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Phöbe (5)
"Mein Kopf explodiert", schreit die 5-jährige Phöbe und zerkratzt die Tischplatte mit einer Silbergabel. Die Schmerzensschreie steigern ihren Niedlichkeitsfaktor und mithin ihren Marktwert als Kinderstar erheblich, denkt Bea Zahara, die ihre Kleine für ein frühreifes Theatertalent hält. Dabei wuchert Phöbes Gehirn hypertrophisch und presst unglaublich schmerzhaft gegen das zu enge Schädeldach. Als eines der ersten sogenannten Patchwork-Kinder wurde Phöbe aus dem Erbgut herausragender Männer und Frauen synthetisiert, deren prinzipielle Ablehnung oftmals mit verschwenderisch hohen Geldsummen geknackt werden musste, darunter Lucas Dienstheim, Professor für Strahlentherapie, ein brasilianisches Topmodel, Großschriftsteller aller Zungen, eine landweit bekannte tschechische Pornodarstellerin, die Nobelpreisträger für Chemie der letzten vier Jahre, mit aus Ausnahme des vorletzten, verschiedene Leistungssportler sowie ein promiskuitiver Buddha. Ihre kosmisch-blauen Augen verdankt Phöbe der Pornodarstellerin, keine Frage, genauso wie ihre goldenen Locken. Sie kann nichts vergessen; jedes Erfahrungsquant saugt sie ein, um es in logisch geläutertes Wissen zu verwandeln, das ihr hilft, ihren kleinen Willen durchzusetzen, immer. Von ihrer angeblichen Mutter, mit der sie nur den Namen teilt, lässt sich Phöbe schon lange nichts mehr sagen. Synthetisiert wurde sie in Apeldoorn, ausgetragen in Indien von einer Leihmutter. Eine Million Dollar hat der Spaß in toto gekostet.
Bea wundert sich, wieso Phöbe in beinahe kontemplativer Haltung über ihrem Teller gebeugt dasitzt, nachdem ihr Stimmchen krächzender geworden und schließlich verstummt ist. Vielleicht hat der Buddha in ihr ein Licht angezündet, denkt Bea lächelnd und verpasst ihrem "kleinen Mönsterchen", dessen Eizellen einmal die Welt wert sein werden, einen animierenden Klaps. Dabei kippt das kleine Mädchen nach vorne, schlägt mit dem Kopf auf den fast leer gegessenen Teller, rutscht weiter, bis sie seitwärts vom Stuhl stürzt und mit der linken Schulter voran auf dem Boden aufschlägt. Fatalistisch duftet die Paprika, als ob nichts gewesen wäre. Phöbe überlebt, schwerstbehindert. "Frau Zahara, die Entwicklung der Ovarien ihrer Tochter dürfte nicht beeinträchtig sein, - wieso wollen Sie das eigentlich wissen?", fragt der Arzt. "Ach nur so", sagt Bea, sich eine Freudenträne aus dem Auge schabend.