert; ein Burnout will Aufmerksamkeit. Schwarzer Qualm zieht ab zum Ozean, es stinkt nach verschmortem Gummi. Alles ist in Bewegung, fetzige Klänge aus jeder Jukebox. Man lässt die Motoren brüllen, dreht eine Runde, trinkt weiter.
Im ‚Cactus de la Reina‘, mit einer nackten Gekrönten, die genussvoll auf einem Kaktus sitzt, trinken wir zwei schlichte Bier. Die Kundschaft ist männlich, sehr männlich mit allem, was dazu gehört. Die drehen ihren eigenen Film. Wir bestellen noch zwei, mokieren uns über Sonnenbrillen bei Nacht, Winnetou-Lederkostüme mit Fransen, schwarze Schlapphüte.
Asphalt-Cowboys halt. Nicht unsere Welt.
Wir wechseln das Lokal, gehen dahin, wo die meisten Leute reingehen – ins Atacama-Café. „Coño!“, sagt Bruno, „Wo sind wir denn hier gelandet?“ und streckt wie ein Fremdenführer beide Arme aus, um mir all das zu zeigen, was er zum ersten Mal sieht: Kreuze aus Holz, Hunderte, wenn nicht Tausende – auf sandfarbenen Wänden und Decken, überall, wohin man schaut. Die Bedienung ist als Skelett geschminkt.
„Hör mal“, ich knuffe Bruno in die Seite: „Ist das als Anmache gedacht, von wegen ‚Habt noch ‘n bisschen Spaß, ist eh bald vorbei?‘“ Doch der ist woanders:
„Eh“, sagt er, „die Weiber sind echt hübscher als bei uns unten.“
„Die werden auch andere Preise haben“, gebe ich zu bedenken.
„Ist mir heute egal, ich krall mir eine. Mensch, die da drüben in Schwarz – da flipp ich aus.“
Sie hat seine Kopfbewegung richtig gedeutet und kommt zu uns. Jetzt gehen auch mir die Augen über. „Allmächtiger, was für ein Weib!“, entfährt es mir. Eine Schönheit, ungelogen. Und zu haben, echt. Ich brauche etwas zu trinken. „Bruno, ich hab Brand. Und du?“
„Bin am Verdorren. Ob unsere Schöne auch …?“ Da hält sie uns schon die Hand hin: “Selma.“
Bruno sagt „Bruno“ und ich sage „Rudi.“
Sie möchte Champagner. „Okay“, Bruno winkt dem Barmann: „Two beers and a glass of champagne!“
Ich bin noch dabei, Selma zu scannen, da sagt sie: „We better should have a bottle of champagne because we are three.“
„Fine idea. Was meinst du, Bruno?“
„Das ist eher eine Scheißidee. Guck mal, was da steht!“ Er zeigt auf die Wandtafel über der Theke. Ich muss meine Augen von Selma lösen – und lese ‚Botella de Champagne 495 Escudos‘.
Bruno sagt: „Lass uns mal abhauen, die sollen es sich selbst machen. Bin doch nicht verrückt. Fünfhundert Eier für Wein mit Sprudel. Am Arsch lecken.“
Während seiner kernigen Rede schiebt er mich zur Tür, ich nuschle: „Sorry, Selma, too expensive.“
Sie nimmt‘s leicht und erwidert: „Cheap things no good.“
Trotzdem kriege ich unten für fünfhundert Piepen zehn Weiber.
Wir trinken uns durch einige Läden, doch irgendwie ist uns der Sinn auf einen flotten Abend abhanden gekommen. Viel Volk schiebt sich über die heiße Meile, alle möglichen Typen, vom versteinerten Schotten in Inkatracht und hackevoll, bis zu Mister Galloway, dem Büffelhörner gewachsen sind, der aber auch Quechua spricht. Trotzdem spüren wir, nicht dazuzugehören. Diese Leute sind auf einem anderen Trip. Und statt dich anzuschauen, blicken sie durch dich hindurch. Bruno meint: „Reisen scheint deren Religion zu sein. Die ewig Suchenden. Das muss man sich aber leisten können. Suchen kostet.“
„Familie auch“, kontere ich.
Wir gehen noch paar hundert Meter, vorbei an aufgedonnerten Motorrädern und Jeeps, die Sinne zugeschmiert von zuckenden Lichtern, Radau, affektiertem Gehabe und Dröhnmusik.
Wir pflegen unsere Zerknirschung, auf diesem Pflaster haben wir nichts verloren.
Ein Taxi zu finden, ist schwierig; unser Freund ist der einzige, der momentan zur Verfügung steht. Er will die sechzig Escudos im Voraus.
Unten hängt Brackwasser und Plumpsklo in der Luft. Wie klebriger Atem legt sich das auf die Haut, heute auch auf die Stimmung.
Die meisten Kneipen sind schon zu, nur ‚Arnoldo‘ und ‚Taifun-Maria‘ haben noch offen. Gehen wir also zu Maria.
„Ruudii!“, schreit Maria ganz außerm Häuschen, ein Glas klimpert, sie schwebt um den Tresen herum auf mich zu. Ich weiß gottverdammt nicht, warum ich immer bei ihr lande.
Aber ich hab‘s nötig. Kann an nichts anderes denken. Ob ich ficken will oder muss, weiß ich nicht. Mit Sofia, Belinda, Rosalia – auch scheißegal. Jedenfalls komm ich bei Maria immer auf meine Kosten. Fast wie zuhause. Nein, Blödsinn, ich liebe meine Frau. Aber verdammt, ich bin vierzig!
Ein Vierteljahr an Bord, die Waschfrau von Laboe grüßt von der Wand, unten ohne.
Was hat denn das mit Untreue zu tun? Ich bin doch eher ein Hund, und wenn ich an Land gehe, sind alle Hündinnen bereit. Ja, sicher muss ich sie bezahlen, man muss immer bezahlen, verdammt noch mal. Wie soll ich das alles klar kriegen, mit diesem Druck, der blockiert das Denken – und dem Verlangen, das zur Gier wird, zum Muss. Vielleicht noch zur Sünde … - Aber ich bin doch nur ein ganz normaler … Unbeherrschter, würde ein Pfaffe sagen.
‚Nein!!‘, würde ich ihn anschreien. ‘Ich bin nicht unbeherrscht! Dieser Trieb beherrscht mich – und ich habe ihn mir nicht gewünscht.‘ Sollen sich an die eigene Nase fassen.
Maria bugsiert mich zur Treppe, wir verschwinden nach oben. Bruno ist eingenickt. Good fellow. Ich lege mich auf sie, sie hält dagegen. Schöne Titten hat sie, immer noch, nach all den Jahren.
Ich muss mich richtig abstrampeln, der verdammte Abend hätte ganz anders anfangen sollen.
Sonnenbrillen bei Nacht! Guano ein Leben lang. Ein Gecko an der Wand.
Bin verschwitzt, die Dusche funktioniert nicht. Ich lege das Geld auf den Nachttisch, schmatze ihr einen Freundschaftskuss auf die Wange und ziehe die Tür hinter mir zu.
Unten packe ich Bruno, der lammfromm mit mir kommt und sagt, dass er ganz trockene Lippen habe.
Wir stolpern über gerissenen Beton, gehen Richtung Pier, im bläulichen Licht der Gaslaternen atmen wir Schwaden von Schweröl und Fischabfällen.
„Hola“, sagt jemand. Wir drehen uns um.
„Dinero, Dollares!“
Wir sind zu verdattert, um zu reagieren.
„Venga, venga!“, drängen sie, „ Àndale!“ Sie sind zu dritt. „Todo el dinero!“
Ich bekomme einen Schlag von der Seite und gehe zu Boden. Der zweite Schlag trifft mich auf die Stirn. Auch Bruno stöhnt. Wir hören Motorradlärm, der schnell näher kommt.
Ich verspüre hastige Griffe in meine Jacke, jemand will den Brustbeutel abreißen, das Kettchen hält, doch es würgt mich. Flüche, ein, zwei Tritte, jetzt voll im Scheinwerferlicht. Bremsen quietschen, die Ganoven verschwinden im Dunkeln.
Halb rappeln wir uns wieder hoch, halb helfen uns die beiden Ledermänner auf die Beine.
Sie holen Verbandszeug und verarzten uns, so gut es eben geht.
„Oh, Scheiße. War echt knapp.“
„Haben sie bei uns auch schon versucht, wir sind aber alle vernetzt, da klappt das nicht so einfach.“
„Auf jeden Fall besten Dank, das war wirklich Hilfe im allerletzten Augenblick.“
Ich schaue beide an: „Ihr wart doch im 'Atacama'?“
„Ja, waren wir. Ihr wart ja auch da. Irgendwann hatte Raymond die Idee, mal runter zum Hafen zu düsen. Bei ‚Arnoldo‘ sind wir dann bisschen versackt. Ich hab noch nie jemand so zappeln gesehen.“
„Und ihr fahrt die Panam hoch und runter?“, fragt Bruno etwas übergangslos.
„Bloß runter bis Punta Arenas, dann ab in den Flieger.“
Raymond fügt hinzu: „Dann muss wieder Geld verdient werden.“
„Und was macht ihr so?“
„Piero hat ein Zahnlabor, ich bin im IT-Geschäft.“
„Aha.“ Ich muss passen, Bruno beantwortet seine Frage selbst: „Klingt nach guten Einkünften?“
„Es geht. Wir geben zu viel für Reisen aus, aber das ist unser Ding.“
„Bei uns ist es umgekehrt: Wir reisen, um bisschen was zu verdienen.“
Wir tauschen noch ein paar Belanglosigkeiten, Raymond zeigt auf die Havelland am Ende der Pier: „Ist das euer Schiff?“
„Ja“, sagt Bruno, „ist es nicht wunderschön?“
„Keine Frage, wahrhaftig eine Schönheit“, antwortet Raymond – Piero fügt hinzu: „Mit paar Sommersprossen“, und zeigt auf den Sozius. „Ich würde sagen, wir fahren euch!“
Wir zieren uns nicht, es war eine lange Nacht.
Hundemüde hangeln wir uns die Gangway hoch. „Mensch, Bruno, das hätte ich mir nicht träumen lassen, dass wir mal mit denen spazierenfahren.“
Irgendeine Sirene geht los, lächerlich angesichts des Pazifik, der eins mit dem Himmel ist.
Pazifisch gesehen habe ich schwer einen im Kahn. Die ganze Nacht um die Ohren geschlagen – für beinahe nichts. Nur der Not gehorchend, oh Mann.
Da kommen sie wieder an: Der Commandante geht mal hoch, mal runter – und der ganze Verein fliegt brav hinterher in Ernst und Würde. Vielleicht sollte man Menschen so betrachten: belustigt, aber respektvoll. Wenn ich je mit besoffnem Kopp in eine Tattoo-Bude gerate, lass ich mir einen Pelikan stechen.