Pepe hat Geburtstag
Es ist ein klirrend kalter Tag im Januar. Es ist so kalt, dass sich über die Gräser und Zweige im Wäldchen eine weiße Frostdecke spannt und das Plätschern des kleinen Sees unter einer dicken Eisschicht verstummt ist. Pepe steckt den Kopf aus seinem Baumstamm und blinzelt in die Morgensonne.
„Was für eine Kälte! Ich bin eine Hummel und kein Eisbär!“ Brummelnd zieht er sich zurück in seinen Baumstamm. Drinnen dampft ein Kessel mit warmem Honigtee auf dem Herd. Pepe nimmt den Kessel und gießt etwas Tee in einen kleinen Becher. „Aaaah!“, macht er zufrieden, nachdem er vorsichtig den ersten Schluck geschlürft hat und setzt sich an seine Küchentheke. Vor ihm liegen Papier und ein Stift. Heute hat er viel zu tun, denn in zwei Tagen hat er Geburtstag, und heute möchte er die Einladungen zu seiner Geburtstagsparty an seine Freunde verteilen. Er nimmt einen weiteren Schluck Tee und schiebt nachdenklich das Mündchen von links nach rechts. Dann beginnt er die erste Einladung zu schreiben...
Kurze Zeit später fliegt Pepe, in einen dicken grünen Schal gewickelt, aus dem Baumstamm. Unter dem rechten Arm klemmt ein Bündel Einladungen. Er macht ein extra lautes Surrgeräusch, damit ihm warm wird. So dreht er brummend seine Runde durch das Wäldchen, um seinen Freunden die Einladungen zu seinem Geburtstag zu bringen: René dem Regenwurm, Harry der Heuschrecke, Ralfudo dem Hirschkäfer und den Bienenschwestern Klara und Wiebke. René und Harry, die er als Erste besucht, freuen sich sehr über die Einladung und wollen selbstverständlich zu der Feier kommen.
Anders Ralfudo.
„Pepe, es tut mir leid, ich habe übermorgen einen wichtigen Termin mit meiner Partneragentur. Du weißt doch…“ und er schlägt verschämt die Augen nieder. Ralfudo sucht nämlich eine Frau Hirschkäfer und hat sich vor zwei Wochen in einer Partneragentur eingeschrieben.
„Ach Ralfudo! Das ist doch nicht dein Ernst!! Nicht zu MEINEM Geburtstag zu kommen, wegen dieser…, dieser verrückten Partnersuche!“, aufgeregt schnappt Pepe nach Luft und schlägt mit seinen Flügeln. „Sieh mich an! Ich habe auch keinen Partner!!“ und er klopft entrüstet mit der verbliebenen Einladung für die Bienenschwestern auf seine aufgeplusterte Brust. „Und ich brauche auch gar keinen Partner!!“ setzt er noch einen drauf, als er Ralfudos wenig überzeugten Blick bemerkt.
Ralfudo klappert nervös mit seinem Geweih. „Tut mir leid Kumpel, beim nächsten Mal wieder. Der Termin ist wichtig. Es tut mir leid.“ Und er reicht ihm die Einladung zurück und schleicht mit hängendem Geweih in seinen Bau.
Pepe kann es nicht fassen. Wutentbrannt saust er durch die Luft und merkt nicht, dass er bereits am stillgelegten Bienenstock von Klara und Wiebke vorbei geflogen ist. Wie kann sein Freund ihn an seinem Geburtstag hängen lassen?! Partnersuche! Was soll man davon halten? Von Ralfudo ist jedenfalls nichts mehr zu halten. Der soll noch einmal einen Rat von ihm verlangen, da wird er aber -
„Vorsicht! Passen Sie doch auf!“ hört er es da plötzlich rufen und stößt unmittelbar darauf mit etwas zusammen. Pepe strauchelt und landet unsanft auf dem vereisten Boden. Verärgert rappelt er sich hoch und will schon lospoltern, da verschlägt es ihm die Sprache. Ein zarter sonnengelber Schmetterling mit verknickten Fühlern richtet sich neben ihm auf und funkelt ihn erzürnt an.
„Schon mal was von Luftverkehrsordnung gehört?! Unverschämtheit!“
Pepe sieht sie mit offenem Mund an. Eine so hübsche Schmetterlingsdame in seinem Waldviertel! „Äh, entschuldigen Sie bitte, es tut mir sehr leid! Ich, äh, also…“, versucht er eilig die Situation zu retten. Die Schmetterlingsdame richtet unbeeindruckt ihre Fühler und beachtet sein Gestammel gar nicht.
„Darf ich das bitte wieder gut machen?“ fragt Pepe hoffnungsvoll. Die Schmetterlingsdame hält inne und blickt ihn an. Ihre Augen sind dunkel wie glänzende schwarze Steine. Pepe muss ein wenig husten. Aber er ist gar nicht erkältet.
Die Schmetterlingsdame verzieht keine Miene. „Und wie bitte schön?“ fragt sie betont gelangweilt.
Pepe fackelt nicht lange und zieht flugs Ralfudos verschmähte Einladung hervor. „Übermorgen habe ich Geburtstag und mache eine kleine Feier. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie kommen würden. Es ist nicht weit von hier“, fügt er eilig hinzu, als er das zweifelnde Gesicht der Schmetterlingsdame sieht.
„Na dann…“, sagt diese und erhebt sich mit schlagenden Flügeln in die Luft. „Vielen Dank für die Einladung. Ich muss jetzt weiter. Und achten Sie doch in Zukunft ein wenig auf den Verkehr.“
War das ein Zwinkern? Pepes Herzchen schlägt ganz laut. Hat sie ihm da gerade tatsächlich zugezwinkert?
„Wie heißen Sie? Ich bin Pepe!“ ruft er schnell hinterher, während sie anmutig in den Himmel flattert.
Sie wirft ihm über die Schulter ein Lächeln zu. „Limone“, antwortet sie, und dann verschmilzt ein Sonnenstrahl mit ihren gelben Flügeln, und er sieht sie nicht mehr.
Pepe ist jetzt nicht mehr böse auf Ralfudo. Versonnen schaut er in den Himmel und er weiß, dass übermorgen der schönste Geburtstag seines Lebens sein wird.