Pfeift die Hunde zurück
Die Straße – ach was, ein Weg ist das, auf dem wir gehen, mit Zungen von Pulverschnee darauf – ja, die schwimmt im Nebel, hat keine Fluchtpunkte, hat kein Links und kein Rechts, hat verschobene Perspektiven, führt nirgendwo hin. Das Nirgendwo ist überall im Nebel. Die Milch der kahlen Sonne tropft durch diesen Nebel. Wir gehen langsam, ich hinter ihr. Ich sehe ihre Pobacken, die sich bei jedem Schritt aneinander reiben, belausche ihre Stummheit und die Leere um uns, die im Nebel wabbert, mit uns Schritt hält. Sie hat lange Beine. Wie dieser Weg, so führen auch sie hin zu einer Unendlichkeit, zu einem Nirgendwo, für das es keine Maßstäbe gibt. Wie ein Hund hechle ich und stelle sie mir in hochhackigen Schuhen vor, in dem einen Kleid, das sie damals für mich trug. Dann höre ich das Knirschen des Schnees unter den Sohlen ihrer Winterstiefel, höre das Eis knacken in den Halmen des Feldgrases, vergesse das Kleid, vergesse die Schuhe. Deine Brüste sind nicht groß, aber fest. Sie gehören mir und ich folge dir in den Nebel, Kleines.
Sagtest du was?
Meine Frage, so kleinlaut, so jämmerlich. Der Nebel hat die Kälte in sich verpackt. Er trägt meine Stimme hinaus über die Felder.
...du was,....du was....
Das Echo ist dumpf, kommt aus keiner bestimmten Richtung. Wir wandern im Gefrierschrank. Eiskristalle überziehen dein Haar. Eine Strähne davon habe ich mir ins Knopfloch meiner Jacke gesteckt. So kann ich dich riechen, auch wenn ich hinter dir gehe. Geradeaus führt der Weg. Wohin? Ich weiß es nicht, weiß nur, dass ich schon gelaufen bin auf ihm. Damals, als du das Kleid für mich trugst, als ich die Richtung noch kannte, als sich unter den warmen Kieselsteinen Asseln im Dunkel paarten. Damals, bei dieser Hitze, hattest du nichts unter deinem Baumwollkleid. Nur deine nackte Haut. Und du hast meine Finger geduldet darauf. Darin. Ganz in dir war ich. Du hast still gehalten.
Die Glätte zwischen ihren Beinen hatte mich überwältigt. Ich hatte Sodbrennen vom Kaffee. Sie hat dieselben Lippen wie die Mutter, dachte ich. Fein geschwungen, gewölbt. Des Weiteren hatte ich keine Fragen und sie brauchte keine Antworten. Wir versuchten dieses Spiel erst gar nicht. Wir ließen es darauf ankommen und es funktionierte. Es bedurfte nur eines Blickes von ihr und sie wusste es. Der Nachmittag verging sich an uns und die Mutter hörte nicht auf zu reden.
Sie geht da vor mir, hat die dicke Jeans an, den Parka, der knapp über ihre Hüften reicht. Sie geht wie eine Königin. Aufrecht, entrückt, fast im Abseits. Das Licht kommt von überall und doch kann ich seine Quelle erkennen. Ich weiß, dass sie das Licht ist um das sich der Nebel dreht. Wie sonst kann es sein, dass sie so unbeirrt einen Fuß vor den anderen setzt?
Wir waren bei Mutter, hatten Kaffee bekommen und süße Redensarten dazu gekaut. Wir wollten raus aus dem überheizten Haus. Ich wollte raus. Ich hatte ihr ins Ohr geflüstert, mit ihr schlafen zu wollen. Jetzt, gleich, sofort. Wie die Tiere es tun, so wollte ich es mit ihr machen. Im Holunder. Im Feldgras. Im Nebel verpackt wollte ich sie entblößen, an mich drücken, sie wärmen.
Ein Bildstock taucht auf, plötzlich ist er da, unwirklich ist seine Schwärze. Wir lasen gerne die Botschaften dieser steinernen Wegelagerer. Kapellen, Bildstöcke, Wegkreuze. Wie oft schon gestorben wurde. Im Sommer, im Winter, im Geräteschuppen. Nicht im Nebel. Wohin führst du mich, Königin? Über dem Nebel tauchen Düsenjets in das ewige Azurblau jenseits der zehntausend Metern. Ein Steppenbrand wütet in dieser Minute, in dieser Zeit. Pulverschnee löscht nichts, hinterlässt meine Spuren. Deine sehe ich nicht. Doch deine Pobacken, deinen Gang, deine Kühnheit. Das alles will ich zu erkennen glauben. Wir beide im Nebel. Kein Versteckspiel, nein. Eine Liebe, die eine Ewigkeit dauert. Ich will über dir sein oder darunter, sagte ich. Aber dabei will ich sein, wenn du ja sagst. Wirst du stehen bleiben, dich zu mir drehen, deinen Parka abstreifen? Der Nebel ist wie Watte, liegt wie Engelshaar in der Stille ringsum. Ich bin müde. Bleib stehen, warte doch.
Da, sie hält inne, lauscht. Sie wartet auf mich. Ja, sie wartet.
Ich komme schon, höre ich mich rufen.
...komme schon, komme schon....sagt das Echo.
Ich falle, rutsche auf den Zungen des Pulverschnees in eine Richtung, die ich nicht wollte. Die Dimension des Weges – nein, eine breite Straße streckt sich vor mir – verändert sich. Ich stecke fest bis zu den Knien, wate plötzlich im Blut, sehe sie liegen vor mir, habe keine Vorstellung davon, was geschehen ist. Ihre Schreie im Geräteschuppen, ihre wunderbaren Schreie unter mir. Ihre Mutter im Türrahmen, das Entsetzen in diesem Gesicht.
Weg, weit weg in den Nebel. Lauf, Hase, lauf. Ich hasse Kaffee.
Nur Ruhe jetzt. Schau dich um. Überall Nebel. Alles ist gut.
Wo ist sie? Ich sehe sie wieder. Sie geht ja vor mir. Ich betrachte ihre Pobacken, die sich aneinander reiben.
Die Glätte zwischen ihren Beinen hat mich überwältigt.
Ich höre die Hunde. Ihr Winseln, ihr Heulen.
Sie werden die Hunde auf mich hetzen.
Viel Zeit bleibt nicht. In der Schwärze des Bildstocks werde ich auf sie warten, mit ihr weinen. Sie wird aufstehen und den Geräteschuppen verlassen. Zu mir kommen wird sie. Wie die Tiere werden wir jaulen. Ich stopfe mir ihre Haarsträhne in den Mund. Ich habe sie in meinem Herzen bis hierher mitgenommen. Das muss ich den anderen erklären. Ich muss es erklären.
Es ist so einfach. Das Sodbrennen wird stärker.
Ich weiß, dass ihr verrückt seid da draußen, doch ihr müsst mir glauben.
Ihr habt keine Wahl.
Bitte, pfeift die Hunde zurück.
Was wisst ihr schon von Liebe?