Piepskonzert
Aus einem Behandlungsraum drang ein anhaltendes Piepsen. Die Schwesternhelferin, auf der Suche nach einen Untersuchungstermin für mich, unterbrach ihre Nachforschungen im Terminkalender. "Einen Moment bitte, ich muss nur eben mal das Gerät abstellen."
Kaum war sie wieder erschienen und hatte sich auf ihrem Stuhl eingesessen, kreischte ein Wecker. Diesmal sprang sie wortlos auf und enteilte in einen anderen Raum.
"Ganz schön viel zu tun?", fragte ich sie nach ihrem Wiederauftauchen.
"Ja, eine Kollegin ist kurzfristig krank geworden und die andere ..."
Weiter kam sie nicht, weil sich jetzt ein Telefon mit seiner Melodie heranschmeichelte. Tapfer versuchte sie, meinen Termin zu fassen zu bekommen, aber dann gab sie doch auf und widmete sich dem andauernden Gedudel.
Während ich dem einseitigen Gespräch lauschte und versuchte, herauszubekommen, worum es ging - so gestalte ich mir die üblichen Wartezeiten in den Arztpraxen interessanter - erinnerte ich mich an eine Zeit, in der unsere Kinder noch klein waren.
Unsere beiden Mädchen waren keine zwei Jahre auseinander und spielten wie ein Herz und eine Seele miteinander. Wenn ich ihren Gesprächen zuhörte - anscheinend lauschte ich schon damals gerne - hatte ich allerdings eher das Gefühl, sie spielten nebeneinander. Aber ich konnte in Ruhe meiner Arbeit nachgehen und brauchte mir keine Sorgen zu machen, bis - ja, bis mein Telefon klingelte. Ich kam nie über die Begrüßung hinaus.
"Papa, ich hab Durst."
"Papa, hilfst du mir mal?"
"Könnt ihr bitte einen Augenblick ruhig sein, Papa telefoniert."
"Ich will auch telefonieren."
"Erst bin ich dran, du warst letztes Mal."
"Ist ja gar nicht wahr, du hast dreimal als erste mit Mama telefoniert."
"Kinder, streitet euch nicht, Mama ist nicht am Telefon und ich möchte jetzt wirklich in Ruhe telefonieren."
Das war das Stichwort für eine ausgewachsene Balgerei der beiden, die erst durch Abbruch des Telefonats, Verteilen von Küsschen und Pflastern sowie ein Eis aus der Kühltruhe beendet werden konnte.
Als ich meinen Arbeitsplatz nach Hause verlegt hatte, um die Kinder nachmittags zu betreuen, war mir nicht bewusst gewesen, wie viele Telefonanrufe ich im Laufe eines Nachmittags bekommen würde. Wenigstens lernte ich recht schnell und schon nach wenigen Wochen hörte ich die Kinder gar nicht mehr, wenn ich telefonierte. Nur einmal hatten sie es geschafft, in die Küche zu gehen und dort an den Knöpfen der Geräte herumzuspielen, bis ein nervtötendes Gepiepe ertönte. Es handelte sich aber nur um die Zeitschaltuhr des Backofens und dieser Vorfall löste auch keinen Lerneffekt bei den beiden aus.
Aber heute, wo alle möglichen Geräte piepen, schnarren, summen oder sonst welche Geräusche von sich geben und wir sofort loseilen, um ihrer Mahnung Folge zu leisten, würde es mich nicht wundern, wenn Kinder auch bald anfangen. Nachdem bereits das Lesen nur noch eine sehr geringe Rolle spielt, findet ja auch das Sprechen weitgehend nur noch im Fernseher statt. Die zwischenmenschliche Kommunikation besteht überwiegend aus "Hmm" und "Ähh" - in Extremfällen von einem "Lass mich bloß in Ruhe" abgeschlossen.
Kinder lernen schnell, also brauchen Sie nicht zu staunen, wenn demnächst im Supermarkt nicht nur der Brötchen-Backschrank gongt, sondern auch das Baby, das seinen Schnuller verloren hat. Und vor dem zu hoch angebrachten Süßigkeitenregal erschallen die unterschiedlichsten Aufmerksamkeit und sofortiges Eingreifen heischenden Töne.
Wir brauchen unbedingt eine Klingel-Konvention. Ein melodischer Dreiklang bedeutet "Ich hab Hunger/Durst", ein nervzerfetzendes Schnarren "Ich muss sofort aufs Töpfchen/Klo" und ein durchdringendes Hupen (den Eltern vorbehalten): "Gleich setzt's was."
Übrigens, neu ist meine kleine Träumerei nicht - auf den Kanaren und in anderen Bergregionen gibt es heute noch Menschen, die sich durch Pfeifen unterhalten.