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Perfekt
Schon seit ich ein Kind war, fühle ich den Drang in mir zu töten. Ich möchte mein Opfer nicht kennen. Ich möchte, dass es ein Passant ist, jemand der auf dem Weg nach Hause oder zur Arbeit ist.
Nicht dass ich bösartig wäre, oder gar von irgendeinem Hass auf die Menschen erfüllt, nein. Ich möchte nur einmal sehen wie ein Mensch stirbt. Wie es sich anfühlt. Sehen wie das Leben ihn verlässt. Und ich möchte den perfekten Mord begehen. Töten ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Und ich plane schon lange.
Schon seit mehreren Jahren gehe ich, wann immer nur möglich zu Fuß, meide helle Strassen und suche die dunklen Gassen. Ich beobachte den Menschen vor mir, verfolge jeden seiner Schritte, jede Bewegung und stelle mir vor, wie er von der Kugel zu getroffen zu Boden sinken würde. Es würde mir nichts ausmachen, den Abzug zu drücken und zuzuschauen wie er fällt.
Ich plane es schon lange. Ich habe es geschafft eine Pistole zu kaufen, ohne dass ich Papiere ausfüllen musste. Sie ist klein und schwarz. Wenn ich sie in der Hand halte, gibt sie mir dieses unglaubliche Gefühl der Macht. Und wenn ich sie habe, kommt die Macht auch auf mich.
Ich stehe auf, gehe durch meine kleine, teure und aufgeräumte Wohnung. Es ist sehr teuer hier, mitten in der Stadt eine Wohnung zu haben, aber ohne den Lärm der Stadt, der Autos, der Menschen kann ich nicht leben. Es ist mir ein Gräuel zu schlafen, ohne diesen Klang um mich herum; diese Luft nicht mehr atmen zu können.
Meine Waffe bewahre ich im Schlafzimmer auf, gegenüber meines Bettes auf dem kleinen Tisch. Auf dem Tisch steht nichts, nur der schwarze Koffer hebt sich von der weißen Wand ab. Ich gehe zu dem Koffer, öffne ihn und nehme die Pistole heraus. Ich lade sie, packe sie in meinen Aktenkoffer und gehe hinaus.
Heute werde ich es tun. Ich werde einen Menschen töten, ich werde endlich den Tod fühlen.
Ich gehe meinen Weg zur Arbeit, wie ich es jeden Tag mache, seit schon viel zu vielen Jahren, die alle gleich aussahen. Ich verrichte meine Arbeit wie immer; bedächtig und ohne Fehler. Ich bin perfekt.
Als ich am Abend das Büro verlasse, überkommt mich ein Gefühl, dass ich bis anhin noch nie erlebt hatte. Ich spüre eine unglaubliche Angst in mir, eine Angst die mich zu Boden ringt, die alle meine Wahrnehmungen übertönt. Nur noch die Angst.
Ich gehe langsam, aber zielstrebig meinen Weg durch die dunklen, schlecht beleuchteten Gassen. Bald werde ich meine Gasse erreichen. Die Gasse, in der ich es tun werde. Ich werde warten bis jemand hinter mir in die selbe Gasse kommt. Dann werde ich mich niederknien und die Waffe nehmen. Ich werde warten bis er mich überholt und ihn dann töten. Ich bin perfekt. Mein Plan ist perfekt. Ich werde meine Waffe ruhig in meine Tasche zurücklegen, und dann um Hilfe rufen. Ich werde den Leuten erzählen, jemand habe ihn erschossen, und sei dann geradeaus weitergerannt. Und dann werde ich im Tumult verschwinden. Niemand wird sich an mich erinnern. Niemand wird es wissen. Ein perfekter Plan.
Ich biege in meine Gasse ein. Ich laufe bedächtig, langsam, die Angst, die immer grösser wird, droht überhand zu nehmen. Ich fürchte mich, die Kontrolle über mich zu verlieren. Ich atme tief und langsam. Hinter mir höre ich Schritte. Ich gehe weiter, laufe plötzlich schneller. Ich zwinge mich auf die Knie und öffne meinen Koffer. Ich hole die Pistole heraus, berühre sie wie einen heiligen Gral; sie ist mir heilig. Ich warte, höre die Schritte näher kommen. Immer näher. Ein kalter Lauf drückt sich in meinen Nacken. Ich erstarre. Mein perfekter Plan! Er war nicht perfekt. Ich werde vorüber geworfen, ich fühle warmes Blut an meinem Hals, während sich eine zweite Kugel in meinen Kopf bohrt. Wut kommt in dem auf, was noch von mir übrig ist. Wut über mich. Wut über den, der meinen perfekten Plan zerstört hat. Mein Geist verliert sich. Langsam, unendlich langsam verklärt sich mein Bewusstsein, meine Gedanken rasen und sind gleichzeitig still, wie versteinert. Ich fühle den Tod an mich herannahen, spüre wie das Leben aus mir fliesst, bis nur noch meine Leiche reglos auf dem Boden liegt.
Ein Mann schraubt ruhig den Schalldämpfer von seiner Pistole, legt sie zurück in seinen Aktenkoffer und verschwindet in den frischen Abend ohne die Leiche noch eines Blickes zu würdigen.