Was ist neu

Pfirsichhaar

Mitglied
Beitritt
03.04.2016
Beiträge
76
Zuletzt bearbeitet:

Pfirsichhaar

Ihre Haut war blass, die Lippen geschwollen und blau. Er hatte vergeblich versucht, ihren Mund zu schließen. Rote Augäpfel starrten ihm entgegen, durchbohrten ihn. Unter den allmählich trocknenden Tränen spannte die Haut, seine Brust schmerzte. Lange hatte er um seine Rapunzel geweint, dann um seine geliebte Mutter. Schließlich waren nur noch die Angst und der Ekel vor sich selbst geblieben.

Rapunzel, so hatte sie sich genannt, seine wundervolle Rapunzel. Ganz einfach war es. Die Anmeldung und sie war da, verstand ihn, sah ihn. Viele Wochen hatten sie sich geschrieben. Dann kam das Foto. Lange, kastanienbraune Haare, volle Lippen. Seine Gedanken kreisten nur noch um sie. Endlich die Eine, die seine Phantasien nicht nur ertrug, sondern sogar teilte.

Vor wenigen Stunden hatte er seine wunderschöne Rapunzel endlich in die Arme schließen dürfen. Kribbeln, der Magen rebellierte, sein Herz raste. Er hatte Angst bekommen, sein alter, müder Körper würde den Aufruhr nicht mehr verkraften. Und tatsächlich setzte sein Herzschlag aus, als sie die Tür öffnete. Sie trug ein kurzes, geblümtes Sommerkleid. Ihr offenes Haar berührte beinahe ihre Knie. Verlegen strich sie eine Strähne aus dem Gesicht, verbannte die Pracht auf den Rücken. Doch schon glitten die Haare wieder über die Schultern, umrahmten ihre schmalen Hüften. Er beeilte sich, ihr in die Wohnung zu folgen.

Sie hatten wenig gesprochen. Er fühlte noch immer ihre weichen Lippen auf seinen, der erste Kuss. Einzelne Haare waren ihr ins Gesicht gefallen, hatten seine Wange gekitzelt. Endlich durfte er sie berühren. Sein Mund suchte ihren Hals. Michael vergrub sein Gesicht in ihrer Mähne. Leise mischte sich die Stimme seiner Mutter unter das Rascheln.

Jeden Abend hatte sie sich zu ihm gelegt und ihm vorgelesen. Tief vergraben unter den langen, schweren Locken seiner Mutter hatte er ihrer Stimme gelauscht. Die seidigen Strähnen glitten wie von selbst durch seine Finger, seine Zehen. Wie ein Netz spannte er sie über seinen Körper, beobachtete, wie das Licht sich darin brach. Stück für Stück segelten die Haare herab auf seinen Körper, wo sie ein leichtes Kribbeln hinterließen. Gedankenverloren klemmte er sie zwischen seine Beine, genoss die sich dort ausbreitende wohlige Wärme. Nach und nach vergaß er alles um sich herum, nur der Pfirsichduft ihres Shampoos blieb und wiegte ihn sanft in den Schlaf.

Später, als seine Mutter krank wurde, hatte Michael ihr vorgelesen. Manchmal hatte er geholfen, die Haare seiner Mutter zu waschen, das Shampoo in die schwere Masse einmassiert. Die warme Luft des Föhns hatte den Duft von Pfirsich im ganzen Raum verteilt. Seine Mutter entspannte sich unter seinen Händen, die Schmerzen schienen erträglicher.

Nass vom Regen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, führte ihn sein Weg in das Zimmer seiner Mutter. Sein Vater war, wie üblich, nicht zu Hause. Noch bevor er die Tür erreichte, hörte er ein leises Gurgeln, ein Röcheln. Am Schlafzimmer angelangt, erstarrte er. Seine Mutter lag vor ihm, das Gesicht blau angelaufen. Sie hatte den langen, geflochtenen Zopf um den Hals gewickelt und zog mit einer Kraft, die er seit langem nicht mehr für möglich gehalten hätte. Er stürzte zu ihr, zerrte an ihren Händen, versuchte die Schlinge zu lösen. Sie weinte und schrie. Endlich konnte er sie befreien. Noch als er auf sie einredete, schimpfte und weinte, drückte er ihre Arme auf die Matratze.

„Ich kann nicht mehr“, war alles, was sie wieder und wieder hervorbrachte. Langsam wich die Kraft aus ihren Armen, doch Michael traute sich noch immer nicht, den Druck zu lösen. Nur für einen kurzen Moment ließ er sie allein. Eilig kehrte er mit einer Schere zurück und schnitt den Zopf ab. Als sein Vater später das Zimmer betrat, die kurzen Haare seiner Frau sah, erkannte Michael all die Wut, Enttäuschung und Abscheu im Blick seines Vaters, die schon immer zwischen ihnen standen. Erklärungsversuche prallten an seinem Vater ab, er schickte Michael auf sein Zimmer, warf den Zopf hinterher.

Wenige Tage später wachte seine Mutter nicht mehr auf. Sein Vater stürzte sich mehr als je zuvor in die Arbeit. Michael ging zur Schule und half im Haushalt, wie er es schon während der Krankheit seiner Mutter gelernt hatte. Selten traf er sich mit Freunden, verbrachte die Tage meistens vor dem Fernseher. Bis eines Tages die wehenden Haare eines vorbeilaufenden Mädchens seinen Arm streiften. Die Zeit stand still, seine Atmung wurde schwer.

Abends lag er stets auf der Seite eingerollt, den Zopf seiner Mutter wie ein Plüschtier mit Armen und Beinen umklammert. An diesem Abend konnte er nur noch an die Berührung denken, fühlte noch immer das Kribbeln auf der Haut. Er begann, sich an den Haaren zu reiben, drückte sie fester in den Schritt. Dann befreite er sich von seiner Hose und wickelte den Zopf um seinen Penis. Wenig später schlief er befriedigt ein. Voller Scham wusch er am nächsten Morgen die Haare.

Erst die Ausbildung zum Friseur lenkte seine Aufmerksamkeit wieder nach außen. Seine Gedanken kreisten um die aufregenden Frauen im Salon, er genoss die Berührungen. Von Zeit zu Zeit konnte er heimlich ein paar lange Strähnen an sich nehmen. Eine wohlige Wärme erfüllte ihn, wenn er die Haare wusch und frisierte. Manchmal war die Erregung so groß, dass er sich kurz zurückziehen musste. Bis er eines Tages vergaß, die Tür zur Toilette abzuschließen. Ein spitzer Schrei, der Zopf fiel zu Boden.

Danach wurden die Tage lang und grau, die Menschen mieden ihn. Er hatte nun ausreichend Zeit, um seine gesammelten Schätze zu pflegen, doch der Kontakt zu den Frauen fehlte ihm. Mit der Zeit nutzten sich die Haare und der Reiz ab.

Bis Rapunzel erschien. Er konnte sich zum ersten Mal wieder im Spiegel betrachten. Sie hörte ihm zu, verstand ihn. Michael fühlte sich lebendig und jung. Die Pfirsichwolke trug ihn ins Schlafzimmer. Er liebkoste ihren Körper, wälzte sich in ihren Haaren.

Zunächst teilte Rapunzel seine Aufregung, heizte ihn sogar noch an. Doch bald wurde sie ruhiger. Er versuchte mit immer ausgefalleneren Stellungen, ihre Gier erneut zu wecken. Nichts half. Sie kniete vor ihm, kehrte ihm den Rücken zu. Da wickelte er die Strähne, die er in Händen hielt, fest zu einer Kordel und legte sie um ihren Hals. Er zog sanft, sie stöhnte, wand sich, legte den Kopf in den Nacken. Das Gefühl der kommenden Erlösung packte ihn, steigerte sich ins Unerträgliche. Mit jedem Stoß seiner Hüften verlor er mehr und mehr die Kontrolle, zog immer stärker. Durch den Nebel seiner Trance hörte er leise ihre Rufe, sah ihre immer wilderen Bewegungen, die schlagenden Arme, wie sich ihr Körper versteifte. Und wie er schließlich in sich zusammenfiel. Es war ein vollkommener Moment, Knistern lag in der Luft. Erst als er sich seufzend neben seiner wunderschönsten Rapunzel fallen ließ, sie küssen wollte, sah er ihr verzerrtes Gesicht.

Ihre Haut war noch immer weich und zart unter seinen Fingerspitzen, doch sie wurde kälter. Er schüttelte sie wieder und wieder. Die ersten Tränen seines erwachsenen Lebens kamen und wollten nicht mehr gehen. Seine Muskeln spannten sich, alles schmerzte. Dann griff er wütend in die wilde Mähne, führte die Haare zu seinem Schritt und genoss noch ein letztes Mal die heftige Erregung.

Als er fertig war, ging er in die Küche, fand die Schere, band den Zopf und schnitt ihn ab. Die kurzen Haare breiteten sich auf dem Kissen aus, umrahmten ihr Gesicht. Der letzte Rest Anmut verließ den zarten Körper, zurück blieb eine leere Hülle. Alles Anziehende hatte sie verlassen. Der Zopf in seiner Hand wurde warm von der Umklammerung. Er verließ das Zimmer, schloss die Tür und wählte den Notruf.

Als es an der Tür klingelte, saß er am Tisch. Den Zopf von Rapunzels seidigem Haar um die Schultern gelegt, inhalierte er ein letztes Mal den Duft, bevor er sich langsam erhob.

 

Hallo Rotmeise,

ich habe gerade nochmal nachgeschaut, weil ich glaubte schon einmal eine KG von dir gelesen und kommentiert zu haben, und ja, der Putztraum war es! Ein bisschen erinnert mich deine Story an den Protagonisten aus "Das Parfum", nur dass es diesmal um eine besondere Vorliebe für Haar geht statt für Gerüche. Und dann erkenne ich da auch Murakami, den du ja grade liest, und dann frage ich mich: Wo ist Rotmeise?

Aber eigentlich habe ich die Story gerne gelesen. Freuds Ödipus-Komplex behandelst du ja auch, ja, die Beziehung zur Mutter ist schon was besonderes und beeinflusst den Menschen in seiner Entwicklung. Und wenn die Mutter krank ist, ist das schrecklich :(

Ansonsten habe ich eigentlich nichts zu bemängeln, außer dass mir da so der eigene Stil von dir fehlt, das Wiedererkennbare, wo man denkt, ja, das ist Rotmeise.

Lg, chico

 

Hallo Chico1989,

Wo ist Rotmeise?
tja, wo ist sie die Rotmeise? Ja, wo is‘ sie denn? Sag mir Bescheid, wenn du sie gefunden hast. ;)

Aber Spaß beiseite: du fragst nach meinem eigenen Stil und wenn ich ganz ehrlich bin, freut mich das sogar ein wenig, schreibe ich doch erst seit Anfang des Jahres KG. Nachdem mir hier schon an anderer Stelle (unter anderem von ernst offshore) nahegelegt wurde, doch bitte einmal eine "richtige" Geschichte zu erzählen, kann ich mit einem fehlenden eigenen Stil erstmal(!) leben...

Momentan schreibe ich einfach sehr viel und versuche, mich in allen Richtungen zu probieren. Unbewusst spielt natürlich immer der Stil der Autoren rein, die man gerade liest (wobei ich gerade eigentlich mehr im Forum unterwegs bin, was die Abendlektüre angeht) und Murakami ist seit Jahren einer meiner unbestrittenen Favoriten. Abzukupfern war aber nicht mein Plan. Bei der nächsten KG werde ich versuchen, mich davon mehr zu lösen und sicherlich wird dann auch irgendwann so etwas wie ein eigener Stil entstehen. Da ich froh bin, wenn aus meinem Geschreibsel überhaupt eine lesbare Geschichte entsteht, nimm’s mir nicht übel, wenn ich deinen Hinweis erstmal hinten anstelle. Ich nehme ihn aber dennoch ernst.

Ein bisschen erinnert mich deine Story an den Protagonisten aus "Das Parfum", nur dass es diesmal um eine besondere Vorliebe für Haar geht
Freuds Ödipus-Komplex behandelst du ja auch
Und wenn die Mutter krank ist, ist das schrecklich

Aus dem oben genannten Grund, habe ich so einiges an Themen in meine KG eingebaut. Am Ende dachte ich: vielleicht zu viel? Dich scheint es nicht gestört zu haben?

Gruß,
Rotmeise

 

Da ist die Rotmeise!

ne, hat mich nicht gestört. Ich mag das, wenn´s etwas ins psychologische geht, man darstellt warum jemand handelt wie er es tut. Ansonsten habe ich nicht viel auszusetzen, das wäre schon meckern auf hohem Niveau, aber andere sehen da manchmal mehr oder andere Dinge ... deshalb bin ich gespannt auf die weiteren Kommentare.

Lg, chico :)

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Chico,

deshalb bin ich gespannt auf die weiteren Kommentare.
ja, da bin ich auch sehr gepannt, bisher ist es hier ja sehr ruhig :(

Gut schon mal zu wissen, dass es dich nicht gestört hat. Ja, einen Hang zum Psychologischen habe ich auch. Zu zeigen, wie eine wirklich auffällige "Macke", wenn man die Hintergründe kennt, doch gar nicht mehr so erstaunlich ist, finde ich spannend.
Und natürlich freut's mich, wenn du nicht viel auszusetzen hast. Aber: Meckern auf hohem Niveau (danke für das Kompliment, wenn ich das so verstehen darf) hilft ja auch. Ich bin froh über jedes Feeback.

Danke, dass du vorbeigeschaut hast.

Gruß,
Rotmeise

 

Her Rotmeise,

och, immer dieses Geraffel mit Lust und Leid. :hmm:

:lol: nee, schon gut. War Spaß. Eigentlich mag ich es sehr gerne, wie du diese Geschichte erzählt hast. (Hab selbst viel Murakami gelesen;)), aber : ich hab's nicht so mit Sex und Psyche.

Mir gefällt die Unaufgeregtheit (abgesehen natürlich von seiner Lust), die beobachtende Beschreibung. Keine ausufernden Dialoge, reduzierte Handlung, gute Übergänge.

Die kurzen Haare breiteten sich auf dem Kissen aus, umrahmten ihr Gesicht, wie damals das seiner Mutter.

Hier hätte ich mir den letzten Satzteil subtiler gewünscht.

Freundlicher Gruß, Kanji

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Kanji,

och, immer dieses Geraffel mit Lust und Leid.
ich hab's nicht so mit Sex und Psyche.
:lol: Kann ich verstehen, ist nicht jedermanns Sache. Als mir das Thema einfiel, habe ich lange gezögert und den Text zig mal umgeschrieben. Dann habe ich mir aber gedacht: Hau’s einfach raus. :Pfeif:

Den Stil habe ich absichtlich sehr ruhig gehalten. Der Inhalt ist schon delikat genug, da hätte mehr Aufregung nicht gepasst. Schön, dass es dir gefallen hat.

Die kurzen Haare breiteten sich auf dem Kissen aus, umrahmten ihr Gesicht, wie damals das seiner Mutter.
Hier hätte ich mir den letzten Satzteil subtiler gewünscht.
Du hast Recht, da winkt der Zaunpfahl. Mit dem Satz habe ich mich selbst schwergetan, ihn aber dann doch gelassen. Ich werde mal sehen, wie ich das besser hinbekommen kann.

Gruß,
Rotmeise

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Rotmeise,

wenn ich dich mangels Computer schon nicht säuberlich zitieren kann, liste ich meine Anmerkungen wenigstens in der richtigen Reihenfolge auf, um einen Hauch von Übersichtlichkeit zu wahren.

Absatz 1:

Ich spüre den Tod und fühle mich vor allem aufgrund des Versuchs, den Mund zu schließen, an ein konkretes Bild erinnert. Das Unbehagen dabei hat dich nicht zu interessieren; dass ich weiterlesen möchte hingegen schon.
Sind die Augäpfel nach dem Tod tatsächlich rot? Darüber habe ich mich gewundert.

Absatz 3:

"Bindet" man die Haare nicht eher zu einem Zopf? "Drehen" habe ich diesbezüglich noch nicht gehört, aber was das angeht, habe ich nun wirklich keine Ahnung.
Was du dir sonst zu ihrer Haarpracht einfallen lässt (gilt auch für Absatz 4), gefällt mir außerordentlich gut. Ebenso der "rebellierende Magen".


Absatz 4:

Welches Rascheln? Rascheln Haare? Im folgenden Absatz beschreibst du die Haare der Mutter als seidig. Seide raschelt nicht. Vielleicht sind die Haare von Rapunzel aber auch nicht seidig, oder etwas anderes verursacht das Rascheln.
Wie du die Mutter an dieser Stelle (Absatz 5) einbaust, finde ich extrem bizarr. Allerdings auch überaus passend, da sich dadurch das Bild bestätigt, das sich eingangs schon angedeutet hat. Das hast du elegant gedacht und geschrieben.

Absatz 6:

Ich habe den Duft von Pfirsich förmlich in der Nase. Sehr schön!

Absatz 9:

"Er war überrascht von der Kraft, mit der der müde Körper gegenhielt." -> Finde ich schaurig schön, weil ich es mir bildlich vorstellen kann, störe mich aber sehr an dem dreimaligen "der". Dir fällt gewiss etwas ein, um das zu verbessern.

Absatz 10:

Deine Kreativität zu den Haaren ist bemerkenswert! Gerne wüsste ich, "ob dein offenes Haar beinahe deine Knie berührt" ...
In den letzten fünf Zeilen des Absatzes zähle ich fünfmal das Wort "sich". Gerade in direkt aufeinanderfolgenden Sätzen empfinde ich das als störend. Vielleicht geht es dir ja ähnlich.

Absatz 13:

Puh ... Harter Tobak.
Zu erst dachte ich, dass er den Zopf tendenziell an sich reiben, und nicht er sich an dem Zopf reiben müsste. Durch seine Lage trifft es deine Beschreibung aber richtig. Man kann sich das gut vorstellen. Leider?

Absatz 16:

Welcher Reiz nutzt sich ab? Der der Haare oder sein Reizempfinden? "abnutzender Reiz" klingt m.E. unschön. Ich bin mir auch nicht sicher, ob man das so sagt.

Absatz 17:

"wälzte sich in ihren Haaren" -> Ich kann mich nur wiederholen. Das sagt mir sehr zu!

Absatz 18:

Satz 2 und 4 fangen mit "Doch" an. -> unschön

Absatz 20/21:

Das Ende hast du fein ausgeklügelt. Das "Versöhnliche" gefällt mir.

Die ganze Geschichte gefällt mir, liebe Rotmeise. Dein Erzählstil ist toll. Trotz des heiklen Themas wirkt das sehr einfühlsam. Angemessen einfühlsam. Du bringst dem Leser deinen Protagonisten näher, indem du die Hintergründe beleuchtest.

Sehr gerne gelesen von
JackOve

 
Zuletzt bearbeitet:

Liebe Rotmeise,

grundsätzlich kann ich nachvollziehen, was du in deiner Geschichte erzählen möchtest: die tiefe Beziehung deines Protagonisten zu seiner Mutter, die sich symbolhaft in der Liebe zu ihrem langen Haar und seinem Duft äußert. Als die Mutter gestorben ist, sucht er einen Ersatz für sein Begehren und findet Rapunzel. Doch sie kann ihm das Gefühl, das er bei seiner Mutter empfand, nicht zurückbringen, und deshalb muss sie sterben. So verstehe ich deine Geschichte und so ist sie für mich nachvollziehbar.

Mit der Rolle und der Darstellung der Person des Vaters habe ich allerdings meine Schwierigkeiten:

Sein Vater hatte wieder einmal das Bett verrückt, so dass seine Frau einen anderen Teil des Zimmers betrachten konnte. Mit Engelszungen redete er auf die blasse Gestalt ein, versuchte ihr vergeblich ein paar Tropfen wässriger Brühe einzuflößen. Müde nickte sein Vater in Michaels Richtung. Seine Mutter bemerkte ihn nicht.

Hier zeichnest du den Vater als liebevollen Ehemann, der müde geworden ist im Bemühen, seiner Frau zu helfen.
(Wer ist hier mit ‚ihn’ gemeint? Ich weiß, Michael, aber das Subjekt des Vorsatzes ist der Vater.)

Dann aber lese ich,

Sie hatte nur kurz die Augen geöffnet, blickte in die Richtung, in die sein Vater verschwunden war. Ihr ganzer Körper wurde plötzlich steif, ihre Augen weiteten sich. Sie starrte auf die Wand gegenüber der Badezimmertür. Michael folgte ihrem Blick. Das Licht aus dem Badezimmer zeichnete ein helles Rechteck. Genau in der Mitte der verschwommene Umriss seines Vaters. Er stand regungslos da. Zitternd hob seine Mutter die Hand und deutete auf die Silhouette.

Die Mutter hat Angst vor diesem Vater. Warum ?
Entweder ist mir da etwas entgangen oder du deutest etwas an, was sich mir nicht erschließt: Warum diese plötzliche Angst der Mutter? Warum will sie sich sogar mit ihren eigenen Haaren erdrosseln? Mir wird die Beziehung der Eltern des Protagonisten nicht klar. Was deutest du an?

Warum stürzt sich der Vater nach dem Tod der Mutter in die Arbeit und kommt kaum noch nach Hause. Was ist da los mit ihm? Ich verstehe es nicht.

Überhaupt bleibt mir unklar, was du mit diesen Szenen ausdrücken möchtest. Was haben sie mit der Beziehung Michael-Mutter zu tun? Was erklären sie über Michaels Verhalten?

Rotmeise, durch deine Geschichte schimmert der klassische Ödipuskomplex, wie ihn Freud beschrieben hat. Das Begehren der Mutter durch den Sohn geht dabei bei Freud einher mit dem Hass auf den Vater, wenn ich mich richtig entsinne. Aber ich finde in deinem Text eigentlich nichts, weshalb Michael seinen Vater hassen sollte. Da ist wohl etwas, wenn die Mutter ihre Augen nicht von der Silhouette des Vaters nehmen kann und zitternd auf sie zeigt. Aber was? Habe ich etwas übersehen oder hast du hier den Begründungszusammenhang nicht klar genug dargestellt?

Und diese Stelle verstehe ich auch nicht:

Er wollte seinen Vater auffordern, die Tür zu schließen, das Licht auszuschalten. Doch er konnte nichts tun, außer sie anzusehen. Hoffnung, da war Hoffnung in den Augen seiner Mutter. Kaum wahrnehmbar formten ihre Lippen ein Lächeln. Dann ging das Licht aus, der Umriss verschwand. Beinahe gleichzeitig nahm der Druck unter seiner Hand ab. Seine Mutter fiel kraftlos zurück auf das Kissen. Die Hand landete mit einem dumpfen Klopfen auf der Bettdecke. Noch immer blickte sie auf die Stelle, an der die Silhouette gewesen war. Jetzt erst wandte sie sich Michael zu. Eine Träne lief ihr über die Wange. Mit einer Entschlossenheit, die er lange nicht mehr an ihr beobachtet hatte, griff sie neben sich.
Was ist da los? Da ist Hoffnung in den Augen der Mutter. Hoffnung worauf? Sie weint, ist aber gleichzeitig entschlossen, sich mit dem Zopf zu erdrosseln. Ich kann nur vermuten: Der Vater hindert sie daran, mit ihrem Leben ein Ende zu machen, die Mutter trickst ihn aber aus:

Schon hatte sie sich den langen, geflochtenen Zopf um den Hals gelegt.
Sein Vater bemerkt erst jetzt, was vor sich geht, eilt zum Bett, hindert sie an ihrem Vorhaben und schneidet letztendlich den Zopf ab. Der Zopf wird für Michael zum Fetisch, mit dem er sich in sexuelle Erregung versetzt.

Es folgt eine Episode mit Martina, die ihm keine Erfüllung bringt. Dann findet er Rapunzel. In der Begegnung mit ihr liegt der Schwerpunkt deiner Geschichte und die beschreibst du in ihren Einzelheiten sehr gut. Das Drumherum solltest du noch einmal auf Notwendigkeit und Stringenz untersuchen. Braucht es für deine Geschichte diese lange Szene mit dem Vater wirklich? Was bezweckst du damit? Und auch Martina? Ist sie wirklich wichtig für die eigentliche Handlung? Ich würde hier konsequent streichen und die Beziehung Michael-Mutter und Michael-Rapunzel in den Vordergrund stellen.

Rotmeise, ich finde es nicht schlimm, dass du hier den Ödipuskomplex eines Menschen mit Motiven aus ‚Das Parfüm’ mischst, aber die Rückblende in der Mitte deiner Geschichte verwirrt mich einigermaßen und ich kann sie in keinen klaren Begründungszusammenhang bringen. Wie schon gesagt, vielleicht habe ich etwas nicht richtig verstanden oder überlesen.

Noch ein paar Sachen, die ich mir beim Lesen notiert habe:

Die allmählich trocknenden Tränen spannten auf seiner Haut.
Ich erahne, was du sagen möchtest, aber können trockene Tränen spannen?

Lange hatte er um seine Rapunzel geweint; dann um all die anderen Frauen, seine geliebte Mutter.
Hier würde ich nach ‚Frauen’ ein ‚und’ einfügen.

Verlegen drehte sie mit beiden Händen die Mähne zum Zopf,
Ein schönes Bild, aber ein Zopf ist in der Regel geflochten.

Bis eines Tages die wehenden Haare eines vorbei laufenden Mädchens seinen Arm streiften.
vorbeilaufenden

Von Zeit zu Zeit konnte er ein paar lange Strähnen vor der Entsorgung retten.
‚Entsorgung’ hört sich hier sehr unpassend an.

Bis er eines Tages vergessen hatte, die Tür zum WC abzuschließen.
Warum hier das Perfekt? Da ist keine Vorzeitigkeit.
Statt WC vielleicht doch besser Toilette.

Zunächst hatte Rapunzel seine Aufregung geteilt, ihn sogar noch mehr angeheizt.
Hier scheint mir ebenfalls keine Vorzeitigkeit gegeben zu sein.

Rotmeise, die Grundidee deiner Geschichte hat mir gefallen und auch die Gestaltung des Hauptthemas. An den mittleren Teil müsstest du dich mMn noch einmal ranmachen.

Liebe Grüße
barnhelm

 

Hallo JackOve,

freut mich, dass du vorbei schaust und dass dir die Geschichte gefällt. Und danke natürlich für deinen ausführlichen Kommentar unter erschwerten Bedingungen… Ich nummeriere zwar zum ersten Mal meine Absätze, aber übersichtlich ist es in jedem Fall :thumbsup: Dann werde ich mal meine Antwort auch so schön linear aufbauen.

Ich spüre den Tod und fühle mich vor allem aufgrund des Versuchs, den Mund zu schließen, an ein konkretes Bild erinnert.
Oh, ich hoffe, ich habe da keinen wunden Punkt getroffen. Aber du hast Recht, das hat mich nicht zu interessieren, falscher Ort... Umso schöner, dass du dennoch weitergelesen hast.

Sind die Augäpfel nach dem Tod tatsächlich rot? Darüber habe ich mich gewundert.
Weil ich (zum Glück!) keine realen Erfahrungen damit gemacht habe, ich mir aber trotzdem ein besseres Bild davon machen wollte, wie man sich das Gesicht einer Toten nach dem Erdrosseln vorzustellen hat, habe ich ein wenig recherchiert. Es scheint so zu sein, dass durch das Erdrosseln rote Flecken im Augapfel erscheinen, woran man diese Todesursache unter anderem auch erkennt. Wie groß die sind und ob das Auge dann insgesamt rot wirkt, konnte ich leider nicht herausfinden, da habe ich mal meiner Phantasie freien Lauf gelassen, weil ich das Bild ganz passend fand.

"Bindet" man die Haare nicht eher zu einem Zopf? "Drehen" habe ich diesbezüglich noch nicht gehört, aber was das angeht, habe ich nun wirklich keine Ahnung.
Ja, das kann ein männlicher Leser vielleicht wirklich schwer nachvollziehen, Frauen mit kurzen Haaren vielleicht auch oder ich habe es schlecht beschrieben. Bei anderen Frauen habe ich das schon beobachtet, als ich lange Haare hatte (aber nicht bis zum Knie, was deine spätere Frage dann auch beantwortet  ), habe ich das auch recht häufig gemacht. Und zwar nimmt man alle Haare mit einer Hand zusammen und dreht dann die Hand mit den Haaren, etwa wie eine Kordel. Dadurch bleiben die Haare eine kurze Weile aus dem Gesicht, ohne dass man ein Haargummi braucht. Leider hält das, wie bei Rapunzel auch, nicht besonders lange.

Welches Rascheln? Rascheln Haare?
Hm, vielleicht das falsche Wort? Wenn viele Haare (egal wie seidig) sich direkt am Ohr bewegen, entsteht so ein leises Geräusch, rauschen, knistern. Beim Schreiben habe ich mich damit auch schon schwer getan, aber nichts treffenderes gefunden. Ich werde nochmal darüber nachdenken.

"Er war überrascht von der Kraft, mit der der müde Körper gegenhielt." -> Finde ich schaurig schön, weil ich es mir bildlich vorstellen kann, störe mich aber sehr an dem dreimaligen "der". Dir fällt gewiss etwas ein, um das zu verbessern.
Stimmt, habe ich geändert. Ebenso bei Absatz 10 (sich) und 18 (doch). Man kann ja Korrektur lesen so oft man will, trotzdem geht einem sowas noch durch die Lappen…

Welcher Reiz nutzt sich ab? Der der Haare oder sein Reizempfinden? "abnutzender Reiz" klingt m.E. unschön. Ich bin mir auch nicht sicher, ob man das so sagt.
Schade, den Satz fand ich eigentlich ganz gut. Ich denke nochmal drüber nach, bin mir jetzt auch nicht mehr sicher.

Das Ende hast du fein ausgeklügelt. Das "Versöhnliche" gefällt mir.
Dass du das Ende „versöhnlich“ findest, ist interessant. Ich hatte es eher als Niederlage gesehen, als den Moment, in dem er begreift, was in seinem Leben alles schief läuft (bzw. das Ausmaß dessen). Im Sinne von: Ihr könnt mich jetzt abholen, ich gehöre hinter Gitter.

Viele Grüße,
Rotmeise

 

Hallo barnhelm,

danke auch dir für dein ausführliches Feedback.

Doch sie kann ihm das Gefühl, das er bei seiner Mutter empfand, nicht zurückbringen, und deshalb muss sie sterben.
Ja, im Prinzip hatte ich es mir so gedacht. Sie „muss“ sterben würde ich aber nur im Gesamtkonzept sehen, weniger, weil er sie absichtlich umbringt. Ich denke, das ist eher ein tragischer Unfall, zunächst gefällt es ihr ja auch. Eigentlich wollte ich damit nur die Tragik und den Punkt seiner Erkenntnis, seinen absoluten Tiefpunkt markieren. Seine Geschichte wiederholt sich bedingt, er erkennt, dass etwas „mächtig schief läuft“ und hat somit erst die Chance, aus seiner Fokussierung auszusteigen (wenn es die in einem solchen Fall gibt).

(Wer ist hier mit ‚ihn’ gemeint? Ich weiß, Michael, aber das Subjekt des Vorsatzes ist der Vater.)
Ist geändert.

Die Mutter hat Angst vor diesem Vater.
Ich glaube hier liegt das wesentliche Missverständnis. Gut, dass du das ansprichst, denn an diesem Punkt hatte ich die meisten Bedenken, nicht deutlich genug zu sein. Die Mutter hat keine Angst vor ihrem Mann. Sie sieht nicht ihren Mann, sondern nur die schemenhafte Silhouette. Sie ist sehr krank, nimmt ihre Umwelt kaum noch richtig wahr und sehnt sich nach Erlösung von ihren Qualen. Als sie die Silhouette sieht, hat sie Angst, schöpft dann Hoffnung, weil sie darin einen Engel, den Tod, was auch immer, sieht. Einige Menschen glauben an etwas in der Art, ein Wesen, das sie abholt. Vor allem, wenn sie wissen, dass es mit ihnen zu Ende geht. Sie glaubt, das Leiden hat nun endlich ein Ende. Daher ist sie auch enttäuscht und verzweifelt, als der Schatten verschwindet und versucht dann, es selbst zu Ende zu bringen.

Warum stürzt sich der Vater nach dem Tod der Mutter in die Arbeit und kommt kaum noch nach Hause. Was ist da los mit ihm? Ich verstehe es nicht.
Hier wollte ich nur deutlich machen, wie einsam Michael ist. Eigentlich hatte ich den Vater von Anfang an so angelegt, dass er sich nicht um Michael kümmert, auch vorher schon. Das würde natürlich besser zum Ödipus-Komplex passen. Die Szene mit dem Schatten hat mir aber mit dem Vater besser gefallen, zunächst war es eine Pflegekraft. Nun kann man es natürlich als widersprüchlich ansehen, dass der Vater seine Frau liebevoll pflegt, aber den Sohn kaum beachtet und das hätte ich natürlich deutlicher darstellen können.
Für Michaels Entwicklung war es mir wichtig, dass er recht allein da steht, dass sein Bezugspunkt, die Geborgenheit seiner Mutter, verloren geht. Er ist noch jung und wenn dann auch noch kaum Unterstützung bei der Bewältigung erfolgt, er im Gegenteil sogar z.B. im Haushalt gefordert wird, fördert das mMn nicht eben eine gesunde Entwicklung.

Überhaupt bleibt mir unklar, was du mit diesen Szenen ausdrücken möchtest. Was haben sie mit der Beziehung Michael-Mutter zu tun? Was erklären sie über Michaels Verhalten?
Ich denke, über Michaels Verhalten sagen sie eine Menge aus. Vielleicht bin ich da aber auch auf dem Holzweg, denn ich bin natürlich keine Psychologin. ;) Er hat eine sehr enge Bindung zu seiner Mutter, besonders die abendlichen Lesestunden sind seit frühester Kindheit mit ihren Haaren verknüpft. Als seine Mutter viel zu früh stirbt, ist das ein herber Schlag, besonders für ein Kind, und ihm wird die Chance genommen, sich später von ihr zu distanzieren, zu rebellieren. Dann ist der Tod seiner Mutter auch noch, über die traumatische Erfahrung kurz vorher, wiederum mit den Haaren verknüpft, die er, mangels Fürsorge seines Vaters, nutzt, um sich zu trösten, die alte Geborgenheit zurückzuholen. Somit erklärt sich für mich auch die ungesunde Fixierung auf Haare allgemein.
Die Szene mit Mutter und Vater ist für mich eine Schlüsselszene, wiederholt sie sich doch bedingt am Ende mit Rapunzel. Wieder sind Haare mit einem großen Verlust verknüpft. Außerdem stelle ich es mir schrecklich vor, wenn ein Junge seiner Mutter zusehen muss, wie sie unter der Krankheit leidet und sich dann aus lauter Verzweiflung versucht, das Leben zu nehmen. Das prägt sicherlich.
Martina erwähne ich hauptsächlich, um zu zeigen, wie viele Jahre er darauf wartet, seinen Fetisch ausleben zu dürfen. Ich könnte mir vorstellen, dass es eine harte Durststrecke sein muss. Aber das wäre etwas, was ich mir vorstellen kann zu streichen.

Ich erahne, was du sagen möchtest, aber können trockene Tränen spannen?
Du hast Recht, spontan fällt mir nichts Besseres ein, ich werde das später ändern.

Verlegen drehte sie mit beiden Händen die Mähne zum Zopf,
Ein schönes Bild, aber ein Zopf ist in der Regel geflochten.
s. Antwort an JackOve
Ist ein Pferdeschwanz (in diesem Fall ein gedrehter) nicht auch ein Zopf?

Die restlichen Textstellen habe ich geändert.

Nun habe ich aber ein wenig ausschweifend geantwortet. Ich hoffe, du verstehst meine Intention jetzt besser. Und danke nochmal fürs Kommentieren. Es ist interessant, wie du, und wahrscheinlich auch andere, die Geschichte ganz anders verstehen. Grundsätzlich gebe ich dir Recht, dass ich noch einiges kürzen kann, vielleicht wird meine Idee dann auch etwas deutlicher.

Viele Grüße,
Rotmeise

 

Die Geschichte will wohl Haarfetischismus erklären oder wenigstens zeigen, wie es dazu kommen kann, aber sie scheitert darin. Weil sie sich nicht traut, die ganze Wahrheit zu sagen. Das Sexuelle – das Umwickeln des Penis mit den Haaren seiner verstorbenen Mutter - kommt zu plötzlich und unmotiviert.

Davor gibt es ja nur das:

Jeden Abend hatte sie sich zu ihm gelegt und ihm vorgelesen. Tief vergraben unter den langen, schweren Locken seiner Mutter hatte er ihrer Stimme gelauscht. Dabei glitten die seidigen Strähnen wie von selbst durch seine Finger. An den Spitzen angelangt, segelten sie langsam herab und landeten auf der Bettdecke. Er beobachtete, wie seine Fingerkuppe erst rot und dann blau wurde, wenn er eine Locke aufwickelte. Der Pfirsichduft ihres Shampoos wiegte ihn sanft in den Schlaf.
Das ist zu wenig, denn damit etwas zum (sexuellen) Fetisch wird, muss dieses Etwas mit einer (ersten) sexuellen Erfahrung erlebt werden. Das ist hier nicht der Fall.

Um die Geschichte glaubwürdig zu machen, muss in die oben zitierten Situation etwas Sexuelles eingebaut werden: Das muss nichts großes sein - eine Erektion würde schon reichen, um das Haar mit sexuellem Genuss zu verbinden und auf ewig zu fixieren. Nur so wird alles Weitere glaubhaft.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo Dion,

danke für deinen Einwand. Allerdings muss ich sagen: Ich bin keine Psychologin und schreibe weder eine wissenschaftliche Abhandlung, noch einen Aufklärungstext. Das Thema ist recht weit entfernt von meiner Realität und ich kann nur versuchen, mich hinein zu versetzen. Daher liegt mein Hauptaugenmerk nicht darauf, alles absolut realistisch darzustellen, es ist und bleibt Fiktion. Mein Anspruch war es, zu zeigen, dass „Macken“, psychische Auffälligkeiten, die man im ersten Moment für sehr skurril und absurd hält, durchaus nachvollziehbar erscheinen können, wenn man die Vorgeschichte kennt. Meine Wahl ist mehr oder weniger zufällig auf den Haarfetischismus gefallen und mein Prot soll kein Paradebeispiel nach Lehrbuch sein.

Du hast mich dennoch zum Nachdenken angeregt. Denn man sollte schon mitfühlen und sich identifizieren können, soweit das möglich ist. Glaubhaft sowieso. Nimm es mir daher nicht übel, aber meiner Meinung nach würde die Erektion eines Vorschulkindes eher abschrecken. Das mag daran liegen, dass ich eine Frau bin und keine eigenen Kinder habe. Auch auf die Gefahr hin, dass ich nicht konsequent genug erscheine, mir den letzten Schritt nicht zutraue, ist da für mich die Grenze erreicht. In einem anderen, humoristischen Umfeld durchaus denkbar, in diesem Text habe ich Angst, dass es zu sehr abdriftet (auch und gerade weil ich an anderen Stellen relativ konkret werde).

Viele Grüße,
Rotmeise

 

Hallo Rotmeise,

das Versöhnliche habe ich guten Grundes in Anführungszeichen gesetzt.
Dein Protagonist hat sich das ja im Prinzip schon in dem ersten Absatz deiner Geschichte eingestanden. Allerdings findet dieser in der Schlussszene, nach dem Tod Rapunzels, statt. Wahrscheinlich habe ich das beim Schreiben meines Kommentars nicht bedacht.
Dennoch: Dieses Eingeständnis empfinde ich nicht als Niederlage. Vielleicht ist das Wunschdenken, aber ich erkenne an der Bereitschaft, sich einbuchten zu lassen, den Willen zur Veränderung. Er könnte ja auch weiter morden oder den Freitod wählen... Bei letzterem muss ich zwangsläufig an den Zopf der Mutter denken. Interpretiere das bitte nicht als Vorschlag. Wie gesagt, ich mag das (leicht versöhnliche) Ende!

Zum Thema Mord und Tod generell. Nur die Mutter und Rapunzel sind gestorben. Richtig, oder? In dem ersten Absatz weint dein Protagonist um beide. Gleichwohl aber auch um alle anderen Frauen. Normalerweise müssten das doch unterschiedliche Tränen sein. Die fremden Frauen / Menschen, die ihn mieden, wie du schreibst, bedeuten ihm doch sicherlich weniger.
Vielleicht wolltest du auch andeuten, dass ihm mehrere Frauen zum Opfer gefallen sind?
Wenn dem so ist, wären die gleichen Tränen verständlich. Dann bedürfte es vielleicht einen kleinen Hinweis in den folgenden Absätzen... Zumindest solltest du es nicht indirekt ausschließen. "... doch der Kontakt zu den Frauen fehlte ihm."

Liebe Grüße,
JackOve

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo JackOve,

Das Ende hast du fein ausgeklügelt. Das "Versöhnliche" gefällt mir.

Dieses Eingeständnis empfinde ich nicht als Niederlage. Vielleicht ist das Wunschdenken, aber ich erkenne an der Bereitschaft, sich einbuchten zu lassen, den Willen zur Veränderung. Er könnte ja auch weiter morden oder den Freitod wählen...

Interessant, wie du das Ende siehst. Beim Schreiben war mein Eindruck, dass er zu Beginn der Geschichte, als er Rapunzel kennenlernt, deutlich näher an einer Versöhnung mit sich und seiner Vergangenheit ist. Er erkennt, dass er seine Neigungen auch ausleben darf, dass er angenommen wird.
Am Ende sehe ich ihn, ganz im Gegenteil, sehr weit entfernt von einer Versöhnung. Denn der Moment, in dem er seine Phantasien endlich beginnt auszuleben, führt zu einem schrecklichen Erlebnis, das ihn auch noch die Frau seines Herzens kostet. Die Hoffnung auf ein glückliches Leben stirbt mit seiner Rapunzel und schuld ist sein Fetisch. Daher denke ich, dass er diesen Teil seiner Persönlichkeit verabscheut und daher die gerechte Strafe erwartet. Der Freitod wäre nicht Strafe genug. Natürlich bedeutet dieses Ereignis eine Veränderung, er verbietet sich seine Neigungen, verabschiedet sich am Tisch sitzend. Das könnte natürlich einen Prozess starten, an dessen Ende eine Versöhnung stehen könnte, aber meiner Meinung ist er noch weit davon entfernt.

Nur die Mutter und Rapunzel sind gestorben. Richtig, oder? In dem ersten Absatz weint dein Protagonist um beide. Gleichwohl aber auch um alle anderen Frauen.

Ja, es gibt nur zwei Tote. Der Satz ist leider durch diverse Änderungen nicht mehr sinnvoll. Habe ich schon geändert, danke für den Hinweis. Ursprünglich stand dort sinngemäß, dass er um die anderen Frauen und die mit ihnen verbundenen Phantasien weint. Später habe ich mich aber entschieden, nicht bereits im ersten Absatz darauf hinzuweisen.

Danke dir und allen anderen, dass ihr eure Gedanken zu der Geschichte teilt. Ich finde es unheimlich spannend, wie unterschiedlich Aspekte wahrgenommen werden, die für mich beim Schreiben absolut eindeutig schienen.

Viele Grüße,
Rotmeise

 

Mein Anspruch war es, zu zeigen, dass „Macken“, psychische Auffälligkeiten, die man im ersten Moment für sehr skurril und absurd hält, durchaus nachvollziehbar erscheinen können, wenn man die Vorgeschichte kennt.
[…]
Denn man sollte schon mitfühlen und sich identifizieren können, soweit das möglich ist. Glaubhaft sowieso. Nimm es mir daher nicht übel, aber meiner Meinung nach würde die Erektion eines Vorschulkindes eher abschrecken.
Wen sollte das abschrecken? Jeder, der Kinder hat, weiß, dass sie ungewollte Erektionen haben. Dennoch verbreitet sie ihnen Vergnügen, an das sie sich später (unbewusst!) erinnern können. Bei einer Geschichte, die eine skurrile sexuelle Auffälligkeit nachvollziehbar zeigen will, ist es unabdingbar, dies auch deutlich zu machen, sonst denken Leser, dass schon das einfache Schnuppern im Haar der Mutter zu solcher Auffälligkeit führen kann.

Daher wiederhole und konkretisiere ich meinen Vorschlag: Wie wäre es, wenn das Kind das Haar der Mutter nicht um seinen Finger wickelt, sondern um seinen Penis? Die entsprechende Stelle könnte dann so aussehen:

Jeden Abend hatte sie sich zu ihm gelegt und ihm vorgelesen. Tief vergraben unter den langen, schweren Locken seiner Mutter hatte er ihrer Stimme gelauscht. Dabei glitten die seidigen Strähnen wie von selbst durch seine Finger. An den Spitzen angelangt, segelten sie langsam herab und landeten unter der Bettdecke. Gedankenverloren wickelte er eine Locke um seinen Penis. Nach und nach vergaß er alles um sich herum, nur der Pfirsichduft ihres Shampoos blieb ihm erhalten und wiegte ihn sanft in den Schlaf.

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo zusammen,

ich habe den Text nun noch einmal komplett überarbeitet. Die Stelle mit der Silhouette und Martina habe ich komplett gestrichen, barnhelm. Mit ein wenig Abstand muss ich dir Recht geben, die Szenen lenken nur von der wesentlichen Handlung ab. Die Beziehung zum Vater wird nun auch eindeutiger.

Verlegen drehte sie mit beiden Händen die Mähne zum Zopf,
barnhelm und JackOve: Diesen Satz habe ich mittlerweile auch geändert, nun schiebt sie die Haare nur noch beiseite, was sicherlich den Kern ebenso trifft, ohne unnötig zu verwirren.

Mit der Zeit nutzten sich die Haare und der Reiz ab.
Welcher Reiz nutzt sich ab? Der der Haare oder sein Reizempfinden?
Hier habe ich mich entschieden den Satz so zu belassen. Ich denke, die Formulierung ist in Ordnung und mir gefällt das Bild, dass sich der Reiz parallel zu den Haaren abnutzt.
Auch das „Rascheln“ habe ich belassen in Ermangelung eines besseren Wortes. Oder hast du einen besseren Vorschlag?

Wen sollte das abschrecken?
Tja, wen sollte das abschrecken? Mich zum Beispiel? Aber ich denke da offenbarst du Schranken in meinem Kopf, die da nicht hin gehören. Ich habe noch lange über deinen Einwand nachgedacht und nun muss ich dir Recht geben: Ich habe das Thema gewählt, nun kann ich nicht auf halbem Wege kneifen.
Danke, dass du dir die Mühe gemacht hast, den Text umzuschreiben. Einen Teil davon habe ich übernommen. Das Umwickeln des Penis war mir allerdings dann doch ein zu starkes Bild, zumal Michael eventuell noch Windeln trägt. Außerdem bin ich mir sehr unsicher, ob eine Mutter das zulassen würde. Daher habe ich ihn nun die Haare zwischen die Beine klemmen lassen, wie er es später ja auch tut. Zusammen mit einer „wohligen Wärme“ ist es in meinen Augen Andeutung genug. Ich hätte Michael an dieser Stelle gerne noch etwas unschuldiger.

Danke euch allen noch einmal für eure Kommentare. Ich habe, wie immer, viel dazu gelernt. Wenn ihr die Zeit finden würdet, den geänderten Text noch einmal zu lesen und mir kurz mitteilen würdet, ob ich den Kern nun besser getroffen habe, wäre das ein Traum. :shy:

Viele Grüße,
die rote Meise

 

Hallo Rotmeise,

m.E. hattest du den Kern schon vorher gut getroffen. Deine Überarbeitung hat sich dennoch gelohnt! Schön, dass du den Hinweis von Dion berücksichtigt hast. Auf eine sublime Art und Weise, die passend ist. Auch die Ergänzungen zu dem Vater erfüllen ihren Zweck. Wirklich gut gemacht.

In Absatz 7 müssten "gurgeln" und "röcheln" jeweils großgeschrieben werden.

Liebe Grüße,
JackOve

 

Hej Rotmeise,

nachwievor klingt die Stimmung sehr gut zum Inhalt. Aber als ich sie erneut gelesen habe, stellte ich mir vor, ob sie nicht noch atmosphärischer klingen würde, wenn sie in der ersten Person geschrieben wäre. Diese Gefühle und Assoziationen deines Protagonisten sind ja schon sehr persönlich und für die meisten nicht nachzuempfinden (hoffe ich zumindest :shy:). Vielleicht wäre die Situation noch dramatischer.

War nur so'n Gedanke.

Lieber Gruß, Kanji

 

Hallo JackOve,

freut mich sehr, dass du die Geschichte nochmal gelesen hast. Die Fehler werde ich natürlich sofort beseitigen.
Nun ja, Dions Vorschlag habe ich noch immer nicht in voller Konsequenz umgesetzt, vielleicht bin ich mit der Zeit ein wenig mutiger. Aber so, wie es jetzt ist, gefällt es mir ganz gut und ich falle nicht direkt mit der Tür ins Haus. Schön, dass es dir auch gefallen hat und danke für das Lob :shy:

Hallo Kanji,

dir auch vielen Dank fürs erneute Vorbeischauen.

ob sie nicht noch atmosphärischer klingen würde, wenn sie in der ersten Person geschrieben wäre.
Stimmt, ein sehr guter Gedanke. Es wäre sicherlich um einiges eindringlicher. Irgendwann am Anfang war mir der Gedanke auch schon gekommen. Warum ich ihn dann verworfen habe, weiß ich gar nicht mehr. Ich werde das mal im Hinterkopf behalten.

Herzlichen Dank für eure Rückmeldung.

Liebe Grüße,
Rotmeise

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom