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27.05.2002
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Perspektiven

"Hallo Papa, darf ich dir einen Bussi geben? Komm, spiel mit mir Verstecken, oder wir spielen Pferdchen... Juhuuu, hüa Papa, schneller, schneller. Schau, Mama macht Fotos von uns. Duhu, Papa, ich glaube, die Mama hat dich ganz dolle lieb. Sie hat mir gestern erzählt, dass sie immer noch gaaanz schrecklich in dich verliebt ist, weil du sie jeden Tag aufs Neue wieder überraschen tust. Ja, los, noch eine Runde. Brrr, Stopp! Ich muss kurz was holen... Hier Papa, eine gelbe Blume für dich. Ich war auch ganz vorsichtig, als ich sie aus unserem Blumenbeet gepflückt habe. Glaubst du eigentlich, mein Brüderchen wird mich mögen? Wann ist es denn endlich da? Kannst du nicht machen, dass es schneller kommt?

...Schreck... Was für ein Albtraum. Ich zittere, ich schwitze. Welch eine Erlösung, dass er vorbei ist.
Wieso klingelt dieser dämliche Wecker denn wieder nicht? Ich hasse ihn. Schon 6 Uhr, oh nein, das kann doch nicht wahr sein. Ich wollte doch schon um 5 Uhr aufstehen. Ich habe doch meinen ganzen Tag durchgeplant und kann es mir nicht leisten, in Verzug zu geraten. Mal auf meine Liste schauen, was man streichen könnte.
Schritt 7 der Präsentation, Vorbereitung der Konferenz, Auswendiglernen der Rede, neuen Maßanzug bestellen, Squash mit dem Vorstandsvorsitzenden, Geburtstagsessen bei meinem Patenkind...
Geburtstagsessen bei meinem Patenkind? Na, das kann man doch entbehren. Das würde mir noch mehr Zeit als diese eine Stunde verschaffen und ich könnte heute noch den Schritt 8 der Präsentation schaffen. In Zeitmanagementfragen macht mir keiner was vor. Werde im Büro meine Sekretärin beauftragen, dieses lästige Geburtstagsessen abzusagen. Und wehe, ihr fällt kein guter Grund ein. Sie soll sich gefälligst ihre Gedanken machen. Ich will nicht, dass meine Absage nicht plausibel wirkt. Das würde oberflächlich wirken. Ich hasse Oberflächlichkeit! Sollte doch nicht so schwer sein, was Anständiges zu finden, schließlich will man es sich mit den Leuten ja nicht verscherzen. Dann kann sie dem Rotzlöffel auch gleich noch was kaufen und ihm eine Karte schreiben. Wie hieß er noch mal? Ach, egal, das passt schon so.
"Klack" So, endlich ist der Toast fertig. Mensch, kann denn keiner eine schnellere Kaffeemaschine erfinden? Mal schnell den Fernseher einschalten und sehen, was es Neues gibt. Ah, wieder ein Krieg. Ich versteh es nicht, wieso diese Gewalt? Wenn jeder ein wenig auf den anderen Rücksicht nehmen würde, könnte man sich doch einigen.
Die begreifen einfach nicht, dass sie mit ihrem Krieg der Wirtschaft schaden und damit auch uns, mir schaden. Na ja, nicht jedes Land kann so zivilisiert und fortschrittlich sein wie wir.
Wir sollten nur zusehen, dass wir diesen Vorsprung halten. Macht muss verteidigt werden.
Endlich, Kaffee fertig. Perfekt. Ein guter Tag fängt mit einem frischen Kaffee an...
Sehr schön, nur 11 Minuten fürs frühstücken, ich werde langsam besser. Jetzt schnell ins Bad, wenn ich weiter so eine Dynamik an den Tag lege, kann ich noch den Bus um 6.41 Uhr bekommen.
Laufen ist etwas anstrengendes. Dämlicher Busfahrer. Fährt einfach los, obwohl ich ihm doch signalisiert habe, dass ich mit will. Die halbe Minute hätte er doch warten können. Ich gehe ja auch nicht gleich aus dem Besucherraum, wenn mein Besuch mal wieder zu spät kommt. Ich werde mich beschweren. Werde der Verkehrsgesellschaft einen bösen Brief schreiben.
Aber holla, was für ein ansprechendes Geschöpf sitzt denn da im Wartehäuschen? Sexy Beine, der kurze Mini steht ihr echt gut. Ob sie wohl was drunter trägt? Und erst dieser Anblick ihrer Bluse, wie schön sich die Formen ihrer Brüste abzeichnen und ich glaube, ich kann sogar erkennen, dass sich ihre Brustwarzen ein wenig durch den seidigen Stoff abzeichnen. Was liest sie da? "Illusionen" Ich hasse es, seine Zeit mit dem Lesen solcher Bücher zu verbringen. Kitsch, Vorurteile, immer das Gleiche. Das ist doch nicht die Realität!
Na ja, aber ich will ja nicht mit ihr lesen. Das kann sie dann in meinem Bett machen, wenn ich, ich meine wir, unseren Spaß hatten. Dann lässt sie mich wenigstens in Ruhe. Das Theater mit Meike hat mir am Wochenende gereicht. "Komm, lass uns noch kuscheln, ich möchte in deinen Armen einschlafen. Halt mich bitte fest." Wenn ich nur daran denke. Bin ich ein Kuscheltier? Denke, ich habe klar rübergebracht, was ich wollte. Hauptsache, sie ruft nicht mehr an.
Versuchen wir also mal mit der Kleinen ins Gespräch zu kommen. Guten Tag, schöne Frau, darf ich mich zu ihnen setzen? Aha, sie mustert mich. Sie lächelt mich an. Kein Wunder bei meinem Aussehen! Und nun nimmt sie ihre Tasche beiseite und deutet auf die freigewordene Stelle. Darf ich fragen, was Sie da lesen? Bla bla bla... Ja, das klingt ja hochinteressant, das Buch kenne ich zwar nicht, aber ich lese unheimlich gerne.
Mensch, müssen denn die Straßen so voll sein? Das ganze Gedränge macht mich noch ganz wahnsinnig. Da kann man sich ja nicht einmal auf seine äußerst attraktive Gesprächspartnerin konzentrieren.
Schon fünf Minuten mit Sarah, so hat sie sich mir vorgestellt, geredet. Sie scheint relativ schüchtern zu sein. Aber dem kann ja abgeholfen werden. Mein Charme ist halt doch unwiderstehlich. Ein paar Streicheleinheiten, ein paar Komplimente und schon hab ich ihre Telefonnummer. Bis Ende der Woche werde ich sie in meinem Bett haben.
So, der Bus kommt endlich. Tschüss Sarah. Ich hätte nie gedacht, dass ich mich mal freuen würde, den Bus verpasst zu haben. Aber dank dem Busfahrer habe ich so eine reizende und vor allem intelligente Frau kennen lernen können. Ich ruf dich heute Abend an...

Natürlich beschwere ich mich schon beim Einsteigen bei dem Busfahrer und überzeuge ihn von dem inakzeptablen Kundenservice des Unternehmens.
Und der Kerl nickt nur und entschuldigt sich. Ja weiß er denn nicht, wer ich bin? Traurige Welt.
Nicht mal ein Sitzplatz ist mehr frei. Dämliche Drängelei im Bus. Überall Stimmengewirr. Furchtbar. Ich fühle mich nur von Hektik umgeben. Können Sie denn nicht aufpassen, wo sie hintreten, Sie Rüpel? Klasse Tag. So, da wird ein Platz frei. Nur gut, dass ich schneller als die alte Dame bin. Sie sieht ja noch ganz rüstig aus, die verkraftet das Stehen schon. Ich bin ja eh in zwei Stationen da, dann werde ich ihr meinen Platz anbieten.
So etwas unhöfliches, die alte Frau hat sich nicht einmal bedankt. Da sieht man mal wieder, Gutmütigkeit wird gnadenlos ausgenutzt. Wenigstens ist die Fußgängerzone noch leer. Keine Ablenkung also möglich. Ein Bettler. Wie tief muss man sinken, um hier sitzen zu müssen. Charakterschwach! Ich verstehe solche Menschen einfach nicht.
Na ja, ich bin ja ein gutmütiger und großzügiger Mensch. In meiner Geldbörse ist eh zu viel Kleingeld...

Endlich habe ich mein Büro erreicht. Jetzt schnell noch die Arbeit vom Schreibtisch abarbeiten. Toll, wieder einen Fehler der Anderen entdeckt. Ja muss ich denn alles selber machen? Man kann sich auf keinen mehr verlassen. Die Sache mit dem neuen Projekt nehme ich lieber selber in die Hand. Dann kann ich auch gleich meinen mir zugeteilten Assistenten, der dies eigentlich machen sollte, loswerden. Der gefällt mir eh nicht. OK, dies bedeutet mehr Arbeit für mich. Aber ich sagte ja schon, in Zeitmanagementfragen macht mir keiner was vor...
Mittagspause. Habe ja eigentlich keine Zeit. Aber ich muss mich ja wieder mal bei der Claudia in der Kantine blicken lassen...

Jochen, Vater von zwei Kindern, kommt mir auf dem Flur entgegen und strahlt eine penetrante Art von Glücklichsein aus. Und was erzählt mir der Trottel? Seine Frau hätte heute Geburtstag und er hätte eine sehr schöne Überraschung für sie. Klasse, ich freue mich ja auch über Geburtstage, aber nur über meine eigenen. Kein Wunder, dass Jochen noch nicht in die Vorstandsetage befördert wurde. Wie auch, bei der Einstellung? So sicherlich nicht, niemals! Und das Schlimmste ist ja, er versucht mir zu erzählen, er sei mit seiner jetzigen Position sehr glücklich. Er möchte angeblich nicht in den Vorstand. Es wäre einfach nicht sein Ding.
Wenn ich eines hasse, dann Heuchler. Ihre verlogene Art, einfach nur plump. Ich bin froh, wenn ich mit solchen Menschen nichts zu tun haben muss.
Aber man soll ja anderen nicht in ihr Leben reden. Jeder soll selbst entscheiden, was er für richtig hält. Schade für Jochen, dass er das nicht kann. Mit Frau und Kindern ist man ja nie frei. Immer abhängig. Was bin ich froh, dass ich von nichts in diesem Leben abhängig bin. Ich bin einfach nur frei. Ich kann das tun, was ich will. Das ist das einzig wahre Leben!

[ 16.06.2002, 02:18: Beitrag editiert von: Liabup ]

 

Hallo, Liabup!

Ich muß sagen, daß mir die Geschichte mit einigen kleinen Abstrichen wirklich gut gefallen hat.

Der Anfang war ein wenig verwirrend und man kam nur sehr schlecht in die Geschichte hinein, vielleicht auch wegen des Übergangs von der Traum-Sequenz in die Gedankengänge dieses... Business-Menschen.
Auch die Übergänge zwischen den einzelnen Szenen, die sich im Laufe Deiner Geschichte abspielen, sind irgendwie nicht flüssig genug und teilweise fehlen auch die Zusammenhänge.
Auch daß die kursive Schrift einen gesprochenen Satz darstellen soll, ist mir erst etwas später aufgegangen (aber gut, das kann auch an der gegenwärtigen Uhrzeit gelegen haben) :D

Die Idee und die sprachliche Umsetzung sind Dir sehr gut gelungen, von einigen kleineren Rechtschreibfehlern mal abgesehen.

Würde mich freuen, bald mehr von Dir zu lesen.

Grüße
Skywise

 

Dem ist nichts hinzuzufügen. Dein Erzählstil spricht mich sehr an, da selbst schnelle Themenwechsel der Geschichte nicht Schaden.

"Klack" So, endlich ist der Toast fertig. Mensch, kann denn keiner eine schnellere Kaffeemaschine erfinden? Mal schnell den Fernseher einschalten und sehen, was es Neues gibt. Ah, wieder ein Krieg. Ich versteh es nicht, wieso diese Gewalt? Wenn jeder ein wenig auf den anderen Rücksicht nehmen würde, könnte man sich doch einigen.
Die begreifen einfach nicht, dass sie mit ihrem Krieg der Wirtschaft schaden und damit auch uns, mir schaden. Na ja, nicht jedes Land kann so zivilisiert und fortschrittlich sein wie wir.
Vom Frühstückstoast und Morgenkaffee zu den Einflüssen des Krieges auf die Wirtschaft - klasse :D

 

Hi,

gelungene Story, mit einem Hauch von Satire, die sich angenehm lesen läßt und zum Schmunzeln bringt.
Was die Einleitung betrifft, muß ich Kris zustimmen. Das Kind kommt nicht authentisch rüber.
Das mit der Erwartungshaltung kann ich dagegen nicht bestätigen.

Habe es nicht bereut, deine Geschichte gelesen zu haben und bin gespannt auf die nächste :)

So long, Pandora

 

Hallo,

erst einmal sorry, dass ich mich erst jetzt melde. Aber die Klausurenwochen sind leider immer sehr stressig.

Es freut mich, dass die Geschichte so gut aufgenommen wurde. Der Kritik bzgl. des ersten Teils gebe ich recht. Ich hatte mir, ehrlich gesagt, gar keine Gedanken darüber gemacht, ob es denn authentisch klingen würde.
Die Personen Sarah und das Patenkind habe ich nur genutzt, um den Charakter des Erzählers hervorzuheben. Es würde, meiner Meinung nach, nicht zu ihm passen, wenn man erfahren würde, wie es mit den beiden weitergeht. Es interessiert ihn nicht, so wie ihn vieles Andere in seinem Leben auch nicht interessiert.

Die "Verwirrtheit" und die Sprünge des Textes sollen sein Inneres, seine Inkonsequenz, seine Hektik zeigen. Er sagt, er würde Oberflächlichkeiten hassen und doch sind sein ganzes Leben, seine Gedanken oberflächlich. Und wenn seine Gedanken mal nicht oberflächlich sind, er ein wenig mehr ins Detail geht, sich Zeit nimmt, so wie bei Sarah, führt ihn das doch wieder zurück zu seiner Oberflächlichkeit.

Ich wünsche Euch ein schönes Wochenende

Liabup

 

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