- Zuletzt bearbeitet:
- Kommentare: 8
Piece by piece
„Diesmal ist er dran, der Bastard!“ Der rechte Fuß des Polizeibeamten stampft das Gaspedal tiefer.
„Na, hoffentlich geht er uns nicht wieder durch die Lappen.“ Sein junger Kollege auf dem Beifahrersitz sucht mit einer Hand an der Wagentür Halt. Mit der anderen überprüft er fahrig den Sitz seiner Dienstpistole. „Und hoffentlich macht er uns keinen Stress...“
...........denn ihr hört Hard’n’Heavy auf
.......Radio Hr3. Wir geben’s euch hart,
.......wir geben’s euch schnell, und heute
.......haben wir einen echten Klassiker im
.......Gepäck: Hier sind Slayer für euch,
.......‚Piece by Piece‘:
Im Dunkel auf der anderen Seite der Stadt ist plötzlich eine Öffnung, durch die Helligkeit dringt. Die gerade noch in der Dunkelheit Gefangene blinzelt geblendet. Irgendjemand beginnt, erbarmungslos auf ein Schlagzeug einzudreschen. Ihr Herz schlägt längst panisch den gleichen Takt.
.......Modulistic terror
.......A vast sadistic feast
.......The only way to exit
.......Is going piece by piece
„Hoffentlich macht er uns keinen Stress?! Junge, Junge, du bist vielleicht gut!“ Der Fahrer des Streifenwagens presst ein humorloses Lachen durch seinen Oberlippenbart. „Das ist jetzt die vierte Nacht, in der er zuschlägt. Innerhalb der letzten zwei Wochen. Und mit nur einer pro Nacht gibt er sich offenbar auch nicht gern zufrieden. Ich an deiner Stelle würd' von 'ner MENGE Stress ausgehen!“ Der Polizist wirft einen kurzen Seitenblick auf seinen Beifahrer, der verunsichert an den Aufschlägen seiner Uniformjacke nestelt. „Jetzt mach‘ dir nicht in die Hosen; wir schnappen uns den Saukerl schon! Der Tipp, den wir gekriegt haben, scheint mir ziemlich sicher zu sein... “
.......You have no choice of life or death
.......My face you will not see
.......I'll rip your flesh 'till there's no breath
.......Dismembered destiny
„Raus!“
Den roten Striemen auf ihrem Rücken wird ein weiterer hinzugefügt. Sie zuckt zusammen und stolpert vorwärts. Das ungewohnte, grelle Licht bringt ihre Augen zum Tränen. Als sie das Blut riecht, fängt sie an zu schreien.
Der Mann in Weiß schiebt den Lautstärkeregler des Radios auf dem Tisch vor sich ein Stück höher und greift nach seinem Messer.
.......As soon as life has left your corpse
.......I'll make you part of me
.......No emotion
.......Death is all I see
„Stell‘ mal leiser, Mann! Das macht einen ja irre.“
Der Angesprochene greift beflissen nach links und dreht die Lautstärke des Autoradios runter. „Von wem kam der Anruf eigentlich?“
„Irgend so eine Alte, die mit ihrem Köter eine Runde drehte. Die roten Flecken auf seinen Klamotten wären beim besten Willen nicht zu übersehen gewesen, meinte sie, und die hätten frisch ausgesehen. Wenn du mich fragst: Das Schwein fühlt sich sicher. Meint, so lange, wie er jetzt schon damit durchgekommen ist, erwischen wir ihn gar nicht mehr. Und er ging die Bleichstrasse runter. Keine Frage, was sein Ziel ist. Ich hoffe nur, wir kommen nicht zu spät...“
.......Bones and blood lie on the ground
.......Rotten limbs lie dead
.......Decapitated bodies found
.......On my wall, your head
Sie kann nicht aufhören zu schreien. Im Gesicht des Mannes in Weiß regt sich nichts. Das Blut vermag sie jetzt nicht nur zu riechen, sie sieht es auch. Auf seinen Händen, dem Boden, und dem hellhäutigen nackten Körper, der vor der hinteren Wand des Raumes auf einem großen Haken hängt, glänzt es rot und feucht. Der Mann kommt mit kleinen, ruhigen Schritten auf sie zu.
.......On your trail I close the gap
.......One more life that soon won't be
.......No emotion
.......Flesh is all I need
Der Polizeidienstwagen hält vor dem weiß geklinkerten Haus. Es herrscht Stille.
„Ach, du Scheiße! Guck dir das an! Der Typ ist doch völlig irre! Guck dir doch diese Schweinerei an! Verdammt aber auch – wir sind zu spät!“ Die Faust des jungen Beamten kracht gegen das Seitenfenster, aber das ändert nichts an all dem Rot. „Verfluchte Scheiße! Was machen wir denn jetzt?!“
„DU hältst jetzt als allererstes mal die Klappe und regst dich ab! Ich würd‘ ja sagen, du wartest hier, aber du sollst schließlich noch was lernen. Also raus aus dem Auto! Wir gehen ums Haus rum...“
Der Hof liegt verlassen da; im Nebengebäude brennt Licht.
Die Gummisohlen der beiden Beamten verursachen kaum einen Ton. Auch die Tür öffnet sich fast lautlos, als der Polizist auf eine Kopfbewegung des Älteren hin die Klinke greift. Das würgende Geräusch, das er beim Blick ins Innere nicht unterdrücken kann, übertönt kaum das leise Plätschern, mit dem einen Meter vor ihm Blut aus einem sauberen Halsschnitt in die unter dem kopfüber hängenden Körper platzierte Kunststoffwanne fließt. Der Mann in Weiß wäscht sich auf der anderen Seite des Raumes noch mehr Blut von den Händen.
„‘N Abend. Polizei.“ Der erfahrene Beamte schiebt seinen jungen Kollegen zur Seite. „Wenn Sie mir bitte mal nach draußen folgen würden....“
Der Mann in Weiß wirkt nicht überrascht, als er die Uniformierten erblickt. Stumm lässt er sich von ihnen über den Hof begleiten. Neben dem Dienstwagen bleiben sie stehen.
Das Gesicht des Mannes in Weiß beginnt, sich rötlich zu verfärben. „Ja, Kruzitürken, wofür bezahl‘ ich eigentlich Steuern? Ich hatt‘ ja schon so meine Befürchtungen, als ich die Berichte in der Zeitung gelesen hab‘. Aber, verdammt, muss ich mich denn jetzt selbst auf Wache stellen? Ist denn dazu nicht die Polizei da, um anständige Bürger vor solchen Verbrechern zu schützen?! Und wer, frage ich, kommt mir jetzt für den Schaden auf?“ Sein Kinn ruckt zornig in Richtung der Fassade seines Familienbetriebs. Ein Schwall blutroter Farbe hat sich über die „Herzlich Willkommen“-Fußmatte ergossen. Große Buchstaben im gleichen Rot ziehen sich über die Hauswand und das Schaufenster, hinter dem er vorhin erst die Gläser mit der feinen hausgemachten Blut- und Leberwurst appetitanregend angeordnet hatte:
„1.355.000 Tote in Deutschland – Jeden Tag!
Solange es Schlachthäuser gibt, wird es auch Schlachtfelder geben. (Leo Tolstoi)
Stop eating animals!“