Phönix
Vermummte Menschen. Lange Roben verdecken ihre Körperformen und unter ihren Kapuzen kann ich nur ein Lachen erkennen, dass ihre Gesichtzzüge umspielt. Ein Lachen, das keine Freude kennt und nur Verachtung zeigt. Sie stehen um mich herum, in einem Kreis, den ich niemals durchbrechen kann, selbst wenn ich die Kraft hätte, es zu versuchen. Ein fleischgewordenes Gehege aus starren Körpern. Der Boden unter mir ist bedeckt mit tausenden bleichen Blättern, auf denen Gespräche und Geschichten gedruckt sind, kaum sichtbar, wie die kleinen Adern, welche solche Blätter normalerweise durchziehen. Einige der Blätter scheinen älter als die Anderen, doch sie alle scheinen leblos zu sein, abgestorben und ohne Gefühle. Ich knie mich nieder und hebe eines von ihnen vor meine Augen. Es ist eiskalt und zerbricht unter der leichten Last meiner tauben Finger, bevor ich auch nur ein Wort darauf lesen konnte. Eine scharfe Brise streift meine Wange und trägt die Fetzen des zerbrochenen Blattes hinfort. Ich lege meinen Kopf in den Nacken in der Hoffnung, die schreckliche Szenerie so vergessen zu können. Doch auch der Himmel spendet mir keinen Trost, im Gegenteil, er stürtzt mich noch tiefer in die Depression, denn sein sonst so königlich blaues Antlitz ist verdeckt von grossen, schwarzen Quellwolken. Dicht und komplett reglos, unheimlich und einschüchternd schweben sie über mir. Verzweifelt wende ich meinen Blick wieder nach vorne. Einige Meter hinter den Robenmenschen steht eine sterbende Eiche, die so alt zu sein scheint, wie die Welt selbst. Das beruhigende Braun ihres Stammes ist befleckt und geschändet von faustgrossen, rabenschwarzen Flecken. Einige stahlend grüne Blätter schmücken ihre Krone noch, doch erscheinen sie winzig an der Zahl, durch die unendlich vielen grauen, die unbeeindruckt und schlaff von den dunklen Ästen ragen und nur darauf warten, sich zu denen am Boden zu gesellen. Sterberufe dringen fast unhörbar in meine Ohren. Leise Wehklagen die von der Eiche zu kommen scheinen und mir unmissverständlich klar machen, dass ihr Ende besiegelt ist und sie nur noch einige Augenblicke zu leben hat. So lausche ich den leisen Schreien und Schluchzern und werde mir langsam der schmerzhaften Tatsache bewusst, nichts tun zu können um ihr zu helfen.
Einer der Menschen schreitet langsam auf mich zu. Die Gangart und die Kurven unter der Robe lassen eine schlanke Frau erahnen. Sie kniet zu mir nieder und streicht mir leicht über die Wange. Ihre Haut fühlt sich noch kälter an, als das Blatt oder die Brise zuvor. So kalt, dass meine linke Gesichtshälfte sofort zuzufrieren scheint. Sie beugt sich zu mir und flüstert mir monoton ins Ohr:
„Ach Liebster, du solltest nicht hier sein. Komm mit mir bitte, komm zurück. Komm zu uns und leb weiter dein Leben. Mach dir keine Gedanken, es wird alles gut. Es bleibt noch mehr als genug Zeit, die Welt zu retten, ihr Sterben liegt noch in weiter Ferne. Komm zu uns und mach weiter, wie du es getan hast. Komm. Es wird alles gut.“
Ich raffe mich auf, gestützt von ihre zarten Hand. Ihre Gegenwart betäubt mich, umschlingt meine Gedanken mit einem weissen Schleier, der mich auf einen Schlag vergessen lässt, wieso ich zuvor an meinem Leben zweifelte. Ich beachte den Himmel nicht länger, soll er doch schwarz sein. Auch die Eiche würdige ich keines Blickes mehr. Eine Eiche, nichts besonderes. Und so empfange ich das Vergessen mit offenen Armen, erfreue mich des Stumpfsinns, der mich erfüllt, der alles leichter macht. Das Bild der Eiche und des Himmels verschwimmt nun ganz und ich sehe nur noch eine grüne Wiese, die sich endlos ins Weite erstreckt. Ich schreite langsam, immer im Gleichschritt mit den Roben ins Nichts hinein. Lebe weiter mit dem Gedanken, dass Alles dieser Welt falsch ist, alles nur gespielt ist. Ich lebe weiter, weil es einfacher ist. Ich lebe.
Aber so will ich nicht leben. Ein plötzlicher Stromstoss durchfährt mich. Die Frau neben mir zuckt zusammen und starrt mich mit leeren Augen an, immernoch unfähig, Emotionen zu zeigen. Mir ist, als würde ich von tausenden Blitzen durchströmt. Mein Herz zerkrampft sich, beginnt unregelmässig zu schlagen. Mein Blut gerät ins Stocken. Eine unbändige Kraft sammelt sich in meinem Magen und wandert langsam meinen Hals hinauf. Erkämpft sich den Weg durch meinen Körper und prischt aus meinem Mund hervor. Eine kleine, tiefseeblaue Flamme springt auf den Rasen und fängt sofort an ihn aufzufressen und durch ihn zu wachsen. Rasend schnell werden die Flammen grösser, erfassen nun auch die Zipfel der ersten Robenmenschen. Menschen beginnen zu schreien. Ich werde bewusstlos.
Eine Aschewolke verdeckt meine Sicht. Die letzten kleinen Flammen verebben langsam, den auch ihnen verbleibt kein Futter mehr. Ich fühle mich, als wäre ich gerade aus einem langen Traum erwacht, bei dem ich nicht handelte, sondern nur zusah. Ich sehe mich selbst Dinge tun, die ich nicht will, Dinge die ich hasse, die ich verabscheue. Lügen, falsche Freunde, gespielte Glückseligkeit. Ich sehe den Schutt, der früher mein Leben war, die sterbende Eiche, die Robenmenschen. Alles Staub unter meinen Füssen. Und nun stehe ich inmitten dieses Ascheberges und stelle mit Freuden fest, dass das unbändige Feuer nicht nur alles weggewischt hat, was ich einst besass, sondern auch mich verschlungen hat. Mich hat verbrennen lassen. Es hat mich ausgelöscht und von mir nichts gelassen als eine leere Hülle. Und mit genau dieser Hülle stehe ich nun da, schaue durch die Fetzen auf eine, von Sonnenstrahlen überflutete Welt die zuvor von den Robenmenschen geschickt versteckt wurde. Ich sehe ihre Schönheit, ihre Unschuld und spüre den Drang sie zu erkunden, sie zu berühren, sie in mich aufzunehmen, ganz und einzig. Ich strecke meine Flügel aus. Ein Spatz der verbrennt, ein Phönix der den Flammen entsteigt. Ein magisches Feuer reinigte mich, und nun komme ich um euch eben dieses zu bringen. Bereitet euch vor, den auch von euch wird nichts übrig bleiben.