Was ist neu

Pfeift die Hunde zurück

Mitglied
Beitritt
02.11.2001
Beiträge
730

Pfeift die Hunde zurück

Die Straße – ach was, ein Weg ist das, auf dem wir gehen, mit Zungen von Pulverschnee darauf – ja, die schwimmt im Nebel, hat keine Fluchtpunkte, hat kein Links und kein Rechts, hat verschobene Perspektiven, führt nirgendwo hin. Das Nirgendwo ist überall im Nebel. Die Milch der kahlen Sonne tropft durch diesen Nebel. Wir gehen langsam, ich hinter ihr. Ich sehe ihre Pobacken, die sich bei jedem Schritt aneinander reiben, belausche ihre Stummheit und die Leere um uns, die im Nebel wabbert, mit uns Schritt hält. Sie hat lange Beine. Wie dieser Weg, so führen auch sie hin zu einer Unendlichkeit, zu einem Nirgendwo, für das es keine Maßstäbe gibt. Wie ein Hund hechle ich und stelle sie mir in hochhackigen Schuhen vor, in dem einen Kleid, das sie damals für mich trug. Dann höre ich das Knirschen des Schnees unter den Sohlen ihrer Winterstiefel, höre das Eis knacken in den Halmen des Feldgrases, vergesse das Kleid, vergesse die Schuhe. Deine Brüste sind nicht groß, aber fest. Sie gehören mir und ich folge dir in den Nebel, Kleines.

Sagtest du was?
Meine Frage, so kleinlaut, so jämmerlich. Der Nebel hat die Kälte in sich verpackt. Er trägt meine Stimme hinaus über die Felder.
...du was,....du was....
Das Echo ist dumpf, kommt aus keiner bestimmten Richtung. Wir wandern im Gefrierschrank. Eiskristalle überziehen dein Haar. Eine Strähne davon habe ich mir ins Knopfloch meiner Jacke gesteckt. So kann ich dich riechen, auch wenn ich hinter dir gehe. Geradeaus führt der Weg. Wohin? Ich weiß es nicht, weiß nur, dass ich schon gelaufen bin auf ihm. Damals, als du das Kleid für mich trugst, als ich die Richtung noch kannte, als sich unter den warmen Kieselsteinen Asseln im Dunkel paarten. Damals, bei dieser Hitze, hattest du nichts unter deinem Baumwollkleid. Nur deine nackte Haut. Und du hast meine Finger geduldet darauf. Darin. Ganz in dir war ich. Du hast still gehalten.

Die Glätte zwischen ihren Beinen hatte mich überwältigt. Ich hatte Sodbrennen vom Kaffee. Sie hat dieselben Lippen wie die Mutter, dachte ich. Fein geschwungen, gewölbt. Des Weiteren hatte ich keine Fragen und sie brauchte keine Antworten. Wir versuchten dieses Spiel erst gar nicht. Wir ließen es darauf ankommen und es funktionierte. Es bedurfte nur eines Blickes von ihr und sie wusste es. Der Nachmittag verging sich an uns und die Mutter hörte nicht auf zu reden.

Sie geht da vor mir, hat die dicke Jeans an, den Parka, der knapp über ihre Hüften reicht. Sie geht wie eine Königin. Aufrecht, entrückt, fast im Abseits. Das Licht kommt von überall und doch kann ich seine Quelle erkennen. Ich weiß, dass sie das Licht ist um das sich der Nebel dreht. Wie sonst kann es sein, dass sie so unbeirrt einen Fuß vor den anderen setzt?
Wir waren bei Mutter, hatten Kaffee bekommen und süße Redensarten dazu gekaut. Wir wollten raus aus dem überheizten Haus. Ich wollte raus. Ich hatte ihr ins Ohr geflüstert, mit ihr schlafen zu wollen. Jetzt, gleich, sofort. Wie die Tiere es tun, so wollte ich es mit ihr machen. Im Holunder. Im Feldgras. Im Nebel verpackt wollte ich sie entblößen, an mich drücken, sie wärmen.

Ein Bildstock taucht auf, plötzlich ist er da, unwirklich ist seine Schwärze. Wir lasen gerne die Botschaften dieser steinernen Wegelagerer. Kapellen, Bildstöcke, Wegkreuze. Wie oft schon gestorben wurde. Im Sommer, im Winter, im Geräteschuppen. Nicht im Nebel. Wohin führst du mich, Königin? Über dem Nebel tauchen Düsenjets in das ewige Azurblau jenseits der zehntausend Metern. Ein Steppenbrand wütet in dieser Minute, in dieser Zeit. Pulverschnee löscht nichts, hinterlässt meine Spuren. Deine sehe ich nicht. Doch deine Pobacken, deinen Gang, deine Kühnheit. Das alles will ich zu erkennen glauben. Wir beide im Nebel. Kein Versteckspiel, nein. Eine Liebe, die eine Ewigkeit dauert. Ich will über dir sein oder darunter, sagte ich. Aber dabei will ich sein, wenn du ja sagst. Wirst du stehen bleiben, dich zu mir drehen, deinen Parka abstreifen? Der Nebel ist wie Watte, liegt wie Engelshaar in der Stille ringsum. Ich bin müde. Bleib stehen, warte doch.

Da, sie hält inne, lauscht. Sie wartet auf mich. Ja, sie wartet.
Ich komme schon, höre ich mich rufen.
...komme schon, komme schon....sagt das Echo.
Ich falle, rutsche auf den Zungen des Pulverschnees in eine Richtung, die ich nicht wollte. Die Dimension des Weges – nein, eine breite Straße streckt sich vor mir – verändert sich. Ich stecke fest bis zu den Knien, wate plötzlich im Blut, sehe sie liegen vor mir, habe keine Vorstellung davon, was geschehen ist. Ihre Schreie im Geräteschuppen, ihre wunderbaren Schreie unter mir. Ihre Mutter im Türrahmen, das Entsetzen in diesem Gesicht.
Weg, weit weg in den Nebel. Lauf, Hase, lauf. Ich hasse Kaffee.

Nur Ruhe jetzt. Schau dich um. Überall Nebel. Alles ist gut.
Wo ist sie? Ich sehe sie wieder. Sie geht ja vor mir. Ich betrachte ihre Pobacken, die sich aneinander reiben.
Die Glätte zwischen ihren Beinen hat mich überwältigt.
Ich höre die Hunde. Ihr Winseln, ihr Heulen.
Sie werden die Hunde auf mich hetzen.

Viel Zeit bleibt nicht. In der Schwärze des Bildstocks werde ich auf sie warten, mit ihr weinen. Sie wird aufstehen und den Geräteschuppen verlassen. Zu mir kommen wird sie. Wie die Tiere werden wir jaulen. Ich stopfe mir ihre Haarsträhne in den Mund. Ich habe sie in meinem Herzen bis hierher mitgenommen. Das muss ich den anderen erklären. Ich muss es erklären.
Es ist so einfach. Das Sodbrennen wird stärker.
Ich weiß, dass ihr verrückt seid da draußen, doch ihr müsst mir glauben.
Ihr habt keine Wahl.
Bitte, pfeift die Hunde zurück.
Was wisst ihr schon von Liebe?

 

Aq, das Problem ist, das dass mal wieder kein Text für Oberflächenschwimmer ist.
Das 2. Problem ist einfacher, ich muss weg.
Das ist wieder so ein Text, den ich auf jeden Fall ein zweites Mal, wenn nicht ein drittes Mal lesen muss.
Bin mir nicht sicher, ob ich es richtig verstanden habe, ich lese es jetzt noch etwas anders als Morphin.

Zeit, brauche ich, anders geht es nicht. Bis heute zum späten Abend.

Bis dann, liebe grüsse Stefan

(ich schreib´ glaub ich besser als ich verstehe, denke ich)

 

Hallo Aqua!

Irgendwie werde ich das Gefühl nicht los, daß es sich um die Tochter oder Stieftochter des Protagonisten handelt? Der jetzt die Mutter, wie sie jung war, in dem Mädchen sieht?

Aber ich fürchte, ich täusche mich, denn was wäre dann Deine Aussage? Verständnis schaffen für Väter, die wie die Hunde hechelnd hinter ihren Töchtern her sind?
- Also das glaub ich eigentlich nicht. Aber gegen die Version, daß sie eben nur sehr jung ist und er nicht mit der Mutter zusammen, spricht eigentlich, daß er bei ihnen ist - wäre die Tochter wirklich so jung, hätte die Mutter da ja wohl was dagegen... - Ein Freund der Familie vielleicht? Hmm... Schwierig.
Vielleicht der Pfarrer?

Stilistisch jedenfalls eine perfekte Schreibe!
Nur etwas zu wenig verraten hast Du mir, wie gesagt, sodaß ich nicht weiß, was ich denn eigentlich gelesen habe... ;)

Alles liebe,
Susi

 

Hey Aqua, das ist schwierig, verdammt schwierig!!

Also geschrieben ist es wieder einmal toll, romantisch, bedrückend, beklemmend, unheimlich, alles zugleich. Toll beschrieben...der Nebel überall...

Was mich verunsichert ist auch die Erzählperspektive... mnachmal "sie", "ihre", dann direkte Anrede "du"...

Momentan gehen meine Gedanken in Richtung Häferls Interpretation: Tochter/Stieftocher oder so ähnlich...

... und momentan halte ich Deinen Prot für relativ irre, aber er glaubt wirklich daran, dass es Liebe ist. Und den Geräteschuppen mag ich ganz und gar nicht. Und momentan sehe ich 2 Tote in Deiner Geschichte...

... is wahrscheinlich alles falsch, meine momentane Hypothese... später nochmal.

Schöne Grüße, Anne

 

Aqua, für welches Universum schreibst du denn grad wieder?
schreibtechnisch weltklasse, also muss schon sagen?

So Inhalt!

Tja, Mann liebt Mädchen, von einer erwachsenen, der Mutter. Hey ich hab noch mal nachgedacht, sag mal ...sind es Bruder und Schwester?

Ich sehe noch ne Entjungferung...warte mal, nee. also Bruder und schwester?

Ich sehe keine Toten!

Verdammt, was ist mit Lauras Honda, ...so schön einfach!

Liebe Grüsse Stefan

 

Na du bist lustig- also:

Stelle sie mir vor in dem Kleid..hast still gehalten...die Glätte zwischen ihren Beinen hatte mich überwältigt...Kaffee..Mutter...gleich jetzt, sofort,...wie oft schon gestorben wurde....im Geräteschuppen.
Ich komme schon...Richtung die ich nicht wollte...wate plötzlich im Blut, sehe sie liegen vor mir, Schreie, Geräteschuppen, Entsetzen.
- Ruhe jetzt..zu mir kommen wird sie...
was wißt ihr schon von Liebe.

Da ist ihm wohl aus Versehen was Dummes passiert, kein Wunder- bei solcher Glätte.
Gut, daß er im Wahn das nicht so sieht, so kann er sie ewig lieben.
Und sie ewig vor ihm gehen.

Mehr fällt mir jetzt nicht ein, gute Nacht cariño,
alex.

 

Hi Aqua,

der erste Teil dieser Story erinnert mich mE. an Nabokovs Lolita. Ab dem Teil mit den kurzzeiligen Absätzen wird es dann aber unverständlich. Eingeführte Handlungsstränge mit Signalwörtern wie "Blut", "Schreie", "Geräteschuppen" und ähnliches führst Du in meinen Augen nicht zu Ende. Das empfinde ich als unbefriedigend, da zu vage ausgeführt.

Die dritte Wiederholung des Satzes "Ich betrachte ihre Pobacken, ..." im vorletzten Absatz empfinde ich als störend. Da würde ich etwas umformulieren.
Den Begriff "Bildstock" kann ich nicht einordnen.

Schön fand ich den Schlusssatz: "Was wisst ihr schon von Liebe?". Er rundet das Geschehen gelungen ab.

Und dass Du stilistisch so einiges drauf hast sag ich jetzt nicht auch nochmal! Wird ja schon langsam langweilig, das... ;)

lieben Gruß
die Philo-Ratte

 

Morphin, Arche, Häferl, Maus, Alex, Philo-Ratte,

danke euch allen fürs Lesen und Gedankenmachen.
Ich wollte keine Rätselrally, sondern vielmehr eine Geschichte über eine Liebe, die im Wahn endet, nur anders aufziehen.

Kaffeekränzchen im Haus ihrer Mutter.
Er hat danach Lust danach, sie nicht. Sie weiß ihn auf ihre Art verrückt zu machen. Im Geräteschuppen überschreitet er die Grenze, tötet sie dabei. Seine ewige Liebe.
Flucht in den Nebel. Er sieht sie vor sich.
Versteckt sich hinter einem Bildstock, hört schon die Hunde der Polizei.
Die Geschichte beginnt mit dem Ende.
Habe mit der Mystik des Nebels gespielt. Aus dem Spiel wurde ein mystisches Konglomerat von Worten, Sätzen.

Bildstock = aus Steinen gemauertes Objekt, häufig vorzufinden an Weges- und Straßenrändern katholisch besetzter Ländereien. Darin oder darauf das Bild der Heiligen Jungfrau Maria oder eines der Länderei zuordenbaren Schutzpatrons, z.B. der Heilige Florian, der Heilige Stefan, die Heilige Magdalena usw..Darunter an kirchlichen Feiertagen Blumensträuße und Kränze.

Liebe Grüße an euch - Aqua

 

Morgen Aqua!

...so falsch war ich also nicht, als ich die Verbindung mit dem Geräteschuppen und dem Bildstock hergestellt hab, als ich Deinen Prot als irre bezeichnet hab und ihren Tod vermutete. :) Genial.

@ Alex: ich kenne das Buch von Nick Cave. Aber Aquas Story find ich angenehmer...

 

Maus, Maus,

du findest meine Story angenehmer als ein Buch von Nick Cave! Ich habs geschafft. Ich werde verstanden. Ich werde geliebt.
Höre zu meiner Story "Into my arms" von der CD "A boatsman call" von Nick Cave. Es rundet das Bildstockbild unglaublich ab. Es holt den Nebel ins Zimmer.
Mit dem singenden Nick Cave liegt Alex gar nicht so falsch.

Liebe Grüße - Aqua

 

Hey Aqua...

...mit dem singenden nicht, der passt gut, aber kennst Du das Buch?! Hab mich zum fertiglesen überwinden müssen.... mal schaun, ob ich a boatsman call auftreiben knann, aber es dürfte nicht schwer sein.

 
Zuletzt bearbeitet:

He Aqua!

Die Geschichte beginnt mit dem Ende.
Pfffff... und das nennst Du "keine Rätselrally"... Dafür setzt's jetzt aber was von mir!!
--> Aqualung :whip:

hehehe, so, bin wieder erleichtert... :naughty: ;)

 

Erleichtere dich und gib mir die Peitsche, ja.
Scheint alles in allem ein gelungener Versuch geworden zu sein, Philo- Ratte.
Danke für die Hiebe.

Liebe Grüße - Aqua

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom