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Pinocchio

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28.01.2003
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Pinocchio

Vom kurzen Leben des Pinocchio

*Pinocchio malt sich seine bäumischen Ursprünge aus, gedenkt seiner Ahnen und seines Schlages.*

Tief im immerdunklen Grün, an Wurzelnagern und Rindenbrechern vorbei, vorbei an Dumpfem, Schlauem, Gierigem und Halberwachtem, vorbei an angstgeschwächten Wesen und lustvoll mächtigen, durch zarte und halbgöttisch starre Irrwege treibt es mich oft. Treiben meine Sinne und Gefühle meinen fleischgewordenen Geist, martern, beschenken ihn mit ewiglichen Dunkelgrün. Andere, sanfte Bande knüpfen mich an knorrig ächzende Gesellen; deren Leiber Schnee, Wind, Höhe trotzen; denen Wunsch einzig Wille, Wille kein Wunsch, Wille Kraft und Kraft beständiges Leben sind. Auch wandle ich zwischen jenen - durch gehäufte Trauer, Todestränen – erlahmten, glänzenden, erhöhten Seelen, wandle hin zu trockenen Einzelgängern, zu sperrig Wehrhaften, unter scheinbar unbezwingbaren Bezwungenen, reibe mich an Starken, fasse die Spröden und richte die Krummen. Tock, Tock. So sei’s: Schritte müssen ihren Weg durch das erdig duftende Moos gefunden - sei’s nicht Moos, sei’s knöchernes Gerappel, sei’s wucherndes Flechtwerk, sei’s beißendes Gestein, sei’s drum – Schritte müssen ihren Weg gefunden haben. Hände legten Hand an, Hacken hackten, Beile begruben sich selbst tief, genau und zügig. Einerlei, nichts weiß ich davon, viel meine ich zu erahnen, mehr noch male ich mir aus. Allerlei Tock, Tock und Tack, Tack und Krachen und Knacken glaube ich noch zu hören, sobald es still um mich wird. Unbestimmt bleibt der Fall, unbestimmt meine Träume, Hoffnungen, Sehnsüchte, Leiden, Lüste und Ängste zuvor, davor. Unbestimmt bleibt alles vor diesem, jenem ersten Schnitt, in Ewigkeit. Amen.

*Pinocchio berichtet von seiner Geburt durch Schnitzen*

Aus dem ungreifbaren Nichts heraus, so will es mir heute erscheinen, begann mein Dasein. Hinter meinen jetzt festgestellten Augen, meinen ebenso festgezurrten Ohren – mein Blickfeld überschreitet nur noch im Geiste die Grenzen jenes Kreuzes – sammeln sich die einst ungefangenen und umherirrenden Eindrücke. Formen sich in solch innerster Freiheit, welche nur den Bewegungslosen teil wird, welche mir letztlich allen Zweifel an Wahrheit und Vollständigkeit verwerfen wird, welche mich endlich ganz gemacht, vereint hat, formen mir also die Eindrücke das Bild meiner Entstehung. Doch gleich mit welcher Anstrengung ich suche, gleich wie weit ich mich im Beginne treiben lasse, nichts kommt mir vor dem ersten Schnitt. Dumpf hallte, pochte, schwang und stürmte er in mir nach. Bedrängte mich, verstand ihn nicht, fürchtete nicht mal sein Drücken und Packen. Denn nicht die Klinge stach, es stach mich das Licht. Nicht die Spitze bohrte, mich bohrte das Sein. So, mit jedem geraubten Stück, mit jeder gefallenen Faser, mit jeder zerschlissenen Rundung und jedem durchtrennten Ring. Durch jeden Handgriff, jeden Grob- und Feinschnitt, durch Schleifen, Schmirgeln, Glänzen und Polieren. Unaufhaltsam, also, zielstrebig und unaufhaltsam, willentlich, wissentlich und unaufhaltsam, so also, verblaßte mir das Ungewisse, in Ewigkeit. Amen.

*Pinocchio beschreibt seinen Meister*

Dann und wann, wenn auch der letzte Schritt verhallt, das letzte Stöhnen erstickt und das letzte Mondlicht verdeckt sind, wenn Stille und Dunkelheit mir meine Ketten lösen, gleite ich zurück und betrachte mich selbst. So eindrücklich, als ob Zeit keine Grenzen zu setzen vermag, so genau, als wäre es nicht mein Geist der da blickt, so scharf und klar sehe ich mich regungslos, auf jener Bank verharrend. Die Glieder noch stumpf und unbeweglich, der Körper massig, rund, einzig im Gesichte bereits haarfein geschnitten, liege ich regungslos, auf jener Bank verharrend und erwarte, dulde die Schnitte - unfähig sie zu begreifen. Ebenso klar und lebendig wirkt mir mein Meister. Sein Meer aus dunklem, vollem Haar, das keine Grenze zwischen Haupt und Bart erkennt, zwar jeder Bewegung, aber keinem Willen folgt. Seine eindringlichen Katzenaugen, die fest und frei von allem Glas auf meinen groben Gliedern liegen. Seine matte Stirn, leichte, hohe Wangen, die weder Lächeln noch Alter, dafür Zuneigung und Anstrengung verraten. Kräftige, warme Arme und Hände, die umfassen, halten und führen, ohne Zittern, ohne Fragen. Eben so lebendig wirkt mir mein Meister, als könne er jeden Augenblicke zu mir heraufschauen, sich an künftiges, vergangenes erinnern, mich für meine Dummheit schelten, über mein Unglück, vergebene Liebesmüh, kostbare doch vergangene Zeiten weinen. Als könne er mit verkniffenen, bleichen Lippen, das Gesicht zur Maske der Enttäuschung gezogen, zu mir heraufschauen und leise verbitterte Anklagen erheben. Doch nie unterbricht er sein Werk, nie verklärt sich seine Miene, nie verlassen seine schwarzen, tiefen Katzenaugen mein unfertiges Ich. Nie wieder ergattere ich seinen Blick, kein Lob, keine Wärme, kein Schutz, kein Rat, keine Furcht erreicht mich mehr von ihm, bis in alle Ewigkeit. Amen.

*Pinocchio beschreibt seine Geschwister und die Nähe seines Meisters*

Schließlich gab er mir vom ersten Moment an das, wonach ich glaube verlangt zu haben. Nähe - das kleine Haus bestand nur aus drei kargen Räumen, von denen die Werkstatt der weitaus größte und vollste war, einem durch Haken, Ösen, schmutzigen Stoff abgetrennte Schlafkammer und einem geräumiger Holzofen. Nähe zwischen anderen Puppen, in anderen Werkstadien. Zwischen klumpigen Körpern, halbgeschnitzten halbgedachten Zügen, kopflosen, leiblosen, geistlosen anderen Puppen. Nähe also, die er mir mit schweren, rastlos in alle Richtungen ziehenden Schritten erhielt, Nähe also, die er beliebig im Schlaf verkleinern, wach erhalten, und vergrößern konnte, sobald er an mich herantrat. Wenn er mich zugleich väterlich und fachmännisch betrachtete, abschätzte, bewegte - noch hatte ich nicht versucht mich selbst zu regen – betrachtete, bewegte und berührte. Das, wonach ich glaube verlangt zu haben. Wenn er neben mir stand, den Blick glasig weit gerichtet, durch mich hindurch, hinweg in andere Welten, die meine Hand fest in seine geschlossen. Das, wonach ich glaube verlangt zu haben. Wenn er neben mir saß, meinen Kopf fest an seine Brust gedrückt, mich fest in den Armen - Unverständliches jammernd und bitterlich weinend. Das, nachdem er mich festhielt und unverständliches stöhnte. Das, wonach ich glaube verlangt zu haben, gab er mir vom ersten Moment an. Unausweichlich.

*Pinocchio erwartet Erklärungen*

Und weil ich nichts verstand und nichts verstehen wollte, weil ich war und nicht sein wollte. Weil ich nichts unternehmen, nicht reden, nichts regen konnte. Weil ich, weil alles, weil ich und alles war, weil alles war, wie es war. Eben weil ich war und bleiben wollte, wartete ich bis er schwach, blaß und gekrümmt - die Ellenbogen auf die Knie gestützt, das Gesicht tief in seinen Händen vergraben - den ganzen Tag noch kein Wort von sich gegeben, kein Schnitzer getan hatte. Meinen Kopf seitlich, regungslos auf dem schweren Arbeitstische, die eine Hand am Rücken, die andere schlaff vor mir herunterhängend, wollte ich mich aus seinen Augen lesen, aus seinem Mund bestätigt wissen. Meinen Kopf seitlich, regungslos auf dem schweren Arbeitstische, betrachtete ich die tiefen Falten, die das wenige, dichte Licht unter seine Augen, seine Nase, neben die Mundwinkel trieb. Betrachtete und wartete darauf, daß er doch noch spräche, betrachtete und folgte jeder Falte, ob ihn nicht doch eine Regung verriet, ob er nicht doch - unhörbar leise und vor mir versteckt - ein Wort an mich richtete. So wie ich wartete und genauestens betrachtete, wartete, betrachtete, folgte und hoffte, so wie ich meine Hand am Rücken regungslos und unbewegbar hielt, so stieß er - gekrümmt, weil sein Kinn immernoch in den Händen ruhte, blaß und gekrümmt weil der Ofen – stark geschürt – ihn nicht von allen Seiten wärmen, von allen Seiten schützen konnte, - so stieß er, weil er schwach, blaß und gekrümmt dasaß, Puppe um Puppe in den Ofen.

*Pinocchio erhält Einsicht*

Schnell sind dunkle Ahnung, ungedachtes und Vermutung auf's trefflichste vereint, sind Bilder - meist schemenhaft, oft klar - dem eigentlichen Hergang so weit voraus, daß niemand - nicht der Narr, der Lebendige erst recht nicht - sie nachträglich zu trennen vermag. Einzig dem ungebürlich störrisch Nichthaben-, Nichtwünschenwollenenden, welcher weder Jetzt noch Später kennt, mögen Vorstellung und Angst, mögen beide Regungen so fremd, so unbestimmt sein, daß er sich viehisch seinem Los ergibt. Mir jedoch vermengt sich eins ums andere. So will ich an meinem Meister zugleich befreit verzerrtes Lachen, liebesleidendes Grinen, tollwütig aufgedrehte Lippen auf tränenbenetztem Grund gesehen, will im Halb- und Dämmerlichte Stoßseufzer wie Flüche vernommen haben. Glaubte ihn erstarkt, erschwacht, aufgebäumt und versunken zu sein, ein stetes Ringen und Zerren zu vollführen. Ein Drängen und Weichen in dem, Mal um Mal, kräftig gediehene Knabenkörper, zarte junge Mädchenbrüste, Ungeborene wie Ungesehene ganz und gar den Flammen wichen. Will sein Gesicht zwischen Feuerhieben und Funkenstößen zu mir gewandt, mir - kein Wort von sich gegeben - Grund und Krönung seines Ausbruchs zugewiesen wissen.

*Pinocchio folgt seiner Einsicht*

Und weil ich, weil alles, weil ich und alles war, weil alles war, wie es war. Weil ich war und sein wollte, weil ich verstand, verstehen wollte. Eben weil ich war und bleiben wollte, wartete, zögerte ich nicht mehr, als er mit langen schweren Schritten zu mir herübertrat. Zögerte ich nicht, als kräftige, warme Arme und Hände nach mir griffen, mich umfaßten, hielten, mich zum Ofen führten. Zögerte ich nicht - mein Gesicht zwischen Feuerhieben und Funkenstößen - zögerte ich nicht die fette Glut in sein Gesicht zu werfen! Zögerte ich nicht den lodernden Scheit hintendrein zuschlagen, zögerte ich nicht - halb versengt und selbst verkohlt - weiter, immer weiter auf ihn einzuprügeln! Zögerte ich nicht alles Drängen und Weichen bis in alle Ewigkeit, ein für alle Mal aus ihm herauszuhacken.

*Pinocchio bezahlt für sein Handeln*

Wenn all meine Gedanken, lustvoll-lustlos in wirren Trauertiefen siechend den Dienst versagen, mein eigen Holz mir schwer und unnütz modernd verkommt, mir Verlust und Aufgabe in dunklem Todesflor entgegentreten. Wenn ich schlichtweg alles aus unnützen Rippen gebrochen, aus bitter-trockenem Staub geklumpt wäge. Wenn mir der Rest meiner freien Welt in den Händen zerrinnt. Wenn ich kraftlos bin. Wenn ich sterben will und es nicht kann. Wenn mir aller Ausweg und Flucht versagt bleiben, stößt es mich, stosse ich mich zurück auf den Beginn. Stosse ich mich zurück zu mir. Wie ich stosse, schlage, halb im Rausche, halb und völlig ganz verzweifelt. Er in Blut und Glut vermengt, ich die Knochentrommeln rührend. Er sein Gesicht abgekehrt, meins hölzern starr und unverzogen, aufgeschnitzten Lippen zu sinnlichem Lachen gezwungen. Erfüllen mir dumpfe Schläge meinen Kopf, klingt mir mein Stöhnen. Löschen mir seine Tränen meinen Lebensmut. Kein Wort von sich gegeben, keine Miene verzogen, keinen Schnitzer mehr getan. Hob sein Haupt zum letzten Mal, hob zum letzten Worte an. Hob zum letzten Worte an mich an und erstickte es in seinem Blut. Erstickte es in seinen Tränen, so wie er alles sonst erstickte.

*
Nach endloser Reise ins Jammertal,
ziellosem Irren ins tiefste Gebälk,
bleibt alle Hoffnung leer und fahl.
'S wird Zeit, daß die Entscheidung fällt.

Alle Zeit vergeht. Nur Zweifel bleibt, besteht.
Weil´s mir jeden Grund und Sein zergeht,
und weil alles unbestimmt, ungreifbar ist,
und mir weder Ruh´ noch Klarheit lässt:

Weil ich das Leben nicht erwählte,
nichts finden kann, was mich erhält:
Da in mir drin nur starre Kälte
ist:
Schreit' ich zurück in meine Welt.

Holz zu Holz und Dreck zu Dreck,
ich für mich und ihr für Euch,
raus aus Eurem Waldversteck,
macht mich wieder zu Gesträuch!

Dornenkraut an mir herauf!
Kleingetier nimm Deinen Lauf!
Moos, heran, auch Dir Dein Stück!
Auf auf, zernagt mir mein Unglück!

Denn alles Lieben war zuviel,
weil Liebe niemals lieben will!

 

Ich muss gestehen: Ich hab's nicht geschafft, Deine Geschichte durchzulesen. Bis Mitte des zweiten Abschnitts bin ich gekommen, dann habe ich gemerkt, dass das sprachlich und stilistisch nicht mein Ding ist. Das meiner Meinung nach treffendste Wort verwendest Du selbst in der Mitte des ersten Abschnitts: sperrig. Das trifft die Sprache dieser Geschichte ziemlich genau.
Sorry, dass ich nicht mehr dazu sagen kann, denn ich habe praktisch nichts begriffen. Vielleicht mangelt es aber auch nur an Konzentration.

Uwe

 

Hi Uwe,

danke, daß Du den Text nochmal ausgegraben und an mich gedacht hast ;)! Im Prinzip hast Du recht, mein Satzbau ( besonders zu Anfang ) ist sperrig, weil ich viel einschiebe. Normalerweise steht bei mir an erster Stelle die Lesbarkeit, aber hier gehört es zur Stimmung. Ließ Dir den Text mal laut vor, dann merkst Du, daß ich diesmal mehr auf Takt und Satzmelodie geachtet habe. Besser, verschieb das auf später und überspringe die ersten beiden Abschnitte, denn glaub mir, der Text ist kein Experiment und es lohnt sich ( meiner Meinung nach ) ihn zu lesen.
Probier´s aus. Und wenn Du dann immernoch enttäuscht bist, schicke ich Dir ein Überraschungsbuch zu. Ehrlich.

meine Verehrung und tief in Deiner Schuld,
Leif2

 

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