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Pfirsichhaar
Ihre Haut war blass, die Lippen geschwollen und blau. Er hatte vergeblich versucht, ihren Mund zu schließen. Rote Augäpfel starrten ihm entgegen, durchbohrten ihn. Unter den allmählich trocknenden Tränen spannte die Haut, seine Brust schmerzte. Lange hatte er um seine Rapunzel geweint, dann um seine geliebte Mutter. Schließlich waren nur noch die Angst und der Ekel vor sich selbst geblieben.
Rapunzel, so hatte sie sich genannt, seine wundervolle Rapunzel. Ganz einfach war es. Die Anmeldung und sie war da, verstand ihn, sah ihn. Viele Wochen hatten sie sich geschrieben. Dann kam das Foto. Lange, kastanienbraune Haare, volle Lippen. Seine Gedanken kreisten nur noch um sie. Endlich die Eine, die seine Phantasien nicht nur ertrug, sondern sogar teilte.
Vor wenigen Stunden hatte er seine wunderschöne Rapunzel endlich in die Arme schließen dürfen. Kribbeln, der Magen rebellierte, sein Herz raste. Er hatte Angst bekommen, sein alter, müder Körper würde den Aufruhr nicht mehr verkraften. Und tatsächlich setzte sein Herzschlag aus, als sie die Tür öffnete. Sie trug ein kurzes, geblümtes Sommerkleid. Ihr offenes Haar berührte beinahe ihre Knie. Verlegen strich sie eine Strähne aus dem Gesicht, verbannte die Pracht auf den Rücken. Doch schon glitten die Haare wieder über die Schultern, umrahmten ihre schmalen Hüften. Er beeilte sich, ihr in die Wohnung zu folgen.
Sie hatten wenig gesprochen. Er fühlte noch immer ihre weichen Lippen auf seinen, der erste Kuss. Einzelne Haare waren ihr ins Gesicht gefallen, hatten seine Wange gekitzelt. Endlich durfte er sie berühren. Sein Mund suchte ihren Hals. Michael vergrub sein Gesicht in ihrer Mähne. Leise mischte sich die Stimme seiner Mutter unter das Rascheln.
Jeden Abend hatte sie sich zu ihm gelegt und ihm vorgelesen. Tief vergraben unter den langen, schweren Locken seiner Mutter hatte er ihrer Stimme gelauscht. Die seidigen Strähnen glitten wie von selbst durch seine Finger, seine Zehen. Wie ein Netz spannte er sie über seinen Körper, beobachtete, wie das Licht sich darin brach. Stück für Stück segelten die Haare herab auf seinen Körper, wo sie ein leichtes Kribbeln hinterließen. Gedankenverloren klemmte er sie zwischen seine Beine, genoss die sich dort ausbreitende wohlige Wärme. Nach und nach vergaß er alles um sich herum, nur der Pfirsichduft ihres Shampoos blieb und wiegte ihn sanft in den Schlaf.
Später, als seine Mutter krank wurde, hatte Michael ihr vorgelesen. Manchmal hatte er geholfen, die Haare seiner Mutter zu waschen, das Shampoo in die schwere Masse einmassiert. Die warme Luft des Föhns hatte den Duft von Pfirsich im ganzen Raum verteilt. Seine Mutter entspannte sich unter seinen Händen, die Schmerzen schienen erträglicher.
Nass vom Regen, die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, führte ihn sein Weg in das Zimmer seiner Mutter. Sein Vater war, wie üblich, nicht zu Hause. Noch bevor er die Tür erreichte, hörte er ein leises Gurgeln, ein Röcheln. Am Schlafzimmer angelangt, erstarrte er. Seine Mutter lag vor ihm, das Gesicht blau angelaufen. Sie hatte den langen, geflochtenen Zopf um den Hals gewickelt und zog mit einer Kraft, die er seit langem nicht mehr für möglich gehalten hätte. Er stürzte zu ihr, zerrte an ihren Händen, versuchte die Schlinge zu lösen. Sie weinte und schrie. Endlich konnte er sie befreien. Noch als er auf sie einredete, schimpfte und weinte, drückte er ihre Arme auf die Matratze.
„Ich kann nicht mehr“, war alles, was sie wieder und wieder hervorbrachte. Langsam wich die Kraft aus ihren Armen, doch Michael traute sich noch immer nicht, den Druck zu lösen. Nur für einen kurzen Moment ließ er sie allein. Eilig kehrte er mit einer Schere zurück und schnitt den Zopf ab. Als sein Vater später das Zimmer betrat, die kurzen Haare seiner Frau sah, erkannte Michael all die Wut, Enttäuschung und Abscheu im Blick seines Vaters, die schon immer zwischen ihnen standen. Erklärungsversuche prallten an seinem Vater ab, er schickte Michael auf sein Zimmer, warf den Zopf hinterher.
Wenige Tage später wachte seine Mutter nicht mehr auf. Sein Vater stürzte sich mehr als je zuvor in die Arbeit. Michael ging zur Schule und half im Haushalt, wie er es schon während der Krankheit seiner Mutter gelernt hatte. Selten traf er sich mit Freunden, verbrachte die Tage meistens vor dem Fernseher. Bis eines Tages die wehenden Haare eines vorbeilaufenden Mädchens seinen Arm streiften. Die Zeit stand still, seine Atmung wurde schwer.
Abends lag er stets auf der Seite eingerollt, den Zopf seiner Mutter wie ein Plüschtier mit Armen und Beinen umklammert. An diesem Abend konnte er nur noch an die Berührung denken, fühlte noch immer das Kribbeln auf der Haut. Er begann, sich an den Haaren zu reiben, drückte sie fester in den Schritt. Dann befreite er sich von seiner Hose und wickelte den Zopf um seinen Penis. Wenig später schlief er befriedigt ein. Voller Scham wusch er am nächsten Morgen die Haare.
Erst die Ausbildung zum Friseur lenkte seine Aufmerksamkeit wieder nach außen. Seine Gedanken kreisten um die aufregenden Frauen im Salon, er genoss die Berührungen. Von Zeit zu Zeit konnte er heimlich ein paar lange Strähnen an sich nehmen. Eine wohlige Wärme erfüllte ihn, wenn er die Haare wusch und frisierte. Manchmal war die Erregung so groß, dass er sich kurz zurückziehen musste. Bis er eines Tages vergaß, die Tür zur Toilette abzuschließen. Ein spitzer Schrei, der Zopf fiel zu Boden.
Danach wurden die Tage lang und grau, die Menschen mieden ihn. Er hatte nun ausreichend Zeit, um seine gesammelten Schätze zu pflegen, doch der Kontakt zu den Frauen fehlte ihm. Mit der Zeit nutzten sich die Haare und der Reiz ab.
Bis Rapunzel erschien. Er konnte sich zum ersten Mal wieder im Spiegel betrachten. Sie hörte ihm zu, verstand ihn. Michael fühlte sich lebendig und jung. Die Pfirsichwolke trug ihn ins Schlafzimmer. Er liebkoste ihren Körper, wälzte sich in ihren Haaren.
Zunächst teilte Rapunzel seine Aufregung, heizte ihn sogar noch an. Doch bald wurde sie ruhiger. Er versuchte mit immer ausgefalleneren Stellungen, ihre Gier erneut zu wecken. Nichts half. Sie kniete vor ihm, kehrte ihm den Rücken zu. Da wickelte er die Strähne, die er in Händen hielt, fest zu einer Kordel und legte sie um ihren Hals. Er zog sanft, sie stöhnte, wand sich, legte den Kopf in den Nacken. Das Gefühl der kommenden Erlösung packte ihn, steigerte sich ins Unerträgliche. Mit jedem Stoß seiner Hüften verlor er mehr und mehr die Kontrolle, zog immer stärker. Durch den Nebel seiner Trance hörte er leise ihre Rufe, sah ihre immer wilderen Bewegungen, die schlagenden Arme, wie sich ihr Körper versteifte. Und wie er schließlich in sich zusammenfiel. Es war ein vollkommener Moment, Knistern lag in der Luft. Erst als er sich seufzend neben seiner wunderschönsten Rapunzel fallen ließ, sie küssen wollte, sah er ihr verzerrtes Gesicht.
Ihre Haut war noch immer weich und zart unter seinen Fingerspitzen, doch sie wurde kälter. Er schüttelte sie wieder und wieder. Die ersten Tränen seines erwachsenen Lebens kamen und wollten nicht mehr gehen. Seine Muskeln spannten sich, alles schmerzte. Dann griff er wütend in die wilde Mähne, führte die Haare zu seinem Schritt und genoss noch ein letztes Mal die heftige Erregung.
Als er fertig war, ging er in die Küche, fand die Schere, band den Zopf und schnitt ihn ab. Die kurzen Haare breiteten sich auf dem Kissen aus, umrahmten ihr Gesicht. Der letzte Rest Anmut verließ den zarten Körper, zurück blieb eine leere Hülle. Alles Anziehende hatte sie verlassen. Der Zopf in seiner Hand wurde warm von der Umklammerung. Er verließ das Zimmer, schloss die Tür und wählte den Notruf.
Als es an der Tür klingelte, saß er am Tisch. Den Zopf von Rapunzels seidigem Haar um die Schultern gelegt, inhalierte er ein letztes Mal den Duft, bevor er sich langsam erhob.