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Perversitäten

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21.08.2002
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Perversitäten

Er ist Maler, skizziert bevorzugt Landschaften, malt leidenschaftlich gern Aquarelle - impressionistisch gekleideter Naturalismus.
Sie ist verrückt, hängt bildlose, meist bemalte Bilderrahmen an die Wand - der Drang zur Leere zeichnet ihr künstlerisches Schaffen.

Er ist Literat, beschreibt romantische Liebesabenteuer, manchmal autobiographische Erlebnisse, hie und da Traumbilder.
Sie ist verrückt, ihre Geschichten - eigentlich keine Geschichten - werden durch zusammenhangslose Wortkonstruktionen definiert, Kausalitäten werden bewußt vermieden.

Er ist Musiker, liebt die Musik Mozarts und gibt sein Bestes, die von jedem geliebte Zeit der Wiener Klassik durch sein Schaffen wieder auferstehen zu lassen.
Sie ist verrückt, ihre Werke sind vom Zufall bestimmt, der Würfel komponiert, was von ihr vorher ausgewählt - interpretiert durch Improvisation.

Er ist Philosoph, klagt über die Nichtigkeit des Menschen, die Vergänglichkeit des Seins und sinniert über das Sein einer höheren Macht - vielleicht Gott?
Sie ist verrückt, liebt das Leben, das Absurde, das irrationale Element des Seins und ist, ohne nach einer möglichen Rationalität zu fragen.

Er ist Mensch, gläubig, betend, hilfsbereit, herzlich, sozial - für alle und jeden offen, allen und jedem gleich, auch wenn Differenzen spürbar sind.
Sie ist verrückt, führt ihr sorgfreies Leben abgeschottet von den Problemen anderer und des Alltags - pfeift vergnügt das Lied der göttlichen Gleichgültigkeit.

Er ist die Welt, die jedem vorgibt, wie und was wer und was zu sein hat, vorgibt wo wer wann zu sein hat und immer ein begründendes warum verlangt.
Sie ist verrückt, kennt keine Vorgaben, ist das Chaos, geordnet oder ungeordnet? egal, jeder ist was er ist und wo er ist, Hauptsache er ist.

Er ist Wahrheit, und nichts als die Wahrheit, die absolute Wahrheit und jede Koexistenz kann nur als Lüge, nichts als Lüge, abgegolten werden.
Sie ist verrückt, glaubt an die Lüge in der die Elemente der Wahrheit ihr verborgenes Dasein fristen, um in Ewigkeit unentdeckt zu bleiben.


Er ist Gott, und hat in allem recht, auch wenn es unrecht sein sollte, ist der unbewegte Beweger und Schöpfer alles Seins - Vater Unser.
Sie ist verrückt, und hat kein Recht, hat und wird nie bewegen und kann nicht schöpfen - ex nihil nihilo - Ausgeburt des Nichts.

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Perversitäten?

 
Zuletzt bearbeitet:

Hallo linjus,

auch wenn Dein Text keine Kurzgeschichte ist, fand ich ihn interessant zu lesen. Die Gegenüberstellungen sind gut kombiniert.
Beim drittletzten Absatz empfinde ich aber einen Stilbruch: „Egal, jeder ist ...“ Hier wird plötzlich nicht mehr über „Sie“ gesprochen, obwohl es im selben Absatz steht.
Die Folgerungen über Wahrheit kann ich nicht nachvollziehen, warum ist „jede Koexistenz“ Lüge? (Vielleicht meinst Du jede Andersartige, Abweichende?).
Woher kennt man die Elemente der Wahrheit innerhalb der Lüge (die dann keine völlige Lüge wäre), wenn sie „in Ewigkeit unentdeckt“ bleiben?
Wie kann Gott recht haben, „auch wenn es unrecht sein sollte“, wenn er „nichts als die Wahrheit“ ist?

Tschüß... Woltochinon

PS. Die unübliche Form der Geschichte fand ich ansprechend.

 

Das im drittletzten Absatz ist kein Stilbruch, jeder steht in keinem direkten Zusammenhang mit sie - quasi stellvertretend - sondern bezieht sich auf IHRE Ansichten - sie meint: jeder...

Koexistenz = gleichzeitig nebeneinander Existierendes
Alles was zur selben Zeit neben der absoluten Wahrheit existiert kann nur Lüge sein.

Wahrheit in Lüge - kommt gleich Unverborgenheit der Dinge in Schein - wenn wir nur wüßten wie man das Wahre finden könnte!

Dass Gott recht hat auch wenn er unrecht hat, sollte die allgemeine Vorstellung eines omnipotenten Gottes (damit verbunden die Unfehlbarkeit seiner Diener, der Päpste, die sich in seinen Dogmen ausspricht) hinterfrat werden.

 

hallo linjus,
leider ist aber dein erzähler im vernunftdiskurs verhaftet. und er erzählt das "verrückte" aus der perspektive der vernunft:

Sie ist verrückt, glaubt an die Lüge in der die Elemente der Wahrheit ihr verborgenes Dasein fristen, um in Ewigkeit unentdeckt zu bleiben.

dies ist nur ein beispiel.

das finde ich an deinem text eigentlich sehr enttäuschend.
da der text auch nicht zeitlich angesiedelt ist, könnte doch auch der impressionistische maler etc. "verrückt" sein.
falls du dich erinnerst, wurden die impressionisten in ihren ersten ausstellungen auch als "verrückt" verschrien.

mir fehlt also detailliertere philosophische reflektion und das aber in mehr literarizität verpackt, wobei das sprechen selbst auch einer reflektion unterworfen sein sollte.

(und es sollte in einem prosaischen text etwas erzählt werden!)

gruss,
nikto

 

tja, eigentlich ist dir nicht zu widersprchen!

"leider ist aber dein erzähler im vernunftdiskurs verhaftet. und er erzählt das "verrückte" aus der perspektive der vernunft"
das ganze wird aus der sicht einer breiten schicht gesehen - die gegenüberstellungen entspringen also auch dem teil der vernunft -> es wäre absurd, bei der sie-beschreibung etwa dada elemente einzufügen!

"das finde ich an deinem text eigentlich sehr enttäuschend.
da der text auch nicht zeitlich angesiedelt ist, könnte doch auch der impressionistische maler etc. "verrückt" sein.
falls du dich erinnerst, wurden die impressionisten in "
der text ist sehr wohl zeitlich ansiedelbar, er gibt die einstellung vieler der heutigen zeit wieder!

"mir fehlt also detailliertere philosophische reflektion und das aber in mehr literarizität verpackt, wobei das sprechen selbst auch einer reflektion unterworfen sein sollte."
nun, stimmt! der text ist vielleicht nicht als philosophischer text einstufbar, wäre vielleicht besser unter gesellschaft aufgehoben.


Er ist Literat, beschreibt romantische Liebesabenteuer, manchmal autobiographische Erlebnisse, hie und da Traumbilder.
Sie ist verrückt, ihre Geschichten - eigentlich keine Geschichten - werden durch zusammenhangslose Wortkonstruktionen definiert, Kausalitäten werden bewußt vermieden.

und

Er ist Philosoph, klagt über die Nichtigkeit des Menschen, die Vergänglichkeit des Seins und sinniert über das Sein einer höheren Macht - vielleicht Gott?
Sie ist verrückt, liebt das Leben, das Absurde, das irrationale Element des Seins und ist, ohne nach einer möglichen Rationalität zu fragen.

 

hallo linjus,
nochmal ich...

ich meinte nicht, dass der text in einer anderen rubrik stehen sollte - ich habe nicht die einsortierung des textes, sondern den text (form/inhalt) selbst kritisiert.

mir scheint hier zu viel von einer art mystifizierung des wahnsinns vorzuliegen. schon über jahrhunderte zu oft aufgetreten...in den 70ern dann der höhepunkt in der psychiatriegeschichte: navratil etc.

ich fand also das thema und die umsetzung einfach nicht besonders innovativ sowie nicht "durchreflektiert"...

gruss,
nikto

 

ich verstehe deine einwände zum teil, allerdings glaube ich, legst du den text in die falsche richtung aus:

mir scheint hier zu viel von einer art mystifizierung des wahnsinns vorzuliegen. schon über jahrhunderte zu oft aufgetreten...in den 70ern dann der höhepunkt in der psychiatriegeschichte: navratil etc.

HIER GEHT ES NICHT UM WAHNSINN!!!!

Maler: Rauschenberg malte weiße und schwarze Bilder, Duchamps stellt Klomuscheln aus.
Literatur: etwa James Joyce Finnegans Wake - ist faktisch unübersetzbar ob seiner verspielten Sprache, experimentuelle Poesie (Jandl)
Musik: aleatorische Kompositionen der 60-er (Cage, Feldmann, Wolff,...)
Philosophie: oben besprochenes deutet auf zenbuddhistisches Denken hin!
Mensch: Mersault, Josef K.
etc.

- in den Augen der meisten sind sie verrückt, aber hinter ihrem Handeln manifestiert sich eine philosophische (und ästhetische) Haltung, die eben solche Handlungsweisen (Kunstwerke) als notwendig erachtet.

 

HIER GEHT ES NICHT UM WAHNSINN!!!!

und warum sprichst du von verrückt - in den augen der allgemeinheit, aus der sicht des vernunftdiskurses scheinen sie ja anscheinend (siehe deine geschichte) verrückt!

- in den Augen der meisten sind sie verrückt,
das macht dein text deutlich...

aber hinter ihrem Handeln manifestiert sich eine philosophische (und ästhetische) Haltung, die eben solche Handlungsweisen (Kunstwerke) als notwendig erachtet.
...und genau das nicht!!!

ausserdem beide essenzen zusammen finde ich einfach zu unreflektiert (wie schon gesagt) und schlicht zu banal.

wie schon einmal verdeutlicht, diese diskussion und diese sicht ist schon in den 70er zur genüge produziert worden...


gruss,
nikto

 
Zuletzt bearbeitet:

und warum sprichst du von verrückt - in den augen der allgemeinheit, aus der sicht des vernunftdiskurses scheinen sie ja anscheinend (siehe deine geschichte) verrückt!

das ist der springende punkt!
in den augen der allgemeinheit: ja!
aus der sicht des vernunftdiskurses: nein!


******* (der übersicht halber)


...und genau das nicht!!!
doch - denn die schließende Frage stellt alles pauschal behauptete in Frage!


ausserdem beide essenzen zusammen finde ich einfach zu unreflektiert (wie schon gesagt) und schlicht zu banal.

wie schon einmal verdeutlicht, diese diskussion und diese sicht ist schon in den 70er zur genüge produziert worden...


da geb ich dir recht - allerdings sollte der text auch keine (reflekierte) philosophische abhandlung beinhalten, sondern nur gesellschaftliches denken anprangern - quasi mit der brechstange (daher obiger verschiebungsvorschlag).

 

hallo,
nochmal ich.
wir scheinen das wort "vernunftdiskurs" unterschiedlich zu benutzen. ich meinte den foucaultschen begriff und nicht einen verwässerten...
in dem falle ist die antwort: ja.

und: auch wenn der text unter gesellschaft stünde, erwartete ich mehr als diese bisherige plakativität.
das wort "gesellschaft" entschuldigt doch nicht die "brechstange"...

vielleicht mehr subtilität, mehr erzählendes element?

gruss,
nikto

ps: was ist eigentlich "allgemeinheit"? schon allein dieser begriff ist zu schwammig - ohne zeitliche diagonalität benutzt.

 

wieder antwort:

"und: auch wenn der text unter gesellschaft stünde, erwartete ich mehr als diese bisherige plakativität."
- für dich ist der text plakativ, das verstehe ich auch. dennoch: für viele kanns nicht plakativ genug sein.

ps: zur "allgemeinheit" - diesen begriff hast du in die diskussion eingebracht

"vielleicht mehr subtilität, mehr erzählendes element?"
- das nächste mal!

gruß l.

 
Zuletzt bearbeitet:

*hüstel* - der begriff "allgemeinheit" stammt also von dir...nein, stimmt nicht, von mir...sorry

gut, ich meinte aber in dem falle allgemeinheit gleichzusetzen mit dem vernunftdiskurs. und du hast beides getrennt und dann kann ich diesen begriff nicht mehr verstehen.

aber egal.

dann warte ich auf mehr von dir.

gruss,
nikto

 

moin,

ich glaube nicht, das dieser text in den philo-sektor passt. er passt schon (wie bereits erwähnt) eher in den gesellschaftssektor.

und zwar handelt es sich hier nicht um eine philosophische überlegung, sondern um eine allgemeien kritik an die (eingeschränkte) denkweise der menschen und/oder der kirche.

das hat imho nichts mit philosophie zu tun.

trotzdem hat mir der text äußerlich gefallen. inahltlich ist er nicht eindeutig genug, was deine kommentare zu den kritiken gezeigt haben.

ich schreibe selbst sehr abstrakt, aber dein stil entfernt sich eifnach zu weit vom eigentliche thema. ein paar hinweise mehr, oder eindeutiger und der text bekommt die note 2- von mir :)

in dem sinne,

The Angellus

 

Hallo linjus!

Mir gefällt der Text ganz gut. Die Gegenüberstellungen der Lebenseinstellung Deiner Protagonisten finde ich sehr gelungen. Ich hatte eigentlich überhaupt kein Problem damit, das "Sie ist verrückt" so zu verstehen, wie Du es meintest. Vielleicht ist das eine österreichische Eigenart?

Am besten hat mir der Satz gefallen:

Sie ... glaubt an die Lüge in der die Elemente der Wahrheit ihr verborgenes Dasein fristen, um in Ewigkeit unentdeckt zu bleiben.
Ich bemühe mich, meine Gedanken in Worte zu fassen, aber es will mir nicht gelingen... Vielleicht sagt aber eben jener zitierte Satz genau das aus, was sie eigentlich ist - ein Element der Wahrheit. Sie fristet ihr Dasein unter der Lüge, sie sei verrückt und wird nicht ernst genommen...

Ich denke, ich habe Deine Geschichte richtig verstanden, aber leicht machst Du es dem Leser nicht gerade.
Hast Du eigentlich bildlose Bilderrahmen an der Wand hängen...? ;)

Drei Sachen würde ich ändern:

"der Drang zur Leere bezeichnet ihr künstlerisches Schaffen"
- hier würde ich nur "zeichnet", ohne "be-" schreiben

"ein begründendes warum"
- Warum

"hauptsache er es ist."
- Hauptsache er ist.

Alles liebe,
Susi

 

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