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Penner
Ich ging einen trinken um die ganze Sache zu vergessen. Es wurden dann doch mehrere daraus und irgendwann stand ich besoffen im Park. Aber, konnte es denn die Möglichkeit sein? Saß er nicht da vorne auf der vermaledeiten Bank? Jetzt war die Gelegenheit gekommen. Ich stiefelte schwankenden Schrittes auf ihn zu. Dann lallte ich: „Hallo, Sie da, kann ich Sie mal was fragen? Was soll das Ganze mit den Leuten und so, hä?“
Er antwortete: “Ich kenne dich. Du sitzt immer mittags auf der anderen Seite des Sees und beobachtest mich.“
Da stand ich nun. Alles was ich hervorbrachte, war ein unsicheres „Ja“.
Ich kam mir auf einmal wie ein kleiner Junge vor, der seine Eltern heimlich durchs Schlüsselloch ausspioniert hat. Was hatte dieser arme Mann mir eigentlich getan?
Alles begann in meiner ersten Mittagspause. Da ich mit Kate erst seit kurzem in die Stadt gezogen war, ging ich im Park spazieren, um mir ein schattiges Plätzchen zu suchen. Eine Bank am See lud mich dazu ein. Gegenüber, auf der anderen Seite des Sees, saß ein Obdachloser. Ich biss in mein Sandwich, las die Zeitung und linste ab und an rüber.
Da fielen mir zwei Männer in schwarzen Anzügen auf. Nicht, dass sie mir an sich aufgefallen wären, aber etwas an ihrem Verhalten kam mir eigenartig vor. Der eine setzte sich nämlich neben den Penner und der andere beobachtete die Umgebung, so wie es Bodyguards tun. Der auf der Bank drehte sich zum Obdachlosen und schien ihn etwas zu fragen, dieser gab ihm eine knappe Antwort und schon erhob sich der Anzugträger sichtlich beglückt und die merkwürdige Szene löste sich wieder auf.
Ich dachte mir: „Er hat sicher nur nach der Uhrzeit gefragt“, obwohl mir diese Erklärung selbst reichlich unschlüssig vorkam.
„Was ist eigentlich mit dir los, Schatz?“ Kate hatte die Gabel neben den Teller gelegt. Das Fältchen über ihren Brauen verriet Besorgnis. „Schmecken dir die Spaghetti nicht? Oder ist es dein neuer Job?“
„Nein, nein, im Job läuft alles bestens. Und die Spaghetti sind fabelhaft. Bellisimo!“ Mein übertriebenes Lächeln konnte sie nicht täuschen.
„Du siehst seit einer Woche immer so gestresst aus, als wärst du vor jemand auf der Flucht. Hast du etwa deine kranke Ex wieder getroffen?“
„Um Gottes Willen, du meinst doch nicht im Ernst, dass die uns hier aufgespürt hat. Die Geschichte ist aus und vorbei, da kannst du wirklich beruhigt sein.“
Doch Kate war es nicht.
„Liegt es an mir?“
„Ich bitte dich, Schatzilein, mein Mäusepups. Du bist die Sonne in meinem Leben.“
Unbeeindruckt hakte sie nach.
„Was ist es dann?“
„Oh Mann, es ist der Penner! Der macht mich noch wahnsinnig!“ Mein Besteck knallte auf die Tischplatte. „So jetzt weißt du's. Zufrieden?“
„Siehst du, genau das hab ich gemeint. Warum schreist du mich eigentlich so an?“
Sie schniefte.
„Du liebst mich nicht mehr, Peter!“
„Weißt du was, ich geh jetzt einen trinken. Bis später!“
Am nächsten Tag zur gleichen Uhrzeit wurde ich wieder Zeuge dieses Schauspiels. Sie kamen und sie gingen, nur der Mann blieb auf seiner Bank zurück. Doch heute war da noch diese Frau. Sie war um die fünfzig und gut gekleidet, schon ein Wunder, dass sie überhaupt Platz bei einem Obdachlosen nahm. Sie tuschelte etwas, wieder kam eine knappe Antwort und schon stakste sie lächelnd davon.
Ich verschluckte mich an meinem Tee, sodass er kurz rüberblickte. Schnell erhob ich mich und verließ den Park, ich musste ja wieder zur Arbeit.
„George, hast du mal Lust mit mir in den Park zu kommen?“
George sah nicht auf.
„Nein danke, ich lese hier lieber meine Zeitung fertig.“
„In Ordnung.“
Nervös klipste ich mit dem Kugelschreiber. Schließlich versuchte ich es nochmal.
„George, bitte komm mit, ich muss dir dort was zeigen.“
„Ähm, Peter“, er blickte nun doch über seine Zeitung, „kannst du mir es nicht hier zeigen?“
„Nein, es ist dort im Park. Es ist … so ein Penner.“
„Ha-ha!" Er war nicht amüsiert. „Also Peter, du meinst allen Ernstes, ich opfere meine redlich verdiente Mittagspause, um mir einen Penner anzusehen? Von der Sorte gibt’s schon mehr als genug. Ist doch nicht mein Bier, wenn die ihr Leben versaufen.“
„Nein, dieser ist anders. Er trinkt nicht, er sitzt einfach nur da. Und dann kommen Leute. Sie wollen mit ihm reden, dann gibt er Antworten, kurze Antworten. Er ...“
„Peter!“ Ich fuhr zusammen. „Lass mich bitte mit so was in Ruhe! Mir wächst hier die Arbeit über den Kopf, Hillary spinnt schon seit Wochen, weil meine Mutter zu Besuch kommt, mein feiner Sohn kifft sich seit neustem den Verstand weg und da kommst du mir mit so einer Geschichte? Von mir aus kannst du gern im Park Penner beobachten, aber ich möchte mit deinem Hobby nichts zu tun haben. Ich hab jetzt Mittagspause!“
Nach der Arbeit wollte ich es wissen, ihm gegenübertreten von Mann zu Mann. Aber wie sollte ich nur mit ihm ins Gespräch kommen? Als ich in seine Nähe kam, merkte ich, dass mein Puls raste. Es lag eine eigenartige Spannung in der Luft. Jetzt war ich auf seiner Höhe. Er bemerkte mich und hob langsam den Kopf. Er blickte mich freundlich an und sagte: „Schönen Guten Tag, mein Herr!“ „Gunntag!“ grüßte ich zurück und tat so, als wäre ich rein zufällig vorbeigegangen. Ich spürte immer noch seinen Blick im Kreuz und kam mir wie ein Feigling vor.
„Hallo Jeff, ich bin's, Peter.“
„Peter, Alter, lange nichts von dir gehört! Wie geht’s euch denn so in der großen Stadt?“
„Ja, ja, ganz gut. Also, eigentlich ruf ich dich wegen so einer Sache an.“
„Na dann lass mal hören!“
„Bist du immer noch bei diesem, du weißt schon, Meister?“ Ich kam mir recht bescheuert vor.
„Sicherlich meinst du meinen Guru. Ich nehme immer noch regelmäßig an seinen Sitzungen teil. Willst du nun endlich doch mal mitkommen?“
„Nee, hab viel zu tun. Ich hätte da nur mal so eine Frage. Wie erkennt man, ob man einen, du weiß schon, Heiligen vor sich hat.“
„Du weißt es einfach, wenn du ihn siehst.“
„Klasse, gibt’s da noch irgendwelche andere Kriterien, oder vielleicht so eine Art Schnelltest?“
„Hast du denn einen Erleuchteten getroffen?“
Ich prustete.
„Quatsch! Vielleicht. Da ist dieser Penner, er sitzt einfach nur da.“
„Mein Meister hat gesagt: „Die bittere und unreife Frucht kann den Zustand der reifen nicht verstehen.“
„Okay. Danke, Jeff. Jetzt ist mir einiges klar geworden.“ Das ganze hatte so keinen Wert.
„Freut mich, dass ich dir weiterhelfen konnte. Und falls du es dir noch mal überlegen solltest, ich gehe jeden Samstag ...“
„Bye, Jeff!“
Heute zählte ich ganze fünf Personen, die ihn besucht haben. Ich glaubte, den einen aus dem Fernsehen zu kennen. War er nicht der Nachrichtensprecher?
Da war dieser Alptraum. Ich saß in Pennerklamotten auf der Bank. Der Obdachlose kam im piekfeinen Anzug über den See gelaufen und setzte sich zu mir hin. Er fragte mich, warum ich eigentlich eine solche Angst vor ihm habe.
Ich sagte: „Sie bringen mein Weltbild ins Wanken!“
Er redete zu mir, hab vergessen worum es ging. Aber er war so väterlich zu mir, so voller Geduld und Liebe.
Dann erschienen auf einmal alle Leute vom Park und begannen albern herumzutanzen, ich glaube zu Reggae. Ich wollte aufstehen, da bemerkte ich, dass ich mit der Bank festgewachsen war.
Ich schrie panisch und saß senkrecht im Bett.
„Na und, und wenn schon! Kann ja beobachten wenn ich will. Ich hab' Sie durchschaut! Sie sind ein, ein Scharlatan. Sie verarschen all diese Leute, jawohl! Is' mir auch egal. Aber mich lassen Sie ab jetzt in Ruhe! Mit ihren Psychotricks treiben Sie mich nicht in den Wahnsinn!“
„Das ist deiner Meinung nach mein Bestreben? Ich möchte rein gar nichts von dir. Du bist doch zu mir gekommen, oder etwa nicht?“
Sein Blick durchdrang mich bis in den letzten Winkel meiner Seele.
Schlagartig wurde mir alles klar, so klar wie noch nie: Warum ich hierher gezogen war, warum ich in den Park gegangen war, warum ich mit ihm in Kontakt gekommen war. Meine Beine wurden weich und ich ließ mich auf die Bank nieder.
„Ich denke, du bist so weit.“ Und mit diesen Worten stand er auf und ging weg.
Sollten Sie jetzt, wie ich stark annehme, noch Fragen haben, dann können Sie mich jederzeit gern besuchen kommen. Ich sitze für gewöhnlich hier im Park auf einer Bank am Teich.