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Phönix
PHÖNIX
PHÖNIX
Ich hatte es so verdammt eilig, und trotzdem trat ich nicht darauf, als es vor mir lag, aufgeweicht vom Regen der letzten Tage, direkt da, wo ich eben meinen Fuß hinsetzen wollte. Hätte es nicht so geregnet, wäre ich vielleicht draufgestiegen, wie schon einige andere zuvor, hätte nicht der Pfützen wegen zu Boden geblickt. Doch ich konnte meinen Schritt noch rechtzeitig bremsen, hob dieses Bild auf und strich damit über meine Jeans, um es abzutrocknen. Es stammt aus einem Ausstellungskatalog und zeigt ein Selbstportait des Fotografen Egon Kersting, aber es erinnerte mich sofort an Dich, ich konnte gar nicht anders, ich habe Dein Leben darin erkannt - dass das genau zehn Jahre nach Deinem Tod passiert....
Da warst Du wieder lebendig und stiegst aus den Tiefen meiner Erinnerung auf, wie der Phönix, den Du einst weinen hörtest. Ich konnte es nicht erwarten, nach Hause zu kommen und Dein Gedicht herauszukramen, das Du uns allen hinterlassen hast....
Die Tränen, die der Phönix weint,
heilen, was die Welt zerbrach,
mit seinem himmlischem Gesang
kuriert er sterbend noch die Welt.
....Ja, ich höre ihn. Und ich fühle wieder jene, fast übermenschliche, von Dir ausgehende Kraft, die mich schon bei unserer ersten Begegnung berührt hat. Deine Ausstrahlung, die optimistische Energie und zugleich Zufriedenheit, gepaart mit Fröhlichkeit vermittelte, wie ich sie bei keinem Menschen jemals wiederfand. Jeden, der Dir nah war, der imstande war, zu fühlen, überkam eine Art seelische Geborgenheit, die mich förmlich süchtig nach Dir machte.
Jetzt lege ich schnell die Kassette auf, mit Deiner Lieblingsmusik, Edie Brickell, Pink Floyd, spanische Lieder,... und ich mache die Augen zu, bade im Fühlen Deiner Anwesenheit. Ich mache die Augen auf und sehe Dich vor mir, seltsam, und ich höre Dich – genau wie damals:
„Na, wie geht´s Dir denn?“ – es klingt so anders als die oft verwendete, aber selten ernstgemeinte Phrase. Deine Stimme lädt mich ein, wirklich zu erzählen, Dein Lächeln nimmt gleichzeitig jede mißmutige Stimmung von mir und Deine Augen zeigen echtes Interesse, das sich durch Deine Worte immer auch bestätigt hat.....
Ich höre wieder Deine Stimme:
„Na komm schon, erzähl´, Du siehst doch, ich bin da....“
„Ja, wärst Du es nur wirklich, oder besser gesagt, für immer.... Ich bin schon so lange auf der Suche, einen Freund wie Dich zu finden, einen, der so ist, wie Du.“
„Und, was glaubst Du, warum Du ihn nicht findest?“
„Ich weiß es nicht....“
„Versuch´nicht, mich zu ersetzen, kein Mensch ist wie ein anderer.“
„Ja, ich weiß schon, ich darf nicht Dein Bild auf andere projizieren und schauen, ob es passt, ident ist, da werde ich nur enttäuscht. – Darüber hatten wir doch schon mal geredet, jetzt fällt´s mir wieder ein....“
„Das freut mich....“
„In meiner Erinnerung lebst Du ja weiter.....“
„Es ist mir ein Blumenpflücken....“
Schon, als Du geboren wurdest, sollst Du ein Lichtblick für Deine Eltern gewesen sein, Deine Geburt war ein Freudenschrei – das erste von vier Kindern.
„Wir hatten es schön, als wir klein waren, wir haben im Grünen gewohnt. Unsere Eltern waren ganz in Ordnung, sie ließen uns tun, was wir wollten, aber wenn wir sie mal brauchten, waren sie immer für uns da.“
„Hast Du denn das Gefühl gehabt, daß Du zu Hause willkommen, akzeptiert - geliebt bist?“
„Du meinst, ob ich mich geborgen fühlte? Ja, das hab ich wohl.... .“
Ich beneidete Dich darum - doch, als ich erfuhr, daß diese, doch recht sonnige Kindheit auch schon die Hälfte Deines Lebens gewesen sein soll, konnte ich nur mit Schaudern daran denken. Ein kurzes Aufflackern, einmal hell leuchten, und das soll es dann auch schon gewesen sein, ein kurzes Nachglühen, um dann in Rauch aufzugehen....? - Nein, ich wollte nicht mit Dir tauschen, aber ich nahm gerne von der Kraft, die Du zu geben imstande warst – und Du verteiltest sie gerne und bedingungslos....
Die finsterste Zeit war wohl die, vor Deinem Coming-Out.... Du hörtest immer nur Negatives über Homosexualität und spürtest sie doch in Dir, konntest Deine Gefühle nicht verleugnen und wolltest es auch gar nicht, es wäre eine Lebenslüge gewesen – aber noch warst Du nicht ganz soweit, das auch zu leben.
„Kannst Du Dir vorstellen, wie das ist, wenn Du merkst, Du bist anders und solche wie Du werden überall nur verspottet? Ich hatte damals nicht den Mut, es ihnen zu sagen.“
Aber es waren doch Schreie der Angst in Deiner Brust, die herauswollten und nicht durften, so verfinsterte sich Dein Himmel für die nächsten Jahre in ein tiefes dunkles, depressives Grau.
Die Sonne brach in dem Moment durch die Wolken, als Du den für Dich richtigen Menschen begegnet bist und Dein Leben so leben konntest, wie es Deinem Inneren entsprach und nicht den Schwarz-Weiß-Malereien, die uns so gerne aufgedrückt werden.
Selbst Deine sonst so vernünftigen Eltern haben falsch reagiert, als Du es ihnen erzähltest. „Ich dachte, sie würden auch das akzeptieren – sie waren doch sonst so tolerant -, aber da habe ich mich schwer getäuscht, meine Mutter wurde laut und ich erkannte sie kaum wieder, als sie schrie `Nein, das darf nicht wahr sein! Unser Sohn schwul! Wie sollen wir das unseren Verwandten beibringen?´, später sagte sie dann in einem Ton, der keine Diskussion mehr zuließ: `Du bist eine Schande für die Familie, pack deine Sachen und zieh aus! Was sollen sich denn die Leute von uns denken?! Was soll aus deinen Geschwistern werden? Diese Schande willst du uns doch nicht antun, also nimm deine Sachen und geh´. - Hätte ich geahnt, daß sie so reagiert, hätte ich nie und nimmer einen Ton davon erwähnt, dann wäre es ganz egal gewesen.... Sie stellte sich wahrscheinlich vor, ich würde ab nun Orgien in ihrem Haus feiern.“ – Du hast das Warum niemals wirklich verstanden, ich auch nicht und es war auch nicht zu verstehen.
Deine Familie waren fortan Deine Freunde. Sie haben Dir Halt gegeben und wieder Licht ins Grau Deines Lebens gemischt. Es wurde ein Hochsommer, der ewig hätte dauern können, so zufrieden wurdest Du, als Du Dich nicht mehr verstecken brauchtest.
Ein Leben verläuft nicht nur Schwarz oder Weiß. Es gibt so viel dazwischen, daß man oft gar nicht sagen kann, von welcher der beiden Farben es denn nun mehr hat - es ist immer von beiden da. Unendlich viele Abstufungen, vom zarten, noch fast weißen Grau, bis zum finstersten Dunkel - das Leben hat alles das zu bieten. Manches wird mit der Zeit dunkler, wenn man es länger betrachtet, anderes frischt auf und verliert den Grauschleier, der darüber lag, es verliert an Gewicht. Dir hat die Zeit, in der Du - von der Sonne beschienen - Dich als glücklichster Mensch des Universums fühltest - sicher geholfen, das Kommende zu überstehen.
Es wurde ein finsterer Winter, den die Saatkrähen mit ihrem bis ins Mark dringenden Geschrei so plötzlich ins Land holten. Vollkommen ohne Sonne, nur eine schwarze Decke breitete sich über Dir – und damit über uns allen – aus.
Es war in erster Linie Dein Lebenswille, der Dich aus dieser Agonie herausholte, aber auch Deine Freunde, die Dir halfen, Dein Leben weiterzuzeichnen und mit sanftem Licht zu mischen. Die Krähen in ihren weißen Mänteln schrien, Du hättest gute Chancen, noch zehn Jahre zu leben – und Du wolltest sie natürlich nicht ungenutzt verstreichen lassen.
„Ich hab im ersten Moment geglaubt, die Welt bricht über mir zusammen, Du weißt, in welch tiefe depressive Phase ich gefallen bin, es war ein abgrundtiefes Grauen. Aber es hat keinen Sinn im eigenen Leiden zu versinken. Es gibt viel zu tun....“
Während ich dieses Bild betrachte, erkenne ich, daß Deine letzten Jahre vielleicht sogar die hellsten Deines kurzen Lebens waren.... Die Kindheit, als Stütze des Lebens, hell und freundlich; Dein Leben selbst, ein Auf und Ab aus verschiedenen Graustufen, das in Form des Gesichtes Ausdruck findet.
Diese Augen sprechen von Deiner Zukunft – sie ist finster, schwarz, aber ein kleiner Lichtpunkt ist darin. Und gerade dieser unscheinbare, leuchtende Punkt war es, der Dich die letzten Jahre emporsteigen und Licht verstreuen ließ.
Das Wichtigste, Aussagekräftigste an diesem Bild, ist aber trotz allem die Hand, die Dein Tun, Dein Handeln, veranschaulicht, sie ist voll von Sonne beschienen – umgibt alles Dunkel und zeichnet nicht nur mehr Dein Leben, nein, Du hast so vielen geholfen....
Du warst es, der auch die anderen alle herausgeholt hat, niemand weiß, wie viele Du vor Selbstmord bewahrt hast, nachdem sie die Wahrheit ins Gesicht geschleudert bekamen und nach Hause geschickt wurden, mit den Worten: „Wir können leider Nichts weiter für sie tun.“
Doch Du hast den Pinsel in die Hand genommen, hast für sie alle mitgezeichnet, „positiv leben“ ins Leben gerufen, eine Lichtquelle für ebenso Leidende. Gott hat Euch nicht geholfen - Du warst es und Du durftest zurecht darauf stolz sein, obwohl Du es nie wirklich warst, denn Du hieltest es für selbstverständlich, daß Du das tust. Du hast Unmengen an Wärme und Kraft verschenkt, Deine Hand hat die Farben im Leben so vieler wieder – zumindest ein bisschen - zum Leuchten gebracht!
Ihr habt Euch nicht nur seelischen Beistand gegeben, der gewiss sehr wichtig war. Niemand anderer hätte ihn Euch in der Form geben können, wie Ihr selbst. Dein Engagement bestand vor allem in gemeinsamen Aktivitäten, Grillabenden, Wanderungen - und wer ausser Dir wäre schon auf die Idee gekommen, von der Bundesbahn einen ganzen Waggon voller Fahrräder auszuleihen?
Du warst die treibende Kraft, die alle mitriss.
Doch dann mußte es unweigerlich kommen, irgendwann hast Du Dich verkühlt und da war sie ausgebrochen, die todbringende Krankheit AIDS. Deinen voraussichtlich letzten Winter wolltest Du in Spanien verbringen und alle haben Dir geholfen, dieses Vorhaben in die Tat umzusetzen – obwohl wir alle das flaue Gefühl der Angst dabei hatten, Dich nicht wieder zu sehen. Angst hatten wir, aber wir wollten sie nicht zeigen, es wäre so egoistisch gewesen.....
„Ganz sicher komm´ ich wieder, macht´s euch keine Sorgen um mich.“ – als hättest Du Gedanken gelesen und diese beantwortet – „Wenn es mir sehr schlecht gehen sollte, komm´ ich doch sowieso nach Hause. Ich will auf jeden Fall hier sterben – und in meinem Bett.“ Obgleich der Tragik, die in diesen Worten steckte, waren sie doch sehr beruhigend....
Spanien hat die Lebenslust in Dir noch einmal so richtig hochleben lassen – sodaß Du gleich nach Deiner Rückkehr auch noch nach Berlin gefahren bist. – Ja, Du hast Dich wohl von allen verabschiedet....
Ein Monat später warst Du, das lasen die Ärzte aus Deinen Blutwerten, klinisch tot.
Aber Du wolltest noch nicht aufgeben, hast mit aller Kraft gekämpft. Wenn ich daran denke, wie schaurig mir jeden Tag zumute war, wenn ich Dir Deinen Lieblings-Tee und Obst ins Pulmologische Zentrum auf der Baumgartner Höhe gebracht habe... Täglich das Nichtwissen, ob Du nicht schon tot bist, wenn ich zu Dir komme und diese riesigen Bäume, die das Nachtquartier dieser schwarzen Saatkrähen sind, die aus Rußland im Winter zu uns kommen, waren der perfekte Hintergrund. In der Dämmerung ging ich nach der Arbeit jeden Tag dort hinauf bis zum vorletzten Pavillon, sicher waren es tausend dieser Vögel, die von überall krähten – es war wie in einem Gruselfilm – aber ich durfte mich Tag für Tag wieder freuen, daß es nicht umsonst war. Die Saatkrähen sind wieder nach Rußland geflogen und als Du nach einem halben Jahr das Krankenhaus wieder verlassen konntest, war die Freude natürlich am allergrößten.....
Es ging uns allen wieder so gut und Du hast Dir nicht einmal etwas anmerken lassen. Und jeder wäre in Deiner Situation ausgerastet, als dieser Typ, ich hab den Namen vergessen, meinte, er habe erfahren, daß er HIV-Positiv sei. Du hast Dir die größte Mühe gegeben, ihn zu trösten, zu beruhigen – wie sehr muß es Dich selbst innerlich aufgewühlt haben – und dann stellte sich heraus, daß alles nur ein schlechter Scherz war. Selbst ich habe ihn verflucht, habe ihm gewünscht, statt Dir zu sterben. Aber was hast Du gemacht? Du bist mit ihm stundenlang gesessen und hast ihm erklärt, warum solche Scherze nicht lustig sind, ich glaube, Du hast versucht, ihm das Menschsein von Grund auf näher zu bringen – Du hast mir mit Deiner Ruhe sehr zu denken gegeben. Vieles, was ich mir von meiner Mutter nicht abschauen konnte, habe ich bei Dir gelernt – Du warst und bist mir ein Vorbild.
Du erlebtest sogar noch ein Kommen der Krähen, die Du immer wieder erwähntest. Vielleicht hätte es Dir nicht ganz so gut gehen sollen, dann wäre nicht die ganze WG, in der Du in der Rosa-Lila-Villa wohntest, ausgeflogen. Ich sollte Rudis Pflanzen gießen und wollte an diesem Montag gerade um fünfzehn Uhr von zu Hause aufbrechen, als mein Mann unerwartet früh heimkam und sich beschwerte, dass ich jetzt weggehen wollte. Ich gab nach, verschob es auf den nächsten Tag....
Um siebzehn Uhr wurdest Du von der Rettung abgeholt. Kein Mensch hat sich unter dem Krankenhauspersonal befunden, der irgendjemanden angerufen hätte. Du bist vollkommen allein in der kalten, weissen Umgebung, in einem kalten, weissen Bett, unter kalten, weiss gekleideten Personen gestorben. – Ich fühle mich so schuldig daran, weil ich es hätte verhindern können, Dir ermöglichen, in Deinem Bett zu sterben, wäre ich doch Blumengießen gefahren. Und jetzt tropfen meine Tränen auf dieses Bild, in dem Dein Leben steht, und ich kann nichts anderes tun, als Dir zu sagen
„Es tut mir so verdammt leid.....“,
und ich höre, was Du mir darauf antwortest.....
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Susi P.
gewidmet:
Hannes Pähler, geboren am 1. Juni 1963, gestorben am 13. Jänner 1992
Gründer der Selbsthilfegruppe „positiv leben“
[Beitrag editiert von: Häferl am 06.04.2002 um 04:27]