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Philosophie des letzten Atemhauchs

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24.04.2003
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Philosophie des letzten Atemhauchs

In einiger Entfernung sehe ich einen Wagen um die Ecke biegen.

Mein Blick richtet sich erneut auf die Schnecke, deren glänzender Körper in der Zeit festgefroren am Straßenrand zu kleben scheint.
Es ist mir unmöglich, ihrem Kriechen bewusst zu folgen und so rede ich mir ein, das eine fließende, durchgängige Bewegung überhaupt nicht stattfindet.
Möglicherweise springt sie jedesmal dann ein Stück nach vorn, wenn die Situation dies zulässt; sie unbeobachtet ist von menschlicher Rationalität. Möglicherweise.
Der alte Ford fährt mit laut ratterndem Motor vorbei; sie ist noch zu sehr am Rande des Asphalts, um von seinen Reifen erfasst zu werden.

Ich warte. Mit geschlossenen Augen sinniere ich über die vergangenen Tage nach und verfalle in geistigen Halbschlaf.
Ich habe keine Ahnung, wieviel Zeit vergangen ist, als ich die Lider wieder öffne und wie zur Bestätigung meiner Theorie ist die Schnecke zwischenzeitlich viele Zentimeter voran gekrochen; gesprungen? Wer weiss schon um solche Dinge.

Diesesmal sehe ich einen LKW um die Ecke biegen.
Wieder einmal beobachte ich das kleine Tier, dessen einziges Ziel es ist, die andere Straßenseite zu erreichen.
Sie scheint zu verharren.
Ich richte mich auf und stelle mir vor, wie sie mit mir springt.
Der Lastwagen legt eine Vollbremsung hin und während ich erkennen muss, das selbst die geglaubte Stabilität der Knochen nicht mehr als eine blasse Illusion der Zivilisation ist, sehe ich das die Schnecke noch immer unversehrt auf dem Asphalt sitzt. Die breiten Reifen scheinen sie um Haaresbreite verfehlt zu haben.

Plötzlich spüre ich die Hoffnung in mir aufkeimen.
Vielleicht gelingt es dir wenigstens, die andere Seite zu erreichen. Gönnen würde ich es dir, denke ich, als ich bereits das Blut in meinem Mund zu schmecken beginne.

Aber halt! Befand sie sich nicht noch vor wenigen Sekunden viel weiter rechts?

Hereinbrechende Dunkelheit, die mich umfängt.
Das letzte, was ich sehe, sind die Stiefel des Fahrers, der dorthin tritt, wohin sie gesprungen ist und ich sterbe mit Verzweiflung im Gesicht.

 

Hallo Cerberus,

Deine kleine Geschichte hat mir gut gefallen, wenn ich auch nicht weiß, ob ich sie verstanden habe.
Die Figur der Schnecke finde ich gelungen und sehr symbolisch. Zum einen bewegen und entwickeln sich Dinge oft nur dann, wenn man nicht verkrampft darauf wartet. Außerdem sind die "Einzelschritte" der Schnecke nicht nachvollziebar, die Entwicklung als Ganze aus der Distanz aber schon. Wenn die Menschen nur nicht so ungeduldig wären ;)
Ich weiß nicht, ob ich den Sprung Deines Prots richtig deuten kann - ist er wirklich davon ausgegangen, dass er unversehrt davonkommt, also ein Fall menschlicher Selbstüberschätzung?

Ich hab Dir mal zwei Fehler rausgesucht, vielleicht magst Du sie ausbessern:

Es ist mir unmöglich, ihrem Kriechen bewusst zu folgen und so rede ich mir ein, dass eine fließende, durchgängige Bewegung überhaupt nicht stattfindet.
Der Lastwagen legt eine Vollbremsung hin und während ich erkennen muss, dass selbst die geglaubte Stabilität der Knochen nicht mehr als eine blasse Illusion der Zivilisation ist, sehe ich, dass die Schnecke noch immer unversehrt auf dem Asphalt sitzt.

Liebe Grüße,
Juschi

 

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