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Pfannenzerfall
Die kleine Pfanne namens Nero stand noch am Anfang Ihres aufregenden Pfannenlebens, als ihr klar wurde, sie wurde gerade von einem Mann gekauft. Sie wusste nicht, jung wie sie war, dass die meisten Männer eher einfallslose, fast spartanische Mahlzeiten zu sich nahmen. Deshalb freute sie sich ungemein über all die spannenden Gerichte die wohl bald in ihr zubereitet werden würden. Sie dachte dabei an thailändische Nudelpfannen, chinesische Feinkostspezialitäten und das ein oder andere Muschelgericht, eben alles worüber die anderen Pfannen des Kaufhauses so geschwärmt hatten. Nach einer holprigen Reise in das freudig erwartete Heim, fand sie sich auf einem hell erleuchteten Küchentisch wieder.
Gespannt sah sie sich um und entdeckte allerlei Dinge in dem eher kleinen, ein wenig stickigen Raum. Direkt neben ihr stand ein wirklich sehr interessanter Karton. Nero konnte selbstverständlich nicht lesen, sie war ja eine Pfanne, sonst hätte sie wohl möglich die unheilvolle Aufschrift „Pizza“ ein wenig misstrauisch werden lassen.
Die erste Mahlzeit ihres Lebens beeindruckte sie sehr. Es war am 16.09.1998, die Sonne schien und es gab Spiegelei. Die Pfanne Nero war sich sicher, das wird das wundervollste, ja das perfekteste Pfannenleben was es nur geben kann!
Zwei Tage später gab es wieder Spiegelei. Auch diesmal freute sich Nero tierisch darüber! Sie hatte das Gefühl die leichte bräune an der Unterseite des Spiegeleies sähe schon sehr viel geschmeidiger aus, als gestern noch. „Nur weiter so, es wird immer besser!“, dachte die kleine Pfanne. Nach einer fünf tägige Pause, es gab Pizza, gab es… Spiegelei! …. und wieder… und immer…. und noch… Spiegelei.
So vergingen einige Jahre…
Müde starrt die kleine Pfanne in den abgehangenen stickigen Raum… Mit leerem Blick beobachtet sie wie sich eine kleine Fliege langsam in den Schlund einer Fleischfressenden Pflanze bewegt. Das einzige was sie dabei denkt ist: Spiegelei…Spiegelei…Spiegelei…
Plötzlich geht die Tür auf und eine junge Frau betritt den Raum. Sie kichert und setzt sich aufs Sofa. Harry, der Besitzer der Wohnung sowie der Besitzer der kleinen Pfanne Nero, bewegt sich auf die Küchenzeile zu, bekommt eine leichte Röte auf den Wangen und fängt an die leeren Pizzakartons in die nächste Zimmerecke zu stapeln. Nun beginnt er aus den mitgebrachten Tüten allerhand bemerkenswerte Gegenstände herauszuholen. Nero muss blinzeln, sie kann es kaum glauben… sind das die Zutaten von denen damals alle geredet haben?! Die, mit denen man die traumhaftesten Gerichte zaubern konnte?! Das Gemüse erstrahlte in allen Farben und Nero wusste, ab jetzt wird alles anders!
Neros Traum sollte also in Erfüllung gehen. Die junge Frau kam derweil immer öfter und die Gerichte wurden mit jedem Kochabend origineller. „Goldene Scheiben mit knusprigem Speck… hmmm…“ träumte Nero. Vor einigen Tagen gab es Bratkartoffeln. Die gefielen Nero besonders gut, sozusagen ihr Lieblingsgericht. Auch Gemüse konnte Nero nicht oft genug braten. Und das Fleisch erst! Ein schönes saftiges Stück Rindfleisch war Neros größte Herausforderung aber auch ihr größter Stolz, wenn Harry mit seiner Freundin glücklich schmatzend am Küchentisch das meisterhafte Kunstwerk verzehrte.
Das Leben der kleinen Pfanne hatte sich also gebessert, wenn nicht zu sagen, war auf einmal zu dem traumhaften Pfannenleben geworden, was sie sich immer gewünscht hatte. Die junge Frau zog in die Wohnung von Harry mit ein, bis die Wohnung zu klein wurde und ein Umzug bevorstand. Nero erlebte gleich zwei Umzüge in zwei Jahren, was für sie immer eine besonders spannende Zeit war. Bald bekam sie auch noch Zuwachs in der Küche. Egon, die Spülmaschine. Nachdem Nero ihre Werke vollbracht hatte, war es nun üblich, dass sie einen Ausflug ins dunkle, nasse, warme von Egon machte. Erst war Nero ängstlich gewesen, was wohl mit ihr passieren würde? Lachend kam Nero aus der Spülmaschine, blitzend, blinkend, wie neu! Wie das kitzelte von den Wasserstrahlen getroffen zu werden! Nero war begeistert. Eine Idylle zuhause und eine kulinarische Vielfalt wie sie sich Nero nur hätte wünschen können, Sie war glücklich!
Ein lauter Rums! „Dann hau doch ab!“ schreit die inzwischen nicht mehr ganz so junge Frau. „Weißt du was?! Genau das mach ich jetzt!“ schreit Harry zurück. Keine halbe Stunde später war er verschwunden mit seinem Radiowecker unter dem Arm, seiner einzigen Pflanze und seinem Strohhut auf dem Kopf stürmte Harry aus der Wohnung und verschwand für immer…
Nero war am Boden zerstört, wie konnte Harry sie nur zurücklassen?! Nach einer zehnminütigen Trauerphase, wurde ihr jedoch klar: Hier geht es mir doch viel besser als bei Harry! Die Frau war doch diejenige die ihr in den letzten Jahren all die schönen Zutaten gezeigt hatte, die sie verwöhnt hatte mit all den Köstlichkeiten! Ihre neue Besitzerin war also ab jetzt Conni. Connis Trauerphase ging nur leider ein bisschen länger, um genau zu sein mehrere Monate. In dieser Zeit aß sie fast nichts und wenn, dann bediente Sie sich aus Herbert, der Tiefkühltruhe. Eis oder noch schlimmer… Tiefkühlpizza! Nero betete, dass diese grausame Zeit bald ein Ende haben würde…
Ihre Gebete wurden erhört! Nach ganzen vier Monaten Trauer- und kulinarischer Trockenzeit hörte Nero ein seltsames Geräusch in der Ferne. Langsam wurde es lauter, bis es zu einem wahren Schwall an Gebrabbel und durcheinander geworfenen Worten anschwoll… Völlig verwirrt fixierte Nero die Haustür und dachte angestrengt, fast gehetzt, was jetzt wohl passieren würde... War das das Ende? Kam der Pfannentod etwa auf diese Art? Nero dachte ihre Teflonbeschichtung würde sich lösen… So ein Krach!...Hilfe!...
Die Tür wird aufgeworfen und schlägt mit einem lauten Knall gegen die Wand.
Schockiert findet sich die kleine Pfanne einer Gestalt gegenüber. Ihr Henker, da war sie sich sicher. „Ich hatte ja auch wirklich ein schönes Leben… Nein bitte noch nicht!“ schluchzt die kleine Pfanne und traut sich gar nicht hinzusehen. „Schöööne Wohnung!“ hört sie eine Frauenstimme durch den Raum flöten. Vorsichtig blinzelt Nero rüber zu den Gestalten… Sie glaubt ihren Augen nicht! Sie weiß nicht, wer oder was das Wesen, was solch schrille Geräusche macht, ist, auf jeden Fall ist es wunderschön! Nero möchte gar nicht mehr weggucken, so faszinierend und hinreißend findet sie den Besucher. Conni und das schöne Geschöpf setzen sich unter ständigem lautem Gebrabbel an den Küchentisch. Sie trinken eine rote Flüssigkeit und lachen eine Menge. Nach einigen Stunden verabschiedet sich das engelsgleiche Geschöpf. Nero findet es zwar immer noch wahnsinnig toll, steht aber mittlerweile ein wenig skeptisch dem lauten Gebrabbel gegenüber.
Nach einigen Wochen, in denen sich nicht wirklich viel Spannendes zutrug, belauschte Nero ein spannendes Gespräch. Was heißt Gespräch, Conni redete in ein komisches viereckiges Gerät hinein: „Das wird super, wenn wir zusammen wohnen!“ Nero kommen Erinnerungen hoch, was das bedeuten könnte… Umziehen! Nero freut sich, das war ja immer schon spannend für sie!
Nach viel Holterdiepolter und einigen lautstarken Begegnungen der beiden zukünftigen Mitbewohnerinnen war auch dieser Umzug überstanden. Die neue Wohnung gefiel Nero, sie hatte eine wirklich große Küche und war auch sehr schön hell. Wirklich ein schönes neues Zuhause!
Nero war inzwischen in einem stolzen Pfannenalter, sie war jetzt 8 Jahre alt. Die ein oder andere Begegnung mit einer spitzen Gabel hatte sie gemacht, das waren keine schönen Momente in ihrem Leben gewesen. Im Grunde aber minderten die Kratzer in ihrer Teflonbeschichtung ihre Bratfähigkeiten nicht. Nur mit Egon verstand sie sich derweil nicht mehr so gut. Das spülen mit dem heißen Wasser machte ihr zu schaffen. Sie war müde und auch die von ihren Besitzerinnen neu entdeckte vegane Küche machte es nicht gerade besser. Wie gerne sie noch einmal ein saftiges Steak mit Zwiebelringen zubereiten würde…
Eine Diskussion. Nero kannte mittlerweile die Auseinandersetzungen der beiden Mitbewohnerinnen, sie hörte schon lange nicht mehr hin. Doch was war das? Ging es etwa um sie? „Hör auf die Pfanne in die Spülmaschine zu tun! Sie ist zu alt dafür!“ Nero konnte es kaum glauben: Conni wusste wie es ihr ging! Ein kleiner Hoffnungsschimmer breitete sich in der betagten Pfanne aus. Hatte wenigstens die Tortour mit Egon bald ein Ende?
Und so war es. Ab diesem Tag landete Nero nur noch in Einzelfällen in der Spülmaschine. Und wenn es passierte, setzte sich Conni lauthals für die Rechte der kleinen Pfanne ein. Nero konnte nun in Ruhe ihre letzte Zeit als Pfanne hinter sich bringen.
Katsch! Ein Messer! Nero wurde schwindelig vor Schmerzen. Ihr wurde schwarz vor Augen… Sie dachte an all die schönen Gerichte die sie in sich zubereitet hatte, an all die Köstlichkeiten die ihr Leben so schön gemacht hatten, und an all die spannenden Umzüge die sie erlebt hatte. Ihr wurde ganz wohl um ihr kleines Pfannenherz. Langsam schwand ihr Bewusstsein und sie war sicher, wüssten die anderen Pfannen aus dem Kaufhaus wie viel sie erlebt hatte, sie wären ganz neidisch! Mit einem verschmitzten Lächeln entschwindet die kleine Pfanne Nero ihrem Leben und bevor ihr klar wird, wo sie ist, sieht sie ein saftiges Steak über den strahlend blauen Himmel schweifen.
Kira Gövert 2015