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Penkun
Wir wohnten mittig in Penkun, Mutter und ich. Direkt an der Hauptstraße, die strenggenommen die einzige Straße war, die durch unseren Ort führte.
Im Haus vor uns lebte Tante Lene, die in Wirklichkeit Helene hieß und so wenig mit mir verwandt war, wie ein Elefant mit einer Gazelle. Aber ich durfte sie als Kind schon Tante nennen und so etwas verliert sich nicht mit dem auswachsen. Hinter uns wohnte Wilhelm Körner; der war weder mein Onkel, noch nannte ich ihn so.
In manchen Nächten wachte ich auf und schlich zum Fenster, das genau zur Straße blickte. Meine Ellenbogen gruben Kuhlen in den Sims. Dort saß ich dann, den Kopf auf die Hände gestützt, bis zum Morgengrauen.
Es gab Zeiten, da mied die Welt Penkun. Da blieb der Zeiger der Küchenuhr stehen. Rund und dick, wie sie war, und die schweren Zeiger, die dann so taten, als trägen sie schwer an der Last, immer und ewig die richtige Zeit anzeigen zu müssen.
Vor zwei Jahren, als Mutter am Stock ging, baute ein Mann mit ausgebeulter Weste in der Lehmkuhle, ein Stück die Straße runter, einen Platz. Er fuhr Bagger und riss den Stumpf der alten Eiche aus, ebnete den Boden ein, dass man dort gut Murmeln hätte spielen können. Tat er aber nicht, sondern baute einen Zaun drumherum mit spitzen Enden, dass ich mir die beste Hose beim Drüberklettern aufriss. Ich kam ohnehin nicht weit, denn der Zaun war Teil eines Zwingers für zwei schwarze Hunde mit Zähnen, die in der Nacht leuchteten. Der Mann baute ihnen keine Hütte, vielmehr warf er ihnen alte Geräte, Autos und Waschmaschinengehäuse zu.
Seitdem dieser Zwinger in unserer Nähe stand, verfuhren sich ab und an Autos hierher, die Penkun sonst nie gesehen hätte. Die meisten von ihnen hatten Anhänger.
In einer Nacht fuhr einer dieser Verirrten auf unserer Hauptstraße. Die Lichter seines Wagens suchten verzweifelt nach dem richtigen Weg und übersahen dabei das große Loch vor Tante Lenes Haus. Es schepperte wie damals, als mein Ball in die Wohnzimmervitrine fiel und Mutter mich mit ihrem Stock verdrosch.
Der Anhänger hatte etwas verloren. Es war eine Wanne, genauer eine Badewanne. Ich erkannte es gleich. Als Mutter noch viel redete, sprach sie auch von einer Badewanne.
„Eine Badewanne sind fünf oder sechs Eimer, die man hintereinander stellt und die mittigen Trennwände herausschneidet und auseinanderbiegt. Dann legt man sich dort hinein.“
In Penkun gab es Betten zum Hinlegen und Tante Lene besaß sogar ein Sofa, auf das man sich hätte legen können, es aber besser sein ließ. Wilhelm hatte es einmal gewagt und Lenes Nudelholz über die Schulter bekommen.
Also, ich erkannte es als eine Badewanne. Ihre Farbe und das Material, aus dem sie gemacht war, ähnelten einem Eimer, wie man ihn zum Melken benutzte. Mutter hatte wie so oft recht.
Der Mann mit dem Auto und dem Hänger ließ sie einfach dort liegen, wo sie vom seinem Fahrzeug gefallen war. Die Scheinwerfer setzten ihre Suche fort und waren bald selbst verschwunden.
Ich zog mir die Strickjacke über, die Mutter mir zu meinem vierzehnten Geburtstag geschenkt hatte. Strickjacken konnte ich leise anziehen. Mutter hatte einen leichten Schlaf und wurde laut, wenn man sie störte.
Neben der Badewanne stand ich nun und wurde traurig, weil sie tot war. Die vier Beine, niedlich und vom schweren Tragen nach außen gebogen, streckte sie von sich in den Nachthimmel. In solchen Fällen, weiß ich genau, was ein Gentleman macht: er hält Totenwache. Ich hielt so lange aus, bis sich der erste Sonnenstrahl in Wilhelms Küchenfenster spiegelte und auf die Badewanne traf.
Wir hielten Kriegsrat: Tante Lene, Wilhelm und ich. Mutter grunzte nur – ihr waren Badewannen zu geläufig. Ich äußerte Zweifel, dass man sich in sie hineinlegen konnte. Jetzt, wo sie gestorben war.
„Aber, sie ist schon etwas Besonderes“, verkündete Wilhelm und rieb sich die Runzeln an seinem Kinn.
„Blödsinn!“, erklärte Tante Lene und das war ihr Lieblingswort. Deshalb sagte sie es gleich noch ein Mal: „Blödsinn!“
Ich schlenderte um die Badewanne. Mutter sagte, man müsse sich eine Sache immer von allen Seiten besehen, bevor man etwas dazu sagen kann.
„Man müsste etwas damit machen“, sagte ich.
„Und was?“, Wilhelm rubbelte auch an den Runzeln auf seiner Stirn.
„Blödsinn!“, sagte Tante Lene und irgendwie war das ein gutes Schlusswort so weit.
Einen ganzen Tag und die Nacht dazu lag die Badewanne tot neben der Hauptstraße von Penkun. Am nächsten Morgen sagte ich, dass ich die Badewanne jetzt anmalen würde, weil sie einfach nicht gut aussah.
„Meinst du?“, Wilhelm rubbelte sich an der Nase.
Er half mir die Farben aus dem Schuppen zu holen. Bis zum Abend saß ich dabei, die Wanne zu bemalen.
In der Nacht konnte ich nicht schlafen. In meinem Kopf rührte es, wie ich den Tag über in den Farbtöpfen. Ich stützte die Ellenbogen in die Kuhlen im Fenstersims und schaute auf die Badewanne. Ihre Farben strahlten in die Nacht.
Ein Auto fuhr vorbei, wurde langsamer und stoppte am Straßenrand, etwa unter Wilhelms Küchenfenster. Ein Mädchen stieg aus, ich erkannte sie gleich: die Tochter des Hundezwingerbesitzers. Sie ging stracks auf die Badewanne zu und ich dachte, vielleicht nimmt sie ein Bad. Aber nein, sie umkreiste sie und noch einmal. Streckte die Hand nach der Badewanne aus und zog sie wieder zurück. Ich wollte das Fenster öffnen und ihr zurufen: Also beißen tut sie nicht, denn sie ist tot. Aber mir fiel zum Glück Mutter ein und ihr leichter Schlaf und wie sie sich aufregen würde.
Also zog ich die Strickjacke über und lief auf die Straße. Zuerst hatte das Mädchen Angst; ich auch. Ich sah es an ihrem Rehblick. Ich klingelte bei Tante Lene und bei Wilhelm. Die beiden an meiner Seite ließen ihre Sorgen schwinden.
„Gehört dir diese Badewanne? Sie ist schön.“
„Sie ist gestürzt und dann gestorben. Ich habe sie nur umgezogen.“
Das Mädchen traute sich, sie anzufassen.
„Die Farben und das Thema – das ist wirklich Kunst.“
Wilhelm sagte „Aha!“ und Tante Lene ganz leise: „Blödsinn.“
„Ich weiß nicht.“
„Doch, doch“, meinte sie und geriet in eine Strömung. Erzählte die ganze Nacht von Malern und Farben. Ich fand`s interessant.
Der erste Sonnenstrahl brach sich in ihren Augen. Sie lachte und meinte, sie müsse jetzt gehen.
Ich sagte nur: „Blödsinn!“