Was ist neu

Persistenz

Mitglied
Beitritt
23.10.2013
Beiträge
4

Persistenz

„Einen Weißwein mit Soda für mich und für ihn… ein kleines Bier natürlich“, sprichst du mit unverschämt entzückendem Lächeln an die Kellnerin, während du mich nicht aus den Augen verlierst. Ja du weißt noch, dass ich in Bars kaum anderes trinke, du kannst dich noch daran erinnern obwohl wir uns schon so lange nicht mehr gesehen hatten. Ich überlege wie lange es eigentlich schon her ist, eine kleine Ewigkeit, vermutlich einige Jahre, ganz gewiss, über vier sind es bestimmt schon. Oder? Wahrscheinlich aber doch schon viel länger. Bestimmt. Unzählige und ungezählte Tage in denen so unendlich viel geschah, so wie es eben in jungen Jahren ist, bis heute, bis jetzt, da wir uns mit spürbar leichter Nervosität und mit beinah lächerlich jugendlicher Zurückhaltung gegenüber sitzen.
Eigenartig wie und warum es zu diesem Wiedersehen kam. Zufällig hörte ich von dir. Oder du von mir? Egal. Nun sitzen wir beieinander, uns gegenüber, uns gegenseitig anstarrend, beide rätselnd wie es dem jeweils anderen in der vergangenen Zeit wohl ergangen ist? Was aus dem Menschen geworden ist, in diesen vielen Tagen, in denen wir nichts voneinander hörten und nichts sahen, aus dem Menschen, der vor dieser Zeit so vertraut war und so nah?
Na wie läuft es so, fragst du dann. Völlig unauffällig. Eine sehr unpräzise Frage wie ich finde, doch so funktionieren eben diese Konversationen, man beginnt ganz beiläufig, redet weiter in ein scheinbares Vakuum der Worte und ehe man sich versieht, endest du in tiefgründig romantischen und florierend geistreichen Unterhaltungen. Zumindest kann - oder eher darf - man solches hoffen und ich hoffe es in diesem Moment innigst.

Ich höre dir immer noch gern zu, wie ich es auch schon damals tat.
Während du über winzigste Lebenskrisen, unscheinbare Romanzen, viel zu ferne Reisen und etliche entbehrliche Erfahrungen sprichst, beginne ich, dich mit den Augen von damals zu betrachten. Ja, du besitzt noch immer diese mysteriöse Schönheit, diese unauslöschlich faszinierende Ausstrahlung, die es vermag, mich in einen unerklärlichen Bann zu ziehen, nur durch ein unbewusstes Aufschlagen deiner Lider, die sich ganz langsam über deinen sinnlichen Blick hinweg zu und dann wieder auf wiegen, oder durch deine Lippen, die beim Reden ihre ganz eigene Art der Bewegung annehmen, zu jedem gesprochenem Wort ein neuer berauschender Tanz, fern allem Vergleichbaren. Und dann noch deine zärtlichen Finger, immer auf der Suche etwas zu umklammern, etwas Verlorenes zu ergreifen und niemals bewegungslos, nur wenn du sie auf deine übereinandergeschlagenen Beine stützt, und selbst dann wirken sie wie ein unentbehrliches Detail, das ein prächtiges Gemälde zu dem macht, was es ist.

Lange, länger als ich es erwartete, es ersehnte, dauert dieses oberflächliche Geschwätz nun, dieser Austausch von scheinbar unnützen Informationen, der bewusst, methodisch, durchdacht aber ebenso inkonsequent auf das zusteuert, was mein – und ich hoffe auch dein – Ziel sein soll. Unsere gemeinsam erlebten, gefühlten und ineinander verworrenen Erinnerungen, das, was wir unsere Vergangenheit nennen. Erinnerungen die so tief in meinem Gedächtnis schlummern, dass ich sie förmlich nur mehr in schwarzweiß ersinnen kann. Darum will ich sie von dir hören, von dir vorgeworfen bekommen, um sie erneut zum Leben zu erwecken, um sie neu zu denken und zu empfinden, um sie im hier und jetzt zu manifestieren. Ich bitte dich, ohne Worte, denn dazu fehlt mir die Kraft und auch der Mut, ich bitte dich nur mit meinen Blicken, bitte, sprich endlich davon.
Und zu dem unsere Seelen nicht im Stande sind, das soll der unselige Alkohol erleichtern. Schließlich, nach mehreren Gläsern, die die aufmerksame Kellnerin nun schon ohne Aufforderung zu servieren weiß, werden unsere Zungen loser und unsere Bescheidenheit geringer, welch ein Glück, denk ich bei mir.
Natürlich bist du es, die beginnt. Anfangs, etwas närrisch, erzählst du retrospektiv von unseren frühen Begegnungen, und dein mädchenhaft scheues Lächeln verrät mir deine Freude darüber, gleichsam beginne auch ich zu lachen, eher zu grinsen, aus reinem Genuss.

Da du von unserem ersten Aufeinandertreffen berichtest, verstehe ich erst jetzt, wie unterschiedlich schon zu diesem Zeitpunkt unser Verständnis der Lage war. Du nahmst mich gar nicht wahr, sagst du schmunzelnd und zuckst mit deinen Schultern dazu. Ich hingegen, ohne dass ich es nun äußern möchte, weil es mir der unedle Stolz verbietet, sah dich, damals in diesen hellen, mit Menschen vollgepferchten Räumen, ich erspähte dich nur ganz kurz, den Bruchteil eines Moments berührten sich dabei unsere Blicke, was du beteuerst nicht mehr zu wissen, und ich ward mir dann sicher, sicherer als jemals zuvor, dass du etwas ganz Besonderes, etwas unbeschreiblich Einzigartiges alleinig für mich bist. Und so war es auch und ist es wohl noch immer – denn es wär ja so einfach sich selbst zu belügen, was jedoch unendlich sinnlos bliebe.
Du kannst dir wohl kaum vorstellen, denke ich wortlos, wie viel ich auf mich nahm, ich schüchterner Tropf, dem es ja an Selbstwertung so enorm mangelt, um dich an diesem Tage aufzusuchen und dich auf dilettantischste, ja fast lächerliche Art, in ein Gespräch zu verwickeln versuchte. Doch es gelang, deiner spontan entgegengebrachten Lieblichkeit und Güte zum Dank, und ich hörte nun zum ersten Male deine betörende Stimme, mehr benötigte ich nicht um von deiner Erscheinung unwiderruflich verzaubert zu sein.

Du lachst herzhaft, während du beginnst von dieser eingelösten Verabredung an diesem, noch selben Abend zu erzählen, doch ich verstumme nun gänzlich. Vielleicht, so spielt es sich zumindest hinter meiner Stirn zu, wäre alles ganz anders verlaufen, wäre dieser Abend nicht in jeder erdenklichen Art so perfekt ausgegangen. Ich versteh meine Gedanken ja selbst kaum, natürlich war es ein makelloser, ein grandioser Abend, den wir mit fahler Musik, viel Wein und langen, intensiven und aufreibenden Gesprächen, jedes Klischeeerfüllend, in der für uns beide so fremden Stadt verbrachten. Und auch die unvergessliche Nacht, die dann so zwanglos doch ohne Zweifel folgte, war purer Lebensgeist für mich. Doch dann das teuflische Paradoxon, mit dem Erwachen kam das erste Ende unserer Liebelei. Nach einer süßen doch kurzen Verabschiedung trennten sich die Wege, und ich begann mich nach dir zu verzehren, schon vom ersten Augenblick an.

Zwei neue Gläser werden an den Tisch getragen und gleichzeitig erstickt unsere Unterhaltung. Du bist still und ich schließe mich dir an, der beginnende Rausch steigt mir zu Kopf. Beide lehnen wir uns im Gleichtakt in diese rustikalen Stuhllehnen zurück und weil ich es nicht mehr fertigbringe dir jetzt in die Augen zu sehen, lasse ich meinen Blick rundherum schweifen. Ich betrachte die hölzernen Vertäfelungen, rauchverhangen, das einfache aber umso charmantere Mobiliar, die Gäste, die sich hier in allen Alters- und Kulturgruppen treffen, die vielen Kerzen, die so kitschig aber mit dem restlichen Flair im Einklang an jedem Tisch auflodern und zuletzt die vielen Bilder an den Wänden, in verschiedenen Größen und Farben, Originale von unbekannten Post-Impressionisten, keines sagt mir eigentlich zu, dennoch mag ich sie.
Du brichst das eiserne Schweigen, denn nur du bist dazu imstande. Du sagst, dass du dir sicher warst, dass es mir in dieser Bar gefallen würde, mit eitlen Blicken bestätigst du deine Aussage, diese kreativ anmutende Umgebung passt zu mir, meinst du. Darauf lächle ich verlegen, denn kein Wort fällt mir jetzt mehr ein, dann, ohne Vorwarnung, streichelst du gänzlich unbeholfen und aus dem heiteren Nichts heraus über mein Gesicht, weil du es eben in diesem Moment für richtig hältst. Ich muss nun meine Augen schließen, denn der einmalige Duft deiner Haut dringt mir in die Nase, jener Geruch den ich noch von damals kenne, den ich so sehr lieben lernte und den ich nie vergaß, ja immer sehnte ich mich nach diesem Duft, der sich nicht vergleichen lässt und der mein Herz zum toben, ja zum ausrasten bringt.

„Kannst Du Dich noch an unseren Winter erinnern?“. Ich nicke nur, halbwegs höflich, doch überrascht es mich endlos wie du nur solch eine Frage stellen kannst, verraten fühle ich mich beinahe. Natürlich kann ich, an nichts anderes will ich mich erinnern, selbst wenn ich jeden anderen Gedanken dafür opfern müsste. Unser Winter.
Auch du nennst diese vergangene Zeit noch unsere, ich freue mich aufrichtig darüber, meine Hände beginnen fortwährend zu zittern, so ich nur daran denke, mich nur kurz in diese Zeit zurück versetze und mich in ihr verliere.
In dem Augenblick, da dir Sätze deiner und meiner Erinnerungen über die Lippen gehen, tauche ich vollends in die Bilder ein, die ich verehre, ja hedonistisch anhimmle.

Es war ein gewöhnlicher und unbeschwerter Winter, über den wir uns jetzt austauschen, die Adventzeit stand an. Und plötzlich warst du dort, dort in meiner Stadt, so weit von deiner Heimat entfernt. Obwohl ich noch immer so viel an dich denken musste, war ich über den gröbsten Schmerz bislang schon hinweg, der sich nach unserem ersten Tête-à-tête schon anfing in meinem Innersten zu verwurzeln. Nun aber warst du hier, nicht nur wegen mir, anderes trieb dich in diese Gegend, doch auch dich trachtete es nach einem Wiedersehen, versicherst du und ich wollte und will dir noch heute glauben.
Glaube mir, für mich stand zu diesem Zeitpunkt die Welt still, ich sah dich und alles stürzte ein, alles war unwichtig, nichts mehr real, einzig du zähltest noch, du und ich, ich und du, immer wieder du, sofort erlag ich deinen Blicken, sofort war ich wieder dein, wie ich es schon davor war, und wer weiß, vielleicht auch noch heute bin, doch ich sage nichts von alledem.
So ich jetzt mit dir darüber spreche, lächle ich etwas verträumt dabei, ich merk sogar an, nein, ich behaupte es felsenfest, dass diese Tage traumhaft waren und du bestätigst geschmeichelt. Doch ich bin mir sicher, so wundervoll, so märchenhaft vermag es kein Traum zu sein, jeder vorstellbare Traum muss sich hinter jenen Erfahrungen einreihen, die wir im Stande waren zu erleben, jede einzelne Sekunde war pures Gold und noch viel mehr wert.
Eine eigenartige Spannung baut sich unerwartet zwischen uns auf, ein Gefühl der Sehnsucht, die ich auch dir anmerke, ganz deutlich, beide kennen wir den weiteren Verlauf der dialogischen Erzählung, dennoch schilderst du weiter, ganz natürlich, und ich höre gespannt zu.
Jeden erdenklich möglichen Moment verbrachten wir miteinander, wir blickten nicht ein einziges Mal in die ungewisse Zukunft, viel mehr kosteten wir jede Sekunde unserer Zweisamkeit aus. Wir spazierten über die frisch beschneiten Straßen und sprachen naiv über Belangloses, ein verlässlicher Treibstoff für liebende Seelen. Ein zufälliger Besuch des obsoleten Weihnachtsmarktes, den ich bis dahin ob des touristischen Massenandrangs gern mied, wurde zu dem wohl erquicklichsten und romantischten Zeitvertreib, den ich mir gar nie zu wünschen bereit war. Ein kräftiger Wind hüllte uns in kurzsichtiges Schneetreiben, das uns scheinbar von allem anderen isolierte, du blicktest tief unter deiner dicken, bunten Wollmütze hervor, mich ergreifend an, und gabst mir damit die Sicherheit, die ich ersehnte, die Kraft, die ich benötigte und die Leidenschaft, die ich mir unergründlich wünschte. Du warst alles was ich wollte, nichts anderes, der Höhepunkt meiner Hoffnung.

Du ergreifst meine Hand und betrachtest meine Finger, du erinnerst dich so gern an meine Handschuhe jener Tage, beteuerst du mit Glanz in deinen Augen. Verwirrung, denn ich versteh das Gesagte nicht, du setzt deinen Fokus noch immer gänzlich selbst, immer von neuem kannst du mich mit solch sonderbarer Anschauung verblüffen. Dir gelingt es, und es bleibt mir ein Rätsel wie du es vollbringst, von diesen trivialen Handschuhen zu sprechen und dabei einen zutiefst sinnlichen Kontext zu vermitteln. Das ist deine Einzigartigkeit, Einzigartigkeit ist in jeder Faser deines Körpers, in jedem Ton deiner Stimme und in jeder Bewegung deines Handelns und Tuns existent.

Den Griff deiner Hand genieße ich in seiner zärtlichen Beharrlichkeit, während meine Sicht sich in einen Tunnelblick wandelt, nur mehr deine Lippen bestaune ich, die immer weiter und weiter, und immer mehr und mehr von unserem Winter erzählen.
Ja, unser Winter, es waren einige Tage, doch um die Unendlichkeit zu wenig. Allerhand Zeit verbrachten wir in Bars, wie nun, wie auch in dieser Sekunde, und viele Stunden beim Spazieren, beim sinnlosen Umherwandern, in Zeit- und Raumlosigkeit, in forcierter Entschlossenheit und verschmolzener Liebe zueinander. Doch so schnell und unerwartet es begann, so endete es auch wieder, wahrlich war es abzusehen und dennoch traf es mich mit der Wucht eines Blitzes und mit der bizarren Bestürzung eines unvorhergesehenen Wolkenbruchs. Du warst weg und mir brach das Herz entzwei, es riss mich aus der Isolierung, wieder zurück in die Welt, die ich durch schwelgerische Leidenschaft verdrängte und vergas.

Inzwischen ist es draußen dunkel, stockfinster geworden und es regnet in Strömen. In der Bar, um uns herum, kehrt nun gemächliche Stille ein, kaum noch wer ist hier, wenige einsame Seelen, die bei nunmehr ruhiger Hintergrundmusik, Klassik, etwa Bach oder vielleicht Mendelssohn-Bartholdy, noch ihr letztes Glas leeren. Und die immer noch freundliche Bedienung, ersichtlich müde tilgt sie die verbliebenen Spuren des Abends aus dem Lokal und deutet nun auch uns an, dass die Zeit des Abschieds naht. Ob sie wohl ahnt welche Auswirkung ihr durchaus verdienter Feierabend für mich mit sich bringt? Gar kaum. Oh, ich wünsche diesen Abend in aller Ewigkeit zu genießen.

Gleichsam ahnend und dennoch nicht in der Lage vorauszusehen, erheben wir ein letztes Mal unsere Gläser und stoßen wortlos zum Wohl. Die freien Hände greifen ineinander und ich fühle dein Zittern wie du bestimmt auch meines wahrnimmst. Der Abend ist vorbei, doch die Zukunft noch nicht geklärt.
Hinter uns schließ ich sacht die modrige Tür und schon klatscht mir der laue Regen erbarmungslos ins Gesicht, du lachst nur, obwohl auch du in Sekundenschnelle durchnässt bist. „Kann man eben nichts machen“, meinst du unerschrocken und schon rennst du voraus, mich an deiner Rechten nachziehend. Wir laufen durch dunkle, enge Gassen, die ich vorher noch nie sah, über alte, ja wahrscheinlich uralte Pflastersteinwege, auf denen sich riesige Pfützen aufstauen, geradewegs rennst du hindurch, unter deinen Füßen, unter deinen pudelnassen Schuhen spritzt das Wasser weit empor, alles egal, du frohlockst unbeschwert, unbezwingbare Wonne. Ob auch andere Menschen noch unterwegs sind, bei diesem Wetter, um diese fortgeschrittene Uhrzeit, erkenne ich nicht, alles erscheint mir zu dunkel und zu unscharf, alles, nur nicht du.

Irgendwann hältst du, erst jetzt blicke ich um mich, keine Ahnung wohin und wie lange wir gelaufen sind. Schon etwas außerhalb der archaischen Innenstadt sind wir angekommen, an einem menschenleeren Bordstein, über den das Wasser sintflutartig auf die Straße fließt, vor der Eingangstüre zu einem einfachen aber hoch- und langgebauten Wohnhaus, gegenüber einem kleinen Park, der an eine verschlossene Tankstelle anschließt. Dein langes, vom Regen durchnässtes Haar hängt über dein zierliches Gesicht, deine blasse Haut glänzt wasserbenetzt im Dunkeln, noch immer gießt es auf uns herab und du atmest erschöpft. An beiden Händen halten wir uns gegenseitig, nur mehr ein Schritt trennt unsre Körper, du nickst kurz mit eiserener Miene, „Hier sind wir, hier ist mein kleines Zuhause“.

Nun liegt es an mir, das ist mir klar, ich bin mir auch sicher, was du nun von mir erwartest, doch mein Verstand spielt verrückt. Dein Blick geht mir tief unter die Haut, ich denke Hoffnung, Befürchtung oder ähnliches darin zu erkennen, der nächste Schritt muss meiner sein, ganz gewiss. Noch einmal ermesse ich den Abend, es gibt für mich kein richtig und kein falsch, mein Tun entscheidet über das Kommende, über eine Zukunft die dennoch unbekannt bleibt.

Mit einem sanften Ruck ziehe ich dich zu mir und unter aller Zärtlichkeit die mir obliegt und die ich nun aufzubringen im Stande bin, küsse ich dich lange auf deine Wange. Der Regen, von deiner Stirn tropfend, nun salzig schmeckend, rinnt über meine Lippen, ich nehme deinen Duft auf, ganz tief, mit voller Sinneskraft, auf dass mir dieser für alle Zeit erhalten bleibt. Während ich deine Hände loslasse und mich wegdrehe, erkenne ich Tränen aus nun erröteten Augen, über dein Gesicht rinnen. Aber ich setzte fort was ich entschlossen begann, dreh mich schweigsam um und gehe dahin, ohne, dass ich mich noch ein einziges Mal umdrehe. Aus Selbstschutz, Angst oder Unvernunft.

 

Hallo Akarts

und herzlich willkommen hier.

„Einen Weißwein mit Soda für mich und für ihn… ein kleines Bier natürlich“, sprichst du mit unverschämt entzückendem Lächeln an die Kellnerin, während du mich nicht aus den Augen verlierst.
Hier war ich am Schleudern bezüglich der Perspektive - weil du sprichst hier zum einen ein Du an und hast aber auch ein Ich. Letztlich ist es also eine Ich-Erzählung. Aber weshalb dann die direkte Ansprache. Das ist für mich, in diesem Zusammhang, sehr künstlich, weil er sagt ja nichts zu ihr. Klar kann man in der Literatur auch "künstliche" Perspektiven und Mittel wählen, aber dann sollte ein Grund ersichtlich sein, ein Mehrwert. Und den habe ich nicht/sehe ich nicht. Für mich wäre es natürlicher, naheliegender wenn dein Ich-Erzähler die Ansprache wegließe.

schon so lange nicht mehr gesehen hatten. Ich überlege wie lange es eigentlich schon her ist, eine kleine Ewigkeit, vermutlich einige Jahre, ganz gewiss, über vier sind es bestimmt schon. Oder? Wahrscheinlich aber doch schon viel länger. Bestimmt. Unzählige und ungezählte Tage in denen so unendlich viel geschah, so wie es eben in jungen Jahren ist, bis heute, bis jetzt, da wir uns mit spürbar leichter Nervosität und mit beinah lächerlich jugendlicher Zurückhaltung gegenüber sitzen.
An dem Abschnitt fallen mir gleich mehrere Sachen auf:
Zum einen hast du hier viele Worte für wenig Information: Du sagst, sie haben sich länger nicht gesehen und er weiß nicht, wie lange eigentlich. Das ging auch kürzer. Und meine Erfahrung ist, gerade am Anfang und bei Kurzgeschichten, dass man mit stärker komprimierter Sprache besser fährt.
Dann noch: mit spürbar leichter Nervosität - willst du wirklich aussagen, dass die Nervosität spürbar leicht ist? Außerdem braucht es, meiner Ansicht nach, eines der Adjektive nicht: entweder spürbar - sprich schon verhandene Nervosität, die auch einen Einfluss übt - oder leichter - nicht so stark, zwar vorhanden, aber nur am Rande.

Eigenartig wie und warum es zu diesem Wiedersehen kam. Zufällig hörte ich von dir. Oder du von mir? Egal.
Ist der Erzähler verwirrt? Die Information muss er doch habe, er muss doch wissen, wer wen kontaktiert hat. Kommt mir seltsam vor.

Völlig unauffällig.
Das ist in der Frage eigentlich schon impliziert. Diese Frage ist immer unauffällig, bis zum Beweis des Gegenteils, kann also eigentlich raus.

Eine sehr unpräzise Frage wie ich finde, doch so funktionieren eben diese Konversationen, man beginnt ganz beiläufig, redet weiter in ein scheinbares Vakuum der Worte und ehe man sich versieht, endest du in tiefgründig romantischen und florierend geistreichen Unterhaltungen. Zumindest kann - oder eher darf - man solches hoffen und ich hoffe es in diesem Moment innigst.
Ich habe bei deiner Sprache das Gefühl, die will elaboriert und tiefgründig sein, schafft es aber nicht ganz und liest sich deswegen verquer. Vielleicht versuchst du dich erstmal mit klarer Sprache, mit etwas weniger Pathos in den Formulierungen. Kannst dann später, wenn du mehr Übung hast, immernoch darauf zurück kommen.
Auch etwas seltsam: erst sprichst du von "man", also allgemein (finde ich meistens nicht gut, weil konkret siegt in der Literatur fast immer gegen abstrakt) und dann plötzlich von du.

Während du über winzigste Lebenskrisen, unscheinbare Romanzen, viel zu ferne Reisen und etliche entbehrliche Erfahrungen sprichst, beginne ich, dich mit den Augen von damals zu betrachten.
"etliche" kann hier raus. Versuche mal alle Worte aus der Geschichte zu streichen, die raus können, ohne dass sich der Sinn groß verändert. Das ist meistens ein brauchbarer Weg zu einem guten Stil.

Ja, du besitzt noch immer diese mysteriöse Schönheit, diese unauslöschlich faszinierende Ausstrahlung, die es vermag, mich in einen unerklärlichen Bann zu ziehen, nur durch ein unbewusstes Aufschlagen deiner Lider, die sich ganz langsam über deinen sinnlichen Blick hinweg zu und dann wieder auf wiegen, oder durch deine Lippen, die beim Reden ihre ganz eigene Art der Bewegung annehmen, zu jedem gesprochenem Wort ein neuer berauschender Tanz, fern allem Vergleichbaren.
Der Absatz ist völlig überfrachtet mit Adjektiven und dann sind es aus noch welche mit viel großer Geste: mysteriöse, unauslöschlich + faszinierende, unerklärlichen (dabei lieferst du ja quasi eine Erklärung, indem du ihre Schönheit auf Einzelereignisse runterbrichst), unbewusstes, ganz langsam.
Das ist ziemlich überfrachtet, würde ich großzügig jäten.
Vertrau doch einfach auf die Bilder, die du hast. Ihre Schönheit zieht ihn in Bann, mit ihrem Augenaufschlag und ihren Lippen - das ist jetzt nichts groß neues, aber verlass dich doch trotzdem darauf und mach es nicht so Kompliziert. Der Autor von Tschick, Wolfgang Herrndorf, hat wohl geschrieben, dass ein guter Stil daher kommt, dass man einen Gedanken hat und den dann möglichst klar und einfach formuliert. Und bei dir habe ich das Gefühl, du versuchst deine Gedanken bedeutender zu formulieren, als ihnen gut tut. Ich werde dir das jetzt nicht für alle Sätze raussuchen, auf die das zutrifft. Vielleicht versuchst du es mal als Experiment, die gleiche Geschichte mit weniger Pathos zu schreiben, mit weniger künstlichem Tiefsinn. Und dann vergleich die beiden mal und schau, was dir besser gefällt und frag Leute, auf deren Urteil du was gibst und frag die, welche sie besser finden.
Dann kannst du immer noch bei diesem Stil bleiben, aber versuch's wirklich mal etwas spartanischer.

Ehrlich gesagt hätte ich an der Stelle normalerweise auch abgebrochen weiterzulesen. Ich lese durchaus auch kompliziertere Geschichten, aber bei dir habe ich das Gefühl, dass die Sprache dem Inhalt im Weg steht und das ist einfach anstrengend zu lesen.

An sich hat du doch ein spannendes Thema: Das Wiedersehen eines Paares, dessen Beziehung schon lange zurückliegt, und das trotzdem noch Gefühle für einander empfindet. Ich denke nur, dass deine Umsetzung dem Inhalt nicht guttut. Du zeigst deine Figuren fast gar nicht, sondern nur die Gedanken des Ich-Erzählers - und das ist meistens gefährlich, weil Gedanken fast immer schwächer sind als Figuren. So vermittelt dein Erzähler den Eindruck, wehleidig, nostalgisch, unentschlossen zu sein. Und das ist für mich als Leser eher langweiliger. Da gibt es einfach zu viele Alternativen. Das ist ein Punkt, den man immer im Blick behalten sollte, hier gibt es so viele Geschichten und so viele gute, dass man immer versuchen sollte, den Leser möglichst zu ködern.

Vielleicht versuchst du das Ganze mehr szenisch umzusetzten. Lass sie doch wirklich miteinander reden. Zeig dem Leser den Dialog. Und dann kannst du den Ich-Erzähler nutzen, um in kleinen Einschüben seine Interpretation zu liefern, wenn er etwas Dinge anders sieht, als sie. Das wäre spannend zu lesen, das würde mich interessieren. So fühle ich mich den beiden ziemlich fremd und weit entfernt und das obwohl, du den Ich-Erzähler soviel von seinen Gefühlen und Gedanken erzählen lässt - vielleicht auch gerade deshalb.

So ist das leider nichts für mich.

Ich weiß, das ist jetzt sehr negativ und hart. Aber, wenn es dir mit dem Schreiben ernst ist, hast du hier die perfekte Plattform, um irre viel zu lernen. Gerade auch beim Selbstkommentieren. Einfach mal die guten Geschichten hier lesen und sich anschauen, warum die gut sind, und was man vielleicht für sich selber mit nehmen kann. Und das Selbstkommentieren ist auh die beste Möglichkeit, selbst noch mehr Rückmeldungen zu erhalten. Viel Spaß dir noch.

Gruß,
Kew

 

Hallo,
Zuerst vielen, vielen herzlichen Dank für deine sehr ausführlichen Erläuterungen. Obwohl es mich jetzt drängt, irgendwelche Ausreden ;) für die verscheidenen Punkte zu finden, werde ich deine ehrlichen (und dafür bin ich wirklich 1000 mal dankbar) Kritiken erstmal auf mich wirken lassen.
Ganz ehrlich, fällt mir das oft schwer, mich auf Kritik einzulassen, aber wenn sie derart objektiviert und proffesionell ist, kann das schon was!
Also vielleicht Dank und ich melde mich nochmal zurück, wenns gefruchtet hat!

Alles Gute

 

Hallo Akarts,

und Willkommen bei KG.de.

Ich habe die Geschichte ganz gern gelesen. Es ist sicher keine Geschichte, die mir lange im Kopf umhergehen wird, bei der man sich mit den Figuren und ihrem Wesen auseinandersetzen kann, weil sie ja gegeben sind, man schaut ihnen nicht zu und macht sich dabei ein Bild von ihnen, sondern man hat sie so zu nehmen, wie der Autor sie über die bereits reflektierten Gedanken beschreibt. Das ist erst mal immer ein Manko - Figuren so anzulegen, dass der Leser da keinen Spielraum mehr hat, aber gut, es heißt ja nicht, dass man es trotzdem nicht tun darf.
Was mich auch gestört hat, sind die vielen schmachtenden Einschübe von kitschigen Elementen. Klar gehen ihm genau solche wahrscheinlich durch den Kopf, aber ich als Leser brauche solche Floskeln nicht, ich will was frisches Lesen und nicht ewig gleiche Formulierungen, die sich auf Dauer auch schon ganz schön runtergeschliffen haben. Da kannst Du gut ansetzen und die Adjektive anfangen zu killen.

Aber! und jetzt das aber, der Text erreicht sicher gut Leute, die sich bereits in einer solchen Situation befunden haben. Ich habe das, und ich finde, du hast das auch gut hinbekommen, diesen Abend, so wie ich ihn einst erlebt habe, ziemlich authentisch wiederzugeben. Ich habe mich durch die Geschichte sehr an jenen Abend erinnert gefühlt und ihn irgendwie noch einmal erlebt. Das war für mich schön. Ich mag auch das Ende sehr, wenn er da geht. Alles an ihm schreit, ich will zu ihr, und als es endlich soweit ist, geht er, weil er weiß, was dieser kurze Moment des Glückes für ihn bedeuten könnte. Da Kopf vor Bauch zu schalten, ist sicher kein einfacher Kampf.

Also für mich ein durchaus schönes Leseempfinden, aber ich denke, Du erreichst mit diesen Gedankenmonolog fast ausschließlich Leser, die sich in diesem Text wiederfinden können. Aber wenn sie es tun können, und ich tue das, dann hat der Text doch schon einiges gekonnt. Nur ist es eben ein relativ kleiner Leserkreis ;).

Viel Freude Dir noch hier. Lese und kommentiere auch andere Geschichten, ich kann es nur empfehlen, weil man dabei ein viel größeres Gespür entwickelt, was funktioniert und was nicht, weil man in die Sicht des Lesers wechselt. Das können zwei, drei Kritiken Dir niemals bieten ;).

Beste Grüße, Fliege

 

Merci für den herzlichen Empfang und gleich voraus, natürlich werde ich versuchen auch meinen Teil für die Community hier zu geben, selbstverständlich!

Dankeschön auch für deine Erläuterungen. Ja, ich habe versucht (mehr weniger als mehr erfolgreich;) ) mit Perspektiven zu spielen. Und vor allem auch den inneren Monolog vordergründig einzusetzen, wie ich es selbst eigentlich sehr gern mag (bei Arthur Schnitzler z.B.).
Dass ich "a little to much" in Sachen Adjektiven gegeben hab, nun ja, da habt ihr wohl vollkommen recht, das werde ich mir künftig sehr gerne zu Herzen nehmen.

Alles Gute

 

Letzte Empfehlungen

Neue Texte

Zurück
Anfang Bottom